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Erster Theil
Drittes Kapitel.
Der Bettler
ОглавлениеMan hat gewiß schon Kinder gesehen, die wegen eines Fehlers, den sie geleugnet, aber gleichwohl begangen hatten, von ihrem Vater gescholten und bestraft wurden, und die, wenn sie die Unmöglichkeit, der Strafe zu entgehen, vor Augen. sahen, plötzlich weinend und mit den Füßen stampfend ausriefen:
»Ja, ich habe es gethan, ja, ja, und ich will es auch wieder thun!«
In ihrer jugendlichen Verzweiflung und als wollten sie sich an ihrem Vater rächen, übertrieben sie zuweilen wohl sogar die Bedeutung ihres Vergehens.
Dieses Gefühl betrachte man durch das moralische Vergrößerungsglas und man wird sehen, daß Valery in diesem Augenblicke seinem ganz ähnlichen Gefühle folgte, indem er beichten wollte; nur war es bei ihm um den ganzen Unterschied stärker, der zwischen dem Kinde und dem Manne, zwischen dem Vater und Gott, zwischen dem Fehler und dem Verbrechen, zwischen der väterlichen Züchtigung und dem Tode, dieser Strafe oder Belohnung der Ewigkeit, stattfindet.
»Ha! ich muß sterben,« sagte der Kranke; »es wird nichts, von mir übrig bleiben, mein Tod ist unvermeidlich. Wohlan, man soll erfahren, was ich war und was ich bin!«
Diese Stimmung Valery’s war Pascal nicht entgangen, und er konnte sich daher nicht enthalten, zu ihm zu sagen:
»Sie scheinen nicht in dem Zustande zu sein, in dem sich ein Mensch, welcher beichten will, befinden muß; erlauben Sie mir also, daß ich mich entferne. Ich wiederhole Ihnen, daß Ihre aufrichtige Reue das Einzige ist, was die Handlung, zu der ich mich verstehe, entschuldigen kann, aber in diesem Augenblicke sind Sie von dieser Reue weit entfernt.«
»Sie sollen mich aufklären,« erwiderte Valery, »und die Reue in mir wecken, wenn ich sie noch nicht fühle. Worin bestände der Triumph Ihrer.Religion, wenn sie nur Gläubige erleuchtete? Ich habe Ihnen Vorhin bereits gesagt, daß es thörigt von mir ist, an den Gott zu glauben, der mich tödtet, mich, den nichts im Leben nur einen Augenblick zum Wanken gebracht bat. Es ist mehr als ein Bekenntnis, das ich Ihnen ablegen will, es ist eine Lehre, die ich Ihnen mittheile, eine Lehre, die Ihnen in Ihrem Stande nur von Nutzen sein kann, denn sie wird Ihnen merkwürdige Geheimnisse des menschlichen Herzens enthüllen. Sie sollten es mir im Gegentheil Dank wissen, daß ich dieses Geständnis ohne alle Heuchelei mache; ich hätte mich bekreuzen und die Hände fallen können, um Sie zu täuschen, aber wozu dies? Von der Aufrichtigkeit bis zur Reue ist nur ein kleiner Schritt. Ueberdies betrifft dieses Bekenntniß nicht mich allein, und wenn Sie es angehört haben«I werden Sie bei Ihrer Zurückkunft nach Frankreich die Ehre Unschuldiger wiederherzustellen haben, denn ich habe unschuldigen Leuten Böses zugefügt, unter dem sie noch jetzt leiden müssen.«
»Sprechen Sie, Herr Valery, sprechen Sie.«
»Ach! mein Bruder,« fuhr der Sterbende, den sein moralisches Fieber auf einen Augenblick verlassen hatte, fort, »als Sie den Entschluß faßten,. sich dem Dienste Gottes zu widmen, erblickten Sie in der Ausübung Ihres geistlichen Amtes nur die Freude, unmittelbar mit dem Herrn zu verkehren und das ächt christliche Vergnügen, den Menschen die Wahrheit zu lehren; Sie ahneten nicht, daß Ihr Amt Ihnen auch entsetzliche Scenen vor Augen führen und Sie zu widerwärtigen Zergliederungen zwingen würde. Ihre Natur ist sanft und schwach. Ihre Seele nur zum Guten geschaffen, ich habe dies auf den ersten Blick erkannt; fühlen Sie sich auch stark genug, um nicht entsetzt zurückzuschrecken, wenn Sie sich zum ersten Male über den Abgrund beugen werden, den man die menschlichen Leidenschaften nennt? Sie haben die schönsten Länder der Welt besucht, welche beständig den Ruhm Gottes verkündigen, und von ihrem Glanze, ihren Gesängen und ihren Blumendüften berauscht, haben Sie diesem Gott, der sich Ihnen so offenbarte, gelobt, ihm Ihre Zukunft zu weihen und sich ganz seinem ewigen Gesetze zu widmen. Aber Ihr Stand hat zwei Seiten; die eine ist hell, weil nur der Himmel sie erleuchtet, die andere ist dunkel, weil sie den Menschen zugewendet ist, das heißt dem Laster, dem Verbrechen und dem Zweifel. Wird die Kraft, die Sie aus Ihrem Glauben schöpfen, Ihnen genügen? und werden Sie nicht. wenn Sie Gott so erhaben und. den Menschen so niedrig sehen, das Bedürfniß der Einsamkeit und Abgeschiedenheit fühlen? Vielleicht wird Ihnen diese Kenntniß des menschlichen Herzens so widerlich sein, daß Sie sie nicht ertragen können, wie manche Aerzte ihre Kunst haben aufgeben müssen, weil ihnen bei den verpesteten Leichen, die sie öffnen sollten, übel wurde.«
»Sie irren sich, mein Bruder,« antwortete Felician mit sanfter Stimme, »ich habe längst die Nothwendigkeiten erwogen, denen ich mich unterwerfen muß, und ich werde nicht davor erschrecken. Wenn ich gezwungen sein werde, eines der entsetzlichen Geheimnisse anzuhören, von denen Sie sprechen und welche die Beichte enthüllt, so werde ich darin nur das Gefühl sehen, welches diese Beichte dictirt: die Reue, und werde für den Reuigen beten. Indem Christus die Beichte des Menschen gegen den Priester, das heißt, gegen seines Gleichen, einsetzte, hat er ein erhabenes Gesetz aufgestellt, welches die Argumente des reformierten Glaubens vergebens anzugreifen sich bemüht haben. Der Mensch, der ein Verbrechen begangen hat, und der, wie die Protestanten, in der Todesstunde sein Bekenntniß nur in den Busen Gottes niederlegen kann, triumphiert nicht so über sich selbst, wie der Christ, der sich vor einem anderen Menschen demüthigt, welcher das Werkzeug der Gottheit ist und von ihr das Recht erhalten hat, zu vergeben und zu vergessen. Es giebt nichts Schöneres, mein Bruder,« fuhr Pascal mit Begeisterung fort, »als dieses Amt der moralischen Heilung, das der Herr seinen Dienern überträgt. Glauben Sie mir, der Mensch, der seine Sünden nur Gott bekennt, beichtet nicht so vollkommen und mit so günstigem Erfolge, als der, welcher sich gegen einen Priester ausspricht. Er schließt einen stillschweigenden Vergleich mit seinem Gewissen und er ist nicht gerettet, er ist nicht einmal geheilt.«
»Sie haben vielleicht Recht,« entgegnete Valery, »und ich glaube in der That, daß die Beichte Dem, welcher den Glauben hat, einen Trost gewähren muß; aber es giebt auch gewiß Verbrechen, welche Gott nie vergiebt.«
»Er vergiebt sie alle, mein Bruder, wenn man aufrichtig und ernstlich bereute; wenn Ihr Gewissen belastet ist, so bitte, so beschwöre ich Sie, bieten Sie Alles auf, um christlich zu sterben, und im Namen unseres Gottes verheiße ich Ihnen die ewige Ruhe Ihrer Seele.«
Mit einem halb spöttischen, halb neidischen Lächeln betrachtete Valery diesen jungen Mann, dessen Ueberzeugung so aufrichtig und dessen Glaube so rein war, und ohne einen Uebergang zwischen dem, was er gehört hatte und dem, was er sagen wollte, gleichsam als hätte sein unschlüssiger Geist schon nicht mehr zweifeln können, doch aber noch nicht glauben wollen, sagte er plötzlich:
»Wer acht Jahren wurde der Pfarrer eines kleinen Dorfes in Frankreich, Namens Lafou, mit seiner Haushälterin ermordet. Der Neffe dieses Mannes wurde des Verbrechens beschuldigt, verurtheilt und hingerichtet. Er war unschuldig.«
»O, welch ein gräßliches Schicksal!« erwiderte Pascal schaudernd.
»Nicht wahr?« versetzte Valery, »ein fürchterlicher Gedanke!«
»Sie haben nach seiner Hinrichtung erfahren, daß er unschuldig war?«
»Ich wußte es schon vorher.«
»Wie? Sie wußten es?« rief Pascal mit Entsetzen.«
»Ja.«
»Und Sie haben seine Unschuld nicht bezeugt?«
»Ich konnte es nicht.«
»Sie konnten es nicht? Welchen Grund kann ein Mensch haben. seinen Nebenrnenschen unschuldig sterben zu lassen?»