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I.
Genealogie, Geschichte und Physiologie des Franz Guichard, genannt Pechvogel
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Ehe die Marne sich bei Charenton in die Seine ergießt, macht sie allerlei Wendungen, Drehungen und Biegungen, wie eine Schlange die sichs in der Sonne wohl sein läßt; sie streift am Ufer des Flusses hin der sie verschlingen soll, springt aber dann plötzlich ab und entflieht fünf Meilen weit. Endlich nähert sie sich ihm zum zweiten Mal, entfernt sich aber von Neuem, gleich als ob die keusche Najade nur schwer zu dem Entschluß käme ihre schattenreichen grünenden Ufer zu verlassen und ihre Smaragdenen Wasser mit der großen Pariser Gosse zu vermengen.
In einer der bezeichneten Krümmungen bildet sie eine vollkommene Halbinsel deren Landenge den Flecken Saint-Maux einnimmt, und an welcher entlang die Dörfer Champigny, Chennevière, Bonoeil und Creteil mit ihren Gebieten sich hinziehen.
Im Jahr 1831 gehörte diese Halbinsel beinahe ganz dem erlauchten Hause Condé. Sie war, wie schon der Name la Varenne (das Gehäge) anzeigte, einer der zahlreichen Vergnügungsorte dieser kriegerischen Familie, in welcher sich eine beinahe wahnsinnig; Liebhaberei für die Jagd vorn Vater auf den Sohn vererbte.
Diese ganz specielle Familienneigung hatte zur Folge das; die Halbinsel Saint-Maux, trotz der starken Zunahme der Bevölkerung und der zahlreichen Neubauten in der übrigen Bannmeile, bis zum Jahr 1772 gänzlich verödet blieb. Die Hasen, Fasanen und Rebhühner lebten da, durch diesen breiten und tiefen Wassergürtel gegen Fallen, Schlingen und andere Wilddiebsapparate geschützt, lange Zeit in einer Ruhe die einige Aehnlichkeit mit dem friedsamen Dasein ihrer Stammesgenossen in den Urwäldern gehabt haben würde, wenn nicht von Zeit zu Zeit die prinzliche Flinte sie daran erinnert hatte daß sie, wenn, auch königlicher Wildpret, doch immerhin Wildpret waren.
1793 wurde Varenne als Nationalgut verkauft; aber sein sandiger Boden, seine Wälder von verkrüppelten Birken und Eichen hatten für die Speculanten so wenig Reiz, das; der letzte Condé, als er 1814 aus der Emigration zurückkehrte, es noch verödeter als früher fand, denn wenn die Menschen es nicht in ihren colonisatorischen Wanderungen gestürmt hatten, so war dagegen die kleine befiederte und befellte Welt, die einst in seinen Ebenen und Forsten herumgekrabbelt unbarmherzig dein Niveau der Gleichheit unterworfen worden.
Also im Jahr 1831 – mit diesen: bereits angeführten Datum beginnt unsere Geschichte – bildeten zwei oder drei vereinzelte Häuser, etliche Meierhöfe, verpachtet an einfältige Bauern die Getreide säten, Kaninchen wachsen sahen und Entschädigungen ernteten – sowie die Hütten der Forstwarte und des Fährmanns von Chennevière die einzigen Wohnungen auf der Halbinsel.
Ueberdieß fristete eines dieser Häuser sein Dasein nur durch eine ganz besondere Gnade des Herrn Prinzen von Condé.
Wir meinen das Haus des Franz Guichard, genannt Pechvogel
Bevor wir erzählen auf welche Art Franz Guichard sich Grundbesitz an der Marne erworben, müssen wir ein paar Worte von seiner Person sprechen und einige Zweige seines Stammbaumes hinanklettern, denn Franz Guichard besaß einen solchen.
Allerdings war derselbe nicht auf Pergament verzeichnet, nicht mit Arabesken geschmückt, er lief nicht in Blumen von Wappenschilden aus, er war weder von Cherin noch von Hozier beglaubigt. Nein, der Stammbaum des Franz Guichard beruhte recht und schlecht auf der Ueberlieferung, wie das Geschlechtsregister Abrahams; aber er war darum nichtsdestoweniger authentisch, denn er war gewissenhaft vom Vater auf den Sohn fortgepflanzt worden, mit der Aufgabe für den Letzteren jeder Generation ein neues Capitel beizufügen, und Alle hatten sieh dieser frommen Pflicht so getreulich entledigt, daß (Franz Guichard sagte es mit einem gewissen Stolz) gar viele Edelleute in große Verlegenheit kämen, wenn sie, was er mit der größten Zuversicht thun konnte, angeben müßten wie ihre Ahnherren seit nicht weniger als elf Menschenaltern gestorben sind.
Ferner ist wahr daß die Guichards eine besondere Vorliebe für eine exceptionelle Todesart gehegt und ihr ganzes Leben hindurch so geschickt hantiert hatten, daß es ihnen sammt und sonders gelungen war auf die eine und selbe Manier aus dieser Welt zu scheiden; wenn man daher Franz Guichard über das eben erwähnte Problem fragte, so antwortete er unveränderlich: Gehängt! Gehängt!! gehängt! Denn in der That waren alle gehängt worden, von Cosimus Guichard an, der 1473, unter der Regierung des guten Königs Ludwig XI, am Kreuz von Trahoir verschied, bis auf Joseph Peter Guichards, der ohne den Marquis von Favras, welchem das Unglück diesen eigenthümlichen Ruhm vorbehielt, der letzte Franzose gewesen wäre den man an einem Galgen aufhißte.
Inzwischen darf man wegen des tragischen Endes dieser elf Menschenleben nicht allzu streng über die Grundsätze und Gewohnheiten der Guichards urtheilen: wenn man einen Guichard hing, so hatte das Gesetz sich dessen weit mehr zu schämen als der arme Sünder; dieser konnte mit vollem Recht an die Nachwelt appellieren.
Die Guichards waren gebotene Wilddiebe, wie wir bereits von den Condés bemerkt haben sie seien geborene Jäger gewesen. Zwischen seinem vierten und fünften Jahre schielte ein kleiner Guichard bereits mit lüstern funkelnden Augen nach den Kaninchen des Königs die seinem Vater den Kohl wegfraßen; zwischen dem siebenten und achten begann er sich zu fragen ob er nicht, in Anbetracht der Menge von Gemüsen die in den Bauch des Thieres gekommen, einiges Recht auf das Thier selbst habe; zwischen dem achten und neunten gelangte er zur festen Ueberzeugung von diesem Recht, sowie zu dem Entschluß seinen Kohl überall wieder zu nehmen wo er ihn fände, und er legte eine kleine Schlinge von Roßhaar oder Messingdraht, zwischen dem neunten und zehnten wurde er, Gott weiß wie, Besitzer irgend einer Feuerwaffe; mit zwölf Jahren stellte er Garne auf; mit zwanzig tödtete er, den Fortschritten in der Waffenindustrie gemäß, Alles was in den Bereich seines Bogen's, seiner Armbrust oder seiner Flinte kam; endlich zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Jahr kletterte der Henker ihm auf die Schultern.
Man darf indeß nicht wähnen daß die harte Lection welche die Guichards, einer um den andern, empfingen, für die Nachkommenschaft der unverbesserlichen Wilderer verloren gewesen sei. Die Hinrichtung hinterließ einen heilsamen Eindruck der während der folgenden Generation ausdauert. Der Sohn des Gehängten verabscheute die Kaninchen ordentlich, und beim Anblick dieser harmlosen Thiere fiel er in Ohnmacht, gerade wie Heinrich von Valois beim Anblick einer Katze oder Cäsar beim Anblick einer Spinne; er war nicht im Stand irgend ein Geschoß von Bogen, Armbrust oder Flinte auf dasselbe zu richten oder ihm mit einem Messingdraht irgendwie nachzustellen. Das dramatische Hinscheiden seines Vaters hatte für den jungen Menschen alles behaarte oder befiederte Wild mit dem Bann des Tabou belegt, wie die Bewohner von Neucaledonien sagen; aber da es ihm dabei unmöglich war sich der Marodeursinstincte zu entschlagen die dem Guichardschen Blut innewohnten, so rächte er sich an den Fischen.
War sein Vater Wilddieb gewesen, so wurde er selbst Flußdieb, und wenn sich in Flüssen oder Bächen nicht Beute genug vorfand, so suchte er die Teiche, sodann die Fischweiher und endlich die Schloßgräben heim, deren ungeheure, zwei bis dreihundertjährige Karpfen auf seine Einbildungskraft so mächtig wirkten wie der Diamant auf das Eisen; und er mochte es nun mit Haaren, Federn oder Schuppen zu thun haben, zuletzt fügte es sich immer so daß eines Tags irgend ein Richter, Vogt oder Amtmann dem Sohne das zukommen ließ was er von der Erbschaft seines Vaters noch einzuziehen hatte, nämlich den Strick an welchem man den Letzteren aufgehäuft.
So hatten es die Guichards, von Waldräubern zu Süßwasserräubern geworden, bis auf Franz geruht, der 1831 lebte, und mit dem wir uns sofort beschäftigen wollen.
Sein Vater war, wie wir bereits beiläufig bemerkt, der letzte Vertreter gewesen welchen das steuer- und frohnpflichtige Volk an den Galgen geschickt, wofür die Feudalität seiner Familie großherzig das Privilegium geschenkt hatte. Dieser hatte dem Haar und der Feder, den Vierfüßlern und dem Gevögel den Krieg erklärt. Allerdings hatte er sich, obschon die Verordnungen über die Jagdpolizei seit der Thronbesteigung Ludwigs XIV um ein Gutes milder geworden waren, genöthigt gesehen seinen befellten und befiederten Opfern einen armen Teufel von Zweihändler beizufügen, unter dem Vorwand daß derselbe, ein Kerl der ein Blechlein und einen Dreispitz trug, ihn ins Gefängniß zu führen drohte; aber die erste Ursache dieses Unglücks war jedenfalls dieselbe gewesen, und deßhalb schwur Franz, der Ueberlieferung getreu, sich vor einer so unheilbringenden Sünde wie das Wildern und einer so gefährlichen Waffe wie die Flinte wohl zu hüten. Wir finden ihn also an den Ufern der Marne unfähig, statt daß wir ihn in des Waldes düsteren Gründen suchen müßten, wenn sein Vater sich zum Fischfang und nicht zur Jagd berufen gefühlt hätte.
1794, d.h. ungefähr vierthalb Jahre nach dein tragischen Ende seines Vaters, pflanzte Franz Guichard sein Zelt in Varenne auf.
Durch die Conscription von 1796 fortgenommen, kam er von Mainz, nachdem er diese Stadt gegen die Truppen Friedrich Wilhelms verteidigt hatte; er war in die Capitulation einbegriffen welche den französischen Soldaten freien Abzug mit allen Kriegsehren gestatten, ohne daran eine andere Bedingung zu knüpfen als daß sie ein Jahr lang nicht mehr dienen sollten. Der Convent, der damals gegen die Meute der verbündeten Aristocratien und Könige Front machte; glaubte seine Verpflichtungen gegen Preußen nicht zu verletzen wenn er die Mainzer gegen die furchtbare, wuthknirschende Vendée schickte.
Um von Mainz nach Saumur zu gelangen, mußte man durch Frankreich ziehen.
Wenn die Trommel wirbelte, wenn die Trompete ertönte, wenn die Marseillais erscholl, befand sich Franz Guichard, diese Gerechtigkeit müssen wir ihm widerfahren lassen, auf der Höhe seiner Waffenbrüder; aber Leider kann man, so hartnäckig auch ein Krieg sein mag, nicht immer dreinschlagen, und und die Ueberlegung der Rasttage that seinem Feuereifer Eintrag.
Dazu kamen Geistererscheinungen die sich in diesem schwachen Hirn leicht. Er sah im Traum die Gespenster aller seiner Ahnen in ihrer letzten Erscheinungsweise; die waren Skelette deren Gebeine im Wind klapperten, wie hölzerne Lichter die vor einer Krämerstube ausgehängt; die Anderen waren besser bei Fleisch sahen aber nur um so schauerlicher aus; ihre Köpfe mit den zerbrochenen Wirbelbeinen wackelten auf den Schultern herum; die Augen traten blutig aus den Höhlen hervor, die Zungen hingen veilchenblau aus dem Munde.
Unter der Herrschaft solcher Gesichte schwand bei Franz Guichard seine Begeisterung für Scharmüzel, Hinterhalte und Gefechte mit jedem Tage mehr.
Als daher die Mainzer Bataillone nach Lagny kamen, da warf Franz Guichard auf der Brücke einen Blick voll von Verzweiflung und Lüsternheit zugleich über dir Brustwehr hinab
Es war sieben Uhr Abends, und, um uns eines Fischerausdrucks zu bedienen, die Fische thaten groß, d. h. sie zeichneten spielend und schmausend auf der Oberfläche des Flusses allerlei kleine Kreise, deren Menge eine hohe Idee von der Anzahl derjenigen erregte welche sie hervorbrachten.
Franz Guichard stieß einen Seufzer aus.
Ja Folge dieses Seufzers kam ihm ein Bedenken dessen Ursache seinen Character gewiß noch in
der fernsten Nachwelt ehren muß.
Er fand daß der Convent die Capitulationsangelegenheit etwas leichtfertig behandelte, er schloß daß die Lage weit dringender gewesen sei als die berühmte Versammlung dafür hielt; er beschloß seinen Chef, den General Kleber, von einem Zehntausendstel der Verantwortlichkeit zu befreien die auf ihm lastete; er that als ob er einige farb- und formlose Lumpen die ihm als Fußbekleidung dienten zurechtmachen wollte; er ließ die Colonne vorbeimarschieren, versteckte sich unter dem Brückenbogen, blieb bis der letzte Nachzügler seinen Blicken entschwunden war, warf seine Finte und sein mit rothen Flammen geschmücktes Hütchen in den Fluß, schnitt mit seinem Messer seine Rockschöße ab, zog ein linnenes Hemd über diese Art von Camisol an und ging so ziemlich vermummt am Wasser hinab, einzig und allein damit beschäftigt beim Mondschein die Stellen auszukundschaften die fischreich sein mochten.
In jenen critischen Zeiten war die militärische Polizei nicht streng und nahm es besonders mit Deserteuren und Widerspenstigen nicht zu genau; andere Sorgen verschlungen ihre Aufmerksamkeit; überdieß füllten die freiwilligen Anmeldungen und der patriotische Enthusiasmus so rasch die in den Reihen entstandenen Lücken aus, daß man mit der Einschreibung der Neueingetretenen genug zu thun hatte und keine Zeit mehr bekam auf die Ausreißer zu achten.
Franz Guichard beunruhigte sich über die Folgen seiner Fahnenflüchtigkeit so wenig, daß er schon am Tage nach seinem Abschied von seinen heldenmüthigen Genossen unter der Weide saß die man noch heute bei der Fähre von Varenne erblickt, und mit beiden Händen einen Rohrstock von mittlerer Länge umfaßt. hielt, während seine Augen auf einem Pfropf hafteten, auf der Oberfläche des Wirbels zu tanzen schien welcher hier den Hafen ausmacht. Dieser Pfropf diente als Wegzeiger für eine Angelleine die er mittelst eines Bindfadens gefertigt hatte. Franz schien so ruhig, so arglos, als wäre er ein Spießbürger aus dem Faubourg Saint-Antoine gewesen der sich seinen Sonntagsergötzlichkeiten hingab.
Es scheint daß der Pulvergeruch, womit die Hände des Exhelden nothwendig geschwängert sein mußten, den Fischen nicht allzu sehr zuwider war, denn in einigen Stunden hatte Franz Guichard eine colossale Schüssel voll Weißfische, Gründlinge, Brachsen und Rothaugen beisammen, die er noch am selben Abend an einen Wirth in Vincennes verkaufte.
Dieser Fang war für ihn dasselbe was der Milchtopf für Perrette hätte sein sollen.
Wir sagen sein sollen,weil Franz Guichard, weniger unvorsichtig als das Bauernmädchen des guten Lafontaine – wir unterstreichen das Prädikat gut und aus Gründen – seinen schuppigen Schatz nicht über die Straße ausschüttete. Er verkaufte ihn im Gegentheil per Bausch und Bogen, und zwar um so besser als in jener theuern Zeit die Lebensmittel hoch im Preise standen. Vom Erlös kaufte er sich einige hundert Angeln und etliche Knäuel Bindfaden. Er legte bei Nacht seine Leinen woran sich Barben, Karpfen und Aale zu Dutzenden verfingen. Bei Tag beschäftigte er sich mit der Herrichtung seiner Geräthschaften. Er holte Weiden aus den nahen Gebüschen, Magre Reusen daraus und vervielfältigte mit deren Hilfe die Erzeugnisse seines Gewerbsfleißes so rasch, daß er schon zwei Monate nach seinem Austritt aus dem Dienst eine kleine Fähre zu kaufen vermochte.
Eine Fähre war das Ziel des ganzen damaligen Ehrgeizes unseres Franz; erstens weil er mittelst einer solchen bald Geld genug verdienen konnte um Alles anzuschaffen was er Fischer sein Handwerkszeug nennt, d. h. Garnsack, Wurfgarn und Netze aller Art; sodann weil der Herbst herannahte und es ihn nach einer andern Lagerstatt verlangte als nachdem hohlen Weidenstamm welcher ihm bisher Schutz gewährt hatte; ein prächtigeres Obdach konnte er sich natürlich nicht denken als ein tüchtiges Schiff aus Eichenholz, auf dessen Bank er, in einen warmen Wollteppich eingehüllt, sich strecken und schlafen konnte.
Drei Jahre hindurch besaß Franz Guichard kein anderes Dach, kein anderes Schlafzimmer, kein anderes Bett.
Aber er war glücklich! Warum hätte er es nicht sein sollen?
Es lag klar am Tage daß das alte celtische Blut Jahrhunderte hindurch rein und unvermischt in den Adern aller Männer dieses Stammes fortgeflossen war. Es bewahrte jene Instincte stolzer Unabhängigkeit und scheuer Freiheitsliebe die aus ihrem tiefsten Herzen gegen die Civilisation protestierten und nur durch Rückkehr zum ursprünglichen Leben Befriedigung finden konnten. Die Vorsehung hatte allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz, im vollen achtzehnten Jahrhundert dem letzten der Guichards das gewährt wonach seine Ahnen so vergeblich gestrebt hatten; vier Stunden von Paris hatte sie ihm eine Einsiedelei beschieden wo er sich mit ebenso vollem Recht als König betrachten durfte wie Robinson auf seiner Insel.
Und in der That stieß Franz Guichard während dieser drei Jahre kaum von Zeit zu Zeit auf einen Bürgersmann aus St. Maux oder Charenton der ihm für einen Tag eine unmächtige Concurrenz auf dem Fluß machte. Er war dessen einziger und alleiniger Herr und Gebieter, von Champigny bis Creteil. Und so lange die Republik das Directorium und das Consulat währten, dachten die Gemeinden, die aus Mangel an Liebhabern auf die Verpachtung ihrer Fischereien verzichtet hatten, so wenig daran den Eindringling in seinem Genuß zu stören, daß dieser an der Ewigkeit des letzteren nicht zweifeln konnte.
Eines Tags als er zwischen den Inseln nach Gründlingen fischte, richtete er seinen Kopf empor und bemerkte unter den Weiden ein hübsches Mädchen das am Ufer niedergekauert emsig wusch und ein fröhliches Lied dazu sang.
Die schönen Arme, das lachende Gesicht und die K- herausfordernde Stimme der jungen Wäscherin verursachten Franz Guichard Zerstreuungen die er bisher nicht gekannt hatte. Er wußte nicht mehr was er that: er nahm seine Störstange verkehrt, stieß mit dem Stiel in sein Netz hinein und zerriß es so gründlich, daß, als er es aus dem Wasser zog, die Fische einer um den andern durch die breite Bresche die seine Ungeschicklichkeit ihnen bereitet hatte hinausfielen und zappelnd ihre feuchten Wohnungen wieder erreichen.
Die Größe und Wirklichkeit dieses Verlustes erinnerten Franz Guichard an seine materiellen Instincte. Er setzte sich in sein Schiff, zog Faden und Spule aus seiner Tasche und begann zu flicken.
Das junge Mädchen sang beharrlich weiter und schlug mit ihrem Waschbläuel den Takt dazu; dadurch aber wurde die Aufmerksamkeit des Fischers gegen seinen Willen allmählig so gänzlich in Beschlag genommen, daß seine Spule, in Ermanglung einer methodischen Behandlung, gar phantastische Arabesken in dem Netz hervorbrachte.
Franz Guichard ließ jetzt seine Geräthschaften liegen.
Er trieb die Fischerei weit mehr aus erblicher Leidenschaft, wenn wir diesen Ausdruck wagen dürfen, als aus Gewinnsucht; aber die Aufregung die er in diesem Augenblick empfand, und die ihm bisher ganz fremd gewesen, trug über beide den Sieg davon. Franz Guichard, der ungeleckte Fischer für welchen bisher der Fang eines Karpfen oder Hechtes den Inbegriff der größten Genüsse gebildet, versank bei den Tönen des jungen Mädchens in tiefe Träumereien. Mit einer Art von Schüchternheit bog er die Zweige auseinander um Etwas vom Gesicht der Sängerin zu erhaschen, wenn diese während des Draufklopfens mit dem Waschbläuel ihren Kopf in die Höhe richtete, der vom Feuer der Arbeit geröthet war, während ihre Lippen und Augen vollständig den Ausdruck ihres Liebchens wiedergeben.
Die Extase währte bei Franz Guichard so lange bis das Mädchen ihr letztes Tüchlein ausgewunden hatte.
Jetzt legte sie die Arbeit des Tages wieder in ihre Butte und machte sich bereit dieselbe auf ihre Schultern zu laden.
Dieses Weggehen paßte Franz Guichard nicht in fernen Kram; er wäre gerne die ganze Nacht da geblieben um derjenigen zu lauschen deren Klänge ihn bezaubert hatten, und er begriff nicht daß eine Person die so schön sang eine andere Beschäftigung haben konnte als zu singen.
Er fuhr sachte mit seinem Haken ins Wasser hinunter, gab seinem Schiffchen einen tüchtigen Stoß und machte es mit solcher Kraft und Geschwindigkeit dahingleiten, daß er mit einem einzigen Ruderschlag über den Flußarm hinüber kam.
Die Wäscherin ihrerseits, als sie sich umdrehte um ihren Bläuel aufzuheben, bemerkte den jungen Mann der sie mit offenem Mund und erstaunten Blicken anstarrte und so geräuschlos herangekommen war, daß sie eine Erscheinung zu sehen glaubte.
Sie stieß einen kurzen Schrei aus; sie wollte ihre Butte ergreifen und entfliehen; aber ihre Aufregung war von der Art daß sie schwankte, und daß die rothen, blauen, grauen, weißen und bunten Lappen aus der Butte über den Uferrand hinrollten.
– Da seht her was Ihr angerichtet habt, sagte die Wäscherin zu Franz Guichard, der so eben ans Ufer gesprungen war. Recht angenehm das!… Meine Wäsche ganz verdorben.
Franz Guichard zeigte jetzt eine so bestürzte Miene, er schien über den Unfall den er unwillkürlich veranlaßt dermaßen betreten, daß der Ausdruck im Gesicht des jungen Mädchens, nachdem sie ihn einen Augenblick angeschaut, sich allmählig ganz veränderte.
Die Thränen die ihr im ersten Augenblick des Aergers in die Augen getreten waren, blieben darin stehen; aber ihre Lippen, die bei dieser Gelegenheit zweiunddreißig Perlen enthülltem öffneten sich zu einem lustigen Lachen, so daß man glauben konnte sie weine aus übertriebener Heiterkeit.
Diese Heiterkeit des Mädchens brachte Frau Guichard vollends ganz aus dem Concept. Er sah so unglücklich aus daß sie Mitleid mit ihm faßte, und indem sie ihm die Strafe auferlegte das angestellte Unheil gutmachen zu helfen, gab sie ihm einigen Muth zurück.
Er kniete in den Sand nieder und begann die Wäsche so geschickt abzuschwämmen wie nur die hübsche Wäscherin selbst hätte thun können.
Aber diese sang nicht mehr; sie plauderte, und Franz Guichard hätte gerne die vierfache Arbeit auf sich genommen um das Almosen eines armseligen Liebchens zu erlangen.
Als er dasselbe nicht kommen sah, beschloß er es hervorzurufen.
– Sag einmal, Bürgerin, wie kommt es daß Du, da Du doch die schönsten Lieder kennst die je aus einer Mädchenkehle hervorgedrungen sind, nicht auch das kennst:
O Richard, o mein König,
Dich verläßt die ganze Welt.
Und er begann einen Refrain zu trällern.
– Wer hat Dir gesagt daß ich es nicht kenne? antwortete die Wäscherin.
– Ei, ich habe Dir zwei Stunden lang zugehört, ja vielleicht noch länger, denn die Zeit ist so schnell vergangen, daß ich unmöglich sagen kann wie lang ich dasaß, und doch habe ich es nicht gehört.
– Wenn Du es nicht gehört hast, Bürger, so kommt dieß daher daß ich es nicht singen wollte.
– Nun wohl, Bürgerin, da ich seit dem Tod meiner armen Mutter dieses Lied nicht mehr gehört habe das mir als kleinem Jungen so wohl gefiel, so würde ich, wenn Du mirs singen wolltest, gerne einen Handel mit Dir abschließen daß ich Dir Deine Butte bis auf die Höhe von Chennevière trüge.
– Ich schließe keine solche Handel ab, Bürger Franz Guichard.
– Du kennst mich also?
– Ei warum denn nicht? Fischer und Wäscherinnen sind Geschwisterkinder, wie ich denke.
– Also das Lied.
– Nein, ich danke schön! Ein aristocratisches Lied wegen dessen man mich einsperren würde, wenn man nur die Melodie hörte. Hilf mir jetzt meine Butte wieder aufladen. Ein Lied wie dieses da singt man nur bei verschlossener Thüre, im Bette, ganz leise seinem Manne ins Ohr. Auf Wiedersehen Bürger Guichard!
Der Fischer sah das Mädchen zwischen den Stämmen der Pappeln verschwinden. Als sie an die Rebberge kam, drehte sie sich um und warf ihrem Zuhörer einen schalkhaften Blick zu. Dieser stand noch immer auf demselben Fleck.
Er blieb hier lange, und obschon er etliche hundert Angeln vollständig in Bereitschaft gesetzt, so begab er sich doch nicht, wie er beabsichtigt hatte, nach dem Loch von Faviot, um sie auszuwerfen. Er ruderte Vielmehr nach dem Platze zurück wo er so lange Halt gemacht hatte um dem jungen Mädchen zuzuhören. Sobald es dunkelte, legte er sich zur Ruhe; aber er schlief nicht, sondern hielt die ganze Nacht, den Nachtigallen lauschend die ihre verliebten Triller in die Finsterniß und Stille hineinwarfen, seinen Kopf über den Rand seiner Fähre empor, gleich als wollte er die Wäscherin am Ufer suchen.