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III.
Wie es Gott gefiel über Franz Guichard ähnliche Prüfungen zu verhängen wie einst über Hiob
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Dieses Ereigniß machte Lärm in der Ebene und auf der Höhe.
Acht Tage lang brauchten sich die Gevatterinnen, von Joinville bis Ormesson, von Gravelle bis Sucy, nach keinem andern Text für ihre Klatschereien umsehen. Lange Zeit schwatzten die am Ufer knieenden Wäscherinnen von diesem Abenteuer, während sie mit dem Bläuel auf ihre Wäsche losklopften.
Im Allgemeinen und mit Ausnahme einiger bösartigen Murrköpfe gab Jedermann dem alten Pommereuil Unrecht. Der Winzer hatte zu früh frohlockt. Ohne alle Ahnung davon daß das Schicksal ihm solche Repressalien gedachte, hatte er die Unvorsichtigkeit begangen sich öffentlich über die Geduld und Einfalt des Fischers lustig zu machen, und dagegen die Feinheit und Pfiffigkeit zu rühmen womit er gegen Leidenschaft für Luise auszudeuten gewußt habe.
Man verspottete ihn und dadurch wurde sein Grimm über den Räuber immer giftiger.
Chennevière besaß einen Maire, einen rechtschaffenen Mann der übrigens die reinsten Grundsätze jener Epoche eingesogen hatte, einen wahren Römer in Holzschuhen. Man nannte ihn den Bürger Cornelius.
Als Bürger Cornelius durch die Fama den Vorfall erfuhr, begab er sich zu seinem Untergebenen und predigte ihm nach seiner Art und Weise; er erkannte zwar die Rechte des Vaters an, aber blos um dagegen an die älteren und unverjährbaren Rechte der Natur zu appellieren. Er beschwor ihn sich dieser erhabenen Kundgebung des freien Willens nicht zu widersetzen; er sprach von Plato, er sprach von Rousseau, er wurde fast bis zu Thränen gerührt, als er ihm das Glück des Vaters schilderte dem es vergönnt sei im Verein mit Amor zwei liebenden jungen Leuten den Kranz Hymens auf die, Stirne zu drücken.
Diese Predigt rührte den Vater Pommereuil sehr wenig; aber glücklicher Weise machte ein Nachbar, ein etwas schreibereiverständiger Krämer, ihn darauf aufmerksam daß Luise majorenn sei, folglich ihr Muttergut ansprechen und mittelst gewisser sehr theurer Formalitäten über den bösen Willen ihres Vaters obsiegen könnte, und so gab der alte Bauer nach.
Er verabscheute seinen künftigen Schwiegersohn, zwanzigmal des Tags wünschte er aus vollem Herzen derselbe möchte an seinem Wurfnetz hängen bleiben und in die tiefste Marne hinabfahren; aber wenn er bedachte daß ein schönes Stück Geld, das er als sein bleibendes Eigenthum zu betrachten sich angewöhnt hatte, diesem Lumpenpack von Gerichtsschreibern in die Hände fallen sollte, so erschien ihm dieß als ein Aberwiz womit er sein Gewissen unmöglich belasten konnte.
Er willigte also darein daß Luise Pommereuil die Ehefrau des Franz Guichard wurde, jedoch unter der Bedingung daß sie einen förmlichen Verzicht auf die Hinterlassenschaft ihrer seligen Mutter unterzeichnete.
Franz Guichard war also besser daran als seine Ahnen je geträumt hatten.
Nicht blos herrschte er als unumschränkter Gebieter über die Marne, nicht blos konnte er nach freiem Belieben seine Geräthschaften darauf spazieren führen, ohne händelsüchtige Aufseher oder eifersüchtige Eigenthümer fürchten zu müssen, nein, er besaß auch die einzige Frau die er je geliebt hatte, und was noch weit erstaunlicher ist, diese Frau hielt mehr als das junge Mädchen versprochen hatte.
Wenn je ein enthusiastischer Eheherr auf seine Hälfte die Bezeichnung Schatz anwenden konnte, so war es Franz Guichard. Luise war rüstig, dabei aber sanft und unterwürfig; folglich hatte Frankreichs Himmel nie eine so vollendete Hausfrau gesehen.
Sie flickte die Netze ihres Mannes; sie begleitete ihn auf dem Fluß, sie lenkte das Schiff wie ein echter Fischerknabe, und zwar mit solcher Geschicklichkeit, daß ihre Ruder so wenig Lärm auf dem Wasser machten, als eine Breitjungfer die über die Seeblumen hin hüpft, und daß Franz Guichard, wenn seine Leinen sich irgendwo verfingen, niemals genöthigt war nach dem letzten Mittel, zum Messer zu greifen. Ueberdieß wußte sie es trotz all ihrer Geschäfte immer so einzurichten, daß er, wenn er nach Hause kam, eine Suppe oder einen Ragout fertig vorfand, was dem Fischersmann in seiner Hütte auf der Inselspitze eine Idee von den gastronomischen Genüssen der Bürger Direktoren im Luxembourg beibrachte.
Mit all diesen Vorzügen verband Luise noch einen anderen, der sich bei armen Weibern die neben schwerer Handarbeit die Schmerzen der Mutterschaft durchzumachen haben sehr selten vorfindet: sie blieb schön. Allerdings hatte die Sonne ihren einst so weißen Armen, ihrem ehemals so frischen Gesichte die Farbe des florentinischen Erzes verliehen, aber ihre Züge blieben rein, und diese warme, männliche Färbung stand ihr vortrefflich zu Gesichte.
Zwanzig Jahre hindurch war Franz Guichard gewiß der glücklichste Mann seines Departements, obschon dieß das Departement der Seine war, das diverse Millionäre unter seinen Bewohnern zählte.
Aber das Glück gleicht jenen Wucherern die den reichen Söhnen ihre Casse öffnen, deren habgierige Gefälligkeit und eigennützige Beeiferung aber bei der Berechnung der Zinsen grell zu Tage kommen.
Der Verfalltag nahte für die arme Familie in Varenne.
Im Jahr 1813 besaßen Franz Guichard und Luise Pommereuil drei schöne Kinder: zwei Söhne und eine Tochter.
Die Conseciption nahm ihnen die beiden Jungen weg.
Der Fischer ertrug diese erste Prüfung ziemlich gut, denn seine Erinnerungen an die Belagerung von Mainz verliehen ihm Kraft: er gedachte des Orcans von Eisen und Blei in dessen Mitte er drei Monate lang gelebt hatte; er sprach mit einer gewissen Verachtung davon und behauptete die Canone mache mehr Lärm als nöthig sei.
Luisens Herz blutete und ihre Augen weinten, Sie hätte gerne ihre zwei Kinder loskaufen mögen, aber in jenen Zeiten war das Menschenblut theuer, und mit den Mitteln der armen Familie war es schlecht bestellt. Aus Rache für den Ungehorsam seiner Tochter hatte der alte Pommereuil wieder geheirathet, und trotz seiner sechzig Jahre hatte ein neuer Nachwuchs die Zahl seiner Erben vermehrt, so daß bei seinem Tod der Antheil seiner ältesten Tochter auf die Hälfte herabgeschmolzen war. Inzwischen konnte man durch Verkauf der Weinberge vielleicht für einen der beiden Söhne einen Ersatzmann erschwingen; aber nun entstand ein Wettstreit an Edelmuth unter den Brüdern, und da der eine nicht ohne den andern bleiben wollte, so war die Folge daß beide abzogen. Franz Guichard und seine Frau blieben allein im Hause, denn ihre Tochter war schon seit einem Jahr verheirathet.
Sie hatte einen alten Soldaten dem man nach der Schlacht bei Wagram ein Bein abgenommen, und welcher der Busenfreund von Franz Guichard geworden war.
Dieser Veteran hatte als Invalidenlohn die Aufseherei über die Staatswaldungen von Varenne erhalten.
Kraft des traditionellen Rückstoßes jagte Franz Guichard nicht, sah aber gerne zu. Mehrere Male hatte der Fischer, wenn Peter Maillard – so hieß der alte Kriegsmann – dem Federvieh seiner Herren zu Leibe ging, ihn als Liebhaber begleitet. Der Forstmann hatte ein Kaninchen angeboten, der Wassermann hatte sich mit einer Platte Fische revanchirt, und Plaudereien hatten vollendet was kleine Geschenke begonnen. Peter Maillard war hoch erfreut gewesen in den Einöden von Varenne einen Mann zu treffen der zum Handwerk gehört hatte und mit dem er über die edle Kriegskunst plaudern konnte; Franz Guichard seinerseits, der sich noch immer auf seine Anwesenheit bei der Belagerung von Mainz viel zu gut that, blieb ihm keine Antwort schuldig.
Mitten in der Erzählung des egyptischen Feldzugs, nach einer malerischen Schilderung der geheimnißvollen Harems der Paschas, war Peter Maillard auf diese Idee einer Verbindung gekommen welche die Bande zwischen den beiden Freunden noch fester knüpfen würde.
Der Fischer hatte ihn mit Enthusiasmus, Luise mit einer gewissen Kälte, das junge Mädchen mit Ergebung angenommen, denn er stand nicht mehr in der ersten Jugend, und trotz fünf oder sechs Narben die ihm, wie er behauptete, ein gewisses Etwas verliehen, war er niemals schön gewesen.
Trotz einigem Widerwillen von Seiten der beiden Frauenzimmer kam die Heirath zu Stande, und keine von ihnen hatte sie zu bereuen, denn die Herzensgüte des Aufsehers bot reichlichen Ersatz für seine physischen Unvollkommenheiten.
Gegen Anfang des Jahres 1814, an demselben Tag wo die Tochter des Franz Guichard ihn zum Großvater gemacht hatte, im Augenblick wo seine Frau ihm das arme kleine Wesen darbot damit er es küssen sollte, erschien ein verwundeter Soldat der in sein Dorf zurückkehrte und in demselben Regiment gedient hatte wie die zwei Söhne des Fischers, vor dem Hause Peters und meldete der unglücklichen Familie daß bei Montmirail eine und dieselbe Kugel beide Brüder weggerafft habe.
Franz Guichard ließ beinahe das kleine Mädchen fallen das Luise aus seine Arme gelegt hatte. Er gab es dieser zurück und brach in Schluchzen, in Verwünschungen in Schmerzensschreie aus. Dieser gegen sich selbst so harte, an schwere und rauhe Arbeit gewohnte Mann hatte herzzerreißende Töne, als er nach seinen beiden Söhnen rief; er wälzte sich auf dem Boden, er zertrümmerte was ihm unter die Hand kam, er flehte zum lieben Gott um Gnade und Erbarmen; man glaubte er würde ein Narr werden.
· Dieser Zustand ihres Mannes riß Luise aus dem Schmerz welchem sie sich selbst hingegeben hatte; sie suchte ihn zu beruhigen und verschwendete die zärtlichsten Worte an ihn. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren stieß der Fischer diejenige zurück die er so heiß geliebt hatte.
Jetzt hatte die arme Mutter eine Eingebung: sie bot ihrem Manne das neugeborne Kind zum zweiten Mal hin und schaute Franz mit so flehenden Augen an, daß diese verzweifelte Wuth aufhörte, wie der Regen aufhört wenn der Wind die Wolken in die Ferne jagt. Der Fischer drückte das kleine Mädchen, an sein Herz und verhielt sich bis zum Abend stumm und unbeweglich; nur rollten über seine Wangen dicke Thränen hinab die auf die Windeln und auf das Gesicht des Kindes fielen.
Diese Thränen waren die erste Taufe des kleinen Mädchens das in unserer Erzählung eine bedeutende Rolle spielen soll.
Franz Guichard war untröstlich; er blieb düster und schweigsam: er floh seine Frau, er konnte ganze Tage zubringen ohne ein Wort zu ihr zu sprechen; er hatte die Gewohnheiten seiner Jugend wieder angenommen· Um das arme Zimmer nicht wiedersehen zu müssen wo seine todten Kinder geboren worden« verbrachte er manche Nacht in seinem Schiffe. Wenn er zufällig mit Luise seine Mahlzeiten einnahm, wenn dann die Blicke von Mann und Frau sich kreuzten, dann begannen alle beide in Thränen auszubrechen, ohne einander ihre Gedanken mitgetheilt zu haben.
Eines Morgens wurde der Fischer in seiner Barke durch ein außerordentliches Getöse geweckt.
Es war Kanonendonner.
Er kam nicht regelmäßig und in kleinen Zwischenzeiten wie bei den Uebungen von Vincennes, sondern dumpf und anhaltend wie fernes Donnergerolle.
Franz Guichard saß auf der Bank seines Nachens und horchte. Eine Minute genauer Achtsamkeit bewies ihm daß dieses Kampfgetöse nicht aus dem Fort kam; der Wind führte es von der Seite von Saint-Denis her.
Tags zuvor hatten Flüchtlinge, als sie auf der Fähre von Varenne über die Marne setzten, gemeldet daß die preußischen Plänkler in der Gegend von Maux herumstreiften.
Frankreich sollte jetzt, wie Franz Guichard, seine zwanzig Jahre des Glückes und Ruhmes büßen.
Der Fischer richtete sich in seinem Boote empor. Seine Augen waren mit Blitzen geladen, seine Brauen gerunzelt, seine Nasenflügel weit geöffnet um den Schlachtengeruch einzuathmen der bis zu ihm zu gelangen schien; der Schmerz der seine Seele schwelte verwandelte sich in Zorn: der alte Soldat der Republik fühlte seinen furchtbaren Haß gegen die Ausländer neu erwachen, der Vater fühlte daß die Mörder seiner Söhne herannahten.
Zum ersten Mal vielleicht in seinem Leben hing er sein Schiff nachlässig ein und schritt auf das Haus zu. Er traf hier Peter Maillard, der mit einer Flinte auf der Schulter und einer andern in der Hand ihn erwartete.
Als der Waldaufseher seinen Schwiegervater erblickte, bot er ihm eine der beiden Waffen hin. Ohne eine Frage zu stellen, ergriff dieser sie; die beiden Männer hatten sich verstanden. Sie schlossen, der eine sein Weib und seine Tochter, der andere seine Schwiegermutter und sein Weib, in ihre Arme; dann zogen sie, Hand in Hand, dem Kanonendonner entgegen, der offenbar immer näher an die Stadt kam.
Die beiden Frauen blieben, knieten nieder und beteten für die beiden Männer ihrer Liebe.
Aber die Frau Peters besaß weder die Seelenstärke noch die Willenskraft womit das Beispiel und die Liebe des wackeren Fischers Luise Pommereuil begabt hatten.
Allmählig wuchs und steigerte sich ihre Verzweiflung; sie verlor den Kopf; halb toll benützte sie einen Augenblick wo ihre Mutter sie nicht sehen konnte, entwischte auf das Feld und lief, ohne ihr Kind niederzulegen das sie auf den Armen hatte, in der Richtung fort welche sie die geliebten Männer einschlagen gesehen hatte.
Der Kanonenschall leitete sie übrigens wie er diese geleitet hatte; er kam eben jetzt klar und deutlich von den Höhen von Montmartre und Romainville herab.
Die Tochter des Fischers stieß bei ihrem Lauf querfeldein auf kein Hinderniß; aber die Schnelligkeit womit sie dahineilte, sowie das Bewußtsein der Gefahr welcher ihr Vater und ihr Gatte entgegengingen, steigerten ihre Verzweiflung noch mehr.
Sie flog durch den Wald von Vincennes, kam bei Montreuil hinter diejenigen von unsern Soldaten die dem Schwarzenbergischen Corps Stand hielten, und gelangte nach Belleville in dem Augenblick wo die Preußen von allen Seiten hereinbrachen.
Zum ersten Mal hörte die Frau des Waldaufsehers das Geknister des Flintenfeuers in die feierliche Stimme der Kanonen sich mischen; jeder Schuß fand ein Echo in ihrem Herzen, es war ihr als müßte die Flinten- oder Kanonenkngel deren Bote er war einen ihrer Theuern getroffen haben.
Aus allen ihren Stellungen vertrieben, von einem zwanzigfach überlegenen Feind erdrückt, wichen die Soldaten und Bürger welche für die Ehre der Fahne Frankreichs hatten sterben wollen zwar zurück, kämpften aber fortwährend mit einer Entschlossenheit die sich während dieses ganzen Unglückstages nicht einen einzigen Augenblick verleugnete.
Zu der letzten Reihe ging der Marschall Marmont mit zerrissenen, pulvergeschwärzten Kleidern, barhäuptig, eine Soldatenflinte in seiner verstümmelten Hand, Schritt für Schritt die Rue de Paris hinab. Als er sich umwandte, als er einen jener Rufe: Vorwärts! ausstieß die man aus der Brust eines der Helden der Ilias hervorgekommen glaubte, als er zuerst sich auf die Preußen losstürzte die ihm auf hundert Schritt folgten, wichen diese entsetzt zurück. Wie ein von der Meute bedrängter Eber warf er sich dann mit der Handvoll Tapferer die ihn umgab über die Feinde her; Leichenhaufen bezeichneten jeden dieser Kämpfe; einen Augenblick hörte die Verfolgung auf und die Besiegten waren die Sieger. Aber die Massen die hinter den ersten kamen, waren so zahlreich und dicht daß die Arme der Helden vom Dreinschlagen ermüdeten, und daß sie, diesen unaufhörlich neuerstehenden Feinden gegenüber, an den Rückzug denken mußten.
Die Tochter des Fischers kam, im Augenblick eines dieser Handgemenge, durch eine Seitengasse in die Hauptstraße von Belleville.
Sie hatte das Bewußtsein der Gefahr so gänzlich verloren, daß sie, trotz der Kugeln die sie von allen Seiten her umpfiffen und an die Wände fuhren, bis an die Ecke des Gäßchens vorschritt.
Ganz nahe bei dem Mann in gestickter Uniform welcher die Kämpfer gegen einander trieb und durch Beispiel und Zuruf aufmunterte, bemerkte sie durch diesen dicken, von Blitzen durchzuckten Rauch hindurch Franz Guichard und seinen Schwiegersohn.
Der Invalide schoß mit seiner Jagdflinte aus nächster Nähe auf die Preußen; der Fischer, der seine Munition erschöpft hatte, gebrauchte seine Flinte umgekehrt und hatte so eben mit einem Kolbenschlag einen feindlichen Offizier zu Falle gebracht.
Die junge Frau stürzte mit einem furchtbaren Schrei auf sie los; bei diesem Schrei drehte Peter Maillard sich um und erkannte sein Weib; er bemerkte sein Kind das sie ihm hinbot, gleich als wollte sie ihn im Namen dieses unschuldigen Geschöpfes anflehen sich nicht weiter auszusetzen; und siehe da, dieser Mann der seit fünf Stunden mit der heldensinnigsten Tapferkeit gekämpft hatte, verlor jetzt auf einmal seine Kraft und seinen Muth. Die Waffe entfiel seinen erschlaffenden Händen; wahnsinnig vor Angst um Alles was er in dieser Welt liebte, stürzte er, so schnell seine Schwäche es ihm gestattete, gegen seine Frau und sein Kind zu.
In diesem Augenblick marschirten die Preußen, hinter denen fortwährend Andere nachdrängten, vorwärts; sie befanden sich in bedeutender Anzahl zwei Schritte von Peter Maillard hinweg; zehn Bajonette kreuzten sich zumal über dem flüchtigen Invaliden; er fiel von Stichen durchbohrt, indem er seinem Schwiegervater zurief:
– Rette Deine Tochter! rette mein Kind! Diese Scene war Franz Guichard, der seinerseits vollan mit dem Feind zu thun hatte, gänzlich entgangen.
Bei dem Zuruf seines sterbenden Schwiegersohnes schaute er voll Entsetzen nach der Richtung welche der letzte Blick des armen Invaliden ihm anzeigte, und durch den Rauch und Staub hindurch die sich spiralförmig drehten und in dichten Wirbeln kreuzten, glaubte er, mitten unter den dunkeln Uniformen der Feinde verloren, eine weiße Gestalt zu bemerken.
Er stürzte in dieser Richtung fort, indem er mit seiner Flinte ein so wüthendes Rad schlug, daß das ganze dichte Gemenge sich vor ihm öffnete.
– An der Ecke dieses Gäßchens fand er seine Tochter.
Sie saß mit dem Rücken gegen den Weichstein.
Obschon sie ohnmächtig schien, drückte sie doch ihr schreiendes kleines Kind kräftig an ihre Brust.
Franz Guichard that was Peter Maillard gethan hatte: er warf seine Flinte weg, nahm seine Tochter in seine Arme, lud sie auf seine Schulter und entfloh, ohne rückwärts zu schauen, in der Richtung von Varenne.
Erst im Walde von Vincennes machte er Halt.
Jetzt erst bemerkte er daß sein Hals und seine Schultern ganz feucht waren.
Er griff darnach und überzeugte sich daß diese Feuchtigkeit Blut war.
Er legte seine Tochter auf den Rasen, und nun sah er daß alle Kleider der armen jungen Frau damit beschmutzt waren.
Er blieb stumm, unbeweglich stehen; er wagte es nicht mehr sie zu berühren, er fürchtete sich eine Bewegung zu machen, es schien ihm als ob der Himmel, die Bäume, Alles sich um ihn drehte, als ob die Erde unter seinen Füßen wankte.
Endlich entschloß er sich zu einer letzten Anstrengung die seinem Muth weit schwerer wurde als alle Kämpfe des Morgens; er öffnete das Mieder des jungen Weibes und legte seine Hand an ihr Herz.
Das Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Das Kind lag noch immer in den Armen seiner Mutter, nur war es zuletzt eingeschlafen.
Franz Guichard nahm seine Last wieder und kehrte nach Hause zurück.
Dort legte er seine Tochter auf sein Bett, befreite sachte die arme Kleine aus der Umschlingung der Todten, und ohne ein Wort zu sagen, ohne in seinen vertrockneten Augen eine Thräne zu finden, raffte er seine Geräthschaften zusammen und kehrte nach seinem Boote zurück.