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KAPITEL 5
BECKHAM
ОглавлениеVermutlich schon beim ersten Mal, als David Beckham gegen einen Ball trat, war er wild entschlossen, das Beste aus sich und seinem Talent zu machen. Er ging im selben Sommer von der großen Bühne ab wie ich, wobei sein Name im europäischen Fußball noch immer sehr viel gilt und ihm viele Wege offen stehen. David Beckham verließ Paris St.-Germain so wie ich United: zu eigenen Bedingungen.
Manchmal muss man jemandem etwas wegnehmen, damit er erkennt, wie sehr er es eigentlich liebt. Als Beckham in die Staaten zu LA Galaxy wechselte, wurde ihm wohl allmählich bewusst, dass er sich von einem Teil seiner Karriere verabschiedet hatte. Er arbeitete unglaublich hart, um wieder das spielerische Niveau zu erreichen, das er zu seinen besten Zeiten hatte.
Beckham hatte 2007, zum Zeitpunkt seines Transfers von Real Madrid zur Major League Soccer, nur wenige Alternativen. Zudem konnte ich mir gut vorstellen, dass er durchaus damit rechnete, dass sich mit Hollywood Möglichkeiten für eine neue Phase seiner Karriere auftun würden. Fußballerisch gesehen bestand für ihn kein Grund, nach Amerika zu gehen. Er gab damit den Fußball in einem Spitzenclub und auch die internationalen Spiele auf, obwohl er sich in die englische Nationalmannschaft zurückgekämpft hatte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er eigentlich vom Verlauf seiner Karriere in ihrer Spätphase enttäuscht war und deshalb mit eisernem Durchhaltevermögen versuchte, wieder auf Topniveau zu kommen.
Ich sah, wie David zusammen mit Giggs und Scholes zu großen Talenten heranreifte, und so war er für mich auch ein bisschen wie ein Sohn. Er kam im Juli 1991 mit 16 aus London zur Jugend von United. Innerhalb eines Jahres gehörte er zum legendären 92er-Jahrgang, dieser starken Gruppe besonders talentierter Spieler, und gewann zusammen mit Nicky Butt, Gary Neville und Ryan Giggs den FA Youth Cup. Er lief 394-mal mit der ersten Mannschaft auf und erzielte 85 Treffer, darunter einen von der Mittellinie, und zwar gegen Wimbledon. Dieses Tor machte ihn weltberühmt.
Als ich im Mai 2013 die Trainerbank von United räumte, waren Giggs und Scholes noch immer bei United. Es waren aber schon zehn Jahre vergangen, dass uns David verlassen hatte und nach Spanien gegangen war. Am Mittwoch den 18. Juni 2003 hatten wir der Börse bekanntgegeben, dass Beckham für eine Ablösesumme von 24,5 Millionen Pfund zu Real Madrid wechseln würde. Damals war er 28 Jahre alt. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und für unseren Club war das einer der Momente, in denen wohl die gesamte Weltöffentlichkeit auf uns blickte.
Ich hege keinerlei Groll gegen David. Ich mag ihn und halte ihn für einen wunderbaren Menschen. Aber bei ihm denke ich: ›Man sollte das, was man gut kann, keinesfalls aufgeben.‹
David war unter den Spielern, die ich trainiert hatte, der einzige, der für sich beschloss, nicht nur im Fußball berühmt zu werden, sondern alles daranzusetzen, um auch außerhalb des Platzes eine Celebrity zu werden. Auch Wayne Rooney, der schon als Teenager ins Blickfeld der Werbeindustrie geraten war, bekam Angebote, die jedes Vorstellungsvermögen sprengten. Jenseits des Fußballplatzes verdiente er doppelt so viel, wie wir ihm zahlten. Die Vermarktungsstrategen hätte ebenso Giggsy liebend gern vereinnahmt, aber dafür war er nie zu haben.
Während Davids letzter Saison bei United war nicht zu übersehen, dass seine Leistungen nachließen. Zudem kamen uns Gerüchte von einem Flirt zwischen Real Madrid und Davids Beratern zu Ohren. Das Hauptproblem war jedoch, dass sein spielerisches Niveau, welches früher geradezu stratosphärische Höhen erreicht hatte, deutlich abnahm.
In der Auseinandersetzung zwischen uns, die in der Fußballwelt auch einigen Wirbel auslöste, ging es um die 0:2 verlorene Partie im FA Cup gegen Arsenal im Old Trafford im Februar 2003.
David war beim zweiten Tor für Arsenal, das Sylvain Wiltord erzielte, nicht am Mann geblieben. Er joggte nur. Und der Junge lief ihm einfach davon. Nach Spielende stellte ich Beckham in der Umkleide zur Rede. Wie es bei David damals üblich war, tat er meine Kritik rundweg ab. Vielleicht glaubte er allmählich, dass er hinten nicht mehr mitzuarbeiten und zu laufen braucht, obwohl genau das die Qualitäten waren, die ihn zu dem gemacht hatten, der er war.
Er saß etwa sechs Meter von mir entfernt. Auf dem Boden lag ein Haufen Fußballschuhe. David fluchte. Ich ging auf ihn zu und trat einen Schuh nach ihm, der ihn direkt über dem Auge traf. Er sprang auf und wollte auf mich los, wurde aber von den Spielern zurückgehalten. »Setz dich«, schnaufte ich. »Du hast dein Team im Stich gelassen. Da kannst du sagen, was du willst.«
Am nächsten Tag rief ich ihn dann zu mir, um gemeinsam die Videos vom Spiel anzuschauen. David wollte seinen Fehler aber noch immer nicht einsehen. Während er da saß und mir zuhörte, sagte er kein Wort. Kein einziges Wort.
»Begreifst du, worüber wir reden, was wir meinen?«, fragte ich.
Er würdigte mich nicht einmal einer Antwort.
Am nächsten Tag stand die Geschichte in allen Zeitungen. Sein Haarreif machte die durch den Fußballschuh verursachte Wunde vor aller Welt noch besonders sichtbar. An einem der folgenden Tage erklärte ich dem Vorstand, dass David gehen müsse. Man kannte mich nur allzu gut, um darüber nicht überrascht zu sein. Wenn ein Spieler von Manchester United meint, sich über den Trainer stellen zu können, muss er gehen. Ich sagte nicht zum ersten Mal: »In dem Augenblick, in dem der Trainer seine Autorität verliert, habt ihr keinen Club mehr. Die Spieler werden das Sagen haben, und ihr habt dann richtige Schwierigkeiten.«
David hielt sich für mächtiger als Alex Ferguson. Das steht für mich zweifelsfrei fest. Es spielt aber keine Rolle, ob der Trainer nun Alex Ferguson heißt oder irgendwie anders. Der Name ist irrelevant. Es geht um Autorität. Man darf keinesfalls zulassen, dass ein Spieler in der Kabine das Kommando übernimmt. Das haben schon viele versucht. Das Zentrum der Autorität ist bei Manchester United ein für alle Mal der Trainer. Dass David sich für mächtiger hielt, war für ihn der Todesstoß bei Man United.
Nachdem wir in der Champions-League-Gruppenphase Erster wurden, bekamen wir Real Madrid zugelost. Beim Hinspiel in Spanien schien David besonders wild darauf zu sein, Roberto Carlos, dem Linksverteidiger von Madrid, die Hand zu schütteln. Nach unserer 1:3-Niederlage im Bernabéu Stadium klinkte sich David vor dem Spiel gegen Newcastle am folgenden Samstag unter dem Vorwand, er sein nicht fit genug, aus. Ich setzte Ole Solskjær ein, der bei unserem 6:2-Sieg mit einer fantastischen Leistung für die Mannschaft glänzte.
Davids Form war meiner Meinung nach nicht gut genug, um Solskjær beim Rückspiel gegen Real im Old Trafford aus einem winnig Team zu nehmen. Während einer Runde Fußballtennis, die wir vor dem Rückspiel angesetzt hatten, nahm ich David zur Seite und sagte ihm: »Ich werde Ole zu Beginn das Spiels einsetzen.« Er schnaubte wütend und ging.
Am Abend des Rückspiels herrschte ein furchtbares Tohuwabohu. Beckham kam in der 63. Minute als Ersatz für Verón ins Spiel und lieferte den Zuschauern im Old Trafford eine super Vorstellung, die wie ein Abschied wirkte. Ihm gelang mit einem Freistoß ein Treffer, und in der 85. Minute erzielte er das Tor zum Sieg. Wir gewannen zwar 4:3, doch Ronaldos wunderbarer Hattrick und die Niederlage in Spanien warfen uns aus dem Wettbewerb.
David rechnete zwar mit dem Zuspruch und der Unterstützung der Fans, doch stand für sie zweifelsfrei fest, dass es von ihm einen direkten Angriff auf mich gegeben hatte. Der Wechsel zu Real Madrid gewann an Dynamik. Soviel wir wussten, hatten bereits Gespräche zwischen Davids Berater und Real Madrid stattgefunden. Den ersten offiziellen Kontakt hatten wir Mitte Mai, als unsere Spielzeit beendet war. Unser Geschäftsführer, Peter Kenyon, meldete sich bei mir mit der Nachricht: »Real Madrid hat angerufen.«
»Na ja«, sagte ich, »das haben wir ja erwartet.« Wir verlangten 25 Millionen Pfund. Ich war im Urlaub in Frankreich und saß gerade mit Jim Sheridan in einem Restaurant beim Essen, als mich Peter auf dem Handy anrief. Ich wollte das Gespräch aber lieber in Ruhe und nicht in aller Öffentlichkeit führen. Und wie es der Zufall wollte, hatte Jim ein Apartment genau über dem Restaurant. »Geh hoch in mein Apartment und benutze dort mein Telefon«, schlug Jim vor. Das machte ich dann auch.
»Wir lassen ihn erst gehen, wenn wir die 25 Millionen kriegen«, erklärte ich Peter. Ich glaube, am Ende erhielten wir knapp 18 Millionen Pfund, inklusive etlicher Zusatzzahlungen.
David war aber noch nicht völlig aus dem Team verschwunden. Wir sicherten uns am 3. Mai 2003 im Old Trafford die Meisterschaft mit einem 4:1-Sieg über Charlton. Bei diesem Spiel erzielte er einen Treffer und schoss auch am 11. Mai gegen Everton ein Tor, als unsere Spielzeit mit einem 2:1-Sieg endete. Ein Freistoß aus 18 Metern Torentfernung war für ihn keine schlechte Art, sich zu verabschieden. Unsere Abwehr wurde dabei von einem jungen Evertoner Talent mit Namen Wayne Rooney stark gefordert. David hatte seinen Teil zu unserem Titelgewinn beigetragen, und deshalb gab es für mich keinen Grund, ihn im Goodison Park nicht zu berücksichtigen.
Vielleicht war David damals einfach nicht reif genug, um mit all dem, was auf sein Leben einstürmte, vernünftig umzugehen. Heute scheint er die Dinge besser im Griff zu haben. Inzwischen hat er seinen Platz gefunden und alles besser unter Kontrolle. Aber damals begann mich sein Promi-Gehabe zunehmend zu nerven.
Ein Beispiel: Als ich vor einer Fahrt nach Leicester City an unserem Trainingsgelände ankam, sah ich, wie am Straßenrand Richtung Carrington schon eine Meute von Presseleuten wartete. Es mussten etwa zwanzig Fotografen gewesen sein.
»Was ist hier los?«, fragte ich.
»Beckham präsentiert offenbar morgen seine neue Frisur«, erfuhr ich.
David erschien mit einer Beanie auf dem Kopf. Auch beim Abendessen trug er sie. »David, nimm deine Mütze ab, du bist in einem Restaurant«, sagte ich. Nichts dergleichen. »Sei nicht albern«, beharrte ich, »nimm sie ab.« Aber das tat er nicht.
Ich tobte, hatte aber keine Handhabe, auf ihn einzuwirken. Viele Spieler hatten auf dem Weg zu Spielen oder sonst wo Baseballkappen getragen, aber keiner war je so unverschämt gewesen, sie während eines Mannschaftsessens nicht abzunehmen.
Als am nächsten Tag die Spieler zum Aufwärmen die Umkleide verließen, hatte David wieder seine Beanie auf. »David«, sagte ich, »du gehst nicht mit dieser Mütze auf den Platz. Du spielst nicht. Ich nehme dich augenblicklich aus dem Team.«
Er rastete aus. Nahm die Mütze ab. Zum Vorschein kam ein kahler Schädel, komplett rasiert. Ich sagte: »Darum geht es die ganze Zeit? Um eine Glatze, die niemand sehen soll?« Seine Idee war, die Mütze auf dem Kopf zu lassen und sie erst unmittelbar vor dem Anstoß abzunehmen. Damals begann ich, an ihm richtig zu verzweifeln. Mir war aber klar, dass er genau so von den Medien und Werbeleuten geliebt wurde.
David spielte bei einem großartigen Club. Er hatte eine außerordentlich erfolgreiche Karriere. Er erzielte pro Spielzeit 12 bis 15 Tore für United und rackerte sich wirklich ab. Das alles gab er jetzt, ohne es zu merken, aus der Hand und vertat die Chance, ein wirklicher Spitzenspieler zu werden. Meiner Meinung nach erreichte er nach dem Wechsel nie wieder das hohe Niveau eines wirklichen Topspielers.
Die Entwicklung begann, als er etwa 22 oder 23 Jahre alt war. Damals fing er an, Entscheidungen zu treffen, die es ihm immer schwerer machten, sich zu einem Spitzenfußballer zu entwickeln. Mich enttäuschte das. Zwischen uns gab es keine Animositäten, nur Enttäuschung auf meiner Seite. Vielleicht auch Bedauern. Ich sah ihn an und dachte: »Was machst du da?«
Als er zu uns kam, war er einer dieser jungen, naiven Kerle. Absolut fußballverrückt. Mit 16 war er ständig im Kraftraum und konnte gar nicht aufhören zu trainieren. Er liebte das Spiel, und er machte seinen Traum wahr. Dann wollte er das alles aufgeben für eine neue Karriere, für einen neuen Lifestyle und ein Leben im Glamour.
In finanzieller Hinsicht wäre es Unsinn zu behaupten, er habe die falsche Entscheidung getroffen, denn er ist inzwischen sehr wohlhabend und geradezu eine Ikone. Die Leute reagieren auf all seine Stilwechsel. Sie kopieren sie. Aber ich bin Fußballer und glaube nicht, dass es gut ist, den Fußball irgendetwas Derartigem zu opfern. Natürlich soll man Hobbys haben. Ich besitze Pferde, Michael Owen besitzt Pferde. Scholes hatte auch welche. Und der eine oder andere Spieler umgibt sich mit schöner Kunst. Sogar ich hatte in meinem Büro ein Bild von Kieran Richardson hängen. Doch dafür habe ich nie die Sache des Fußballs aufgegeben.
Im Jahr vor seinem Wechsel war David natürlich beim WM-Turnier in Japan und Südkorea dabei. Wenige Wochen zuvor hatte er sich beim Champions-League-Spiel im Old Trafford einen Mittelfußknochen gebrochen. Das war ein richtiges Drama.
Zwar hatte sich David die gleiche Mittelfußverletzung zugezogen, mit der auch Wayne Rooney vier Jahre später zu kämpfen hatte, doch gab es Unterschiede bei der Genesung. David war ein von Natur aus fitter junger Typ. Wayne hingegen musste härter daran arbeiten, wieder in Form zu kommen. Deshalb ging ich davon aus, dass David für die Weltmeisterschaft O.K. wäre und sagte das auch offen.
Es kann sein, dass er seine Verletzung noch immer ein wenig spürte, als die englische Nationalmannschaft in Japan ankam. Bei manchen Spielern lässt sich das in einer so speziellen Situation schwer beurteilen, weil sie natürlich unbedingt bei dem WM-Turnier dabei sein wollen und deshalb verkünden, alles sei top. Es zeigte sich jedoch, dass David noch nicht ganz wiederhergestellt war. Der Beweis, dass er die Verletzung immer noch im Kopf hatte, zeigte sich in der Viertelfinalbegegnung gegen Brasilien in Shizuoka, als er einem Zweikampf aus dem Weg ging, über eine Grätsche sprang und den Ball an den Gegner verlor. Das Resultat war das brasilianische Ausgleichstor. Er konnte also noch nicht wirklich fit gewesen sein, weder körperlich noch mental.
Etliche Leute unterstellten mir damals, ich würde England kein gutes Abschneiden wünschen, da ich Schotte sei. Würde England heute gegen Schottland spielen, ja verdammt, dann würde ich England keinen Erfolg wünschen und mich auf die Seite Schottlands schlagen. Aber ich hatte in meinen Teams mehr Spieler, die aus England stammten als von irgendwo anders her, und ich wollte immer, dass sie die Besten waren.
Hat man einen Spieler von Beckhams Prominenz unter Vertrag (und ich hatte später noch so einen, nämlich Rooney), gibt es jede Menge medizinisches Personal, das ständig mitmischen möchte. Die Sportmediziner der englischen Nationalmannschaft wollten sogar auf unser Trainingsgelände kommen. Meist empfand ich das als Beleidigung und fragte mich manchmal, ob meine schottische Herkunft ein Grund sei, mir nicht zu vertrauen.
Wayne Rooney stieß erst kurz vor der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland zur englischen Nationalmannschaft. Die Engländer schickten uns buchstäblich jeden Tag Mails mit der Frage, wie es ihm ginge, so als ob wir uns nicht selbst um uns kümmern könnten. Es herrschte absolute Panik. Sie waren vor Angst wie paralysiert. Ich hatte mit meiner Einschätzung jedoch hundertprozentig recht: Wayne Rooney hätte im WM-Turnier von 2006 nicht mitspielen dürfen. Er war noch nicht so weit.
Er hätte niemals nach Baden-Baden in das Quartier der englischen Nationalmannschaft geholt werden dürfen. Das war ihm, den anderen Spielern und den Fans gegenüber einfach unfair. Wayne war natürlich die große Hoffnung der englischen Nationalelf, was die Neigung, die Augen vor der Realität zu verschließen, noch verstärkte. Bei David war ich damals recht zuversichtlich, dass er in guter Form antreten würde, denn ich kannte seine Werte und hatte sämtliche Berichte eingesehen. Er war im Old Trafford der bei weitem fitteste Spieler. Auch beim Training zur Saisonvorbereitung und bei den Fitness-Tests war er allen anderen haushoch überlegen. Wir teilten den englischen Nationaltrainern mit, dass wir sicher seien, dass David rechtzeitig wiederhergestellt sein würde.
Der Rummel um Davids Heilungsprozess war vorhersehbar. Wir hatten in Carrington ein Sauerstoffzelt aufgestellt, mit dem wir schon bei der Heilung von Roy Keanes Kniesehnenverletzung vor einem Champions-League-Spiel gut gefahren waren. Aber Knochen sind etwas anderes. Ein Bruch muss ruhig gestellt werden, und die Heilung braucht einfach seine Zeit. Meist sechs bis sieben Wochen.
Bei der Weltmeisterschaft von 2002 war für England im Viertelfinale Schluss. Gegen die zehn Mann von Brasilien war das Team unterlegen. Im ersten Gruppenmatch hatten sie gegen die Schweden, die das englische Spiel kannten und deshalb kaum durch direktes Zuspiel überrascht werden konnten, lange Bälle gespielt.
Es ist ein einziges Armutszeugnis für den englischen Nachwuchsfußball, dass so viele Trainer auf eine längst überholte Taktik setzten. Bei einem Spiel der U21-Mannschaft gegen Griechenland waren unsere Scouts vor Ort, um Tom Cleverley zu beobachten. Sie berichteten, dass England mit einem Mittelstürmer und zwei offensiven Außenstürmern spielte. – Cleverley war einer dieser Außenstürmer, bekam aber keinen einzigen Ball. Chris Smalling spielte hinten mit und drosch das Leder immer wieder nach vorn in den Bereich, in dem die Engländer beständig Gefahr laufen, überrumpelt zu werden. Weil sie zu wenig technische Fähigkeiten und Trainer-Know-how haben, werden die Nachwuchsspieler im Alter von neun bis 16 einfach nicht richtig gefördert.
Und wie kompensieren die Nachwuchsspieler das? Indem sie körperlich wetteifern. Sie haben eine tolle Einstellung. Legen sich voll ins Zeug. Aber die Engländer bringen keine echten Spieler hervor. Mit ihrem System und ihrer Mentalität gewinnt man keine Weltmeisterschaft. Aus Brasilien kommen dagegen junge Spieler, die den Ball aus jeder Position, in jedem Winkel annehmen können. Ihre Bewegungen sind fließend. Das sind Männer, die ein Gespür für Fußball haben, weil sie damit groß werden und schon im Alter von fünf oder sechs Jahren Fußball spielen.
David feilte unermüdlich an seiner Technik. Außerdem war er ein fantastischer Netzwerker. Als er im Sommer 2012 nicht für die englische Olympiamannschaft nominiert wurde, kamen die Nachrichten aus seinem Lager und nicht etwa von der FA. Die Kommentare waren zwar überaus wohlwollend. Aber ich bin mir sicher, dass er sich furchtbar geärgert hat.
Ich erinnere mich, dass mir Mel Machin einmal sagte: »Giggs und Beckham – das sind Weltklassespieler, und trotzdem schaffst du es, dass sie von Strafraum zu Strafraum rennen. Wie machst du das?« Ich konnte nur antworten, dass sie neben ihrer natürlichen Begabung auch das Durchhaltevermögen hätten, auf dem Platz ständig hin und her zu rennen. Die beiden waren schon etwas Besonderes.
Das änderte sich bei David, und zwar weil er es so wollte. Er hatte nicht mehr den Ball im Blick. Schade eigentlich, denn er hätte zur Zeit meines Rücktritts durchaus noch bei Manchester United spielen können. Er wäre eine der größten United-Legenden geworden. Das Einzige, was ihn jedoch bei LA Galaxy und darüber hinaus zu einer Legende machte, war, dass er ein Idol geworden ist. Irgendwann in seinem Leben wird er vielleicht sagen: Ich habe da einen Fehler gemacht.
Nach wie vor halte ich viel von David Beckhams fußballerischem Können. Seine Ausdauer und sein Durchhaltevermögen sind immer noch bemerkenswert. Das stellte er einmal mehr unter Beweis, als er im Januar 2013 zu Paris St.-Germain wechselte. Bei United war er immer der fitteste Spieler auf dem Platz. Das half ihm, auch noch im Alter von 37 Jahren weiterzuspielen. Sein Durchhaltevermögen, das er von Kindesbeinen an besaß, hat er immer noch.
Die Major League Soccer ist keine Mickeymaus-Liga, sondern eine sehr fitnessbetonte Liga. Ich schaute mir Beckham im Finale des MLS Cups an und sah, wie gut er war, wie er hinten mitarbeitete und die Seiten wechselte. Auch während der Zeit, als er an Mailand ausgeliehen war, blamierte er sich nicht. Bei Paris St.-Germain spielte er im Champions-League-Viertelfinale über eine Stunde lang. Er kam nicht häufig an den Ball, machte seine Sache aber gut. Er arbeitete hart und schlug in der Anfangsphase des Spiels ein paar gute Flanken.
Ich fragte mich: ›Wie macht er das nur?‹
Ausdauer, war meine erste Antwort. Aber darüber hinaus wollte David auch verblüffen. Und er konnte noch immer gute Flanken schlagen, einen guten Querpass spielen. Das sind die Fähigkeiten, die er nie verloren hat, die ihm als Athlet in Fleisch und Blut übergegangen sind. Nach bald fünfjährigem Aufenthalt in den Staaten und mit fast 38 Jahren in der Endrunde der Champions League zu spielen, ist eine beachtliche Leistung. David mischte wieder mit. Davor kann man nur den Hut ziehen.
Nachdem er Los Angeles verlassen hatte, wurde ich ab und an gefragt, ob ich ihn wieder zurücknehmen würde. Da er bereits 37 war, hätte das wenig Sinn gehabt. Für Paris St.-Germain spielte jedoch die öffentliche Aufmerksamkeit, die man mit seiner Verpflichtung erlangte, eine große Rolle. Doch diesen Aspekt ignorierte David vollkommen. Er fühlte sich noch immer als großartiger Spieler. Schon immer hatte er das Talent, schlechte Leistungen ganz einfach auszublenden. Wenn ich ihn kritisierte, ging er meist wutschnaubend davon und dachte wahrscheinlich: »Der Trainer spinnt doch, ich war doch gut heute.«
Ich glaube, dass er ein genaues Ziel und einen Plan hatte, als er nach LA wechselte. Vielleicht eine Anschluss-Karriere in Hollywood? Man muss schon seine Beharrlichkeit bewundern. Damit erstaunte er nicht nur mich, sondern wohl jeden bei Manchester United. Egal welches Ziel er im Leben verfolgt, er behält es unbeirrt im Auge und arbeitet hart daran.