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KAPITEL 4
NEUSTART

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Die Saison 2002 stand vor der Tür. Ich war voller Energie und Tatendrang und hatte das Gefühl, einen ganz neuen Job anzutreten. Sämtliche Zweifel, die mit meinem geplanten Rücktritt verbunden waren, schienen plötzlich wie verflogen.

Seit 1998 hatte Manchester United erstmals keinen Pokal nach Hause gebracht, und so war ich fest entschlossen, die Mannschaft zu verjüngen. Phasen umwälzender Veränderungen haben mich seit jeher gereizt, zumal ich wusste, dass wir eine solide Basis hatten, auf der wir ein neues erfolgreiches Team aufbauen konnten.

Die Jahre von 1995 bis 2001 hatten uns goldene Zeiten beschert. Wir holten uns fünf von sechs Meistertiteln und sicherten uns die erste meiner beiden Champions-League-Trophäen. Zu Beginn dieser sechs Jahre währenden Erfolgsserie hatten wir aus unseren eigenen Reihen eine schlagkräftige Elf aufgebaut. David Beckham, Gary Neville und Paul Scholes stiegen zu Stammspielern auf. Daran änderte auch die 1:3-Niederlage gegen Aston Villa nichts, die Alan Hansen in einem Fernsehinterview zu der denkwürdigen Aussage verleitete: »Mit Kindern kann man nichts gewinnen.«

Nach dem Meisterschaftshattrick haben wir leider den Fehler gemacht, Jaap Stam ziehen zu lassen. Der Verkauf erwies sich als einer meiner größten Fehler. Doch ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich klarstellen, dass es zwischen den Äußerungen in seiner umstrittene Autobiografie und meiner Entscheidung, ihn zu verkaufen, keinerlei Zusammenhänge gab, wenngleich ich ihn nach der Veröffentlichung des Buches sofort zu mir zitierte. In seiner Autobiografie warf er uns illegale Methoden im Transfer-Business vor und behauptet, er sei von uns konspirativ auf einen vorzeitigen Clubwechsel hin angesprochen worden, ohne dass wir vorher seinen damaligen Arbeitgeber, den PSV Eindhoven, kontaktiert hätten, was so einem Rechtsbruch gleichgekommen wäre.

»Was hast du dir dabei gedacht?«, fragte ich ihn. Aber das Buch spielte bei meiner Entscheidung absolut keine Rolle. Kurz darauf berichtete mir ein Agent, dass ein Vertreter von Lazio Rom versucht habe, Kontakt zu uns aufzunehmen. Lazio bot uns für Jaap 12 Millionen Pfund. »Kein Interesse«, sagte ich. In der folgenden Woche erhielten wir von Rom ein offizielles Angebot. Ich zeigte mich wiederum nicht interessiert, bis das Angebot auf 16,5 Millionen Pfund stieg. Damals war Jaap 30 Jahre alt, und wir waren uns nicht sicher, ob er sich von einer Achillessehnenverletzung jemals wirklich erholen würde. Jedenfalls erwies sich das Ganze als katastrophale Episode. Dass ich ihm das ausgerechnet an einer Tankstelle mitteilen musste, war fürchterlich, gerade weil ich weiß, dass er ein wirklich anständiger Kerl ist, der sehr gern für den Club spielte und von den Fans verehrt wurde. Es war eine der Entscheidungen, bei der ich wohl altersbedingt nicht ganz auf der Höhe war. Zwei Tage vor Fristablauf hatte ich noch vergeblich versucht, ihn auf dem Trainingsgelände abzupassen. Als ich ihn dann endlich auf seinem Handy erreichte, war er bereits auf dem Heimweg. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich auf halber Stecke mit ihm zu treffen. Und das war diese Tankstelle an der Autobahn.

Ich wusste, dass ich Laurent Blanc ablösefrei bekommen konnte. Ich hatte ihn immer bewundert und hätte ihn schon viel früher zu uns holen sollen. Er strahlte eine unglaubliche Ruhe aus und konnte gut mit dem Ball aus der Abwehr heraus nach vorne gehen. Außerdem dachte ich, dass er mit seiner Erfahrung auch John O’Shea und Wes Brown in ihrer Entwicklung deutlich voranbringen würde. Dennoch, Jaap gehen zu lassen, war es ein kapitaler Fehler.

Die Innenverteidiger spielten in meinen Planungen als Trainer immer eine wichtige Rolle, und so war Rio Ferdinand unser großer Zukauf im Sommer 2002, als wir eigentlich das Champions-League-Finale in meiner Heimatstadt Glasgow hätten erreichen sollen.

Für mich wäre es etwas ganz Besonderes gewesen, in meiner Geburtsstadt gegen Real Madrid zu spielen, dort, wo ich mein allererstes Europapokalfinale gesehen hatte, nämlich den 7:3-Sieg von Real über Eintracht Frankfurt. Ich erinnere mich noch gut, wie ich damals im Sektor für Schüler stand, weil ich für Queens Park spielte und deshalb durch den Haupteingang in diesen Stadionbereich gehen durfte. Kurz vor Spielende musste ich das Stadion jedoch verlassen, um den Bus nach Hause zu erwischen, denn ich musste ja morgens arbeiten. Deshalb konnte ich den großen Trubel nach dem Abpfiff nicht miterleben, der zu jener Zeit im Fußball so noch ungewöhnlich war. Real hatte eine große Parade organisiert, und im Stadion gab es eine Riesenparty. Als ich am nächsten Morgen die Zeitungen aufschlug und mir die Fotos davon ansah, dachte ich: ›Verdammt, das ist dir alles entgangen.‹ Mit 128 000 Zuschauern war der Hampden Park damals ausverkauft. Um nach großen Spielen dem gewaltigen Zuschauerstrom zuvorzukommen, waren wir auch dieses Mal wieder die fünf bis sechs Kilometer von Hampden bis zur Bushaltestelle gerannt, um vor allen anderen den Bus zu erwischen. Wir hätten es auch anders machen können, um den kilometerlangen Warteschlangen nach Spielende zu entgehen. Wenn man es geschickt anstellte, konnte man sich auf die Ladefläche eines der Lastwagen quetschen, die vor dem Stadion warteten. Man drückte dem Fahrer ein Sixpence-Stück in die Hand und kam so prima nach Hause.

An all das kann ich mich bis heute noch gut erinnern. Es wäre für mich natürlich ebenso unvergesslich geworden, für das Finale von 2002, das Real Madrid 2:1 gewann, nach Hampden zu fahren und meine Manchester-United-Spieler auf diesen heiligen Rasen zu schicken.

Die Berufung von Carlos Queiroz zu meinem Co-Trainer war ein weiteres wichtiges Ereignis in jenem Jahr. Arsenal hatte in der vorherigen Saison das Double gewonnen, und Roy Keane war während der WM 2002 suspendiert und nach Hause geschickt worden – es gab also jede Menge Themen, die mich beschäftigten, während wir uns auf die kommende Saison vorbereiteten. Als Roy vom Platz gestellt wurde, nachdem er in Sunderland mit Jason McAteer aneinander geraten war, genehmigte ich ihm eine längere Pause für eine Hüftoperation, die ihn vier Monate außer Gefecht setzte. Bald darauf hatten wir eine regelrechte Pechsträhne. Zu Hause unterlagen wir gegen Bolton und auswärts gegen Leeds. In sechs Spielen gelangen uns lediglich zwei Siege. Wir standen auf Platz neun der Tabelle, als ich eine riskante Entscheidung traf. Ich schickte mehrere meiner Spieler zu notwendigen chirurgischen Eingriffen, und zwar in der Hoffnung, dass sie uns nach ihrer Genesung in der zweiten Saisonhälfte neuen Schwung verleihen würden.

Im September 2002 hatten sich die Medien auf mich eingeschossen. Es liegt in der Natur meines Jobs, dass man öffentlicher Kritik ausgesetzt ist, wenn die Dinge allem Anschein nach falsch laufen. Außerdem hatte ich nie ein besonders gutes Verhältnis zur Presse und konnte nicht auf deren Unterstützung zählen. Zu den Medien hatte ich nie großartige Kontakte gepflegt. Ich habe den Journalisten keine Geschichten geliefert und ihnen auch sonst nicht in die Hände gespielt – mit der gelegentlichen Ausnahme von Bob Cass von der Mail on Sunday. Die Presse hatte also keinen Anlass, mich zu lieben oder mich in schweren Zeiten zu unterstützen. Andere Trainer zeigten da mehr Geschick. Sie erkauften sich so vielleicht etwas mehr Zeit, aber nur in einem sehr begrenzten Rahmen. Letztendlich sind es die Ergebnisse, die entscheiden, ob das Fallbeil fällt oder nicht.

In aller Regel machen die Medien dann ordentlich Druck. Wann immer ich eine Pechsträhne hatte, las ich die Schlagzeile: »Deine Zeit ist um, Fergie; es ist Zeit zu gehen.« Das ewige Gerede über das Verfallsdatum. Man kann darüber lachen. Auf keinen Fall darf man sich aber darüber aufregen, weil man sonst nur noch hysterisch reagiert. Das liegt in der Natur der Sache. Gott sei Dank hatte ich im Laufe der Jahre so viele positive Schlagzeilen, weil ich genug Erfolge vorzuweisen hatte, und die Presse so nicht umhin kam, positiv darüber zu berichten. Doch wenn man als Genie gelobt wird, muss man damit leben, dass man irgendwann auch als Dummkopf bezeichnet wird.

Matt Busby meinte immer: »Warum sollte man nach einem schlechten Ergebnis die Zeitung lesen? Das habe ich nie getan.« Und er lebte in einer Zeit, als die Presse noch keinen so großen Einfluss auf die öffentliche Meinung hatte wie heute. Matt nahm Lob und Kritik immer zur Kenntnis, ohne sich besonders darum zu scheren.

Sowohl in guten als auch in schwierigen Zeiten bemühten wir uns, das Trainingsgelände soweit es ging vor der Öffentlichkeit abzuschirmen. Unsere Arbeit dort sollte möglichst wenig beeinträchtigt werden, denn wir waren uns sicher, dass sich unsere beharrliche Arbeit auf dem Platz auszahlte, auch wenn unsere Spieler manchmal ein schlechtes Ergebnis einfahren und dann unzufrieden sein würden. Für sie sind Niederlagen immer unerträglich. Auch die besten Spieler verlieren mitunter an Selbstvertrauen, und selbst Cantona war davor nicht gefeit. Doch wenn die Atmosphäre rund um das Trainingsgelände gut ist, wissen die Spieler, dass sie sich auf die Kompetenz unseres Trainer-Stabs verlassen können.

Von den Spielern, die ich trainiert habe, war David Beckham der einzige, der sich von seinen Fehlern nicht im Geringsten beeindrucken ließ. Er konnte ein grottiges Spiel machen und wollte dann trotzdem nicht glauben, dass er mit seiner Leistung hinter den Erwartungen zurückgeblieben war. Er ließ jeden abblitzen und behauptete, alle würden sich irren. Er besaß eine unglaubliche Fähigkeit, sich selbst zu schützen. Ob dies auf die Leute in seinem Umfeld zurückzuführen war, kann ich nicht sagen. Aber er war nie bereit einzugestehen, dass er schlecht gespielt hatte.

Man konnte das fast bewundern, und in gewisser Weise ist so etwas ein großartiger Wesenszug. Ganz gleich, wie viele Fehler er machte (in meinen Augen, nicht in seinen!), er wollte immer am Ball bleiben. Sein Selbstvertrauen hatte nie auch nur den geringsten Schaden genommen. Bei vielen Spielern und auch Trainern ist das anders, und ihr Selbstvertrauen ist besonders nach Niederlagen mehr oder weniger stark angegriffen. Die öffentliche Kritik, sei es durch die Medien oder die Fans, führt zwangsläufig zu einer gewissen Dünnhäutigkeit.

Den Tiefpunkt hatten wir wohl im November mit unserem Spiel in der Maine Road erreicht, das mit einem 3:1-Sieg für Manchester City endete. Denkwürdig war dieses auch wegen eines groben Fehlers von Gary Neville, der mit dem Ball so herumtrödelte, dass ihn Shaun Goater abnehmen und dann den zweiten Treffer für City erzielen konnte. Danach begann ich kurz am Kampfgeist meiner Spieler zu zweifeln – was bei mir nur selten vorkommt.

Hat man gerade ein Derby verloren, herrscht in der Umkleide eine furchtbare Atmosphäre. Vor dem Spiel hatte mich Keigh Pinner, ein alter Freund und City-Fan, gefragt: »Kommst du danach zu einem Drink rauf? Schließlich ist es das letzte Derby-Spiel im alten Stadion an der Maine Road.«

Ich fand die Einladung zwar etwas verwegen, antwortete dennoch amüsiert: »Ja, falls wir gewinnen.«

Als ich nach unserer 1:3-Niederlage gerade in den Bus stieg, summte mein Handy. Pinner war dran.

»Wo bleibst du denn?«, fragte er. »Kommst du nicht rauf?«

»Lass mich in Ruhe«, erwiderte ich. »Ich will dich nie mehr sehen.«

»Du bist also ein schlechter Verlierer?«, lachte Pinner. Und schon war ich auf dem Weg zu ihm.

Am Ende dieser Saison meinte Gary Neville: »Das Derby war für uns ein echter Wendepunkt. An diesem Tag dachte ich, die Fans würden auf uns losgehen.«

In bestimmten Situationen kommt ein Trainer nicht mehr umhin, den Fans gegenüber seine Karten offen auf den Tisch zu legen. Sie sind nicht dumm und merken genau, wenn etwas nicht stimmt. Solange man einzelne Spieler nicht öffentlich kritisiert und dabei bleibt, dass die Mannschaft gut ist, hat man damit keine Probleme. Mit berechtigter Kritik können in der Regel alle Beteiligten leben: der Trainer, sein Stab und auch die Spieler. Richtig formuliert kann Kritik oft hilfreich sein.

Unter dem Druck der schlechten Ergebnisse veränderten wir unsere Spielweise. Wir trieben den Ball schneller und konsequenter nach vorn, statt uns nur auf den Ballbesitz zu konzentrieren. Wann immer Roy Keane im Spiel war, war das Halten des Balls nie ein Problem. Als Roy zu uns kam, sagte ich zum Trainer-Stab und zu den Spielern: »Dieser Kerl gibt den Ball nie ab.« Die Ballkontrolle ist bei Man United oberstes Gebot. Doch Ballbesitz ohne Vorstoß ist Zeitverschwendung. Uns mangelte es an solchen Vorstößen in den gegnerischen Strafraum. Wenn wir schon einen Spieler wie van Nistelrooy im Sturm hatten, mussten wir ihn auch schnell mit Bällen versorgen. Frühe Pässe, weite Flanken oder Pässe zwischen Verteidigern. Hier musste es Veränderung geben.

Wir versuchten, Diego Forlán als hängende Spitze einzusetzen, spielten aber häufig mit Verón, Scholes und Keane im Mittelfeld. Verón hatte mehr Freiheiten, und Scholesy konnte in den Strafraum gehen. Beckham spielte als rechter Außenstürmer, Giggs als linker. Es gab fantastische Talente in unserer Mannschaft, und wir hatten die richtigen Stürmer, um Tore zu machen. Van Nistelrooy war in seinem Drang aufs Tor unermüdlich. Beckham würde pro Saison etwa zehn Tore schießen, Scholes noch mehr.

Auch Phil Neville machte sich als zentraler Mittelfeldspieler hervorragend. Er war ein Traum. Phil und Nicky Butt waren für mich das perfekte Duo. Sie wünschten sich nichts anderes, als für Man United zu spielen. Nie wollten sie den Club wechseln. Doch diesen Typ Spieler muss man ziehen lassen, wenn man merkt, dass man ihn, indem man ihn als Ersatz oder Reserve einsetzt, mehr schadet als dass man ihm hilft. Solche Spieler sind am Ende zwischen extremer Loyalität und Frustration darüber, dass sie bei Spielen der ersten Mannschaft nicht mehr zum Einsatz kommen, hin- und hergerissen. Das ist für jeden hart. Doch während unserer Stabilisierungsphase spielte Phil eine großartige Rolle. Er besaß enorme Disziplin und war einer jener Spieler, zu denen man sagen konnte: »Phil, ich will, dass du diesen Hügel raufrennst, wieder runterkommst und diesen Baum umlegst.«

Und er würde antworten: »Okay, Boss, wo ist die Säge?«

Ich hatte nur wenige Männer von diesem Schlag. Für das Team würde Phil alles tun und immer an die Mannschaft denken. Und wenn er im Spiel nur eine untergeordnete Rolle bekam, fand er für sich meist einen Weg, auch damit zufrieden zu sein. Doch schließlich kam Gary zu mir, um mit mir zu reden und herauszufinden, was ich von Phils nachlassender Leistung halte.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll, er ist ein so großartiger Kerl«, sagte ich zu Gary.

»Das ist das Problem«, antwortete er. »Er traut sich nicht mit dir darüber zu reden.« Phil besaß halt nicht Garys Direktheit.

Ich lud Phil zu mir nach Hause ein. Er kam mit seiner Frau Julie. Zuerst bemerkte ich gar nicht, dass sie mit im Auto war. »Cathy, bitte geh und hol Julie rein«, bat ich schließlich meine Frau. Doch als Cathy zum Auto kam, begann Julie zu weinen. »Wir wollen nicht von Man United weg«, sagte sie. »Wir gehören doch hierher.« Cathy brachte ihr eine Tasse Tee hinaus, weil sie partout nicht ins Haus kommen wollte. Ich denke, sie hatte Angst, die Fassung zu verlieren und ihren Mann in Verlegenheit zu bringen.

Ich machte Phil klar, dass ich ihm so, wie ich ihn einsetzte, eher schaden als nützen würde. Im Laufe des Gesprächs stimmte er mir zu und sagte, dass er sich weiterentwickeln müsse. Ich überließ es ihm herauszufinden, wie er das seiner Frau beibringen sollte.

Als sie gegangen waren, sagte Cathy: »Du wirst ihn doch nicht etwa wechseln lassen, oder? Du kannst Leute wie ihn doch nicht ziehen lassen.«

»Cathy«, erwiderte ich, »es ist zu seinem eigenen Vorteil. Verstehst du das denn nicht? Es fällt mir viel schwerer als ihm.«

Ich ließ ihn für eine geringe Ablösesumme, nämlich für 3,6 Millionen Pfund, wechseln. Er war doppelt so viel wert, weil er auf fünf Positionen spielen konnte – auf jeder Außenverteidigerposition und im gesamten Mittelfeld. Bei Everton spielte er sogar als Innenverteidiger, als Phil Jagielka und Joseph Yobo verletzt waren.

Nicky Butt wechseln zu lassen, war ähnlich unangenehm, wobei Nicky keine Probleme damit hatte, für sich selbst einzutreten. Nicky war ein frecher Kerl, ein echtes Gewächs aus dem Manchester Stadtteil Gorton. Ein wunderbarer Junge. Manchmal konnte er ein richtiger Wadenbeißer sein.

Eines Tages kam er zu mir und fragte: »Warum spiele ich nicht?«

Das war typisch Nicky. Mir gefiel das. Und ich antwortete ihm: »Nicky, du spielst nicht, weil ich glaube, dass Scholes und Keane im Augenblick besser sind als du.« Gelegentlich bevorzugte ich ihn bei Auswärtsspielen gegenüber Scholesy. Im Champions-League-Halbfinale gegen Juventus stellte ich zum Beispiel Nicky Butt anstelle von Scholes auf. Scholes und Keane hatten beide schon Gelbe Karten gesehen, und ich konnte nicht das Risiko eingehen, im Finale auf sie verzichten zu müssen. Allerdings fehlten am Ende beide dann doch wegen einer Sperre. Ich stellte Scholes für Butt auf, als Nicky sich verletzt hatte – und Paul bekam seinen Stammplatz. Schließlich verkaufte ich Nicky Butt für zwei Millionen Pfund an Bobby Robson, also an Newcastle. Das war wirklich ein gutes Geschäft für ihn.

Ende November 2002 begannen sich nach dem 5:3-Sieg über Newcastle die Wolken über uns allmählich zu lichten. Diego Forlán, der 27 Spiele gebraucht hatte, bis er seinen ersten Treffer für uns landete – einen Elfmeter gegen Maccabi Haifa –, entschied unseren 2:1-Sieg in Liverpool. Nachdem Jamie Carragher den Ball zu Jerzy Dudek zurückgeköpft hatte, versenkte er ihn im Netz. Danach schlugen wir Arsenal mit 2:0 und Chelsea mit 2:1, wobei Forlán erneut das entscheidende Tor erzielte. Im Winter arbeiteten wir während des Trainings intensiv an unserer Abwehrstärke.

Im Februar 2003 verloren wir in der fünften Runde des FA Cups gegen Arsenal mit 0:2. Es war das Spiel, in dem Giggs das unbewachte Tor verfehlte und den Ball mit dem rechten Fuß über die Latte hob. »Tja, Giggsy«, sagte ich zu ihm, »du hast das beste Tor aller Zeiten im FA Cup geschossen, und jetzt hast du den besten Fehlschuss aller Zeiten hingelegt.« Dabei hatte er alle Zeit der Welt. Er hätte den Ball sogar im Gehen ins Netz schieben können.

Dieses Spiel, das mich so richtig auf die Palme brachte, sollte ernsthafte Auswirkungen auf mein Verhältnis zu einem anderen Mitglied jener Mannschaft haben, die 1992 den FA Youth Cup gewonnen hatte. Zwei über Kreuz geklebte Streifen Zugpflaster spielten dabei eine Rolle. Doch sie konnten die Wunde nicht heilen. In meiner Wut hatte ich einen Stollenschuh durch die Luft gekickt und damit David Beckham unbeabsichtigt genau an der Augenbraue getroffen.

Nachdem wir das Finale des Carling Cups gegen Liverpool verloren hatten, mussten wir gegen einen weiteren unserer damaligen Hauptrivalen antreten. Am Ende meiner Zeit als Trainer spielte Leeds United zwar auf der Liste ernsthafter Konkurrenten keine Rolle mehr, aber im Frühjahr 2003 waren sie eine reale Gefahr. Doch wir gewannen dieses Spiel 2:1.

Ich sollte an dieser Stelle vielleicht noch ein paar Worte zu unserer erbitterten Rivalität mit Leeds verlieren. Als ich in Manchester ankam, wusste ich natürlich sowohl über die Derbyspiele gegen City als auch über die Zusammenstöße von United mit seinen Rivalen aus Nordwestengland, den FC Everton und den FC Liverpool, Bescheid. Doch ich hatte keine Ahnung von den Feindseligkeiten zwischen Man United und Leeds. Archie Knox und ich hatten das Spiel der ehemaligen ersten Liga gesehen, bei dem Crystal Palace Leeds besiegte.

Zur Halbzeit stand es 0:0. In der zweiten Hälfte war fast nur Leeds am Ball. 20 Minuten vor Schluss wurde Leeds ein Elfmeter verweigert, und die Zuschauer drehten durch. Ein Leeds Fan hinter mir brüllte mich an: »Du, du Manchester Bastard!«

»Archie, worum geht es hier eigentlich?«, fragte ich.

»Keine Ahnung«, antwortete er.

Deshalb hielt ich es für angebracht, schon mal nach einem Ordner Ausschau zu halten. In Leeds ist die Vorstandsloge sehr klein, und man ist in enger Tuchfühlung mit den Fans. Palace überrollte sie in ihrer eigenen Spielhälfte und erzielte einen Treffer. Jetzt rasteten die Zuschauer endgültig aus. Archie meinte, dass wir besser gehen sollten, doch ich bestand darauf zu bleiben. Palace traf erneut ins Netz, und in diesem Moment rammte mir unser neuer »Freund« seine Thermoskanne in den Rücken. Diese Aggressivität war einfach unglaublich. »Lass uns von hier verschwinden«, sagte ich zu Archie.

Am folgenden Tag unterhielt ich mich mit unserem damaligen Zeugwart, Norman Davies. Er sagte: »Ich hab dir doch von Leeds erzählt. Das ist der reine Hass.«

»Woher kommt der?«

»Aus den 60er-Jahren«, antwortete Norman.

Leeds hatte eine Art Empfangschef namens Jack, der meist zum Bus kam, wenn wir an der Elland Road vorfuhren, und wie ein Marktschreier rief: »Ich heiße Sie im Namen der Direktoren, Spieler und Fans von Leeds United in der Elland Road willkommen.« Ich murmelte dann immer: »Ist schon in Ordnung.«

Einige der Leeds-Fans, manche sogar mit einem Kind auf den Schultern, strahlten einen unglaublichen Hass aus. Im Halbfinale des Ligapokals von 1991 setzte uns Leeds in der zweiten Hälfte schwer unter Druck, doch hatte sich Lee Sharpe beim Spielstand von 0:0 zwei Minuten vor Abpfiff noch lösen können und ein Tor gemacht. Es sah so aus, als hätte er meterweit im Abseits gestanden. Ich stand am Spielfeldrand, während Eric Harrison, der mir ein klein bisschen ähnlich sah, auf der Trainerbank saß. Ein Anhänger von Leeds stürmte auf ihn los und prügelte auf Eric ein, schlug ihn buchstäblich zusammen. Der Kerl glaubte, er hätte es mit mir zu tun und würde mich vermöbeln. Die Fans meldeten sich lautstark zu Wort. Es war einfach nur die Hölle. Und dennoch hatte die feindselige Atmosphäre an der Elland Road etwas, was mir trotz allem gefiel.

In den Jahren, die Peter Ridsdale, der damalige Vorstandsvorsitzende von Leeds, als »Traumphase erlebte«, wie er es später einmal ausdrückte, hatte ich das Gefühl, der Verein wäre rein auf Sand gebaut. Als ich hörte, welche Gehälter da gezahlt wurden, schrillten bei mir die Alarmglocken. Ich glaube, dass sie Lee Sharpes Gehalt, als wir ihn an Leeds verkauften, verdoppelt haben – und das bei durchschnittlich gerade einmal 35 000 Zuschauern im Stadion.

Aber Leeds stellte eine brauchbare Mannschaft zusammen: Alan Smith, Harry Kewell, David Batty. Im Jahr 1992 gewannen sie die Meisterschaft mit einem der durchschnittlichsten Teams, das je den Titel errang, aber die Spieler kämpften so leidenschaftlich wie nur möglich. Und sie wurden von Howard Wilkinson hervorragend trainiert.

Zehn Jahre später hörten wir von einer bezeichnenden Episode: Seth Johnson, ein junger Spieler von Derby County, der von Leeds unter Vertrag genommen werden sollte, hatte gemeinsam mit seinem Agenten überlegt, wie viel sie verlangen könnten. Der Legende nach forderten sie eine Summe von 25000 Pfund. Das Angebot von Leeds lag offenbar bei 35 000 Pfund pro Woche und stieg dann noch auf 40000 bis 45000 Pfund.

Etliche Vereine ziehen aus so etwas aber keinerlei Lehren. Die Emotionen, die beim Fußball eine große Rolle spielen, hindern sie offenbar daran.

Ich erinnere mich an einen Geschäftsmann aus Manchester, der zu mir sagte: »Ich überlege mir, ob ich Birmingham City kaufen soll. Was halten Sie davon?«

»Wenn Sie 100 Millionen Pfund aufs Spiel setzen wollen, nur zu«, antwortete ich.

»Nein, nein«, erwiderte er, »die haben nur elf Millionen Pfund Schulden.«

»Aber haben Sie sich das Stadion angeschaut?«, fragte ich. »Sie werden ein neues Stadion für vielleicht 60 Millionen bauen müssen und dann 40 Millionen brauchen, um den Verein in die Premier League zu bringen.«

Einige Leute versuchen, übliche Geschäftsprinzipien auf den Fußball anzuwenden und vergessen dabei, dass sie es nicht mit Drehbänken oder Fräsmaschinen zu tun haben, sondern mit einer besonderen Konstellation von Menschen. Darin besteht der Unterschied.

Vor Saisonende hatten wir ein paar wichtige Spiele. Der 4:0-Heimsieg über Liverpool – Sami Hyypiä wurde in der fünften Minute vom Platz gestellt, nachdem er van Nistelrooy im Sturmlauf zu Fall gebracht hatte – führte uns zu der Champions-League-Begegnung mit Real Madrid. Im ersten unserer beiden Spiele gegen Madrid schoss nur van Nistelrooy ein Tor. Luis Figo und Raul trafen für Real, Raul gleich zweimal. Das brachte uns einen 1:3-Rückstand für das Rückspiel ein, für das ich Beckham auf der Ersatzbank ließ. Es war ein unglaubliches Spiel, das sich, so wird kolportiert, auch Roman Abramovich ansah, der sich von unserem 4:3-Sieg und dem Hattrick des brasilianischen Stürmers Ronaldo anregen ließ, selbst im großen weltweiten Fußball-Drama mitzumischen und Chelsea zu kaufen.

Obwohl wir zwischendurch neun Punkte von der Tabellenspitze entfernt waren, hatten wir nach dem 4:1-Sieg über Charlton im Mai 2003, bei dem van Nistelrooy drei Treffer erzielte, acht Punkte Vorsprung. Damit hatte Ruud in der Saison insgesamt 43 Tore gemacht. Am vorletzten Wochenende musste Arsenal Leeds in Highbury besiegen, wollten sie noch eine Chance haben, uns einzuholen. Doch Mark Viduka half uns mit einem späten Tor für unsere Rivalen aus Yorkshire. In seinem letzten Spiel für United verwandelte David Beckham bei unserem 2:1-Sieg über Everton einen Freistoß. Zum achten Mal in elf Jahren waren wir wieder Meister geworden. Die Spieler jubelten und waren völlig aus dem Häuschen: »Wir haben unsere Trophäe zurück.«

Wir hatten die Meisterschaft gewonnen, nahmen aber von David Beckham Abschied.

Meine Autobiografie

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