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ОглавлениеIII. Im sozialen Wandel
1. Weib
Wie das „Vater unser“ wurde auch das im Frömmigkeitsgebrauch damit einst geradezu notorisch verbundene „Ave Maria“ kleinen Modifikationen unterzogen. „Du bist gebenedeit unter den Frauen“, heißt es nun statt „gebenedeit unter den Weibern“. Dass die frühere Fassung der Rosenkranzleier besser entsprach, ist leicht zu hören: „Du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria.“ Das „au“ der neuen „Frauen“ springt aus diesem eieiei hörbar heraus.
Aber ich hätte nicht gewagt, auf diese alte Sache zu sprechen zu kommen, wenn nicht einer der wirklich sprachmächtigen katholischen Theologen des 20. Jh., der Tübinger Alttestamentler F. Stier, in seinem Tagebuch sich damit sehr erregt beschäftigt hätte. Als Eintrag unter dem 12. März 1969 heißt es da:
„Mit einem Germanisten beim Kaffee. Weib, sagte er, klingt im Rheinland ,pejorativ‘. In meinen allgäu-alemannischen Ohren nicht. Ich hörte den Allgäuer Bauern über seine jüngst verstorbene Nachbarin sagen: ,Dös war a Wieb!‘ Und den Witwer: ,Sit’s Wieb numma do ischt, ma(g) i seall numma leaba.‘ In diesen Sprachlanden hat ,Weib‘ noch einen guten Ruf. Ich wüßte gern, was in der Psyche der Sprachgemeinschaft vorgegangen ist, daß ,Weib‘ um seine Ehre kam. Um die 980 Mal (ich habe nachgezählt, s. Calwer Konkordanz) in der Lutherbibel! Auch noch in neueren Revisionen, bis in die sechziger Jahre hinein. Ihr verdanke ,Weib‘ eine ,Erneuung‘ seines ,edleren Sinnes‘ (H. Paul). – Es ist Luthers hohe Sprache, die Schiller singen läßt: ,Wer ein holdes Weib errungen …‘ Über die unsterblichen ,Weiber von Weinsberg‘ rümpft niemand die Nase, und bis vor kurzem stieß sich niemand daran an, daß die Mutter Jesu ,gebenedeit unter den Weibern‘ ist … Die ökumenische Einheitsübersetzung droht das ,Weib‘ in der Bibel mit Stumpf und Stiel auszurotten. Die Herren haben es vor. Man wird also Gen 2,22 lesen: Gott ,baute‘ aus Adams Rippe ,eine Frau‘. Und von nun an, fürchte ich, wird die ,Frau‘ in der Sprache dieser Bibel herrschen, das ,Weib‘ verdrängen und nicht ruhen, bis sie auch dem ,apokalyptischen Weib‘ der Geheimen Offenbarung den Garaus gemacht hat … Diese ,weib‘feindlichen Herren Bibelübersetzer! Gibt es keinen Anwalt für ,Weib‘, keinen, der Sinn und Gründe dafür hätte, daß sich eine Bibel, die der Konvention nach dem Munde redet, um das Vorrecht betrügt, sich auch als Sprachgestalt zu ,profilieren‘? Es sind nicht nur meine Allgäuer Bauernohren, die sich über das ,Weib‘ in der Sprache der biblischen Erzähler und Propheten nicht ärgern. Und wenn ich Jesus sagen höre: ,O Weib, dein Glaube ist groß‘, klingt es mir herzhaft und warm. Zur gleichen Zeit, in der Mutter Sprache über die gesellschaftliche Ächtung eines ihrer alten guten Wortkinder trauert, tummelt sich in ihrem Haus ein Gesindel häßlicher Neuwörter. Die Verwaltung der Universität Tübingen suchte vor kurzem per Inserat ,Reinemachefrauen‘ (natürlich müssen sie ,reine‘ machen, denn ,reinmachen‘ tut das Kind in den Topf!). Auch ,Raumpflegerinnen‘ sind gesucht. Wenn die ,Sprachemachemänner‘ in den Ämtern so weitermachen, dann werdet ihr ehrsamen und hochachtbaren Putzfrauen von ehedem eure ,Anhebung‘ zu ,Reinemachedamen‘ und ,Raumkünstlerinnen‘ erleben. Karl Kraus, come back! Schwinge die Peitsche, zünde deine ,Fackel‘, stifte Brand!“ 49
Da hat er umsonst gerufen, der große Tübinger Alttestamentler Fridolin Stier, der die Schrift so ursprachlich übersetzt hat, „Der Mensch vom Weib geboren, / an Tagen kurz und unrastsatt –“ (Hiob 14,1)50. Ein Karl Kraus redivivus würde sich in kirchlichen Kreisen mehr als die Finger verbrennen.
2. Hausgesind
Mit ihrem Hang zur ganzen Länge ziehen sich evangelische Kirchenlieder Probleme zu, die sich die katholischen durch großzügiges Strophenstreichen schlicht ersparen. So fehlt in der auf drei Strophen zurückgebrachten „Gotteslob-Fassung“ des Morgenliedes „Aus meines Herzensgrunde“ (Nr. 669) eine Strophe, die beim jüngsten Übergang vom Evangelischen Kirchengesangbuch (EKG) zum Evangelischen Gesangbuch (EG) den zuständigen Gesangbuchmachern etwas Kopfzerbrechen bereitete. Um das beliebte Lied zu halten, wurde eine kleine Ausbesserung für erforderlich gehalten. Die neue Fassung von EG Nr. 443, 4. Strophe, lautet nun:
„Mein’ Leib und meine Seele, Gemahl, Gut, Ehr und Kind in dein Händ ich befehle und die mir nahe sind als dein Geschenk und Gab, mein Eltern und Verwandten, mein Freunde und Bekannten und alles, was ich hab.“
Was sich geändert hat, ergibt sich aus dem Vergleich mit der vorangegangenen Version des EKG (Nr. 341):
„Mein’ Leib und meine Seele, mein Weib, Gut, Ehr und Kind in dein Händ ich befehle, dazu mein Hausgesind, als dein Geschenk und Gab, mein Eltern und Verwandten, mein Freunde und Bekannten und alles, was ich hab.“
Das ordinäre „Weib“ ist herausgeflogen und hat dem Herrn „Gemahl“ (nicht etwa der Frau Gemahlin) Platz gemacht. Und das „Hausgesind“ wurde ausgewechselt gegen „die mir nahe sind“. Die Absicht ist klar. „Weib“ und „Hausgesind“ gelten als linguistische Indikatoren patriarchalicher Verhältnisse, die aus der Sprache wie aus der gesellschaftlichen Realität zu tilgen sind. Der Fall ist symptomatisch und gibt im Ergebnis doch zu denken. „Weib“ wurde schon vor Jahren im katholischen „Ave Maria“ gegen „Frau“ ausgetauscht, aber das ging hier offenbar nicht. Mit dem bürgerlich gestelzten „Gemahl“ ist man jedoch, rein sozialsprachgeschichtlich gesehen, vom Regen in die Traufe gekommen.
Der Verzicht aufs „Hausgesind“ ist löblich, nimmt jedoch eine soziale Komponente des Morgengebets ins Intim-Private („die mir nahe sind“, womit die „Eltern und Bekannten“, „Freunde und Verwandten“ schon vorweggenommen wären) zurück. Wenn der fromme Haupt- und Amtmann Georg Niege (1525 – 1588), der Verfasser des Liedes, morgens fürs „Hausgesind“ betete und beten ließ, legte er Gott nicht nur sich selbst, sondern auch die ihm so oder so in seinem „Beruf und Stand“ (Str. 7) Untergebenen ans Herz; betrachtete sie und behandelte sie dann vielleicht auch „als dein Geschenk und Gab“, ihm auf Zeit anvertraut; von Diskriminierung jedenfalls keine Spur. Mit der Streichung des „Hausgesinds“ verschwindet die Ökonomie aus dem Gebet, in der alle (nicht bloß ominöse Hausherren) auch heute von der Dienstleistung anderer leben, unsichtbarer vielleicht, aber nicht weniger real als zu den Zeiten des bäuerlich-bürgerlichen Gesindes.
Die Zensoren der alten Texte denken hier, wie häufig, nicht weit genug. Sie flicken an der Textoberfläche, ohne der Sache auf den Grund zu gehen. Darum sind sie dann auch nicht radikal und konsequent genug. Wenn man „Weib“ und „Hausgesind“ für nicht mehr zumutbar hält, wie kann man „Gut, Ehr und Kind“ dann den Nicht-Begüterten, Unverheirateten, Kinderlosen, ja den Kindern selbst zum Singen zumuten?
Mit den kleinen Reparaturen an der Textfassade lässt sich nicht vertuschen, dass das Lied in der Rolle des Hausvaters geschrieben ist, insoweit also patriarchalische Verhältnisse spiegelt. Aber Vater Niege kehrt nicht seine Männlichkeit heraus, oder seine unumschränkte Befehlsgewalt über Weib und Kind und Hausgesind. Er sorgt sich in der Morgenfrühe um das gesamte Hauswesen, dem er vorsteht. Und dieser Gemeinsinn gibt dem Gebet eine lebenspraktische Note, die man in ähnlicher Weise auch im monastischen Stundengebet der Prim findet, „nach der im Kloster die Arbeit verteilt wurde: körperliche Arbeit, Schreiben der Codices, Arbeit in der Klosterschule usw.“51 So endet auch Georg Nieges Morgenlied: „und streck nun aus mein Hand, / greif an das Werk mit Freuden, / dazu mich Gott beschieden / in meim Beruf und Stand.“ Berufsethos und Frömmigkeit sind hier eng verbunden.
Die Besonderheit der sozialen Situation muss nicht verschleiert werden, es geht im Gebet nicht um die Verhältnisse, sondern um das Verhältnis zu den Verhältnissen. Das ist, wenn man das Lied auf seine eigene Stimme übernimmt („Aus meines Herzensgrunde“), zu transponieren „in meim Beruf und Stand“.
So muss das Fremde der Überlieferung nicht einfach nur hinter uns liegen, vom sozialen Fortschritt überholt, es kann uns, recht bedacht, auch voraus sein. Schneidet man es zurück auf den Meinungsstandard der eigenen Zeit, bleibt man auf dessen Maß beschränkt.
3. Heerscharen
Der große Wiener Poet Ernst Jandl hat viele Gedichte verfasst, die man nicht verstehen kann, wenn man nicht auch Religion im Ohr hat, z. B. das folgende, etwas leichtfüßige Lautgedicht52:
hosi
anna
maria
magdalena
hosi
hosianna
hosimaria
hosimagdalena
hosinas
hosiannanas
hosimarianas
hosimagdalenanas
Man kann das überhaupt nicht verstehen, wenn man nicht das Sanctus der Messe im Kopf hat, und dazu noch, dass Anna, Maria und Maria Magdalena drei wichtige, in der Bibel in einem Zusammenhang stehende Frauen sind. Aber worauf es hier ankommt, ist das kunstvolle Spiel mit den Assonanzen der Sprache, aus denen ganz neue Kreationen hervorgehen. Ich habe das Gedicht hier herangezogen, um auf eine Ebene aufmerksam zu machen, die über dem großen Bemühen der theologischen Sprachproduktion, alles verständlich zu machen, in den vergangenen Jahrzehnten etwas vernachlässigt wurde: die Musikalität der Sprache, ihr Rhythmus und Klang.
Ich will es an zwei, zugegebenermaßen etwas riskanten Beispielen verdeutlichen. Zunächst, von Jandls hosi angeregt, das Sanctus der Messe. Die heutige Fassung lautet bekanntermaßen: „Heilig, heilig, heilig, Gott, Herr aller Mächte und Gewalten. Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe …“ Vor 1975 liturgisch Sozialisierte haben vielleicht noch diese Fassung im Ohr: „Heilig, heilig, heilig. Herr Gott der Heerscharen. Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe. Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe.“
Der aus dem Alten Testament als Gottesname vertraute „Herr Gott der Heerscharen“ ist ersetzt durch den „aller Mächte und Gewalten“. Die für die alttestamentliche Gottesprädikation nicht unwichtigen zebaoth, die das lateinische Sanctus, im Gefolge der Septuaginta noch im hebräischen Wortlaut transliteriert als Sabaoth aufbewahrt hatte, sind in die neutestamentlichen „Mächte und Gewalten“ umgewandelt, die dominationes und potestates, von denen in manchen Präfationen ja schon vorher die Rede ist. Die semantische Neuerung hatte also einen gewissen Sinn, auch wenn man damit eine wichtige Assoziation zum alttestamentlichen Herkunftstext des Sanctus (Jes 6) opferte und mit dem für die „Heerscharen“ einbestellten Ersatzkommando der „Mächte und Gewalten“ vielleicht nicht ganz so, wie vielleicht erhofft, befürchteten militärischen Konnotationen entkommt.
Was aber vermutlich bei der Sinn-Operation gar keine Rolle gespielt hat, ist die rhythmische und phonetische Struktur, die dem alten Text eignet. Das anlautende „H“ beherrscht die erste Zeile und dann jeweils das erste und letzte Wort der einzelnen Verse – eine Art Hauchhymnus: „Heilig, heilig, heilig, Herr Gott der Heerscharen. Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe. Hochgelobt sei der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe.“ Diesen Atem kann das „Herr Gott aller Mächte und Gewalten. Erfüllt sind … usw.“ einfach nicht halten.
Aber natürlich will ich hier nicht zum Rückmarsch blasen. Die Heerscharen haben, wie Weib und Hausgesind, im sozialen Wandel wohl ein für allemal verloren. Aber vielleicht sollte man bei allem herrschaftskritisch und gender-sprachlich ja längst weitergegangenen Wandel der religiösen Sprache nicht ganz den Klang vergessen, die musikalische Dimension der Religion, die den Altvorderen praktisch in Fleisch und Blut übergegangen war.