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3 MISSION IMPOSSIBLE

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UNTERRICHTSSCHLUSS. Ich ging raus. Elaine stand mit Naomi Brisset draußen vor dem Schultor. Naomi wohnte in einem Heim für verhaltensauffällige Kinder in South East Crongton und hatte schon alles mögliche Abgefahrene versucht, um von dort abzuhauen. Elaine und ich waren ja nicht so schnell beeindruckt, aber die Geschichte von Naomis jüngstem Ausbruchsversuch trieb uns Tränen in die Augen vor Lachen. Sie hatte Haschkekse für ihre Betreuer gebacken, und als die ihren Kicherflash hatten, hatte sie klammheimlich ihre Tasche gepackt. Zwei Tage später hatten sie Naomi bei einem Rasta in einer Wohnung über einem koreanischen Restaurant in Ashburton gefunden. Obwohl Naomi in aller Welt rumposaunt hatte, sie seien verlobt, fiel das Jugendamt mit seinen ganzen Sturmtruppen ein und hatte sie wieder nach South Crong abgeführt.

»Mo!«, rief Naomi. Ihre krause Mähne bewegte sich im Wind. »Der neue Mission Impossible ist angelaufen! Bitte sag, dass du lieber den sehen willst als irgend so einen traurigen Zeichentrickfilm …«

»Fantastic Four läuft auch«, fiel Elaine ein. »Und der Bruder, der den Feuertypen spielt – wie heißt er noch? –, der ist die wandelnde Sexiness. Außerdem gucken wir immer Tom-Cruise-Filme, und der ist steinalt.«

»Tom Cruise ist über fünfzig, aber ich würde nicht Nein sagen«, lachte ich. »Der macht immer noch alle Stunts selbst.«

Elaine verzog das Gesicht. »Mo, das ist widerlich! Würdest du’s im Ernst mit einem Grauhaarigen machen?«

»Seine Haare sind braun«, widersprach ich.

»In was für einer Welt lebst du eigentlich, Mo? Wahrscheinlich hat er einen privaten Haarfärber bei sich zu Hause wohnen. Abgesehen davon, habt ihr gar nichts zu bestimmen! Ich bin die Einzige, die über Finanzmittel verfügt, also darf ich entscheiden.«

»Du bist aber auch die Einzige, die immer ins Kino will«, sagte ich. »Du könntest dein Geld sparen und wir chillen einfach irgendwo.«

»Wo denn?«, fragte Elaine.

»Im Shenk-I-Sheck«, schlug Naomi vor.

»Naomi«, sagte Elaine angewidert. »Bist du krank? Da sitzen lauter alte Säcke drin. Mein Vater geht da mit seiner Freundin hin, wenn er einen Babysitter findet.«

»Mein Onkel auch«, meinte Naomi. »Aber der ist okay – der hat mich sonntags immer im Heim besucht und mir Lutscher geschenkt.«

»Klingt pervers«, sagte ich.

»Ich rede von echten Lollis und Brausepulver!«, meinte Naomi. »Zigaretten hat er mir auch mitgebracht.«

»Ach«, sagte ich.

»Ist das der Onkel mit dem schwarzen Hut, der Smileyjacke und den schwarzen Sportschuhen?«, schmunzelte Elaine.

»Ja«, erwiderte Naomi. »Der ist Slam Poet – oder jedenfalls hält er sich dafür. Freitags ist er immer im Shenk-I-Sheck.«

»Und reißt Mädchen auf«, ergänzte ich. »Das ist der wandelnde Perverso. Immer wenn er mich anschaut, hab ich das Gefühl, ein Knopf geht auf und ein Reißverschluss runter.«

»Noch ein Grund mehr, wieso ich nicht ins Shenk-I-Sheck« gehe«, sagte Elaine.

»Kann sein, dass er ein bisschen guckt, aber mein Onkel Dan ist harmlos«, behauptete Naomi.

»Erklär das mal dem Richter«, sagte ich. »Die wollen alle nur das eine – was umsonst.«

»Kommen aber nicht alle mit leeren Händen«, behauptete Naomi. »Manchmal laden sie einen tatsächlich auf einen Drink ein. Als ich das letzte Mal da war, hat mir so ein Bruder eine Whisky-Cola und einen Erdbeer-Cupcake spendiert. Der hieß Stranger Kroll und hatte so eine coole Mütze auf, die ich ihm gerne geklaut hätte. Als er pissen war, hab ich schnell ausgetrunken und bin weg. Wir müssen gar kein Geld ausgeben, wir hören uns ein paar Oldschool-Beats an, früher oder später kommt ein Bruder und lädt uns ein. Was soll da dran so falsch sein?«

Elaine atmete heftig durch die Nase ein und schüttelte den Kopf. »Naomi, ich hab dich lieb bis zum Gehtnichtmehr, aber lies mir das vom Lippenstift ab«, sagte sie. »Ich gehe nicht ins Shenk-I-Sheck. Außerdem haben wir noch unsere Schulklamotten an und würden nicht mal an der Grenzkontrolle vorbeikommen. Und das ist mein letztes Wort. Wenn euch nichts Besseres einfällt, gehen wir zu Movieworld.«

Movieworld war an der Crongton High Street. Naomi und ich warteten draußen vor dem Notausgang in einer Seitenstraße, während Elaine sich ein Ticket kaufte. Nachdem Naomi zwei Zigaretten fertig geraucht hatte, hörte ich, wie die Tür aufgeschoben wurde. Elaines Kopf tauchte auf. Ihre Wimpern flatterten, als würden zwei Raben synchron Rumpfbeugen machen. »Beeilt euch!«, sagte sie.

»Wo sind meine Gummibärchen?«, fragte Naomi. »Du weißt doch, dass ich Gummibärchen im Kino liebe.«

»Willst du mich verarschen? Komm endlich rein!«

Wir zogen die Tür wieder zu und stiegen die spärlich beleuchtete Treppe hinauf. Elaine ging voran. Wenn wir diese Nummer durchzogen, rechnete ich eigentlich ständig damit, dass der Alarm ansprang, aber es passierte nie. Ich würde das auch machen, wenn ich das Geld für ein Ticket hätte – war ein echter Adrenalinrausch. Wir befanden uns im Gang, der zu den Kinos eins, zwei und drei führte. Werbeplakate für demnächst anlaufende Filme säumten die Wände.

»Ich muss pissen«, sagte Naomi.

Wir gingen aufs Klo. Während Naomi tat, was sie tun musste, trank ich aus der Leitung. Von nervenaufreibenden Aktionen bekam ich immer Durst. Anschließend zogen wir ganz entspannt ins Kino, als wäre Tom Cruise ein Blutsverwandter von uns, und besetzten drei Plätze in der hintersten Reihe. Ich hätte einen Eimer Popcorn oder eine Tüte Maltesers verdrücken können, aber wer nicht bezahlte, durfte nicht wählerisch sein.

Auf der Leinwand wurden Trailer gezeigt, aber obwohl ich Trailer liebte, musste ich noch mal über den Tag nachdenken – über meinen Streit mit Lloyd wegen der fünf Pfund und dass ich Sam gesagt hatte, er bräuchte gar nicht mehr bei mir anklopfen. Warum hatte ich das gesagt? O Gott! Ich werde ihn und seinen Half-Fro vermissen, wenn er ab jetzt nicht mehr in seiner ganzen Stattlichkeit spätabends noch auf einen Plausch vorbeikommen würde.

Der Film lenkte mich ab, sonst wäre ich nur nach Hause gegangen, hätte mich in mein Zimmer eingeschlossen und geheult wie ein Neunjähriger One-Direction-Fan. Ich hätte meine Kopfhörer aufsetzen müssen, um Mum und Lloyd nicht gegen das Kopfteil rammeln zu hören.

Nach dem Film standen wir alle noch draußen vor dem Kino.

»Ist noch nicht mal sieben«, sagte Naomi. »Wir können immer noch nach Hause, uns umziehen und ins Shenk-I-Sheck zum Chillen. Was meint ihr?«

»Ich muss noch Englisch machen«, erwiderte Elaine. »Und ich hab Hunger, ich muss nach Hause.«

»Und du, Mo?«

Ich wollte nicht nach Hause, jedenfalls nicht bevor Mum und er schliefen. Aber ins Shenk-I-Sheck?

»Nein«, erwiderte ich schließlich. »Bin zu müde. Und Hausaufgaben hab ich auch noch auf.«

»Ihr beiden seid vielleicht langweilig, Mann«, protestierte Naomi. »Sagt wenigstens, dass ihr am Samstag mit mir shoppen geht.«

»Äh … wir sagen dir noch Bescheid«, meinte Elaine.

»Ihr seid echt grau«, sagte Naomi. »Ich will noch nicht zurück ins Heim – ihr könnt euch nicht vorstellen, wie langweilig meine Betreuerin ist. ›Wie fühlst du dich heute? Ich weiß, du vermisst Crumbs. Kommst du jetzt besser mit deinen Lehrern klar? Hast du eine positivere Einstellung zu den Dingen gefunden?‹ O Gott! Die labert endlos.«

»Dann frag doch, ob du eine andere bekommst«, schlug ich vor.

»Nee – die sind alle gleich. Ich kenne einen Bruder, der hat Dragon Hip Pills. Wir könnten …«

Elaine zog Naomi abrupt am Arm, sah ihr direkt in die Augen und hätte ihr fast mit dem Finger eins ausgestochen. »Hör auf, mit Typen in deren Wohnungen zu gehen und Pillen zu schlucken! Weißt du noch, was das letzte Mal passiert ist?«

»Du musst zugeben, Elaine«, sagte ich, »das letzte Mal war’s echt lustig.«

»Lustig?«, tobte Elaine. »Der Bruder hat sich neben mich gesetzt und wollte fummeln! Ich hab ihn gewarnt und er hat’s trotzdem wieder versucht! Die Message ist erst bei ihm angekommen, als ich ihm in den Daumen gebissen und ihm das Gesicht zerkratzt hab.«

»Das war ja das Lustige«, schmunzelte ich. »Sein Daumen hat geblutet und er ist aufs Klo, aber da war kein Papier. Und auf dem Weg nach daußen hat Naomi ihm noch seinen Grey Goose Wodka geklaut.«

»Hast du ihn mit nach Hause genommen?«, fragte Elaine.

»Hab ich zehn Finger? Na klar«, erwiderte Naomi. »Hab die Flasche in meinem Schrank versteckt und die nächsten drei Abende immer einen Schlummertrunk genommen. Als sie noch ungefähr halb voll war, hab ich sie einem aus der Achten für fünf Pfund verkauft.«

»Wieso hast du sie verkauft?«, fragte ich.

»Weil ich mir so einen neuen orangen Lippenstift passend zu der orangen Hose kaufen wollte, die ich in Ashburton geklaut hab. Verfluchte Geldverschwendung war das – nach zwei Stunden war der schon wieder ab.«

Wir krümmten uns vor Lachen.

Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann

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