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Auf dem Weg zur deutschen Einheit
ОглавлениеAnders als der Zentralstaat Frankreich mit Paris als Hauptstadt, Regierungssitz und Mittelpunkt des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens war der geografische Raum, den man als »Deutschland« bezeichnet, schon immer unter verschiedenen Landesherren aufgeteilt. Demnach bestand Deutschland bereits im Mittelalter aus unterschiedlichen Ländern und Regionen mit verschiedenen Zentren der Macht, Politik, Kultur und Gesellschaft. Im Mittelalter wechselte das Zentrum des Reiches zudem mit den Dynastien und Herrschern, die an der Macht waren. Oft musste der Kaiser der Hausmacht eines verbündeten Fürsten vertrauen und kam ohnehin nur durch Wahl der Kurfürsten an die Macht.
Dabei waren die mittelalterlichen Kaiser nie, wie es oft in der populären Vorstellung umschrieben wird, die absoluten Herrscher eines geeinten Reiches, die machtvoll einen Zentralstaat verwalteten wie einst die römischen Kaiser der Antike. Die Kaiser des Mittelalters waren auf ihre Vasallen angewiesen, die oftmals eine stärkere Hausmacht besaßen als sie selbst. Die ohnehin nicht besonders ausgeprägte Zentralgewalt des Kaisers zerfiel im Spätmittelalter zusehends, während die Macht der deutschen Fürsten, vor allem die der Kurfürsten, stetig zunahm und die »Vielstaaterei« in Deutschland unterstrich.
Dabei entwickelte sich die deutsche Kleinstaaterei. Bald glich die Landkarte Mitteleuropas einem Flickenteppich aus Hunderten weltlichen und geistlichen Besitztümern, die alle geografisch zu Deutschland zu zählen sind. Ursache hierfür waren die Erbfolgeregelungen in den einzelnen deutschen Kleinstaaten. Nach dem Tod eines Fürsten wurde das Land nicht selten unter allen erbberechtigten Nachfahren aufgeteilt. Diese Erbteilung stand in der Tradition der Merowinger und Karolinger, die ihre Reiche nach dem Tod des Königs unter den Nachkommen aufteilten.
Die Primogenitur, das Erbrecht des Erstgeborenen, der daraufhin seine Geschwister ausbezahlte, wurde erst 1356 in der Goldenen Bulle für die Kurfürstentümer festgeschrieben. In den übrigen deutschen Ländern ging die Zersplitterung jedoch weiter. Dadurch entstanden Gebilde, deren Territorium nicht mehr zusammenhing, sondern aus weit auseinanderliegenden Teilgebieten bestand. Napoleon führte schließlich 1806 den Zusammenbruch des Alten Reiches herbei und initiierte eine Flurbereinigung auf dem deutschen Gebiet, bei der die meisten geistlichen Gebiete und Freien Reichsstädte an die umliegenden Herrschaftsbereiche angeschlossen wurden. Dennoch blieb der deutsche Flickenteppich bestehen, wenn auch etwas »aufgeräumter«. An dem französischen Besatzer rieben sich die deutschen Fürsten. Progressive Kräfte waren zudem begeistert von der Idee eines geeinten, starken Nationalstaates – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erwartung, dass Napoleon gemeinsam besiegt werden konnte.
Die Diskussion um den Nationalstaat bestimmte die deutsche Politik des 19. Jahrhunderts in hohem Maße. Hinzu kam die Forderung nach Demokratie, Bürgerrechten und einer Verfassung. Diese Forderung breitete sich vom deutschen Südwesten zunehmend aus und erfasste bald ganz Deutschland. Schließlich mündeten sie in die Märzrevolution von 1848, mit der ein demokratischer Nationalstaat und eine Verfassung für Deutschland geschaffen werden sollten. Die Kleinstaaterei sollte ein Ende haben.
Innerhalb dieses Prozesses wurde auch die Frage laut, was denn überhaupt »deutsch« sei. Gleiches Blut? Gleiche Sprache? Gleiche Kultur? In diesem Zusammenhang ist auch der Text der ersten Strophe des Deutschlandliedes zu verstehen. »Deutschland, Deutschland über alles« stellte Deutschland nicht über die anderen Nationen, sondern richtete sich direkt an die deutschen Fürsten. Das Lied forderte sie auf, ihre lokalen Ränkespiele zu überwinden und ausschließlich im Sinne der deutschen Einheit zu handeln. Deutschland sollte über allen deutschen Ländern stehen und die Einheit der Nation das vornehmliche Ziel sein.
Das Ziel der Einheit der Nation wurde am 18. Januar 1871 in Versailles verwirklicht. Im Deutschen Kaiserreich blieben die Kleinstaaten als Bundesgenossen bestehen und bildeten die Basis dessen, was heute die deutschen Bundesländer sind.