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Über die Steppen und Wüsten
ОглавлениеAm Fuße des hohen Granitrückens, welcher im Jugendalter unseres Planeten bei Bildung des Antillen-MeerbusensI dem Einbruch der Wasser getrotzt hat, beginnt eine weite, unabsehbare Ebene. Wenn man die Bergtäler von Caracas und den inselreichen See Tacarigua [Valencia-See]1 in dem die nahen Pisang-StämmeII sich spiegeln, wenn man die Fluren, welche mit dem zarten und lichten Grün des tahitischen Zuckerschilfes prangen, oder den ernsten Schatten der Kakao-Gebüsche zurückläßt: so ruht der Blick im Süden auf Steppen, die scheinbar ansteigend in schwindender Ferne den Horizont begrenzen.
Aus der üppigen Fülle des organischen Lebens tritt der Wanderer betroffen an den öden Rand einer baumlosen, pflanzenarmen Wüste. Kein Hügel, keine Klippe erhebt sich inselförmig in dem unermeßlichen Raum. Nur hier und dort liegen gebrochene Flözschichten von zweihundert Quadratmeilen Oberfläche bemerkbar höher als die angrenzenden Teile. Bänke2 nennen die Eingeborenen diese Erscheinung gleichsam ahnungsvoll durch die Sprache den alten Zustand der Dinge bezeichnend, da jene Erhöhungen Untiefen, die Steppen selbst aber der Boden eines großen Mittelmeeres waren.
Noch gegenwärtig ruft oft nächtliche Täuschung diese Bilder der Vorzeit zurück. Wenn im raschen Aufsteigen und Niedersinken die leitenden Gestirne den Saum der Ebene erleuchten oder wenn sie zitternd ihr Bild verdoppeln in der untern Schicht der wogenden Dünste, glaubt man den küstenlosen Ozean3 vor sich zu sehen. Wie dieser erfüllt die Steppe das Gemüt mit dem Gefühl der Unendlichkeit und durch dieses Gefühl, wie den sinnlichen Eindrücken des Raumes sich entwindend, mit geistigen Anregungen höherer Ordnung. Aber freundlich zugleich ist der Anblick des klaren Meeresspiegels, in welchem die leichtbewegliche, sanft aufschäumende Welle sich kräuselt; tot und starr liegt die Steppe hingestreckt wie die nackte Felsrinde4 eines verödeten Planeten.
In allen Zonen bietet die Natur das Phänomen dieser großen Ebenen dar. In jeder haben sie einen eigentümlichen Charakter, eine Physiognomie, welche durch die Verschiedenheit ihres Bodens, durch ihr Klima und durch ihre Höhe über der Oberfläche des Meeres bestimmt wird.
Im nördlichen Europa kann man die Heideländer, welche, von einem einzigen, alles verdrängenden Pflanzenzuge bedeckt, von der Spitze von Jütland sich bis an den Ausfluß der Schelde erstrecken, als wahre Steppen betrachten: Aber Steppen von geringer Ausdehnung und hochhügeliger Oberfläche, wenn man sie mit den Llanos und Pampas von Südamerika oder gar mit den Grasfluren am Missouri5 und KupferflusseIII vergleicht, in denen der zottige Bison und der kleine Moschusstier umherschwärmen.
Einen größeren und ernsteren Anblick gewähren die Ebenen im Innern von Afrika. Gleich der weiten Fläche des Stillen Ozeans hat man sie erst in neueren Zeiten zu durchforschen versucht; sie sind Teile eines Sandmeeres, welches gegen Osten fruchtbare Erdstriche voneinander trennt oder inselförmig einschließt wie die Wüste am Basaltgebirge Harudsch [Harudz el-Asuad; 1200 m]6, wo in der dattelreichen Oase von Siwa die Trümmer des Ammon-Tempels den ehrwürdigen Sitz früher Menschenbildung bezeichnen. Kein Tau, kein Regen benetzt diese öden Flächen und entwickeln im glühenden Schoß der Erde den Keim des Pflanzenlebens. Denn heiße Luftsäulen steigen überall aufwärts, lösen die Dünste und verscheuchen das vorübereilende Gewölk.
Wo die Wüste sich dem Atlantischen Ozean nähert wie zwischen Wadi Run und dem Weißen Vorgebirge [Kap Blanco], da strömt die feuchte Meeresluft hin, die Leere zu füllen, welche durch jene senkrechten Winde erregt wird. Selbst wenn der Schiffer durch ein Meer, das wiesenartig mit Seetang bedeckt ist, nach der Mündung des Gambi steuert, ahnt er, wo ihn plötzlich der tropische Ostwind verläßt7, die Nähe des weitverbreiteten wärmestrahlenden Sandes.
Herden von Gazellen und schnellfüßige Strauße durchirren den unermeßlichen Raum. Rechnet man ab die im Sandmeere neuentdeckten Gruppen quellenreicher Inseln, an deren grünen Ufern die nomadischen Tibbus und Tuaregs8 schwärmen, so ist der übrige Teil der afrikanischen Wüste als dem Menschen unbewohnbar zu betrachten. Auch wagen die angrenzenden gebildeten Völker, sie nur periodisch zu betreten. Auf Wegen, die der Handelsverkehr seit Jahrtausenden unwandelbar bestimmt hat, geht der lange Zug von Talfilet bis Timbuktu oder von Murzuk bis Bornu: kühne Unternehmungen, deren Möglichkeit auf der Existenz des Kamels beruht, des Schiffs der Wüste9, wie es die alten Sagen der Ostwelt nennen.
Diese afrikanischen Ebenen füllen einen Raum aus, welcher den des nahen Mittelmeeres fast dreimal übertrifft. Sie liegen zum Teil unter den Wendekreisen selbst, zum Teil denselben nahe; und diese Lage begründet ihren individuellen Naturcharakter. Dagegen ist in der östlichen Hälfte des Alten Kontinents dasselbe geognostischeIV Phänomen mehr der gemäßigten Zone eigentümlich.
Auf dem Bergrücken von Mittel-Asien zwischen dem Goldberg oder Altai und dem Kuen-lun10, von der chinesischen Mauer an bis jenseits des HimmelsgebirgesV und gegen den Aral-See hin, in einer Länge von mehreren tausend Meilen, breiten sich, wenn auch nicht die höchsten, doch die größten Steppen der Welt aus. Einen Teil derselben, die Kalmücken- und Kirgisen-Steppen zwischen dem Don, der Wolga, dem Kaspischen Meer und dem chinesischen Saisan-See, also in einer Erstreckung von fast 700 geographischen Meilen, habe ich selbst zu sehen Gelegenheit gehabt, volle dreißig Jahre nach meiner südamerikanischen Reise. Die Vegetation der asiatischen, bisweilen hügeligen und durch Fichtenwälder unterbrochenen Steppen ist gruppenweise viel mannigfaltiger als die der Llanos und Pampas von Caracas und Buenos Aires. Der schönere Teil der Ebenen, von asiatischen Hirtenvölkern bewohnt, ist mit niedrigen Sträuchern üppig weißblühender Rosaceen, mit Kaiserkronen (Fritillarien), Tulpen und Cypripedien geschmückt. Wie die heiße Zone sich im ganzen dadurch auszeichnet, daß alles Vegetative baumartig zu werden strebt, so charakterisiert einige Steppen der asiatischen gemäßigten Zone die wundersame Höhe, zu der sich blühende Kräuter erheben: Saussureen und andere Synanthereen; Schotengewächse, besonders ein Heer von Astragalus-Arten. Wenn man in den niedrigen tatarischen Fuhrwerken sich durch weglose Teile dieser Krautsteppen bewegt, kann man nur aufrecht stehend sich orientieren und sieht die waldartig dichtgedrängten Pflanzen sich vor den Rädern niederbeugen. Einige dieser asiatischen Steppen sind Grasebenen; andere mit saftigen, immergrünen, gegliederten Kali-Pflanzen bedeckt; viele fernleuchtend von flechtenartig aufsprießendem Salz, das ungleich, wie frischgefallener Schnee, den lettigen Boden verhüllt.
Diese mongolischen und tatarischen Steppen, durch mannigfaltige Gebirgszüge unterbrochen, scheiden die uralte, lang gebildete Menschheit in Tibet und Hindostan von den rohen, nordasiatischen Völkern. Auch ist ihr Dasein von mannigfaltigem Einfluß auf die wechselnden Schicksale des Menschengeschlechts gewesen. Sie haben die Bevölkerung gegen Süden zusammengedrängt, mehr als der Himalaja, als das Schneegebirge von Srinagar und Gorka den Verkehr der Nationen gestört und im Norden Asiens unwandelbare Grenzen gesetzt der Verbreitung milderer Sitten und des schaffenden Kunstsinns.
Aber nicht als hindernde Vormauer allein darf die Geschichte die Ebene von Inner-Asien betrachten. Unheil und Verwüstung hat sie mehrmals über den Erdkreis gebracht. Hirtenvölker dieser Steppe: die Mongolen, GetenVI, Alanen und ÜsunVII, haben die Welt erschüttert. Wenn in dem Lauf der Jahrhunderte frühe Geisteskultur gleich dem erquickenden Sonnenlicht von Osten nach Westen gewandert ist, so haben späterhin in derselben Richtung Barbarei und sittliche Roheit Europa nebelartig zu überziehen gedroht. Ein brauner Hirtenstamm11 (tukiuischer, d. i. türkischer Abkunft), die HiongnuVIII, bewohnte in ledernen Zelten die hohe Steppe von Gobi. Der chinesischen Macht lange furchtbar, ward ein Teil des Stammes südlich nach Innerasien zurückgedrängt. Dieser Stoß der Völker pflanzte sich unaufhaltsam bis in das alte Finnenland am Ural fort. Von dort aus brachen Hunnen, Awaren, ChasarenIX und mannigfaltige Gemische asiatischer Menschenrassen hervor. Hunnische Kriegsheere erschienen erst an der Wolga, dann in Pannonien, dann an der Marne und an den Ufern des Po, die schön bepflanzten Fluren verheerend, wo seit Antenors Zeiten die bildende Menschheit Denkmal auf Denkmal gehäuft. So wehte aus den mongolischen Wüsten ein verpesteter Windeshauch, der auf zisalpinischem Boden die zarte, langgepflegte Blüte der Kunst erstickte.
Von den Salzsteppen Asiens, von den europäischen Heideländern, die im Sommer mit honigreichen, rötlichen Blumen prangen, und von den pflanzenleeren Wüsten Afrikas kehren wir zu den Ebenen von Südamerika zurück, deren Gemälde ich bereits angefangen habe mit rohen Zügen zu entwerfen.
Das Interesse, welches ein solches Gemälde dem Beobachter gewähren kann, ist aber ein reines Naturinteresse. Keine Oase erinnert hier an frühe Bewohner, kein behauener Stein12, kein verwilderter Fruchtbaum an den Fleiß untergegangener Geschlechter. Wie den Schicksalen der Menschheit fremd, allein an die Gegenwart fesselnd, liegt dieser Erdwinkel da, ein wilder Schauplatz des freien Tier- und Pflanzenlebens.
Von der Küstenkette von Caracas erstreckt sich die Steppe bis zu den Wäldern der Guyana; von den Schneebergen von Merida, an deren Abhange der Natron-See Urao ein Gegenstand des religiösen Aberglaubens der Eingeborenen ist, bis zu dem großen Delta, welches der Orinoco an seiner Mündung bildet. Südwestlich zieht sie sich gleich einem Meeresarm 13 jenseits der Ufer des Meta und des Vichada bis zu den unbesuchten Quellen des Guaviare und bis zu dem einsamen Gebirgsstock hin, welchen spanische Kriegsvölker im Spiel ihrer regsamen Phantasie den Paramo de la Suma Paz, gleichsam den schönen Sitz des ewigen Friedens, nannten.
Diese Steppe nimmt einen Raum von 16.000 Quadratmeilen ein. Aus geographischer Unkunde hat man sie oft in gleicher Breite als ununterbrochen bis an die Magellan-Meerenge fortlaufend geschildert: Nicht eingedenk der waldigen Ebene des Amazonenflusses, welche gegen Norden und Süden von den Grassteppen des Apure und des La Plata-Stromes begrenzt wird. Die Andenkette von Cochabamba und die brasilianische Berggruppe senden, zwischen der Provinz Chiquitos und der Landenge von Villabella, einzelne Bergjoche sich entgegen14. Eine schmale Ebene vereinigt die HyläaX des Amazonenflusses mit den Pampas von Buenos Aires. Letztere übertreffen die Llanos von Venezuela dreimal an Flächeninhalt. Ja ihre Ausdehnung ist so wundervoll groß, daß sie auf der nördlichen Seite durch Palmengebüsche begrenzt und auf der südlichen fast mit ewigem Eise bedeckt sind. Der kasuarähnliche Tuyu (Struthio Rhea) ist diesen Pampas eigentümlich: wie die Kolonien verwilderter Hunde15, welche gesellig in unterirdischen Höhlen wohnen, aber oft blutgierig den Menschen anfallen, für dessen Verteidigung ihre Stammväter kämpften.
Gleich dem größten Teile der Wüste Sahara16 liegen die Llanos oder die nördlichste Ebene von Südamerika in dem heißen Erdgürtel. Dennoch erscheinen sie in jeder Hälfte des Jahres unter einer verschiedenen Gestalt: bald verödet wie das libysche Sandmeer, bald als eine Grasflur wie so viele Steppen von Mittelasien17.
Es ist ein belohnendes, wenngleich schwieriges Geschäft der allgemeinen Länderkunde, die Naturbeschaffenheit entlegener Erdstriche miteinander zu vergleichen und die Resultate dieser VergleichungXI in wenigen Zügen darzustellen. Mannigfaltige, zum Teil noch wenig entwickelte Ursachen vermindern die Dürre und Wärme des neuen Weltteils18.
Schmalheit der vielfach eingeschnittenen Feste in der nördlichen Tropengegend, wo eine flüssige Grundfläche der Atmosphäre einen minder warmen aufsteigenden Luftstrom darbietet, weite Ausdehnung gegen beide beeiste Pole hin, ein freier Ozean, über den die tropischen kühleren Seewinde wegblasen, Flachheit der östlichen Küsten, Ströme kalten Meereswassers aus der antarktischen Region, welche anfänglich von Südwest nach Nordost gerichtet, unter dem Parallelkreis von 35° südlicher Breite an die Küste von Chile anschlagen und an den Küsten von