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Vorrede zur ersten Ausgabe
ОглавлениеSchüchtern übergebe ich dem Publikum eine Reihe von Arbeiten, die im Angesicht großer Naturgegenstände, auf dem Ozean, in den Wäldern des Orinoco, in den Steppen von Venezuela, in der Einöde peruanischer und mexikanischer Gebirge entstanden sind. Einzelne Fragmente wurden an Ort und Stelle niedergeschrieben und nachmals nur in ein Ganzes zusammengeschmolzen. Überblick der Natur im Großen, Beweis von dem Zusammenwirken der Kräfte, Erneuerung des Genusses, welchen die unmittelbare Ansicht der Tropenländer dem fühlenden Menschen gewährt, sind die Zwecke, nach denen ich strebe. Jeder Aufsatz sollte ein in sich geschlossenes Ganzes ausmachen, in allen sollte eine und dieselbe Tendenz sich gleichmäßig aussprechen. Diese ästhetische Behandlung naturhistorischer GegenständeI hat, trotz der herrlichen Kraft und der Biegsamkeit unserer vaterländischen Sprache, große Schwierigkeiten der Komposition. Reichtum der Natur veranlaßt Anhäufung einzelner Bilder, und Anhäufung stört die Ruhe und den Totaleindruck des Gemäldes. Das Gefühl und die Phantasie ansprechend, artet der Stil leicht in eine dichterische Prosa aus. Diese Ideen bedürfen hier keiner Entwicklung, da die nachstehenden Blätter mannigfaltige Beispiele solcher Verirrungen, solchen Mangels an Haltung darbieten.
Mögen meine ›Ansichten der Natur‹, trotz dieser Fehler, welche ich selbst leichter rügen als verbessern kann, dem Leser doch einen Teil des Genusses gewähren, welchen ein empfänglicher Sinn in der unmittelbaren Anschauung findet. Da dieser Genuß mit der Einsicht in den inneren Zusammenhang der Naturkräfte vermehrt wird, so sind jedem Aufsatz wissenschaftliche Erläuterungen und Zusätze beigefügt.
Überall habe ich auf den ewigen Einfluß hingewiesen, welchen die physische Natur auf die moralische Stimmung der Menschheit und auf ihre Schicksale ausübtII. Bedrängten Gemütern sind diese Blätter vorzugsweise gewidmet. „Wer sich herausgerettet aus der stürmischen Lebenswelle“, folgt mir gern in das Dickicht der Wälder, durch die unabsehbare Steppe und auf den hohen Rücken der Andenkette. Zu ihm spricht der weltrichtende Chor:
Auf den Bergen ist Freiheit! Der Hauch der Grüfte
Steigt nicht hinauf in die reinen Lüfte;
Die Welt ist vollkommen überall,
Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner QualIII.
I | „Behandlung naturhistorischer Gegenstände“: Schon Kant hatte in seiner ›Physischen Geographie‹ diesen Ausdruck beanstandet, da er nicht, wie nun allerdings bei Humboldt, wirklicher Entwicklungsgeschichte im genetischen Sinn entspräche. Hierzu auch Wolf Lepenies: Das Ende der Naturgeschichte. München 1976. |
II | „den ewigen Einfluß …, welchen die physische Natur auf die moralische Stimmung der Menschheit ausübt“: 1793 wird erstmals erweisbar, daß dem jungen A. V. Humboldt ein regelrecht geodeterministisches Programm vorgeschwebt haben muß. Obwohl dieses im Rahmen der sich entfaltenden säkularisierten Wissenschaft als Fortschritt gelten muß, hat Humboldt nicht an ihm festgehalten wegen zu großer empirischer Beweisnot. Hier kehrt es noch einmal in abgeschwächter Form wieder, ohne je die Hauptrolle in einem insgesamt empirischen Text spielen zu können. |
III | „Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual“: Aus Friedrich v. Schiller: Die Braut von Messina, 4. Aufzug, 7. Auftritt, Worte des Chors. Das kurz zuvor von Humboldt zitierte „Wer sich herausgerettet aus der stürmischen Lebenswelle“ ist freie Handhabung des gleichen Textes. Bei Schiller heißt es: Und auch der hat sich wohl gebettet,Der aus der stürmischen Lebenswelle,Zeitig gewarnt, sich heraus gerettetIn des Klosters friedliche Zelle. |