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Vorrede zur zweiten und dritten Ausgabe

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Die zwiefache Richtung dieser Schrift (ein sorgsames Bestreben, durch lebendige Darstellungen den Naturgenuß zu erhöhen, zugleich aber nach dem dermaligen Stand der Wissenschaft die Einsicht in das harmonische Zusammenwirken der Kräfte zu vermehren) ist in der Vorrede zur ersten Ausgabe fast vor einem halben Jahrhundert bezeichnet worden. Es sind damals schon die mannigfaltigen Hindernisse angegeben, welche der ästhetischen Behandlung großer Naturszenen entgegenstehen. Die Verbindung eines literarischen und eines rein szientifischen Zweckes, der Wunsch, gleichzeitig die Phantasie zu beschäftigen und durch Vermehrung des Wissens das Leben mit Ideen zu bereichern, machen die Anordnung der einzelnen Teile und das, was als Einheit der Komposition gefordert wird, schwer zu erreichen. Trotz dieser ungünstigen Verhältnisse hat das Publikum der unvollkommenen Ausführung meines Unternehmens dauernd ein nachsichtsvolles Wohlwollen geschenkt.

Die zweite Ausgabe der ›Ansichten der Natur‹ habe ich in Paris im Jahr 1826 besorgt. Zwei Aufsätze: ein ›Versuch über den Bau und die Wirkungsart der Vulkane in den verschiedenen Erdstrichen‹, und die ›Lebenskraft oder der rhodische Genius‹, wurden damals zuerst beigefügt. Schiller, in jugendlicher Erinnerung an seine medizinischen Studien, unterhielt sich während meines langen Aufenthalts in Jena gern mit mir über physiologische Gegenstände. Meine Arbeit über die Stimmung der gereizten Muskel- und NervenfaserI durch Berührung mit chemisch verschiedenen Stoffen gab oft unseren Gesprächen eine ernstere Richtung. Es entstand in jener Zeit der kleine Aufsatz von der Lebenskraft. Die Vorliebe, welche Schiller für den „rhodischen Genius“ hatte, den er in seine Zeitschrift der ›Horen‹ aufnahm, gab mir den Mut, ihn wieder abdrucken zu lassen. Mein Bruder berührt in einem Brief, welcher erst vor kurzem gedruckt worden ist (Wilhelm von Humboldt’s Briefe an eine Freundin, T. II, S. 39), mit Zartheit denselben Gegenstand, setzt aber treffend hinzu: „Die Entwicklung einer physiologischen Idee ist der Zweck des ganzen Aufsatzes. Man liebte in der Zeit, in welcher derselbe geschrieben ist, mehr, als man jetzt tun würde, solche halbdichterische Einkleidungen ernsthafter Wahrheiten.“

Es ist mir noch im achtzigsten Jahre die Freude geworden, eine dritte Ausgabe meiner Schrift zu vollenden und dieselbe nach den Bedürfnissen der Zeit ganz umzuschmelzen. Fast alle wissenschaftlichen Erläuterungen sind ergänzt oder durch neue, inhaltsreichere ersetzt worden. Ich habe gehofft, den Trieb zum Studium der Natur dadurch zu beleben, daß in dem kleinsten Raume die mannigfaltigsten Resultate gründlicher Beobachtung zusammengedrängt, die Wichtigkeit genauer numerischer Angaben und ihrer sinnigen Vergleichung untereinander erkannt und dem dogmatischen Halbwissen wie der vornehmen Zweifelsucht gesteuert werde, welche in den sogenannten höheren Kreisen des geselligen Lebens einen langen Besitz haben.

Die Expedition, die ich in Gemeinschaft mit Ehrenberg und Gustav Rose auf Befehl des Kaisers von Rußland im Jahr 1829 in das nördliche Asien (in den Ural, den Altai und an die Ufer des Kaspischen Meeres) gemacht, fällt zwischen die Epochen der 2. und 3. Ausgabe meines Buches. Sie hat wesentlich zur Erweiterung meiner Ansichten beigetragenII in allem, was die Gestaltung der Bodenfläche, die Richtung der Gebirgsketten, den Zusammenhang der Steppen und Wüsten, die geographische Verbreitung der Pflanzen nach gemessenen Temperatur-Einflüssen betrifft. Die Unkenntnis, in welcher man so lange über die zwei großen schneebedeckten Gebirgszüge zwischen dem Altai und dem Himalaja, über den Thian-schan und den Kuen-lun, gewesen ist, hat bei der ungerechten Vernachlässigung chinesischer QuellenIII die Geographie von Inner-Asien verdunkelt und Phantasien als Resultate der Beobachtung in vielgelesenen Schriften verbreitet. Seit wenigen Monaten sind fast unerwartet der hypsometrischen Vergleichung der kulminierenden Gipfel beider Kontinente wichtige und berichtigende Erweiterungen hinzugekommen, deren Kunde zuerst in der nachfolgenden Schrift (Bd. I, S. 38) hat gegeben werden können. Die von früheren Irrtümern befreiten Höhenbestimmungen zweier Berge in der östlichen Andenkette von Bolivia, des Sorata und Illimani, haben dem Chimborazo seinen alten Rang unter den Schneebergen des Neuen Kontinents mit Gewißheit noch nicht ganz wieder erteilt, während im Himalaja die neue trigonometrische Messung des Kantschendschinga 26.438 Pariser Fuß [8586m] diesem Gipfel den nächsten Platz nach dem, nun ebenfalls trigonometrisch genauer gemessenen Dhaulagiri [8172 m] einräumt.IV

Um die numerische Gleichförmigkeit mit den zwei vorigen Ausgaben der ›Ansichten der Natur‹ zu bewahren, sind die Temperatur-Angaben in diesem Werke, wenn nicht das Gegenteil bestimmt ausgesprochen ist, in Graden des 80theiligen Réaumurschen Thermometers ausgedrückt. Das Fußmaß ist das altfranzösische, in welchem die Toise 6 Pariser Fuß zählt. Die Meilen sind geographische, deren 15 auf einen Äquatorialgrad gehen. Die Längen sind vom ersten Meridian der Pariser Sternwarte gerechnet.

Berlin, im März 1849

I Die › Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser nebst Vermuthungen über den chemischen Process des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt (2 Bde. Posen u. Berlin 1797) waren das umfangreichste Werk des jungen Humboldt.
II „Sie hat wesentlich zur Erweiterung meiner Ansichten beigetragen“: Hier äußert sich A. v. Humboldt selbst unmißverständlich über den Wert seiner Reise nach Rußland 1829, einer Meinung, der Adolf Meyer-Abich grundlos widersprochen hat; hierzu Hanno Beck: Alexander von Humboldts Reise durchs Baltikum, nach Rußland und Sibirien. 2. verb. Aufl. Stuttgart 1984, S. 10, 174, 186.
III „Vernachlässigung chinesischer Quellen“: Sie wurden von Humboldt und den mit ihm befreundeten Sinologen geographisch überschätzt; so war etwa die Reliefkenntnis chinesischer Geographen recht bescheiden, vor allem fehlten klare hypsometrische Vorstellungen.
IV In Wirklichkeit sind Sorata [6550 m] und Illimani [6882 m] höher als der Chimborazo [6310 m], während der Kantschendschinga, wie oben in eckigen Klammern angegeben, höher als der Dhalaugiri ist. Aus dem Text ergibt sich die zeitgenössische Unsicherheit der Meßwerte, die selbst gegenwärtig oft noch, wenn auch nicht in dieser krassen Weise, besteht und vermutlich erst in der nächsten Zukunft ausgeglichen werden wird. So geben zwei Atlanten aus einem Verlagshaus 1974 u. 1985 die Höhe des Illimani mit 6882 bzw. mit 6322 m an.
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