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Vorrede zur ersten Ausgabe
ОглавлениеSchüchtern übergebe ich dem Publikum eine Reihe von Arbeiten, die im Angesicht großer Naturgegenstände, auf dem Ozean, in den Wäldern des Orinoco, in den Steppen von Venezuela, in der Einöde peruanischer und mexikanischer Gebirge entstanden sind. Einzelne Fragmente wurden an Ort und Stelle niedergeschrieben und nachmals nur in ein Ganzes zusammengeschmolzen. Überblick der Natur im Großen, Beweis von dem Zusammenwirken der Kräfte, Erneuerung des Genusses, welchen die unmittelbare Ansicht der Tropenländer dem fühlenden Menschen gewährt, sind die Zwecke, nach denen ich strebe. Jeder Aufsatz sollte ein in sich geschlossenes Ganzes ausmachen, in allen sollte eine und dieselbe Tendenz sich gleichmäßig aussprechen. Diese ästhetische Behandlung naturhistorischer GegenständeXII hat, trotz der herrlichen Kraft und der Biegsamkeit unserer vaterländischen Sprache, große Schwierigkeiten der Komposition. Reichtum der Natur veranlaßt Anhäufung einzelner Bilder, und Anhäufung stört die Ruhe und den Totaleindruck des Gemäldes. Das Gefühl und die Phantasie ansprechend, artet der Stil leicht in eine dichterische Prosa aus. Diese Ideen bedürfen hier keiner Entwicklung, da die nachstehenden Blätter mannigfaltige Beispiele solcher Verirrungen, solchen Mangels an Haltung darbieten.
Mögen meine ›Ansichten der Natur‹, trotz dieser Fehler, welche ich selbst leichter rügen als verbessern kann, dem Leser doch einen Teil des Genusses gewähren, welchen ein empfänglicher Sinn in der unmittelbaren Anschauung findet. Da dieser Genuß mit der Einsicht in den inneren Zusammenhang der Naturkräfte vermehrt wird, so sind jedem Aufsatz wissenschaftliche Erläuterungen und Zusätze beigefügt.
Überall habe ich auf den ewigen Einfluß hingewiesen, welchen die physische Natur auf die moralische Stimmung der Menschheit und auf
Die südamerikanische Steppe, die Llanos, haben von Osten gegen Westen gemessen eine dreimal geringere Ausdehnung als die afrikanischen Wüsten. Jene empfangen den tropischen Seewind; diese, unter einem Breitenzirkel mit Arabien und dem südlichen Persien gelegen, werden von Luftschichten berührt, die über heiße, wärmestrahlende Kontinente hinwehen. Auch hat bereits der ehrwürdige, langverkannte Vater der Geschichte, Herodot, im echten Sinn einer großen Naturansicht, alle Wüsten in Nordafrika, in Jemen, Kerman und Mekran (Gedrosia der Griechen), ja bis Multan in Vorderindien hin, als einziges zusammenhängendes Sandmeer21 geschildert.
Zu der Wirkung heißer Landwinde gesellt sich in Afrika, so weit wir es kennen, noch der Mangel an großen Flüssen, an Wasserdampf aushauchenden, kälteerregenden Wäldern und hohen Gebirgen. Mit ewigem Eise bedeckt ist bloß der westliche Teil des Atlas22, dessen schmales Bergjoch, seitwärts gesehen, den alten Küstenfahrern wie eine einzelne stehende luftige Himmelsstütze erschien. Östlich läuft das Gebirge bis gegen Dakul hin, wo, jetzt in Schutt versunken, das meergebietende Carthago lag. Als langgedehnte Küstenkette, als gätulische [nach antikem Volk südlich des Atlas] Vormauer, hält es die kühlen Nordwinde und mit ihnen die aus dem Mittelmeere aufsteigenden Dämpfe zurück.
Über die untere Schneegrenze erhaben, dachte man sich einst das Mondgebirge, Djebel al-Komr23, von welchem man fabelte, daß es einen Bergparallel zwischen dem afrikanischen Quito, der hohen Ebene von Habesch, und den Quellen des Senegal bilde. Selbst die Kordillere von Lupata, die sich an der östlichen Küste von Mozambique und Monomotapa wie die Andenkette an der westlichen Küste von Peru hinzieht, ist in dem goldreichen Machinga und Mocanga mit ewigem Eis bedeckt. Aber diese wasserreichen Gebirge liegen weit entfernt von der ungeheuren Wüste, welche sich von dem südlichen Abfall des Atlas bis an den östlich fließenden Niger erstreckt.
Vielleicht wären alle diese aufgezählten Ursachen der Dürre und Wärme nicht hinlänglich, so beträchtliche Teile der afrikanischen Ebenen in ein furchtbares Sandmeer zu verwandeln, hätte nicht irgendeine Naturrevolution, z.B. der einbrechende Ozean, einst diese flache Gegend ihrer Pflanzendecke und der nährenden Dammerde beraubt. Wann diese Erscheinung sich zutrug, welche Kraft den Einbruch bestimmte, ist tief in das Dunkel der Vorzeit gehüllt. Vielleicht war sie Folge des großen Wirbels24, welcher die wärmeren mexikanischen Gewässer über die Bank von Neufundland an den alten Kontinent treibt, und durch welche westindische Kokosnüsse und andere Tropenfrüchte nach Irland und Norwegen gelangen. Wenigstens ist ein Arm dieses Meeresstroms noch gegenwärtig von den Azoren an gegen Südosten gerichtet und schlägt, dem Schiffer Unheil bringend, an das westliche Dünenufer von Afrika. Auch zeigen alle Meeresküsten (ich erinnere an die peruanischen zwischen Amotape und Coquimbo), wie Jahrhunderte, ja vielleicht Jahrtausende, vergehen, bevor in heißen regenlosen Erdstrichen, wo weder Lecideen noch andere Flechten25 keimen, der bewegliche Sand den Kräuterwurzeln einen sicheren Standort zu gewähren vermag.
Diese Betrachtungen genügen, um zu erklären, warum trotz der äußeren Ähnlichkeit der Länderform Afrika und Südamerika doch die abweichendsten klimatischen Verhältnisse, den verschiedensten Vegetationscharakter darbieten. Ist aber auch die südamerikanische Steppe mit einer dünnen Rinde fruchtbarer Erde bedeckt, wird sie auch periodisch durch Regengüsse getränkt und dann mit üppig aufschießendem Grase geschmückt, so hat sie doch die angrenzenden Völkerstämme nicht reizen können, die schönen Bergtäler von Caracas, das Meeresufer und die Flußwelt des Orinoco zu verlassen, um sich in dieser baum- und quellenleeren Einöde zu verlieren. Daher ward die Steppe bei der Ankunft europäischer und afrikanischer Ansiedler fast menschenleer gefunden.
Allerdings sind die Llanos zur Viehzucht geeignet; aber die Pflege milchgebender Tiere 26 war den ursprünglichen Einwohnern des Neuen Kontinents fast unbekannt. Kaum wußte einer der amerikanischen Völkerstämme die Vorteile zu benutzen, welche die Natur auch in dieser Hinsicht ihnen dargeboten hatte. Die amerikanische Menschenrasse (eine und dieselbe von 65° nördlicher bis 55° südlicher Breite, die Eskimos etwa abgerechnet) ging vom Jagdleben nicht durch die Stufe des Hirtenlebens zum Ackerbau über. Zwei Arten einheimischer Rinder weiden in den Grasfluren von Westkanada, in Quivira, wie um die kolossalen Trümmer der Azteken-BurgXIII, welche (ein amerikanisches Palmyra) sich verlassen in der Einöde am Gila-Flusse erhebt. Ein langhörniges Mufflon, ähnlich dem sogenannten Stammvater des Schafes, schwärmt auf den dürren und nackten Kalkfelsen von Kalifornien umher. Der südlichen Halbinsel sind die Vicuñas, Guanacos, Alpacas und Lamas eigentümlich. Aber von diesen nutzbaren Tieren haben nur die ersten zwei Jahrtausende lang ihre natürliche Freiheit bewahrt. Genuß von Milch und Käse ist, wie der Besitz und die Kultur mehlreicher Grasarten27, ein charakteristisches Unterscheidungszeichen der Nationen des Alten Weltteils.
Sind daher von diesen einige Stämme durch das nördliche Asien auf die Westküste von Amerika übergegangen und haben sie kälteliebend 28 den hohen Andenrücken gegen Süden verfolgt, so muß diese Wanderung auf Wegen geschehen sein, auf welchen weder Herden noch Cerealien den neuen Ankömmling begleiten konnten. Sollte vielleicht, als das lang erschütterte Reich der Hiongnu zerfiel, das Fortwälzen dieses mächtigen Stammes auch im Nordosten von China und Korea Völkerzüge veranlaßt haben, bei denen gebildete Asiaten in den Neuen Kontinent übergingen? Wären diese Ankömmlinge Bewohner von Steppen gewesen, in denen Ackerbau nicht betrieben wird, so würde diese gewagte, durch Sprachvergleichung bisher wenig begünstigte Hypothese wenigstens den auffallenden Mangel der eigentlichen Cerealien in Amerika erklären. Vielleicht landete an den Küsten von Neu-Kalifornien, durch Stürme verschlagen, eine von jenen asiatischen Priester-Kolonien, welche mystische Träumereien zu fernen Seefahrten veranlaßten und von denen die Bevölkerungsgeschichte von Japan29 zur Zeit der Thsinschi-huang-tiXIV ein denkwürdiges Beispiel liefert.
Blieb demnach das Hirtenleben, diese wohltätige Mittelstufe, welche nomadische Jägerhorden an den grasreichen Boden fesselt und gleichsam zum Ackerbau vorbereitet, den Urvölkern Amerikas unbekanntXV, so liegt in dieser Unbekanntschaft selbst der Grund von der Menschenleere der südamerikanischen Steppen. Um so freier haben sich in ihr die Naturkräfte in mannigfaltigen Tiergestalten entwickelt: Frei, und nur durch sich selbst beschränkt wie das Pflanzenleben in den Wäldern am Orinoco, wo der Hymenäe und dem riesenstämmigen Lorbeer nie die verheerende Hand des Menschen, sondern nur der üppige Andrang schlingender Gewächse droht. Agutis, kleine buntgefleckte Hirsche, gepanzerte Armadille, welche rattenartig den Hasen in seiner unterirdischen Höhle aufschrecken, Herden von trägen Chiguiren, schön gestreifte Viverren, welche die Luft verpesten, der große ungemähnte Löwe, buntgefleckte Jaguare (meist Tiger genannt), die den jungen selbsterlegten Stier auf einen Hügel zu schleppen vermögen: – Diese und viele andere Tiergestalten30 durchirren die baumlose Ebene.
Fast nur ihnen bewohnbar, hätte sie keine der nomadischen Völkerhorden, die ohnedies (nach asiatisch-indischer Art) die vegetabilische Nahrung vorziehen, fesseln können, stände nicht hier und da die Fächerpalme, MauritiaXVI, zerstreut umher. Weit berühmt sind die Vorzüge dieses wohltätigen Lebensbaumes. Er allein ernährt am Ausflusse des Orinoco, nördlich der Sierra de Imataca, die unbezwungene Nation der Guaraunen31. Als sie zahlreicher und zusammengedrängt waren, erhoben sie nicht bloß ihre Hütten auf abgehauenen Palmenpfosten, die ein horizontales Tafelwerk als Fußboden trugen; sie spannten auch (so geht die Sage) Hängematten, aus den Blattstielen der Mauritia gewebt, kunstvoll von Stamm zu Stamm, um in der Regenzeit, wenn das Delta überschwemmt ist, nach Art der Affen auf den Bäumen zu leben. Diese schwebenden Hütten wurden teilweise mit Letten bedeckt. Auf der feuchten Unterlage schürten die Weiber zu häuslichem Bedürfnis Feuer an. Wer bei Nacht auf dem Flusse vorüberfuhr, sah die Flammen reihenweise auflodern, hoch in der Luft, von dem Boden getrennt. Die Guaraunen verdanken noch jetzt die Erhaltung ihrer physischen und vielleicht selbst ihrer moralischen Unabhängigkeit dem lockeren, halbflüssigen Moorboden, über den sie leichtfüßig fortlaufen, und ihrem Aufenthalt auf den Bäumen: einer hohen Freistatt, zu der religiöse Begeisterung wohl nie einen amerikanischen Styliten32 leiten wird.
Aber nicht bloß sichere Wohnung, auch mannigfaltige Speise gewährt die Mauritia. Ehe auf der männlichen Palme die zarte Blütenscheide ausbricht, und nur in dieser Periode der Pflanzen-Metamorphose, enthält das Mark des Stammes ein sagoartiges Mehl, welches, wie das Mehl der Jatropha-Wurzel, in dünnen brotähnlichen Scheiben gedörrt wird. Der gegorene Saft des Baumes ist der süße, berauschende Palmwein der Guaraunen. Die engschuppigen Früchte, welche rötlichen Tannenzapfen gleichen, geben wie Pisang und fast alle Früchte der Tropenwelt eine verschiedenartige Nahrung: Je nachdem man sie nach völliger Entwicklung ihres Zuckerstoffes oder früher im mehlreichen Zustande genießt. So finden wir auf der untersten Stufe menschlicher Geistesbildung (gleich dem Insekt, das auf einzelne Blütenteile beschränkt ist) die Existenz eines ganzen Völkerstammes an fast einen einzigen Baum gefesselt.
Seit der Entdeckung des Neuen Kontinents sind die Ebenen (Llanos) dem Menschen bewohnbar geworden. Um den Verkehr zwischen der Küste und der Guyana (dem Orinoco-Lande) zu erleichtern, sind hier und da Städte33 an den Steppenflüssen erbaut. Überall hat Viehzucht in dem unermeßlichen Raum begonnen. Tagereisen voneinander entfernt, liegen einzelne mit Rindsfellen gedeckte, aus Schilf und Riemen geflochtene Hütten. Zahllose Scharen verwilderter Stiere, Pferde und Maulesel (man schätzte sie zur friedlichen Zeit meiner Reise noch auf anderthalb Millionen Köpfe) schwärmen in der Steppe umher. Die ungeheure Vermehrung dieser Tiere der alten Welt ist um so bewundernswürdiger, je mannigfaltiger die Gefahren sind, mit denen sie in diesen Erdstrichen zu kämpfen haben.
Wenn unter dem senkrechten Strahl der nie bewölkten Sonne die verkohlte Grasdecke in Staub zerfallen ist, klafft der erhärtete Boden auf, als wäre er von mächtigen Erdstößen erschüttert. Berühren ihn dann entgegengesetzte Luftströme, deren Streit sich in kreisender Bewegung ausgleicht, so gewährt die Ebene einen seltsamen Anblick. Als trichterförmige Wolken34, die mit ihren Spitzen an der Erde hingleiten, steigt der Sand dampfartig durch die luftdünne, elektrisch geladene Mitte des Wirbels empor: Gleich den rauschenden Wasserhosen, die der erfahrne Schiffer fürchtet. Ein trübes, fast strohfarbiges Halblicht wirft die nun scheinbar niedrigere Himmelsdecke auf die verödete Flur. Der Horizont tritt plötzlich näher. Er verengt die Steppe wie das Gemüt des Wanderers. Die heiße, staubige Erde, welche im nebelartig verschleierten Dunstkreise schwebt, vermehrt die erstickende Luftwärme35. Statt Kühlung führt der Ostwind neue Glut herbei, wenn er über den lang erhitzten Boden hinweht.
Auch verschwinden allmählich die Lachen, welche die gelb gebleichte Fächerpalme vor der Verdunstung schützte. Wie im eisigen Norden die Tiere durch Kälte erstarren, so schlummert hier, unbeweglich, das Krokodil und die Boa-Schlange, tief vergraben in trockenem Letten. Überall verkündet Dürre den Tod; und doch überall verfolgt den Dürstenden im Spiel des gebogenen Lichtstrahls das Trugbild36 des wellenschlagenden Wasserspiegels. Ein schmaler Luftstreifen trennt das ferne Palmengebüsch vom Boden. Es schwebt durch Kimmung [Luftspiegelung] gehoben bei der Berührung ungleich erwärmter und also ungleich dichter Luftschichten. In finstere Staubwolken gehüllt, von Hunger und brennendem Durste geängstigt, schweifen Pferde und Rinder umher: Diese dumpf aufbrüllend, jene mit langgestrecktem Halse gegen den Wind anschnaubend, um durch die Feuchtigkeit des Luftstromes die Nähe einer nicht ganz verdampften Lache zu erraten.
Bedächtiger und verschlagener sucht das Maultier auf andere Weise seinen Durst zu lindern. Eine kugelförmige und dabei vielrippige Pflanze, der Melonen-Kaktus37, verschließt unter seiner stachligen Hülle ein wasserreiches Mark. Mit dem Vorderfuße schlägt das Maultier die Stacheln seitwärts, und wagt es dann erst die Lippen behutsam zu nähern und den kühlen Distelsaft zu trinken. Aber das Schöpfen aus dieser lebendigen vegetabilischen Quelle ist nicht immer gefahrlos; oft sieht man Tiere, welche von Kaktus-Stacheln am Huf gelähmt sind.
Folgt auf die brennende Hitze des Tages die Kühlung der hier immer gleich langen Nacht, so können Rinder und Pferde selbst dann nicht sich der Ruhe erfreuen. Ungeheure Fledermäuse saugen ihnen während des Schlafes vampirartig das Blut aus oder hängen sich an dem Rücken fest, wo sie eiternde Wunden erregen, in welche Moskitos, Hippoboscen und eine Schar stechender Insekten sich ansiedeln. So führen die Tiere ein schmerzvolles Leben, wenn vor der Glut der Sonne das Wasser auf dem Erdboden verschwindet.
Tritt endlich nach langer Dürre die wohltätige Regenzeit ein, so verändert38 sich plötzlich die Szene in der Steppe. Das tiefe Blau des bis dahin nie bewölkten Himmels wird lichter. Kaum erkennt man bei Nacht den schwarzen Raum im Sternbild des südlichen Kreuzes. Der sanfte phosphorartige Schimmer der Magellan-Wolken verlischt. Selbst die scheitelrechten Gestirne des Adlers und des Schlangenträgers leuchten mit zitterndem, minder planetarischem Lichte. Wie ein entlegenes Gebirge erscheint einzelnes Gewölk im Süden, senkrecht aufsteigend am Horizont. Nebelartig breiten allmählich die vermehrten Dünste sich über den Zenit aus. Den belebenden Regen verkündet der ferne Donner.
Kaum ist die Oberfläche der Erde benetzt, so überzieht sich die duftende Steppe mit Kyllingien, mit vielrispigem Paspalum und mannigfaltigen Gräsern. Vom Lichte gereizt, entfalten krautartige Mimosen ihre gesenkt schlummernden Blätter, und begrüßen die aufgehende Sonne, wie der Frühgesang der Vögel und die sich öffnenden Blüten der Wasserpflanzen. Pferde und Rinder weiden nun in frohem Genusse des Lebens. Das hoch aufschießende Gras birgt den schön gefleckten Jaguar. Im sicheren Versteck auflauernd und die Weite des einigen Sprunges vorsichtig messend, erhascht er die vorüberziehenden Tiere, katzenartig wie der asiatische Tiger.
Bisweilen sieht man (so erzählen die Eingeborenen) an den Ufern der Sümpfe den befeuchteten Letten sich langsam und schollenweise erheben39. Mit heftigem Getöse wie beim Ausbruche kleiner Schlammvulkane wird die aufgewühlte Erde hoch in die Luft geschleudert. Wer des Anblicks kundig ist, flieht die Erscheinung; denn eine riesenhafte Wasserschlange oder ein gepanzertes Krokodil steigen aus der Gruft hervor, durch den ersten Regenguß aus dem Scheintode erweckt.
Schwellen nun allmählich die Flüsse, welche die Ebene südlich begrenzen: der Arauca, der Apure und der Payara, so zwingt die Natur dieselben Tiere, welche in der ersten Jahreshälfte auf dem wasserleeren, staubigen Boden vor Durst verschmachteten, als Amphibien zu leben. Ein Teil der Steppe erscheint nun wie ein unermeßliches Binnenwasser40. Die Mutterpferde ziehen sich mit den Füllen auf die höheren Bänke zurück, welche inselförmig über dem Seespiegel hervorragen. Mit jedem Tage verengt sich der trockene Raum. Aus Mangel an Weide schwimmen die zusammengedrängten Tiere stundenlang umher und nähren sich kärglich von der blühenden Grasrispe, die sich über dem braungefärbten gärenden Wasser erhebt. Viele Füllen ertrinken; viele werden von den Krokodilen erhascht, mit dem zackigen Schwanze zerschmettert und verschlungen. Nicht selten bemerkt man Pferde und Rinder, welche, dem Rachen dieser blutgierigen, riesenhaften Eidechsen entschlüpft, die Spur des spitzigen Zahnes am Schenkel tragen.
Ein solcher Anblick erinnert unwillkürlich den ernsten Beobachter an die Biegsamkeit, mit welcher die alles aneignende Natur gewisse Tiere und Pflanzen begabt hat. Wie die mehlreichen Früchte der Ceres, so sind Stier und Roß dem Menschen über den ganzen Erdkreis gefolgt: vom Ganges bis an den Plata-Strom, von der afrikanischen Meeresküste bis zur Gebirgsebene des Antisana, welche höher als der Kegelberg von Teneriffa liegt41. Hier schützt die nordische Birke, dort die Dattelpalme den ermüdeten Stier vor dem Strahl der Mittagssonne. Dieselbe Tiergattung, welche im östlichen Europa mit Bären und Wölfen kämpft, wird unter einem anderen Himmelsstriche von den Angriffen der Tiger und der Krokodile bedroht!
Aber nicht die Krokodile und der Jaguar allein stellen den südamerikanischen Pferden nach, auch unter den Fischen haben sie einen gefährlichen Feind. Die Sumpfwasser von Bera und Rastro42 sind mit zahllosen elektrischen Aalen gefüllt, deren schleimiger, gelbgefleckter Körper aus jedem Teile die erschütternde Kraft nach Willkür aussendet. Diese Gymnoten haben 5 bis 6 Fuß Länge. Sie sind mächtig genug, die größten Tiere zu töten, wenn sie ihre nervenreichen Organe auf einmal in günstiger Richtung entladen. Die Steppenstraße von Uritucu mußte einst verändert werden, weil sich die Gymnoten in solcher Menge in einem Flüßchen angehäuft hatten, daß jährlich vor Betäubung viele Pferde in der Furt ertranken. Auch fliehen alle anderen Fische die Nähe dieser furchtbaren Aale. Selbst den Angelnden am hohen Ufer schrecken sie, wenn die feuchte Schnur ihm die Erschütterung aus der Ferne zuleitetXVII. So bricht hier elektrisches Feuer aus dem Schoße der Gewässer aus.
Ein malerisches Schauspiel gewährt der Fang der Gymnoten. Man jagt Maultiere und Pferde in einen Sumpf, welchen die Indianer eng umzingeln, bis der ungewohnte Lärm die mutigen Fische zum Angriff reizt. Schlangenartig sieht man sie auf dem Wasser schwimmen und sich verschlagen unter den Bauch der Pferde drängen. Von diesen erliegen viele der Stärke unsichtbarer Schläge. Mit gesträubter Mähne, schnaubend, wilde Angst im funkelnden Auge, fliehen andere das tobende Ungewitter. Aber die Indianer, mit langen Bambusstäben bewaffnet, treiben sie in die Mitte der Lache zurück.
Allmählich läßt die Wut des ungleichen Kampfes nach. Wie entladene Wolken zerstreuen sich die ermüdeten Fische. Sie bedürfen einer langen Ruhe und einer reichlichen Nahrung, um zu sammeln, was sie an galvanischer Kraft verschwendet haben. Schwächer und schwächer erschüttern nun allmählich ihre Schläge. Vom Geräusch der stampfenden Pferde erschreckt, nahen sie sich furchtsam dem Ufer, wo sie durch Harpunen verwundet und mit dürrem, nicht leitendem Holz auf die Steppe gezogen werden.
Dies ist der wunderbare Kampf der Pferde und Fische. Was unsichtbar die lebendige Waffe dieser Wasserbewohner ist, was durch die Berührung feuchter und ungleicher Teile43 erweckt in allen Organen der Tiere und Pflanzen umtreibt, was die weite Himmelsdecke donnernd entflammt, was Eisen an Eisen bindet und den stillen wiederkehrenden Gang der leitenden Nadel lenkt: Alles, wie die Farbe des geteilten Lichtstrahls, fließt aus einer Quelle; alles schmilzt in eine ewige, allverbreitete Kraft zusammen.
Ich könnte hier den gewagten Versuch eines Naturgemäldes der Steppe schließen. Aber wie auf dem Ozean die Phantasie sich gern mit den Bildern ferner Küsten beschäftigt, so werfen auch wir, ehe die große Ebene uns entschwindet, vorher einen flüchtigen Blick auf die Erdstriche, welche die Steppe begrenzen.
Afrikas nördliche Wüste scheidet die beiden Menschenarten, welche ursprünglich demselben Weltteil angehören und deren unausgeglichener Zwist so alt wie die Mythe von Osiris und Typhon44 scheint. Nördlich vom Atlas wohnen schlicht- und langhaarige Völkerstämme von gelber Farbe und kaukasischer Gesichtsbildung. Dagegen leben südlich vom Senegal, gegen den Sudan hin, Negerhorden, die auf mannigfaltigen Stufen der Zivilisation gefunden werden. In Mittelasien ist durch die mongolische Steppe sibirische Barbarei von der uralten Menschenbildung auf der Halbinsel von Hindostan [Indien] getrennt.
Auch die südamerikanischen Ebenen begrenzen das Gebiet europäischer Halbkultur45. Nördlich, zwischen der Gebirgskette von Venezuela und dem Antillen-Meere, liegen gewerbsame Städte, reinliche Dörfer und sorgsam bebaute Fluren aneinander gedrängt. Selbst Kunstsinn, wissenschaftliche Bildung und die edle Liebe zu Bürgerfreiheit sind längst darinnen erwacht.
Gegen Süden umgibt die Steppe eine schaudervolle Wildnis. Tausendjährige Wälder, ein undurchdringliches Dickicht erfüllen den feuchten Erdstrich zwischen dem Orinoco und dem Amazonenstrom. Mächtige, bleifarbige46 Granitmassen verengen das Bett der schäumenden Flüsse. Berge und Wälder hallen wider von dem Donner der stürzenden Wasser, von dem Gebrüll des tigerartigen Jaguar, von dem dumpfen, regenverkündenden47 Geheul der bärtigen Affen.
Wo der seichte Strom eine Sandbank übrigläßt, da liegen mit offenem Rachen, unbeweglich wie Felsstücke hingestreckt, oft bedeckt mit Vögeln48, die ungeschlachten Körper der Krokodile. Den Schwanz um einen Baumast befestigt, zusammengerollt, lauert am Ufer ihrer Beute gewiß die schachbrett-fleckige Boa-Schlange. Schnell entrollt und vorgestreckt, ergreift sie in der Furt den jungen Stier oder das schwächere Wildbret und zwängt den Raub, in Geifer gehüllt, mühsam durch den schwellenden49 Hals.
In dieser großen und wilden Natur leben mannigfaltige Geschlechter der Menschen. Durch wunderbare Verschiedenheit der Sprachen gesondert, sind einige nomadisch, dem Ackerbau fremd, Ameisen, Gummi und Erde genießend50, ein Auswurf der Menschheit (wie die Otomaken und Jaruren); andere angesiedelt, von selbsterzielten Früchten genährt, verständig und sanfterer Sitten (wie die Maquiritarer und Macos). Große Räume zwischen dem Cassiquiare und dem Atabapo sind nur vom Tapir und von geselligen Affen, nicht von Menschen bewohnt. In Felsen gegrabene Bilder51 beweisen, daß auch diese Einöde einst der Sitz höherer Kultur war. Sie zeugen für die wechselnden Schicksale der Völker –, wie es auch die ungleich entwickelten, biegsamen Sprachen tun, welche zu den ältesten und unvergänglichsten historischen Denkmälern der Menschheit gehören.
Wenn aber in der Steppe Tiger und Krokodile mit Pferden und Rindern kämpfen, so sehen wir an ihrem waldigen Ufer in den Wildnissen der Guyana ewig den Menschen gegen den Menschen gerüstet. Mit unnatürlicher Begier trinken hier einzelne Völkerstämme das ausgesogene Blut ihrer Feinde; andere würgen, scheinbar waffenlos und doch zum Morde vorbereitet52, mit vergiftetem Daumennagel. Die schwächeren Horden, wenn sie das sandige Ufer betreten, vertilgen sorgsam mit den Händen die Spur ihrer schüchternen Tritte.
So bereitet der Mensch auf der untersten Stufe tierische Roheit, so im Scheinglanze seiner höheren Bildung sich stets ein mühevolles Leben. So verfolgt den Wanderer über den weiten Erdkreis, über Meer und Land, wie den Geschichtsforscher durch alle Jahrhunderte das einförmige, trostlose Bild des entzweiten Geschlechts.
Darum versenkt, wer im ungeschlichteten Zwist der Völker nach geistiger Ruhe strebt, gern den Blick in das stille Leben der Pflanzen und in der heiligen Naturkraft inneres Wirken oder, hingegeben dem angestammten Triebe, der seit Jahrtausenden der Menschen Brust durchglüht, blickt er ahnungsvoll aufwärts zu den hohen Gestirnen, welche in ungestörtem Einklang die alte, ewige Bahn vollenden.