Читать книгу Der Rote Kolibri - Alexander Jordis-Lohausen - Страница 4
Prolog
ОглавлениеIch sei ein Feind des Volkes, sagten sie, als die laute, bunte Horde aus der Stadt hinauf ins Schloss kam. Fast wie Seeräuber sahen sie aus. Und in meinem Munde ist das immer noch ein Kompliment.
Ja, ich sei ein Feind des Volkes, sagten sie, und Volksfeinde müssten ausgemerzt werden. Die Bauern von unseren Gütern kamen zuhauf, und wollten mich verteidigen, aber ich habe es ihnen verboten. Ich wollte nicht, dass sie für mich ihr Leben aufs Spiel setzen. Aber sie wären dazu bereit gewesen.
Verhandeln wollten sie dann mit dieser Horde, sie aufklären, dass ich immer ein Freund des Volkes gewesen sei. Aber die Schergen des Bürgers Fouché 1 wussten alles besser. Sie hätten Beweise, sagten sie. Und ich wohne ja schließlich in einem Schloss. So kam ich ins Gefängnis. Und dann vor das Revolutionstribunal.
„Man sagt, du seiest selbst Revolutionär. Ist das richtig?“ fragten sie mich.
„Ich habe mein Leben lang gegen Unfreiheit und Ungerechtigkeit gekämpft, auch gegen die, die im alten Königreich geherrscht hat. Denn dort stand nicht immer alles zum Besten. Wenn Ihr das Revolutionär nennt, dann bin ich wohl einer!“ erwiderte ich ihnen.
„Und was hälst du dann von unserer glorreichen Revolution?“ wollten sie wissen.
„Ich weiß nicht allzu viel darüber. Ich weiß nur, dass ihr mit einer neuen Brüderlichkeit das erneuern wollt, was alt und morsch geworden ist. Und das ist gut. Ich habe jahrelang in einer Bruderschaft gelebt und weiß wie fruchtbar sie sein kann, sofern alle guten Willens sind. Auch wollt ihr Freiheit für alle. Auch das ist gut, doch manchmal schwierig. Denn ist die Freiheit des einen nicht allzu oft die Unfreiheit des anderen? Und schließlich strebt ihr an, daß alle Menschen gleich werden. Ich habe lange nach Gleichheit gesucht, aber meist nur Neid, Gier und Hass gefunden. Ist Gleichheit nicht vielleicht doch nur eine schöne Utopie? Aber……“ und ich wollte ihnen sagen, dass trotz alle dem ihre Revolution vielleicht zu einem glücklicheren Leben für alle führe. Aber sie ließen mich nicht ausreden. Sie schrien wild durcheinander:
„Hört ihr! Hört ihr! Gleichheit eine Utopie! Er verrät sich ja selbst! Wir wussten es ja von vorn herein! Du bist ein Volksfeind und du bist zum Tode verurteilt!“
Ich bin nun schon fast fünfundneunzig Jahre alt. Und ich bin dankbar für alles, was das Leben mir geschenkt hat. Auch glaube ich, dass ich die Aufgaben, die es mir gestellt hat, so gut ich es vermochte, erfüllt habe. Es war eine reiche Zeit.
So ist es auch nicht mehr wichtig, dass ich nun im Gefängnis sitze. Doch bin ich froh, dass meine liebe, kluge Maya schon lange nicht mehr am Leben ist und ihr dies Schicksal erspart geblieben ist. Für mich ist es nicht mehr wesentlich.
Wenn ich in der kurzen Zeit, die mir noch bleibt, nun versuche meine Lebensgeschichte zu
Papier zu bringen, so geschieht das nicht, um mich vor meinen Henkern zu rechtfertigen. Das brauche ich nicht. Nein, ich tue es in der Absicht, dass meine Söhne, die hoffentlich in Sicherheit sind, vielleicht einmal diese Zeilen lesen werden, wenn ich schon lange tot bin. Und vielleicht auch ihre Kinder und Kindeskinder. Denn ist nicht fast jeder versucht, weit zurückliegende Begebenheiten am Prüfstein der Gegenwart zu messen und zu vergessen, dass ja jede Zeit ihre eigene Gesinnung hat.