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Kindheit

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Es sind Bilder des Lichts und der Geborgenheit, Erinnerungen an eine glückliche, unbeschwerte Kindheit. Heute kennt niemand mehr den Namen des Dorfes am Mittelmeer, in dem ich sie verlebte. Seine Häuser sind verlassen und verfallen. Nur Möwen nisten noch in den Ruinen. Und doch liegt es nur wenige Meilen von der großen Hafenstadt Marseille entfernt.

Man schrieb das Jahr 1704. In Versailles herrschte noch der alte König Ludwig XIV. Ich war gerade sechs Jahre alt geworden.

Unser Dorf lag wie Schutz suchend an hohe Felsen geschmiegt, die das Land wie eine Tausend-Klafter-Mauer gegen die Brandung aufgebaut hatte. An dieser Stelle ragte auch eine Felszunge schräg ins Meer hinaus und bildete einen natürlichen, kleinen Hafen, der Strand und Dorf und den Booten bei Unwetter Schutz gewährte. Etwa ein Dutzend kleiner Hütten standen dort, aus Stein fest gefügt und mit runden Ziegeln gedeckt. Ihre Türen und Fenster waren blau, grün, rot oder gelb angemalt und sahen fröhlich in die Welt hinaus. Wir gehörten, meine Eltern und ich, einer kleinen Gemeinschaft von Fischern an, in der jeder jedem half und aller Gewinn gleich und gerecht verteilt wurde. Das war meine Welt. Dort lebte ich glücklich von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag. Ich kannte und brauchte keine andere. Und über die Zukunft machte ich mir keine Gedanken.

Ich erinnere mich noch lebhaft an jenen Tag, an dem sich alles änderte. Es war ein klarer, sonniger Spätsommermorgen. Doch lag etwas Bedrohliches in der Luft. Gelegentliche starke Böen kündigten an, dass wohl noch vor Ende des Tages ein Sturm zu erwarten sei. Fast alle Frauen und Kinder waren über den schmalen Pfad auf die Felszunge hinausgestiegen, von wo aus sie ihre Männer vom nächtlichen Fischfang zurückerwarteten.

Nur meine Mutter und ich waren zurückgeblieben, denn es war der Tag, an dem sie für die ganze Woche Brot buk. Mutter hatte schon frühmorgens den Teig in einer großen, irdenen Schüssel angerührt und geschlagen, nun stand er mit einem weißen Tuch bedeckt in der Sonne, um zu gehen. Meine Aufgabe war es, am Strand Treibholz zu sammeln, es klein zu machen und in der Feuerstelle aufzuschichten. Unseren einfachen Backofen hatte Vater erdacht, als er seinerzeit unser Häuschen mit Hilfe der anderen Fischer Stein auf Stein zusammenfügte. Die Feuerstelle war durch eine Öffnung in der Außenwand zugänglich und heizte von unten eine Ziegelplatte, über die sich wie eine kleine Kuppel der eigentliche Backofen wölbte, doch der öffnete sich zum Inneren des Hauses hin. So bleiben alle Asche und aller Rauch draußen, und nur der Duft des frisch gebackenen Brotes erfüllte die Stube. Mutter war sehr stolz auf Vaters Erfindung. Einige Fischer hatten sie bei sich sofort nachgeahmt, denn jeder buk sein eigenes Brot.

Um kostbares Holz zu sparen, musste der Ofen zu einer ganz bestimmten Zeit angezündet werden. Weder zu früh noch zu spät durfte er heiß werden. Ich saß also vor dem Feuerloch und wartete auf Mutters Zeichen. „Mach’ Feuer, Sebastian!“ rief sie mir aus dem Hause zu. Ernst, als sei ich der Dorf-Älteste bei einer wichtigen Zeremonie, entzündete ich das trockene Gras, das zu unterst lag. Bald loderte es im Feuerloch und schlug mir heiß entgegen. Jetzt hieß es, das Feuer bei gleichmäßiger Stärke zu unterhalten. Ein Stück Holz nach dem anderem verschwand im feurigen Schlund. Ich hatte meiner Mutter oft genug bei dieser Arbeit geholfen, um zu wissen, wie das Holz zu liegen hatte, um am stärksten zu brennen, wann mit dem ledernen Blasbalg nachzuhelfen, und wie sprühende Funken zu vermeiden seien. „Das ist kein Spiel, Sebastian, das ist Verantwortung!“ hatte Mutter mir immer wieder eingeschärft.

Dass ich dennoch das Gesicht und die Hände bald voller Ruß hatte, war nicht zu ändern und erstaunte niemanden. „Das hast du gut gemacht!“ sagte meine Mutter, als ich nach verrichteter Arbeit in die Stube kam. Ich liebte meine Mutter über alles und hielt sie für die schönste Frau, die es jemals gegeben hat. Sie hatte ein junges, fröhliches Gesicht, und ich glaube, ich hatte sie, trotz unseres harten Lebens, nie traurig gesehen. Ihr langes kastanienrotes Haar glänzte in der Sonne und ihre großen, grünen Augen lachten mich an.

Aber los jetzt! Ins Wasser mit dir! Du siehst ja aus wie ein Schornsteinfeger! Bleib nicht zu lange -- Vater und die anderen werden bald zurück sein.“

Ich lief über den Strand ins Wasser hinein. Kleider hatte ich außer einer kurzen Leinenhose keine und diese wurde bei solchen Gelegenheiten gleich mitgewaschen. Das Hafenbecken war spiegelglatt und klar. Jeden Stein und jede Muschel konnte ich am Grund sehen. Auf den Felsen gegenüber schwenkten die Frauen des Dorfes ihre Tücher. Ich hörte ihre Rufe und wusste, nun würden die Fischerboote bald in den Hafen einfahren. Ich tauchte unter. Das Wasser war erfrischend kühl nach dem heißen Feuer. So gut es ging, wusch ich mir im salzigen Wasser den Ruß und die Asche von der Haut und schwamm dann auf die andere Seite hinüber.

Schwimmen hatte mir Vater schon früh beigebracht. Es war mir nicht schwergefallen, verbrachte ich doch während der Sommermonate fast mehr Zeit im Wasser als am Land. „Ein Fischer muss schwimmen können!“ sagte Vater immer. Er selbst war ein sicherer Schwimmer, was ihm einmal bei einem Schiffbruch das Leben gerettet hatte. Doch auch hier hatte er andere, neuere Ideen als die anderen, insbesondere die älteren Fischer, die dieser Beschäftigung äußerst misstrauten. „Wir sind doch Fischer und keine Fische!“ pflegten sie zu sagen. Mir hatte dieser Ausspruch lange Zeit Angst gemacht. Ich war überzeugt, mir würden Flossen wachsen und ich würde mich nach und nach in einen Fisch verwandeln, wenn ich zu lange im Wasser bliebe.

Doch an jenem Tag bedrückten mich solche Gedanken nicht mehr. Vergnügt schwamm ich quer über die kleine Bucht. Ich war gerade auf die ersten Klippen geklettert, als die kleine Flotte plumper Holzboote mit ihren farbigen Dreieckssegeln in den Hafen einfuhr. Ein vielstimmiger Chor von Rufen und Gegenrufen begleitete die Heimkehrer. Die allgemeine Heiterkeit deutete auf einen reichen Fang. In jedem Boot saßen zwei, manchmal drei Männer. Vater arbeitete mit einem alten Fischer zusammen. Ich winkte ihm zu, aber ich glaube nicht, dass er mich sah. Er war damit beschäftigt, das Segel herunterzulassen und dann das letzte Stück der Fahrt mit einem langen Ruder zu bewältigen.

Inzwischen war das ganze Dorf bei den Booten zusammengelaufen. Die einen klaubten die Fische in große Weidenkörbe, die anderen hängten die Netze auf die Pfosten, die tief in den Sand geschlagen waren. Um vor dem Sturm in Sicherheit zu sein, wurden die Boote dann auf jeweils zwei Rundhölzern hoch auf den Strand hinaufgerollt und dort festgemacht. Überall herrschte Tätigkeit, bei der vom Kind bis zum Greis, jeder seine Aufgabe hatte.

Als alles gerichtet war, trugen die Männer die schweren Körbe voll glänzender Fische hinauf zur kleinen Steinkapelle. Dort stellten sie sich im Halbkreis drum herum und der Dorf-Älteste sprach die heiligen Worte, segnete die Gabe Gottes, und jeder betete sein eigenes Gebet.

Nach der Rückkehr vom Fischfang gab es bei uns zu Hause Frühstück, auf das ich mich immer besonders freute. War der Fang reichlich ausgefallen, durfte Mutter einen Fisch braten, dazu gab es eine Scheibe Brot, das ja heute ganz frisch und heiß aus dem Ofen kam und ein Stück Ziegenkäse.

Da bist du ja, Sebastian.“ rief Vater, als er zum Frühstück heraufkam. Er hob mich mit seinen starken Armen hoch über seinen Kopf in die Luft. Mein Vater hatte ein braun wie Leder gegerbtes Gesicht von blondem Haupthaar und Bart umrahmt. Seine blauen Augen sahen zuversichtlich und neugierig in die Welt. “Solchen Augen und solchen Händen kann man vertrauen.“ pflegte Mutter zu sagen. Ich hatte damals etwas Scheu vor ihm, denn er konnte auch abwesend und unruhig sein, als ob es in seinem Leben etwas gäbe, mit dem er noch nicht ins Reine gekommen war.

Mutter sagt, du hättest gut gearbeitet. Dann darfst du heute auch mit auf den Markt kommen. Du bist jetzt groß genug.“ Bisher war ich nie mitgenommen worden. Ich war sehr stolz, denn der Fischverkauf auf dem Markt in Marseille war nur erfahrenen Männern vorbehalten. Und nun würde auch ich zu dieser auserlesenen Gruppe gehören.

Vom Dorf führte ein Karrenweg durch die Felsen hinauf ins Hinterland. Die Körbe wurden auf mehrere Maulesel geladen und langsam bewegte sich der kleine Zug nach oben. Dort wo man einen weiten Blick nach beiden Seiten über die Steilküste hatte, erreichten wir die Landstraße, die zur Stadt Marseille führte. Die älteren Männer gingen voraus, die Jüngeren führten die Maultiere. Bis in die Stadt war es nicht weit. Wir nahmen den Weg hurtig unter die Füße und eine knappe halbe Stunde später waren wir am gewaltigen Stadttor. Durch den Tumult, der dort herrschte, drängte sich unsere kleine Schar ins Innere. Ich war noch nie in der Stadt gewesen und staunte über die rege Tätigkeit. In den engen Gassen schoben sich vollbeladene Pferdefuhrwerke durch eine dichte Menge, dazwischen Händler mit Handkarren, aber auch Kühe und Schafe – alles strebte dem Markte zu. Kutscher fluchten, Mädchen in bunten Röcken und weißen Blusen, mit Körben am Arm, lachten und spotteten. Machtlose Wachtleute brüllten. Mehr als einmal, stürzte aus der Sicherheit eines offenen Fensters schmutziges Wasser auf die erregten Gemüter hinunter. Das wirkte wie Öl auf brennendes Feuer. Und schließlich der Marktplatz – eine unübersehbare Anzahl von bunten Verkaufsständen und dahinter die überdachte Markthalle. Vater und die anderen Fischer näherten sich zögernd und ich sollte bald erfahren warum.

Ein schmalschulteriger Mann, der Zeck hieß, mit dickem Bauch und klobigem, rotem Gesicht und mit kleinen, bösen Augen trat ihnen mit zwei Knechten entgegen.

Da bin ich heute sogar selbst auf den Markt gekommen und ihr lasst mich zum Dank hier in der Hitze warten!“ schnaubte Zeck. Die Fischer schwiegen.

Zeigt mal her, was ihr da bringt!“ fuhr er fort und untersuchte die Körbe. „Immer dieselbe minderwertige Ware. Könnt ihr denn keine Hummer fangen, keine Langusten?“

Schaut, hier sind die Hummer!“ rief ich und zeigte auf den Korb, in dem sich schwere Scheren träge spreizten. Vater bedeutete mir den Mund zu halten. „Mickriges Kleinzeug!“ erwiderte der dicke Mann verächtlich, wobei ich bis heute nicht weiß, ob er mich damit gemeint hat oder die Hummer.

Da trat der Dorf-Älteste vor. „Wir sind Fischer und keine Krämer. Entweder du nimmst uns die Fische zu einem angemessenen Preis ab, oder wir verkaufen sie woanders. Unsere Ware ist frisch und von guter Qualität wie jedes Mal.“

Versucht doch woanders zu verkaufen!“ lachte das Scheusal höhnisch. „Ihr werdet nicht weit kommen. Immer wieder werdet ihr auf mich stoßen, nicht wahr?“

Wir werden hier unseren eigenen Stand aufmachen!“ rief ein junger Fischer.

Versuch’ es doch, du Grünschnabel! Wer wird dir denn die behördliche Genehmigung dazu geben? Eh?“

Der Bürgermeister wird sie uns geben. Wir werden uns diesmal wirklich beim Bürgermeister beschweren!“ Da lachte das Scheusal so schallend, dass sein Gesicht noch röter wurde und er schrecklich husten musste.

Schluss jetzt mit dem Spaß!“ sagte er streng, als er sich wieder erholt hatte.“ Kommen wir zur Sache, ich habe genug Zeit verloren. Ihr seid vernünftig und haltet Euch an die Regeln, dann wird alles gut gehen, nicht wahr? Ich bestimme den Preis, Ihr liefert die Ware! Vergeßt nicht, ich bin euer Schuldherr für die beiden neuen Fischerboote. Und vergeßt auch die Zinsen nicht! Also ich gebe Euch....“, er schaute rasch über die Körbe „ich gebe Euch dreißig Kupfermünzen für Euren Fang. Und das ist ein guter Preis, nicht wahr?“ Mein Vater sprang vor und stand mit geballten Fäusten vor Zeck.

Dreißig Kupfermünzen? Du beutest uns aus, es ist eine Schande! Willst du uns denn zugrunde richten? Schau dir doch an, wie abgerissen wir aussehen, und unsere Kinder frieren im Winter! Wie sollen wir unsere Boote erhalten und neue Netze kaufen?!“ schrie er ihn an und trat drohend noch einen Schritt näher. So hatte ich meinen Vater noch nie erlebt. Zeck wich zurück und gab seinen beiden Knechten einen kurzen Wink. Als hätten sie nur darauf gewartet, packten diese meinen Vater an den Oberarmen, jeder von einer Seite, hoben ihn in die Höhe und warfen ihn zurück in unsere kleine Schar. Er stürzte rücklings und riss im Sturz zwei der Fischer mit zu Boden. Wir waren alle wie erstarrt vor Entsetzen. Ich selbst stand wie angewurzelt und blickte eine Weile fassungslos bald Zeck, bald meinen Vater an. Dann sprang ich Zeck an und gab ihm mit all meiner Kraft einen Fußtritt ins Schienbein. Doch der dicke Mann stieß mich mit dem Fuß weg, wie man einen lästigen Kater wegstößt.

Nochmals: Schluss jetzt mit dem Spaß! Dreißig Kupfermünzen, nicht wahr!“ sagte er gereizt. Er blieb hart, und die Fischer fügten sich. Es blieb ihnen wohl auch keine andere Wahl. Zeck zahlte ihnen aus seinem prallen Geldsäckel die dreißig Kupfermünzen aus.

Ich hatte eine Gehässigkeit gespürt, die mir unbekannt war, und das Böse, das dieser Mann ausstrahlte, hatte tief in mir etwas ausgelöst. Ob es die Hitze war, die mich schwindlig machte, oder ob Zeck, den ich während des Streites um das Geld genau beobachtet hatte, sich tatsächlich hin und wieder merkwürdig veränderte, ich kann es nicht sagen. Jedes Mal, wenn er besonders ekelhaft war, schien er seine menschlichen Züge zu verlieren. Sein Kopf wurde kantig und er verwandelte sich in ein furchterregendes Insekt mit einem grauslichen Stechrüssel. Das erste Mal rieb ich mir die Augen, und das Bild war verschwunden, um aber gleich darauf wieder aufzutauchen. Ich konnte mir das nicht erklären, aber diese Verwandlung beruhigte mich ein wenig. Ich sagte mir, wenn dieser Zeck wirklich nur ein Insekt ist, so wird man mit ihm genauso fertig werden können wie mit Fliegen und Mücken. Man erschlägt ihn. Man müsste ihn nur erst als Geschmeiß entlarven.

Als ich zu meinem Vater kam, war er schon wieder auf den Beinen, unverletzt, aber ich sah die Wut in seinen Augen. Er strich mir abwesend übers Haar, nahm meine Hand und hielt sie ganz fest in der seinen. Die Fischer teilten wortlos das wenige Geld, das sie erhalten hatten, unter sich auf und gingen dann auf dem Markt, um ihre bescheidenen Einkäufe zu machen: Teer für die Boote, Hanfseile, grobes Segeltuch, etwas Mehl, Salz, Zucker und Schmalz. Aber nicht einmal für das wenige, das sie brauchten, reichte es.

Der Markt faszinierte mich. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Die Fülle von Schätzen ließ mich das Vorgefallene fast vergessen. So stellte ich mir die Höhle des Ali Baba vor, von der Mutter einmal erzählt hatte. Alles gab es dort: Fischereigeräte, Werkzeuge, ebenso wie Lebensmittel, Töpfe mit bunten Gewürzen, farbige Kleidungsstücke. Aber auch Dolche und Pistolen lagen auf den Ladentischen. Ein spitzer Dolch mit einem Elfenbeingriff hatte es mir besonders angetan.

Schau, Vater!“ sagte ich und zupfte ihn am Ärmel.

Ja, Sebastian, lass das, das sind teure Sachen!“ antwortete Vater, sichtlich mit seinen Gedanken woanders. Aber ich ließ mich nicht so leicht abschütteln.

Wenn ich das ganze Jahr den Backofen ordentlich anheize, schenkst du mir dann diesen Dolch?“ fragte ich ihn.

Nein, Sebastian, der ist dir zu nichts gut.“

Bitte, Vater! Schau doch, dann kann ich euch alle beschützen, wenn böse Räuber kommen.“

Lass ab, mein Kleiner, wir haben nicht einmal genug Geld für das Notwendige. Und gegen die Räuber, die uns ausrauben, hilft kein Dolch.“ Ich dachte nach.

Vater, im Dorf haben alle gleich viel. Hat der dicke Mann nicht viel mehr als wir? Warum will er uns dann nicht davon abgeben, wenn er viel mehr hat? Ist das nicht ungerecht?“

Ja, sicher ist es ungerecht, Sebastian. Aber die Welt ist nun mal ungerecht! Daran musst du dich gewöhnen.“ Ich blickte zu ihm hinauf, als er mir mit der Hand über den Kopf fuhr, und sah gerade noch sein wütendes Gesicht, bevor er sich abwendete.

Stumm schritt Vater dem kleinen Trupp voran, der durch die Felsen zum Dorf hinab zog. Vielleicht war er noch wütend, vielleicht aber auch froh, jenes Scheusal mit dem Stechrüssel eine Weile nicht mehr sehen zu müssen und von dem bösen Geist, der ihn beseelte, nicht angesteckt worden zu sein. Oder war er es doch? Oder war ich es vielleicht? Ich hatte Schwierigkeiten alles, was ich erlebt hatte, aus meinen Gedanken zu verscheuchen!

Die ersten Windstöße fegten über das Dorf hinweg und prallten gegen die Felsen. Der Himmel hatte sich verdüstert und über dem Meer zog der Sturm auf. Die Frauen hatten während unserer Abwesenheit die Netze geflickt und abgenommen. Jeder zog sich jetzt in seine Hütte zurück und machte Fenster und Türen dicht.

Als es draußen stürmte und tobte, saßen wir wohlig warm und trocken in unserer Hütte vor dem Kamin und Mutter erzählte uns das uralte Märchen vom Fischer und seiner Frau.

Der Rote Kolibri

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