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»In der Falle« Dienstag, 29. Oktober 2024, 10:00 Uhr. Noch 7 Tage bis zur Wahl.

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Ich war in Trumps Menschenfalle getappt wie in eine Bärenfalle, die sich schmerzhaft tief in mein Fleisch riss und bei jeder Bewegung noch tiefer eindrang. Ich war unfähig, mich zu bewegen, fest im Würgegriff eines Amtes, das von einem größenwahnsinnigen, schweren Narzissten gekapert worden war. Ein Teil des Präsidenten-Apparates führte dessen Befehle sicher nicht gerne aus, doch das Einzige, was für mich zählte, war die Tatsache, dass er es tat.

Seit zwanzig Minuten warteten wir nun schon im Halbdunkel des Flurs. Niemand sprach ein Wort. Eine Uhr an der Wand tickte laut. Ich fragte nach einem Anwalt. „Nicht jetzt“, war die knappe Antwort. Endlich öffnete einer der Beamten die schwere Tür mit einem heftigen Ruck und ich trat, eingerahmt von den Agenten, auf den Hof und atmete tief ein. Ich erinnere mich noch ganz genau an das Wetter an diesem Tag. Es war schwül und heiß, schon am Morgen hatte es fünfundzwanzig Grad gehabt, jetzt waren es sicher über dreißig. Es war ein ungewöhnlich heißer Herbsttag. Ein Wolkenfetzen schob sich vor die Sonne. Die Luft war feucht und stickig. Nicht das kleinste Lüftchen bewegte sich hier unten an diesem grauen und trostlosen Ort.

Die Stimmung war gedrückt, auch die Agenten in ihren dunkelblauen Bomberjacken machten nicht den Eindruck, als wären sie gerne hier. Nur einer von ihnen, ein junger Weißer mit kahlrasiertem Schädel, ich schätzte ihn auf höchstens fünfundzwanzig, hörte nicht auf, mich anzustarren, während seine Kollegen es vorzogen, ins unscharfe Nichts zu blicken. Es war derselbe Agent, der im Auto das Radio eingeschaltet hatte. Noch immer sprach niemand ein Wort, auch der Kahlschädel nicht. Er starrte mich einfach nur an. Ich konnte nicht sagen, was in seinem Kopf vorging. War er überzeugt davon, gerade das Richtige zu tun und seinem Land zu dienen, indem er einen schlechten Menschen (mich!) verhaftet hatte? Oder war er fasziniert, einen dieser mordenden und vergewaltigenden Mexikaner, von denen er durch seinen Präsidenten so viel gehört hatte, endlich mal aus der Nähe zu sehen? Vielleicht war sein regungsloser Blick aber auch einfach Ausdruck seines Nachdenkens über die Situation und seine Rolle darin. Vielleich war er privat ein feiner Kerl.

Bis zu diesem Tag hatte mich in meinem Leben der tiefe Glaube an das Gute in jedem Menschen geleitet. Es waren dieser Glaube und die unerschütterliche Zuversicht, dass ich jede Situation meines Lebens kontrollieren konnte, was mich so stark machte. Doch jetzt spürte ich diese Zuversicht nicht mehr. Sollte ich mich mein ganzes Leben lang geirrt haben?

Ich löste meinen Blick von dem des Agenten und schaute über die Mauer hinter ihm. Dort stand ein großer Baum mit einer dichten grünen Krone. Irgendwo zwischen seinen Blättern musste ein Vogelnest sein. Ich konnte es nicht sehen, doch die Schreie des hungrigen Nachwuchses waren nicht zu überhören – jedes Mal, wenn sich eines der Elterntiere mit einem saftigen Wurm im Schnabel näherte und vorsichtshalber noch eine Runde um den Baum flog, um Feinden nicht das Versteck der Kleinen zu verraten. Ich spürte, dass ich die Luft angehalten hatte, und atmete tief aus.

Die Handschellen schmerzten und machten diese Situation noch unerträglicher. Was hatte ich getan, um diese Behandlung zu verdienen? Welche Gefahr ging von mir aus, dass man mich fesseln und von sechs bewaffneten Beamten bewachen lassen musste? Mein Herz schlug schwer, sehr schwer. Es fühlte sich an, als wäre es mit Stacheldraht umwickelt, der sich mit jedem Schlag tiefer in meinen Lebensmuskel riss und das Blut herauspresste, bis nichts mehr davon übrig war. Mein Nacken brannte heiß, mir wurde schwindelig. Nur mit Mühe hielt ich mich aufrecht und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Das Rasseln eines großen Schlüsselbundes riss mich schließlich aus meinem Gedankenkarussell. Eine schwere schwarze Metalltür wurde langsam von innen geöffnet und einen kleinen Spalt weit aufgeschoben. Was im Raum dahinter lag, konnte ich nicht sehen, denn es war alles schwarz. Nur das unverwechselbare Licht eines Fernsehers flackerte im Dunkel.

Ok, los geht`s”, sagte Barnett, der direkt neben mir stand. Er schien sich nicht nur als Leiter dieser Truppe verantwortlich für mich zu fühlen. Vielmehr hatte ich das Gefühl, er habe Mitleid mit mir. Vielleicht weil er wusste, was hinter dieser Tür auf mich wartete. Eskortiert von sechs FBI-Agenten, mit den Händen auf dem Rücken gefesselt, bewegte ich mich langsam auf die halbgeöffnete Tür zu. Ich holte tief Luft, drückte die Brust durch und nahm mir vor, stark zu sein, was immer mich hinter dieser Tür erwarten würde. Ein Agent zog sie auf, wir betraten den Raum und da stand er plötzlich: Donald Trump! Der Präsident der Vereinigten Staaten höchstpersönlich und in voller Leibesfülle. Er sah in Wirklichkeit noch massiger aus als im Fernsehen. Doch Trump hatte nicht bemerkt, dass wir den Raum betreten hatten. Gebannt starrte er auf einen Fernseher an der Wand. Es lief FOX News. Der Fernseher war ziemlich laut.

In dem fensterlosen Raum mit niedriger Decke waren neben Trump noch fünf weitere Personen anwesend. Zwei Leibwächter mit Sonnenbrillen und verschränkten Armen bewachten eine Tür im hinteren Teil des Raumes. Direkt neben Trump hielt eine junge Assistentin ein Klemmbrett fest vor ihrer Brust und blickte ihren Chef erwartungsvoll an. Hinter ihr stand ein hochdekorierter grauhaariger Militäroffizier, der den Eindruck machte, als habe er keine Ahnung, wie er hierhergekommen war und vor allem, warum.

Und dann war da noch Trumps Sprecherin. Ich kannte sie aus dem Fernsehen von vielen Auftritten im Weißen Haus, wo sie die Fragen von Journalisten mit völlig absurden persönlichen Gegenfragen abblockte und jede noch so unsinnige Aussage des Präsidenten verteidigte. Ich war ungefähr zwei Meter vom Präsidenten entfernt. Zwischen uns stand ein großer Holztisch, auf dem zwei geöffnete Dosen Diet Coke standen und ein Pappeimer mit Resten von frittierten Hühnerteilen. Trump folgte der Fernsehsendung gebannt, die Fernbedienung fest in seiner kleinen dicken Hand. Barnett tauschte fragende Blicke mit Trumps Sprecherin aus. Der Fernseher war wirklich unglaublich laut, offensichtlich hörte Trump schlecht. Seine Sprecherin trat an Trump heran, legte vorsichtig ihre Hand auf seine Schulter und flüsterte ihm ins Ohr, was er aber offensichtlich nicht verstand und sie mit einer Geste aufforderte, lauter zu sprechen. Sie nahm die Fernbedienung an sich und schaltete den Ton aus.

Sir, das FBI ist jetzt da, und sie haben Nummer eins dabei.“

Endlich drehte sich Trump zu uns um und blickte mich direkt an, ohne ein Wort zu sagen. Stattdessen schürzte er auf die ihm ganz eigene, ekelhafte Art die Lippen, kniff seine kleinen Augen zusammen und fixierte mich. Niemand im Raum sagte ein Wort.

Ich sah den Präsidenten zum ersten Mal in Natura und dann auch gleich aus solcher Nähe. Seine Haut hatte tatsächlich diese ungesunde orange Farbe wie Cheddarkäse, sie war fleckig, helle und dunkle Stellen wechselten sich unregelmäßig ab. Seine Augen waren weiß umrandet und merkwürdig aufgequollen. Das lichte Haar sah aus, als wäre jedes einzelne von Hand eingepflanzt worden. Vielleicht etwas zu fest, und nun pieksten sie unkontrolliert in sein Hirn und machten ihn zu dem völlig unberechenbaren Typen, der er definitiv war. Der Geruch seines Rasierwassers erfüllte den ganzen Raum. Er beugte sich vor, stützte seinen massigen Körper mit den Armen auf dem Tisch ab und schaute mich an, so als wollte er sich versichern, dass ich auch wirklich ein Mexikaner war. Dann kam ihm ein Lächeln auf die Lippen oder vielmehr das, was er dafür hielt. Er hob die Augenbrauen und blickte den jungen glatzköpfigen Agenten an.

Gut gemacht.“

Der junge Agent war sichtlich stolz.

Sir, ich …“

Gut gemacht, das habe ich mal wieder sehr gut gemacht. Großartig, das wird alles ganz großartig, wunderschön“, murmelte Trump zu sich selbst. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder Mitleid haben sollte mit dem jungen Agenten, der den Präsidenten völlig perplex ansah und sich dann auch noch einen strengen Blick von Barnett einhandelte.

Trump zog ein Smartphone aus der Tasche und fing an, darauf zu tippen. Er machte das erstaunlich gekonnt trotz seiner kurzen wurstigen Finger. Dann steckte er das Smartphone in die Außentasche seines Jacketts und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.

Trumps Sprecherin schob ihren ausgemergelten Körper zwischen uns und die Tür, durch die ihr Chef gerade verschwunden war.

Barnett, Sie wissen, was zu tun ist“, sagte sie knapp und verließ dann ebenfalls den Raum. Die Assistentin folgte ihr. Noch immer hielt sie das Klemmbrett fest vor ihrer Brust umklammert wie einen Schutzschild. Nur der Militäroffizier blieb zunächst unschlüssig stehen, schüttelte dann den Kopf und ging. Diesen grotesken Termin hier hatte es offenbar nur gegeben, damit Trump persönlich begutachten konnte, was ihm da ins Netz gegangen war. Als wir kommentarlos den Raum verließen, drehte ich mich noch einmal um und konnte einen letzten Blick auf den Präsidenten werfen. Er hatte wieder sein Smartphone in der Hand.

Ich war mir sicher, dass er gerade Tweets auf die Welt losließ, und wie ich später erfuhr, hatte ich recht. Ich war doch einigermaßen erstaunt, offenbar schrieb er seine Tweets tatsächlich selbst, was auch die Rechtschreibfehler erklärte, die fast schon zu seinem Markenzeichen geworden waren. Manchmal konnte man sich aber einfach nicht sicher sein, ob Trump nur die falsche Taste gedrückt oder schlicht keine Ahnung hatte, nicht mal von den grundlegendsten Fakten wie der Anzahl von Mexikanern in den USA. Sein nächster Tweet, der Sekunden später um die Welt ging, war da keine Ausnahme. Barnett zeigte mir die Nachricht, während wir einen langen Flur, der in das Untergeschoss des Gebäudes führte, entlangliefen. Barnett verstieß damit ganz sicher gegen seine Vorschriften, aber er war wohl einfach kein Anhänger von Präsident Trump.

Es geht los! Die großartigen Agenten vom @FBI haben den ersten Mexikaner festgesetzt. Er ist illegal in unser wunderbares Land gekommen, jetzt ist die Zeit zu gehen. In weniger als 48 Stunden verlässt der erste Mexikaner die USA, 50 Millionen werden folgen! Versprechen gegeben, Versprechen gehalten. #MAKE AMERICA GREAT AGAIN. #KEEP AMERICA GREAT!

Mein Leben war nun in der Gewalt des Präsidenten, der fähig und willens war, alles zu tun, um die nächste Wahl zu gewinnen. Er hatte dem amerikanischen Volk dieses Versprechen gegeben und damit die moralische Limbostange ein weiteres Mal tiefer gehängt. Sehr viel tiefer, sie berührte jetzt beinahe den Boden.

Es gab nichts, was ich dagegen tun konnte und auch sonst niemand. Denn über meine Identität wurde nichts preisgegeben, sie wurde zur Frage der nationalen Sicherheit erklärt. Und so konnte auch Pfarrer Brown nichts ausrichten. Niemand konnte es.

Wem gehört das Huhn?

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