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4. Nächtliche Aktivitäten

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Dienstag, 29. April 2014, 24:00 Uhr


Mitten in der Nacht fährt ein junger Mann mit seinem Fahrrad über die Brücke zwischen Volkach und Astheim, biegt nach der Brücke rechts ab und rollt die Zufahrt zu dem LZR-Betonwerk III in Astheim hinunter. Dann aber verlässt er die Straße zu dem Betonwerk und radelt geradeaus auf einem schmalen Wirtschaftsweg entlang des Mains in nordwestliche Richtung durch Felder und Wiesen. Obwohl der Weg über keine Laternen verfügt und in dieser Nacht trotz des sternenklaren Wetters der Mond als schmale Sichel praktisch kein Licht spendet, benutzt der Fahrer die Beleuchtung seines Rades nicht. Er kennt hier jede Kurve, jeden Stein, praktisch jeden Grashalm, denn seit der Zeit, da er Laufen gelernt hat, ist er diesen Weg schon mindestens tausend Mal gegangen oder gefahren. Heute Nacht legt er besonderen Wert darauf, nicht gesehen und vor allem nicht erkannt zu werden. Der einzige hörbare Begleiter ist ein liebeskranker Kuckuck, der verzweifelt zwecks Arterhaltung nach einer Partnerin ruft.

Nach etwa 1,2 Kilometern hält er an und schiebt das Fahrrad rechts in das Buschwerk, welches hier das Ufer eines Baggersees bildet. Er verharrt einige Minuten, bis er sich sicher sein kann, dass sich niemand in der Nähe befindet. Auf der rechten Seite spiegeln sich die Sterne im ruhigen, schwarzen Wasser des Sees und nachdem er einige Meter durch die Büsche geschlichen ist, kann er auch auf der linken Seite das dunkle Wasser eines weiteren Sees erblicken. Er befindet sich jetzt auf einer schmalen Landzunge zwischen zwei mit Wasser gefüllten ehemaligen Sand- und Kiesgruben. Seine Augen haben sich in der letzten halben Stunde zwar an die Dunkelheit gewöhnt, doch unter den Bäumen und Büschen ist es besonders finster. Daher muss er, trotz großer Bedenken, an besonders tückischen Stellen die mitgebrachte Taschenlampe einschalten. Er hält die Hand über den Lichtstrahl, so dass nur der Boden spärlich angeleuchtet wird, aber zufällig am Main sitzende Angler, die die ruhigen Nachtstunden für ihr Hobby nutzen wollen, davon nichts mitbekommen. Er zuckt zusammen, als plötzlich einige Fledermäuse, durch seine Bewegungen aufgeschreckt, mit heftigem Flügelschlag das Weite suchen. Etwa auf der Hälfte der Landzunge erreicht er sein Ziel, einen alten, knorrigen und sehr mächtigen Baum, dessen Zweige sich düster vor dem glitzernden Sternenhimmel wie drohende Arme nach allen Seiten erstrecken. Hier angekommen, verharrt er minutenlang in aller Stille. Erst als er davon überzeugt ist, der einzige Mensch auf dieser Landzunge zu sein, macht er weiter.

Der junge Mann nimmt seinen Rucksack ab, öffnet ihn, holt ein Taschenmesser, ein Dutzend kupferner Nägel, einen elektrischen Hammer mit Akkubetrieb, ein Handtuch, Wundwachs und eine LED-Stirnlampe heraus. Für die nun beginnende Arbeit braucht er leider Licht und so streift er sich die Kopfbänder der Lampe über das Haupt und verwendet die leistungsschwächere Einstellung für den Nahbereich. Schließlich möchte er weiterhin die Gefahr einer Entdeckung möglichst gering halten. Mit dem Taschenmesser löst er ein etwa 5 Zentimeter langes Rindenstück vorsichtig vom Baum. Auf die so entstandene, ungeschützte Holzfläche setzt er einen der Kupfernägel. Den elektronischen Hammer umwickelt er mit dem Handtuch, stellt die Antriebsgeschwindigkeit ebenfalls auf die geringste Stärke und schlägt dadurch den Nagel nahezu geräuschlos ins das feuchte Holz. Mit dem Taschenmesser schmiert er den Wundwachs auf die freie Holzfläche und drückt das abgelöste Rindenstück wieder in die Lücke. Das Wundwachs ist sehr elastisch, haftet selbst auf feuchtem Holz und ist witterungsbeständig. Der junge Mann hofft, dass seine Maßnahme nicht oder nur kaum zu erkennen sein wird. Diesen Vorgang wiederholt er, bis er 12 Nägel in den Baum getrieben hat und umrundet dabei langsam den Stamm.

Plötzlich erstarrt er und sein Herz klopft so wild, als wolle es aus der Brust herausspringen und den bewegungslosen Mann allein zurücklassen. Ein kräftiger Lichtstrahl bohrt sich durch das Unterholz und lässt alles im kalten Licht deutlich sichtbar werden. Immer näher rückt das helle Lichtbündel. Der junge Mann lässt sich schnell auf die Knie fallen und räumt hastig sein Werkzeug wieder in den Rucksack. Soll er aufspringen und zu fliehen versuchen, wobei er mit Sicherheit einen Heidenlärm bei der Durchquerung der Büsche machen wird. Oder wäre es besser, sich flach auf den Boden zu legen und zu hoffen, dass der Lichtkegel über ihn hinweg gleitet. Während er noch unentschlossen auf dem Waldboden kauert, vernimmt er das dumpfe Dröhnen schwerer Dieselmotoren. Vernehmlich entlässt er die vor Angst aufgestaute Luft aus seinen Lungen. Ein großer Schubverband nähert sich auf dem Main von Volkach kommend der Linkskurve auf der Fahrt Richtung Fahr. Die flutlichtartige Beleuchtung dient der Warnung entgegenkommender Schiffe und der notwendigen Ausleuchtung der Fahrrinne, damit dieser fast 200 Meter lange Schubverband ohne Probleme die kurvenreiche Mainfahrt auch in dunkler Nacht bewältigen kann.

Dennoch wartet der junge Mann, bis das Licht schon hinter der Kurve verschwunden ist. Erst dann steht er auf und macht sich genauso vorsichtig auf den Rückweg, den er auch gekommen ist. Ohne Schwierigkeiten erreicht er sein Fahrrad, schwingt sich auf den Sattel und radelt zurück in seinen Heimatort. Nur ein Fuchs schaut ihm schwer verärgert hinterher. Auch wenn der junge Mann sich um absolute Geräuschlosigkeit, für menschliche Ohren, bemüht, so ist er doch für kleine Tiere, die vorgesehene Beute des Fuchses, so laut, dass sich selbige schnell verdrücken. Folglich wird der Fuchs erst einmal hungrig bleiben und, wenn dies zum Repertoire seiner Fähigkeiten passte, würde er dem lärmenden Kerl die Pest an den Hals wünschen.


Baummörder - Mörderbaum

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