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1. Marina Volkach
ОглавлениеSonntag, 27. April 2014, 20.00 Uhr
Es ist Sonntag, der 27. April 2014, und der kleine Zeiger der Uhren im Frankenland nähert sich der VIII. An diesem warmen und wolkenfreien Frühlingsabend wandern noch viele Touristen zum Kapuzinerkloster und Marienwallfahrtsort 'Käppele', oberhalb der Altstadt von Würzburg. Sie müssen sich, für ältere und schwächere Menschen mühsam, den Kreuzweg vom Mainufer zum Nikolausberg über 247 Stufen hinauf plagen. Leider werden im Oktober dieses Jahres die Kapuzinermönche das schneeweiße Juwel des Spätbarock verlassen, doch die Diözese Würzburg übernimmt das ehrwürdige Gebäude und wird es hoffentlich weiter für die zahlreiche Besucherschar offen halten.
Doch nicht alle Mitmenschen unterziehen sich der kräfteraubenden Glaubensprüfung. Mehrere schwere Luxuskarossen werden dank der überlegenen Motorstärke locker und zügig durch die alten und engen Straßen bergauf zum Maasweg, nur durch einen schmalen Waldstreifen vom Kloster entfernt, gesteuert. Hier verstecken sich stattliche und kostbare Villen fast unsichtbar hinter geschickt getrimmten Büschen und Bäumen. Die protzigen Limousinen halten kurz vor einem schmiedeeisernen Rolltor, welches sich nach einer unmerklichen, optischen Kontrolle für sie öffnet. Nur noch wenige Meter über einen gekiesten Weg und sie parken vor einer Doppelgarage. Der Hausherr und sein erwachsener Sohn erwarten die Gäste vor dem Eingang und führen sie über einen langen Flur in ein behagliches Wohnzimmer mit großer Glasfront zum inzwischen wieder jungfräulich grünen Frühlingswald.
Der Gastgeber, Landtagsabgeordneter Günter Semmerteich, ein sportlicher, gutaussehender Mann im besten Alter, wartet, bis alle Gäste an einem runden Eichentisch Platz genommen haben. Auf dem Tisch stehen verschiedene Getränke, mit und ohne Alkohol, sowie süßes und salziges Gebäck. Nachdem sich alle mit einer Erfrischung versorgt haben, eröffnet er die Gesprächsrunde:
"Heute habe ich gute Nachrichten für euch. Das verdammte und nervende Gezeter über die Zerstörung heimatlicher, nicht ersetzbarer Landschaft ist Vergangenheit. Wir haben den Rechtsstreit bezüglich der angeblich schützenswerten Gebiete am Mainbogen zwischen Volkach und Fahr gewonnen, oder genauer gesagt, zu vielleicht 99%."
Die anderen nicken erfreut, schauen ihn aber wegen der kleinen Einschränkung fragend an.
"Also, es gibt definitiv keine Erweiterung der Naturschutzgebiete 'Mainhang an der Vogelsburg' und 'Sandgrasheiden am Elgersheimer Hof'. Weiterhin wurde auch kein Landschaftsschutzgebiet im Bereich unseres Bauvorhabens westlich Astheims beschlossen. Unsere Planung fand in allen Punkten volle Zustimmung. Einzig diese 1000-jährige Eiche muss erhalten bleiben."
Einer der Gäste, Eberhard Schwarz, Vorsitzender der Winzergenossenschaft Volkach mit eigenem Gasthaus, Hotel, Weingut, dunkelgrauer Anzug, sicher nicht von C&A, und einer Krawatte mit Weinrebenmuster, die seine Erwerbstätigkeit deutlich hervorhebt, ergreift das Wort:
"Wir wollen die beiden stillgelegten und schon mit Wasser gefüllten Sandgruben zwischen Astheim und Fahr nutzen, um die größte Marina am Main zu bauen. Bis zu 400 Booten soll Platz geboten werden. Dazu kommt ein Luxushotel, mehrere Restaurants und Bars, ein Einkaufszentrum, sowie Handwerksbetriebe, zum Beispiel eine Autowerkstatt, Tankstelle, Werft und",
er lächelt seinem weiblichen Gegenüber verschmitzt zu,
"mindestens ein Haarstylist. Im Laufe der Zeit sollen Ärzte, Fastfood-Betriebe, Banken und vieles mehr hinzukommen. Außerdem wollen wir einen Sessellift zur Vogelsburg errichten. Die Stiftung Juliusspital wird das Kloster Vogelsburg bis 2015 von Grund auf sanieren und dort ein First-Class-Tagungs- und Veranstaltungszentrum errichten. Wir würden uns wunderbar ergänzen und gegenseitig voneinander profitieren. Bis jetzt rechnen wir mit einem Budget von etwa 60 Millionen Euro. Da werden doch ein paar Cent übrigbleiben, um diesen alten Baum auszugraben und an andere Stelle wieder liebevoll hinzustellen?"
Der Rechtsanwalt Dr. Herzog aus Dettelbach schüttelt bedauernd den Kopf:
"Tut mir leid, aber das Gericht hat den ausdrücklichen Schutz des historischen Baumes betont. Ein Umpflanzen haben wir natürlich sofort vorgeschlagen, aber die Richter lehnten dies ausdrücklich ab. Die Wurzeln könnten beschädigt werden. Unsere Gegner haben sogar versucht, ihn als Naturdenkmal aufwerten zu lassen."
"Wisst ihr eigentlich", ereifert sich der Winzer, "um was für einen Baum es sich hier handelt? Das ist ein Riesenmiststück. Der hat einen Umfang, da könnten wir uns alle die Hand geben, um ihn zu umfassen. Der ragt doch fast in die Wolken und die Zweige reichen mindestens 30 Meter über das Wasser. Welcher Trottel von Bootsbesitzer will unter einem solchen Ungetüm festmachen. Bricht einer von den Riesenzweigen ab, ist sein Boot versenkt und Licht zum Sonnenbaden bekommt er auch nicht. Der scheiß Baum ist eine Plage und ein großes Risiko für unsere Marina. Sehen so deine berühmten Beziehungen aus?"
"Reg' dich bitte wieder ab", fährt der Hausherr dazwischen. "Wir haben geschmiert, wen wir konnten und andere haben wir unter Druck gesetzt. Schließlich kennen wir so manche, noch unbekannte Sünde. Wir haben das benötigte Land zu einem ausgesprochen günstigen Preis in unseren Besitz gebracht und eigentlich können wir mit dem Ergebnis doch sehr zufrieden sein. Es hätte viel schlimmer kommen können. Ein Naturschutzgebiet, und alles wäre umsonst gewesen. Alle, ich betone noch einmal, alle Bauvorhaben und auch die möglichen Erweiterungen in kommenden Jahren, sind genehmigt. Morgen könnten die Bagger bereits anrollen."
Die einzige Frau am Tisch, Gisela Endras, Besitzerin einer Bauunternehmung in Würzburg und Steinfurt, geschätzt 60 Jahre alt, aber mit kerzengerader Haltung, einem straffen, fast dürren Körper und einem herausforderndem Blick, der Härte und Durchsetzungsvermögen signalisiert, lächelt den Hausherrn spöttisch an:
"Ich habe schon gehört, wie du einen Teil der Grundstücke erworben hast. Man könnte annehmen, du hast nicht nur Freunde in diesem Land. Aber zu deinem Einwurf, meine Mitarbeiter und die notwendigen Maschinen sind jederzeit einsetzbereit. Ich habe weitere Arbeiter eingestellt und zusätzliche Baumaschinen kann man heute glücklicherweise mieten. Wenn das Architektenbüro die konkreten Pläne bereit hält, legen wir los. Aber die Arbeiter wollen bezahlt werden, das erforderliche Material gibt es nicht umsonst und Maschinen kosten Geld. Stimmen unsere Finanzen?"
Ein weiterer Gast, Rudolf Göbel, klein, beleibt mit unruhigen Händen, die stets etwas bewegen müssen, Vorsitzender der Raiffeisenkasse Volkach, nickt eifrig:
"Alle Beteiligten haben ihre zugesagten Beiträge auf unser Konto überwiesen. Wir verfügen zurzeit über ein Barvermögen von 32 Millionen Euro. Wenn die ersten Bauerfolge sichtbar sind, wird die Bank sicher mit einsteigen."
"Würde mich auch wundern, da du doch der Vorsitzende des Bankvorstandes bist. Also mach' keinen Mist. Ich habe meine neue Edeka-Filiale für dieses Vorhaben als Sicherheit anbieten müssen. Aber zurück zu dem Scheißbaum. Wenn ich mich recht erinnere, steht er auf einer Landzunge im Wasser. Er würde sich später auf einer Insel mitten im Hafenbecken befinden. Das ist doch totaler Mist."
Der große, aber rustikal wirkende Besitzer einer Einzelhandelskette in der näheren Umgebung unter dem Edeka-Verbund, Stefan Riedel, fällt in dieser Runde bereits durch seine Kleidung auf. Er trägt eine leicht verwaschene Jeans und ein kariertes Hemd mit aufgerollten Ärmeln. Jetzt hat er vor Aufregung ein knallrotes Gesicht und schlägt mit der rechten Hand laut und spürbar auf den Tisch.
"Du hast natürlich recht. Der Baum würde den Hafenbetrieb erheblich stören."
An dieser Stelle rollt ein großgewachsener und athletischer Vierzigjähriger einen Plan auf dem Tisch aus.
"Karl hat den neuen Entwurf schon mitgebracht", erklärt Günter.
Der Angesprochene deutet mit seiner kräftigen, rechten Hand auf einige, rot hervorgehobene Details. Er hat sehr kurz geschnittenes, dunkles Haar mit einem leichten Grauschimmer an den Schläfen. Aber gleichzeitig entsteht durch den Haarverlust an den berüchtigten Geheimratsecken und den stark behaarten Augenbrauen ein fast diabolischer Anblick.
"Wir haben einen zur Promenade passend gefliesten Weg zum Baum geplant und den Baum mit einer runden Treppe zum Wasser umgeben. Der Verlust an Wasserfläche hält sich in vertretbaren Grenzen. Ich denke, das Ganze wird dann den Hafenbereich etwas auflockern."
"Die Kosten?", fragt jemand aus dem Kreis.
"Das fällt bei dem ganzen Projekt kaum ins Gewicht. Wir schätzen, dass etwa 20000 € zusätzlich nötig wären. Wenn die alte Eiche krank und eine Gefahr für Mensch und Tier würde, ja, dann könnten wir einschreiten."
Der Winzer zieht seine Stirn in Falten:
"Was soll das nun wieder bedeuten?"
"Also - wir haben hier keinen schützenswerten, vom Aussterben bedrohten Frosch, kein Schmetterling muss gehegt werden und auch keine seltene Vogelart hat Vorrang, nur dieser Baum aus grauer Vorzeit genießt die Fürsorge des Gerichts. Doch das gilt nur, solang der Baum gesund ist."
Die Bauunternehmerin klatscht erfreut in die Hände:
"Da wird dann durch Zufall ein Bagger mit der Schaufel im Eifer der Bautätigkeit das Bäumchen umlegen."
"Auf keinen Fall", wehrt der Rechtsanwalt ab. "Das Gericht hat uns empfindliche Geldstrafen und eine Einstellung der gesamten Bautätigkeit bis zur endgültigen Klärung der Beschädigung des Baumes angedroht, wenn wir ihn mit Absicht verletzen. Die sind doch nicht doof und hatten ähnliche Ideen. Niemand darf uns eine noch so kleine Beteiligung an einer möglichen Erkrankung der Eiche nachweisen können."
Der Junior, Maximilian Semmerteich, lehnt sich mit verschränkten Armen zurück und grinst seinen Vater und die Gäste verschwörerisch an:
"Damit ich euch auch richtig verstehe: Wir hoffen alle, den alten Baum möge ein besonders gefräßiger Holzwurm vernichten, oder ein zufälliger Blitzschlag in Feuerholz verwandeln, damit er aus der Mitte unseres neuen Hafens verschwindet? Aber keiner von uns darf damit in Verbindung gebracht werden?"
Alle Anwesenden nicken. Nur der Einzelhändler fragt vorsichtig:
"Siehst du vielleicht eine Möglichkeit, dieses Problem geschickt zu lösen?"
Der Angesprochene wendet sich selbstsicher dem Hausherrn zu:
"Papa, ich habe da eine Idee und kenne wahrscheinlich auch den richtigen Mann dafür."
Die Runde diskutiert noch eine Weile die notwendigen Schritte zum Bau ihrer Marina und freut sich auf die zu erwartenden Geldströme. Es wird noch das eine oder andere Glas Wein aus einheimischen Keltereien getrunken und mancher hofft, auf der Rückfahrt nicht in eine Polizeikontrolle zu geraten.