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3. Die Marktwirtschaft: eine glückliche Kombination aus zwei leicht inkompatiblen fundamentalistischen „Prinzipien“

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Im Zuge der rechtfertigenden Herleitung des betrieblichen Wirtschaftens aus dem Knappheitsproblem hat der Betriebswirtschaftslehrer die Optimierung der menschlichen Bedürfnisbefriedigung als das Ziel allen Wirtschaftens vorstellig gemacht. Die Orientierung an den „tatsächlichen Zielen“, die sich die BWL als auf praktisch nützliches Wissen abzielende Wissenschaft schuldig ist, hat ergeben, dass das betriebliche Wirtschaften in Wirklichkeit auf die eigennützige Bereicherung der Betriebseigner abzielt. Der Nachweis, dass das eine – die private Gewinnmaximierung – in optimaler Weise zum anderen – der Versorgung der Gesellschaft mit Gütern – führt, ist der Wissenschaft eine eigene Argumentation wert. Sie wirft selber die Frage nach der Vereinbarkeit ihrer beiden Fundamentalprinzipien auf, zitiert sogar Kritiker „aus dem Bereich der Sozialwissenschaften“ (I / S. 6), die die „Prämisse der Eigennutzmaximierung ... als moralisch verwerflich [ansehen]“ (ebd.), weil unter ihr der „Gemeinnutz“ (ebd.) auf der Strecke zu bleiben droht, – um Bedenken dieser Art ausdrücklich entschieden als unberechtigt zurückweisen zu können. Zu dem Zweck greift sie gerne ins Schatzkästchen der Argumente altehrwürdiger Vorfahren:

„Gewinnstreben der Leistungsanbieter gepaart mit marktwirtschaftlichem Wettbewerb führt zu effizienter, d.h. bedarfsgerechter und kostenoptimaler Befriedigung der Nachfragerwünsche. Zum geistigen Vater der Marktwirtschaft wurde Adam Smith, der Moralphilosoph aus Schottland. In seinem 1776 erschienenen Werk, in dem er die Gründe nationalen Wohlstands untersuchte, sprach er von der ‚unsichtbaren Hand‘, die den einzelnen Leistungsanbieter dazu bringt, einen Zweck zu erfüllen, der nicht in seiner (Gewinn-)Absicht liegt.“ (I / S. 37)

Unser Ökonom konzediert, dass das Wohl derer, die an effizienter, bedarfsgerechter Befriedigung ihrer Wünsche interessiert sind, nicht in der Absicht der ‚Leistungsanbieter‘ liegt, die in der Marktwirtschaft die Produktionsfaktoren kommandieren; denen geht es erklärtermaßen um ihre eigene Bereicherung. Allerdings besteht er darauf, dass durch ihr von dieser ganz anders gearteten Absicht geleitetes Tun der höhere Zweck der allgemeinen Bedürfnisbefriedigung auf wundersame Weise dennoch erfüllt wird; und zwar nicht nur irgendwie, sondern in jeder Hinsicht optimal. Die Marktwirtschaft wird von ihm als ein wahres Mysterium vorstellig gemacht: Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sich in ihr der allgemeine Zweck einer rundum gelungenen Versorgung der Menschheit mit dem, was sie braucht, gerade dadurch erfülle, dass dieser Zweck nicht verfolgt wird. (Wie wir gleich sehen werden, behauptet er auch dasselbe umgekehrt: Dass eine Gesellschaft, die diesen Zweck verfolgt, an diesem Zweck notwendigerweise scheitern muss.) Der Wirtschaftstheoretiker schreibt glatt „führt zu ...“, so als wäre er mit der Erklärung einer Wirkung befasst, die tatsächlich eintritt, wo die Reichtumsproduktion dem Gewinnstreben der Unternehmer überantwortet ist. Tatsächlich verfolgt er mit seiner Erklärung jedoch das irrationale Anliegen, unbeeindruckt von aller marktwirtschaftlichen Realität die Existenz eines Wirkzusammenhangs zu beschwören, der es ihm angetan hat, weil sich mit ihm seine beiden Fundamentalprinzipien – Gewinnmaximierung und effiziente Güterversorgung – ideell versöhnen lassen.

Zur Begründung besagten Mysteriums führt er passenderweise ein Argument an, das dem Hinweis auf eine göttliche Fügung schon der Form nach sehr nahe kommt: Wie durch eine „unsichtbare Hand“ würde der „marktwirtschaftliche Wettbewerb“ den eigennützigen, nach Gewinn strebenden Unternehmer zum Vollbringen der guten Tat leiten, und zwar aufgrund des folgenden ökonomischen Zusammenhangs:

„Gewinnerzielung setzt im marktwirtschaftlichen Wettbewerb zweierlei voraus:

(1) Erforschung der Kundenwünsche und Anpassung des Leistungsangebotes an diese Wünsche;

(2) strikte Anwendung des ökonomischen Prinzips, d.h. Ausschöpfung aller Kostensenkungspotentiale zur Erbringung kundengerechter Leistungen.“ (Ebd.)

Was wird hier zum Argument gemacht? Eigentlich nur dies: Der Markt zwingt den nach Gewinn strebenden Unternehmer erstens, Dinge zu verkaufen, die auf eine Nachfrage treffen, also ein Kundenbedürfnis zu bedienen; und er zwingt ihn zweitens dazu, seine Kosten zu senken; wozu erst einmal zu sagen ist: Der Markt zwingt ihn zu nichts, was nicht im Interesse seines Gewinns ist. Der ist und bleibt bei all dem Maßstab des unternehmerischen Handelns – wie auch immer sich das auf die Befriedigung der Kundenbedürfnisse auswirken mag. Der Kunde mit seinem Bedarf ist damit als Bedingung verortet, die es vom Standpunkt der Betriebe aus zum Mittel des Gewinnemachens zu machen gilt. Womit im Einzelnen und zu welchem Preis er seinen Bedarf decken kann, liegt in den Händen von Produzenten, die ihr ‚Optimum‘ bei der Gewinnerzielung im Auge haben.

Nüchtern betrachtet gibt die ganze Argumentation also gar nicht mehr her als den Befund, dass in der Marktwirtschaft die Versorgung der Gesellschaft mit Gütern in der Weise und in dem Maße stattfindet, wie ein Geschäft daraus zu machen ist. Was an Bedarfsdeckung zustande kommt bzw. ausbleibt, ist die abhängige Variable des Geschäfts.4) Güterversorgung und Bedürfnisbefriedigung sind das Abfallprodukt der kapitalistischen Konkurrenz – und das soll man dem Stand der Unternehmer, die diese Konkurrenz wegen ihrer persönlichen Bereicherung betreiben, offenbar hoch anrechnen. Der Wirtschaftstheoretiker fügt dem sachlichen Befund, den er zum Argument macht, bei Licht besehen eigentlich nur eines noch hinzu: Er jubelt das, was unter der Regie dieser Herren über die gesellschaftliche Produktion an Güterversorgung und Bedürfnisbefriedigung zustande kommt, zur „bedarfsgerechten und kostenoptimalen Befriedigung der Nachfragerwünsche“ hoch; er ernennt es dreist, obwohl es den Unternehmern erklärtermaßen um ganz andere Dinge als die Optimierung der Versorgung geht, zu dem Optimum, das auf dem Feld zu haben ist. Das einzige Argument, das er dafür hat, ist der Umstand, dass dem Kunden nach Lage der Dinge gar nichts anderes übrig bleibt, als die von diesen Unternehmen produzierten Güter zu dem Preis, zu dem sie angeboten werden, zu kaufen.

Der ideologische Ertrag dieser Ableitung kann sich sehen lassen. Der Eigennutz, den kapitalistische Unternehmen verfolgen, ihr „Gewinnstreben“, das der Ökonom als die „Triebfeder des unternehmerischen Handelns“ (ebd.) kennt und schätzt, ist durch sie als Triebkraft einer Wirtschaftstätigkeit geadelt, welche das allgemeine Wohl befördert: Indem sie ihre eigene Bereicherung betreiben, befördern die Eigentümer der Betriebe den Nutzen der Menschheit. Der Gewinn ist ein für alle Mal funktionell verortet als Anreiz, den Wohlstand der Nachfrager zu mehren:

„Im marktwirtschaftlichen Wettbewerb ist der Gewinn eine Vorzugsprämie für Vorzugsleistungen.“ (Ebd.)

Und die Marktwirtschaft ist endgültig als die Wirtschaftsweise erwiesen, in der die Mehrung des allgemeinen Wohlstandes am effizientesten vorankommt, weil in ihr das Bereicherungsinteresse der Privateigentümer der Motor jeder den Wohlstand mehrenden Wirtschaftstätigkeit ist. Ein gesellschaftliches Produktionswesen, das einzig dazu eingerichtet ist, dass seine maßgeblichen Betreiber ihr Privatvermögen vermehren, ist wissenschaftlich erfolgreich als die ultima ratio aller wirtschaftlichen Vernunft beglaubigt. Weil derart der Konkurrenz kapitalistischer Eigentümer die Urvernunft des „ökonomischen Prinzips“ einbeschrieben ist, fallen gegenüber diesem System alternative ‚Wirtschaftsweisen‘ allein schon deswegen hoffnungslos zurück, weil in denen der Profit als Triebfeder des ökonomischen Handelns fehlt:

„Die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsprinzips ist von menschlichem Handeln abhängig. In der zentralen Planwirtschaft wird die Einhaltung des ökonomischen Prinzips nicht belohnt... Darum ist dieses Wirtschaftssystem so ineffizient.“ (I / S. 36)

Wo Wirtschaftlichkeit nicht belohnt wird, da gibt es keine, also muss dort Ineffizienz herrschen. Damit hat der Betriebswirt jenes Wirtschaftssystem fertig auf den Begriff gebracht, welches einmal unter dem Markenzeichen ‚realer Sozialismus‘ in der Sowjetunion zu besichtigen war. Was den Maßstab der Gerechtigkeit hinwiederum anbelangt, räumt er gerne ein, dass der marktwirtschaftliche Wettbewerb auch manche ‚sozialen Probleme‘ mit sich bringt und das goldene Prinzip „Vorzugsprämien für Vorzugsleistungen“ mit erstaunlicher Regelmäßigkeit für eine Verteilung des Produzierten sorgt, bei der die wenigen Reichen reicher und die vielen Armen ärmer werden. Das ändert aber nichts am Prinzip, wenn man nur fest genug daran festhält. Die Experten der „nüchternen“, „praktisch-normativen BWL“, die ihre Normen dem praktisch herrschenden Zweck allen Produzierens entnehmen und „keine Weltverbesserungsambitionen“ hegen, erklären sich in der Frage nach der gerechten Verteilung für unzuständig – und begründen ihre Zurückhaltung mit dem entwaffnenden Argument, dass es sich für sie bei der Marktwirtschaft, zumal einer sozialen, ja schon um die beste aller möglichen Welten handelt und sich daher jede Kritik an ihr verbietet:

„Die Lösung dieses Problems [der Gerechtigkeit] wird dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb ... und den flankierenden Regeln des gesetzlichen Ordnungsrahmens ... überlassen.“ (I / S. 8)

Wer immer weshalb und wobei auch immer sich schlecht bedient sieht durch die Prämien für seine Versuche, im Mitwirken in der Welt der Konkurrenz privater Eigentümer auf seine Kosten zu kommen: Er hat sich daran zu halten, dass in einer Wirtschaft, die sich nach dem Markt nennt, der Markt zusammen mit dem Staat, der ihn flankiert, auch die Instanz aller Gerechtigkeit ist – was immer das für ihn und alle anderen praktisch bedeutet.

1) Es ist ja nicht so, dass der Wirtschaftsfachmann da keine Unterschiede kennen würde; z.B. zwischen einer Marktwirtschaft und dem, was er ‚Zentralverwaltungswirtschaft‘ nennt. Er kennt sogar, was im Zusammenhang mit dem Knappheitstheorem extra bemerkenswert ist, die moderne „Überflussgesellschaft (in westlichen Industriestaaten)“ (II / S. 370).

2) Ein paar Bemerkungen zu den Argumenten, mit denen sich die ‚verhaltenswissenschaftlich orientierte BWL‘ kritisch von der ‚betriebswirtschaftlichen Standardlehre‘ absetzt und sich als eigene Schule begründet, finden sich in einem Anhang am Ende unserer Schrift.

3) Ausgerechnet die akademischen Moral- und Gottesfans verfügen da nämlich „über das bessere wissenschaftliche [!] Rüstzeug zur Problemanalyse“ und können deshalb „effizientere Lösungen herbeiführen“ (I / S. 12).

4) Dies trifft insbesondere auch für das in den Diensten der Betriebe stehende Personal zu, das die Unternehmer beim Fahnden nach Kostensenkungspotentialen, die es auszuschöpfen gilt, bekanntermaßen ja immer zuerst ins Auge fassen: Die Behandlung, die die Leute als Kostenfaktor erfahren, aus dem möglichst viel Leistung herauszuholen ist, bestimmt, was aus den Bedürfnissen der lohnarbeitenden Menschheit und deren Befriedigung wird. Was die Betriebe mit dem Ziel der Kostenreduktion auf dem Feld der Bewirtschaftung des Faktors Arbeit veranstalten, beliebt die BWL mit „strikter Anwendung des ökonomischen Prinzips“ zu umschreiben. Sie demonstriert damit eindrucksvoll, was sich mit der Abstraktion ‚ökonomisches Handeln‘ oder ‚effizientes Wirtschaften‘ alles anstellen lässt: Man muss nur absichtsvoll unter den Tisch fallen lassen, dass es in Sachen Effizienz schon ein wenig darauf ankommt, was da möglichst effizient vorangebracht werden soll, und schon spielt es gar keine Rolle mehr, ob Unternehmer zum Zwecke der Senkung ihrer Kosten bemüht sind, möglichst viel herauszuholen aus denjenigen, die sie als Faktor Arbeit für die Mehrung ihres Kapitalvermögens antreten lassen, oder ob sie zum Nutzen der bedürftigen Menschheit eine optimale Güterproduktion ins Werk setzen.

© 2018 GegenStandpunkt Verlag

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