Читать книгу Mittwochs am Meer - Alexander Oetker - Страница 6
III
ОглавлениеMaurice bereitete das Gespräch mit dem Chef der Austernzüchtergewerkschaft vor. Ihn ins Boot zu holen, war das Ziel – gewissermaßen der Clou, um die Firma zu retten. Danach schrieb er eine E-Mail an seinen Vater, in der er vom Fortgang der Geschäfte in der Bretagne berichtete. Er hatte nur Gutes zu sagen, bald wäre die Firma gerettet, und wenn nicht, dann wäre es nicht seine Schuld. Er suchte im Internet nach der Nummer des Taxirufs und rief eine Frau an, die den gewünschten Transport nach Minuten umständlich bestätigte. Dann nahm er den Koffer und trug ihn zum zweiten Mal an diesem Tag die Treppe hinunter. Die Nachtschicht betrat gerade die Halle, sechs, sieben Männer, die noch weniger sprachen als die von der Tagschicht. Ihnen allen gemein war eine blasse Haut, als würden sie den Tag ausschließlich im Bett verbringen. Er hätte gerne einmal Mäuschen gespielt, hätte gerne erfahren, worüber sie sprachen, wen sie vermissten, wenn der Mond am höchsten stand.
Er stand vor der Halle, gerade als ein kleiner Peugeot um die Ecke zum Parkplatz bog und vor ihm hielt. Eine Frau mit einer roten Dauerwelle stieg aus und grinste breit.
»Haben Sie ein Taxi zum Richeux bestellt?«
Sie fuhren die kleine Dorfstraße hinauf, das Meer nun zur Linken.
»Nobler Kasten, bin nie drin gewesen. Sind Sie reich?«
Ein Pariser Taxifahrer hätte sich eher die Zunge abgebissen, als diese Frage zu stellen. In Paris redeten sie, wenn überhaupt, nur über die unfähigen Politiker. Aber hier auf dem Land, in der Bretagne, ging es direkter zu, als Maurice es manchmal ertrug.
»Nein, es war nur Zufall, mein Hotel war überbucht, und dieses hat man mir als Ersatz angeboten.«
Er blickte verlegen aus dem Fenster. Die Frau betrachtete ihn im Rückspiegel, als sei er wahlweise ein Märchenprinz oder ein Märchenerzähler.
»So ein Glück möchte ich auch mal haben. Unsereins hat nicht mal zwei Richtige in der Lotterie.«
Als sie nach links abbog und den kleinen Kiesweg entlangraste, dass die Steine nur so flogen, konnte er den Blick nicht von dem Haus abwenden, das rasch näher kam. Haus, nein. Es war ein veritables Château, der Name täuschte nicht. Er erinnerte sich, davon gelesen zu haben. Der Inhaber war ein Dreisternekoch, der in der gastronomischen Welt als der Herr der Kräuter galt.
Das Schloss war eine Trutzburg, dunkler Stein, spitze Zinnen, weiße Sprossenfenster. Dahinter war das Meer zu sehen, eine weite Fläche, es begann direkt hinter dem Felsen, auf dem das Château thronte.
Maurice zahlte und stieg aus, ging die paar Schritte über den knirschenden Kies und betrat durch das Portal die hochherrschaftliche Lobby.
Die Decken des Eingangsbereiches waren sicher acht oder neun Meter hoch, es gab helle Säulen, von denen die breite Holztreppe, welche nach oben führte, eingefasst war. Es roch nach einem teuren Raumparfum. Er trat an den kleinen Empfangstresen, hinter dem eine junge Frau in einer schwarzen Bluse lächelte, als warte sie nur auf ihn.
»Herzlich willkommen im Château Richeux. Ich nehme an, Sie sind Monsieur van der Berge? Ihre Ankunft wurde mir schon avisiert.«
»Ja, vielen Dank. Ich habe … nein, man hat für mich ein Zimmer reserviert.«
Sie schlug das Reservierungsbuch zu und lächelte ihn an. »Bienvenue. Madame Vial hat vorhin angerufen.« Bei der Erwähnung ihres Namens zuckte er leicht zusammen. »Es hat alles seine Ordnung. Zimmer zweiunddreißig, eines unserer schönsten. Es ist gleich die Treppe hinauf, mit einem herrlichen Blick aufs Meer. Sie hatten sicher einen harten Tag: Ich empfehle Ihnen ein schnelles Bad im Meer, bevor Sie zu uns zum Apéro kommen, danach haben wir für Sie einen schönen Tisch in unserem Gourmetrestaurant reserviert.«
»Ähm, vielen Dank, das ist sehr nett. Aber ich fühle mich erschöpft. Ich würde gern auf dem Zimmer bleiben und dort etwas essen, eine Suppe vielleicht?«
Ihr Blick veränderte sich nur kurz, gleich darauf war da wieder dieses freundlich-offene Lachen.
»Natürlich, Monsieur van der Berge.«
Doch irgendetwas durchfuhr ihn, und es war nicht die Feststellung, dass er ja zum Mittag schon Salat gehabt hatte, nein, es war vielmehr so, als sei dies eine Gelegenheit, eine einmalige Gelegenheit, nicht das Essen, nein, das alles hier, das alles.
»Hören Sie«, sagte er, und seine Stimme war nun fester, »keine Suppe, vielleicht gibt es Meeresfrüchte, kann ich vielleicht Meeresfrüchte auf mein Zimmer bekommen? Wäre das wohl möglich?«
Nun strahlte sie. »Natürlich, wir servieren Ihnen ein Plateau mit einer Auswahl auf Ihr Zimmer. In einer Stunde? Wasser steht in der Zimmerbar für Sie bereit.«
»Vielen Dank.«
Er ging langsam die Treppe hinauf. Er spürte, wie sie ihn beobachtete.
Die Tür zu Zimmer zweiunddreißig war zweiflügelig. Er dachte wieder darüber nach, welchen Stein die junge Rezeptionistin unten in Cancale bei dem Boss dieser Luxusherberge im Brett hatte. Es piepte dreimal, als er die Karte an die Tür hielt, dann betrat er das Zimmer.
Das Licht war sanft in dem großen Raum. Es fiel durch die zwei doppelten Fenster mit den Sprossen, die weiß gestrichen waren. Die Farbe schien ganz frisch, es war ein strahlendes Weiß, das durch die Abendsonne noch klarer erschien. Der Baum, der vor dem Fenster stand, wiegte sich sanft im Wind. Es war nicht viel Wind, es war einer dieser typischen Frühsommertage in der Bretagne. Sicher würde das Fleckchen Erde am Rande der Welt wieder einen Sommer erleben, der keiner war. Es regnete viel hier oben, er kannte all die Witze über das bretonische Wetter.
Er betrachtete den Raum: das breite Bett mit der gewebten Tagesdecke, ein Bild der Bucht hing darüber, ein Original, die Möbel waren alle aus altem dunklem Holz.
Er hatte erst diesen Moment gebraucht, ehe er ans Fenster treten konnte. Die Aussicht war überwältigend: Maurice stand genau im Rahmen und sah nach vorn, dadurch hatte er den Eindruck, als würde er über dem Meer schweben. Die Flut musste mittlerweile ihren Hochstand erreicht haben. Die Sonne schimmerte auf den kleinen Wellen, er konnte von hier oben gar nicht sehen, wo der Strand war, an dem das Meer anlandete.
Er senkte den Blick. Zwischen den Oleandersträuchern im Garten hindurch schlängelte sich der Weg hinunter, dahin, wo er den Strand vermutete. Neben dem Weg stand eine Bank aus weißem Holz. Darauf saßen zwei Touristinnen, sie sahen aus wie echte englische Ladys, die hier den Sommer verbrachten. Eigentlich ideal: Wem der Süden im Alter zu heiß war, für den war die Bretagne genau richtig – und England sollte man noch sehen können, wenn man schon weg war von zu Hause.
Er schaute hinüber auf die Bucht von Le Vivier-sur-Mer, und drüben links, dort wo die Sonne schien, konnte er den Hafen von Cancale sehen.
Ein Bad im Salzwasser hatte ihm die Rezeptionistin empfohlen. Und danach einen Apéro. Er musste lächeln, auch wenn es dafür keinen Grund gab. Es war Wehmut, die er spürte. Wann war er zum letzten Mal im Meer schwimmen gewesen? Er dachte an die Frau im Hotel. Würde sie schwimmen gehen? »Natürlich«, sagte er leise und drehte sich um, als könne ihn jemand hören. Ja, natürlich würde sie schwimmen gehen, so ein Mensch war sie. Sie war eine Frau, die nach getaner Arbeit oder einfach, weil ihr danach war, schwimmen gehen würde. Sie wirkte wie jemand, der einfach tat, wonach ihr der Sinn stand. In jeder Lebenslage.
Warum nur bin ich so töricht, dachte er, warum denke ich so viel über sie nach?
Er griff nach dem Handtuch, das auf dem Bett bereitlag und legte es über seine Schulter. Dann nahm er den Bademantel aus dem Schrank. Er entkleidete sich und zog ihn an, dabei fiel ihm auf, dass er ja keine Badehose mithatte. Warum auch? Ihm war nie aufgegangen, dass so ein Utensil bei einem Arbeitstrip nützlich sein könnte. Und doch verspürte er Lust. Lust auf das Meer. Er schloss den Bademantel und verließ sein Zimmer. Der Gang zur Treppe, doch dann hörte er zwei Stimmen, sie sprachen Englisch, die englischen Ladys, tatsächlich, sie kamen die Treppe herauf, und Maurice drehte um, schnell, er eilte, damit sie ihn nicht sahen, es piepte wieder, und dann schloss sich die Tür zu seinem Zimmer hinter ihm.