Читать книгу Mittwochs am Meer - Alexander Oetker - Страница 8
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Оглавление»Monsieur van der Berge, es fällt mir schwer, mich für Sie einzusetzen. Ich kenne Sie nicht. Wenn ich das sagen darf: Sie sehen ganz anders aus als wir. Sie wissen ja, Monsieur, dass wir mit Parisern so unsere Schwierigkeiten haben, weil wir spüren, wie ständig auf uns Hinterwäldler herabgeschaut wird.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht recht, was Sie meinen.«
»Ich versuche Ihnen zu sagen, Monsieur van der Berge, dass ich nicht glaube, dass sich meine Kollegen davon überzeugen lassen, von einer Firma, die es bald nicht mehr geben wird, Produkte zum doppelten Preis zu kaufen. All diese Dinge, Ihre Netze, Ihre Säcke, die kaufen wir in Rumänien für die Hälfte. Und die Zeiten sind nicht so, dass es meinen Kollegen und mir anders möglich wäre.«
Maurice strich sich, während er dem Mann zuhörte, einmal über die Brust, bis ihm auffiel, warum er das tat. In der Innentasche seines Tweedjacketts steckte der zusammengefaltete Brief. Ihm war, als würde von dort eine große Wärme ausgehen. Er fühlte sich unerhört stark.
»Monsieur, wenn ich richtig informiert bin, dann ist es doch so: Sie sind das Kind eines Austernzüchters. Sie stammen hier aus der Stadt. Sie haben bei Ihrem Vater die Ausbildung gemacht. Dann waren Sie kurz in Arcachon, damit Sie noch einmal von hier wegkommen, bevor die Verantwortung bei Ihnen liegt. Anschließend haben Sie den Betrieb übernommen. Ihn zum größten Betrieb der Region gemacht. Nun sind Sie seit zwanzig Jahren der mächtigste Züchter der nördlichen Bretagne. Habe ich recht? Sagen Sie: Bin ich richtig informiert?«
Der stämmige Mann kniff die Augen zusammen. Er rang mit sich, befand sich irgendwo zwischen Neugier und Stolz. ›Woher wusste dieser Pariser das alles?‹, fragten seine Augen. Aber sie sagten auch: ›Er hat ja recht.‹
»Sie sind gut informiert«, antwortete er schließlich.
»Sehen Sie. Und ich glaube nicht, dass all das so gelaufen wäre, wenn Sie ständig falsche Entscheidungen getroffen hätten.«
»Was wollen Sie damit sagen, Monsieur van der Berge?«
»Ihre ganze Geschichte, Monsieur, liegt hier in dieser Sichelbucht. All Ihre Erfolge. Und, wenn ich das hinzufügen darf: auch Ihre Zukunft. Wie soll diese Zukunft aussehen, wenn irgendwann nur noch von ein paar riesigen Firmen Austern produziert werden, mit billigen Arbeitskräften von irgendwo – und hier nur noch die Touristen die Gehsteige platttreten? Wenn Cancale zur Kulisse verkommt. Meinen Sie, es wäre nicht die perfekte Möglichkeit, Ihrer Stadt eine wichtige Tradition zu erhalten – indem Sie Ihre Kollegen von den Produkten und dem Know-how dieses Betriebs überzeugen? Die alten Herren sind nicht mehr hier, die die Firma in den Ruin getrieben haben. Ich bin jetzt hier – und ich bürge für die Produkte – und für die Angestellten. Ich muss Sie nicht anflehen, sondern ich sage es ganz selbstbewusst: Setzen Sie sich für den Betrieb ein, den ich derzeit betreue – das ist das Beste für die Stadt und damit auch für Sie. Über die Preise … herrje, darüber können wir reden.«
Maurice wusste nicht, woher diese Energie kam, die ihn durchströmte. Hätte er die Sätze aufgeschrieben gesehen, die er gerade gewählt hatte, er wäre zusammengezuckt vor Scham über den eigenen Größenwahn. Der Austernzüchter betrachtete ihn lange und nachdenklich, bis er sich streckte und leicht nach vorne beugte.
»Hören Sie, Monsieur van der Berge, ich habe viel über Sie gehört, was mir nicht gefallen hat. Dass Sie zögerlich sind und weltfremd, ich sage das ganz offen. Aber ich habe einen anderen Eindruck. Ihre Worte imponieren mir. Ich werde tun, was ich kann. Vielleicht gelingt es mir, dann hätte Ihre Firma eine Zukunft. Sie hören von mir.«
Beide Männer standen auf, sie schüttelten einander die Hand, ein Zeichen des Einverständnisses auf Augenhöhe.
Als sich die Tür schloss, fiel Maurice in seinen Stuhl und schloss die Augen. Er hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, als vor einer halben Stunde dieser Bär von einem Mann in den Raum getreten war, in seinem Blaumann und mit den dicken schwarzen Gummistiefeln. Ein Mann, der eben noch draußen auf dem Meer gewesen war.
Nun hatte er es geschafft. Er hatte ihn auf seiner Seite. Woher hatte er diese Gewissheit genommen, diese Überzeugungskraft?
Er griff in seine Innentasche und holte den Brief heraus. Er strich über das Papier, dann faltete er den Brief auseinander und las ihn wieder. Und noch einmal.
Eine Weile später ging er nach draußen und spazierte am Hafen entlang. Gerade war Ebbe, der Mond hatte den Booten das Wasser unter den Kielen weggezogen, sie lagen schief auf dem Trockenen. Dass das Meer in weniger als fünf Stunden wieder bis an die Hafenmauern reichen würde, war unvorstellbar. Maurice starrte hinaus auf die Kraterlandschaft, die die Ebbe im Hafen hinterlassen hatte.
Wäre das Meer nun hier gewesen, hätte er, ohne zu zögern, ein Bad genommen. Er überlegte, dabei kratzte er sich am Kinn. Er spürte leichte Stoppeln, die an seiner Hand juckten.
Natürlich würde er den Brief niemals beantworten, doch er überlegte seit dem Moment vorhin auf dem Felsen, was ein mutigerer, ein sinnlicherer Mann auf so einen Brief antworten würde.