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G. Das Gebot des sichersten Weges, Verjährungsdiskussionen und Einredeverzichte

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Wer als Anwältin/Anwalt der Patientin/des Patienten nicht vom eigenen Haftpflichtversicherer in die höchst unangenehme Rolle des „damaligen Bevollmächtigten und jetzigen Streithelfers der Arztseite“[157] gedrängt werden möchte, weil die Hoffnung des Haftpflichtversicherers auf eine Abwehr der Anwaltshaftung nur noch auf der Behauptung ruht, einen schadenskausaler Behandlungsfehler habe es gar nicht gegeben, sollte in allen Grenzsituationen das Gebot des sichersten Weges im Blick behalten. Dieser Hinweis darf in einem an die Praxis und insbesondere an die anwaltlichen Praktiker gerichteten Handbuch nicht fehlen, auch wenn dies nicht der Ort für eine anwaltshaftungsrechtliche Ausarbeitung ist. Unabhängig davon verschlechtert auch dort, wo die Schwelle zur Anwaltshaftung noch nicht überschritten ist, eine unnötig in Kauf genommene Verjährungsdiskussion die Position der Klägerin/des Klägers.

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Zunächst ist aber einer Argumentationsfigur entgegenzutreten, die bei Verjährungsdiskussionen gelegentlich in Schriftsätzen der Passivseite zu finden ist und die dahin geht, der Klägerseite sei grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen, weil sie nicht dem Gebot des sichersten Weges gefolgt sei oder weil sie keinen Einredeverzicht eingeholt habe. Die Frage nach grob fahrlässiger Unkenntnis ist eine gänzlich andere als die nach dem sichersten Weg oder die nach der Sinnhaftigkeit der Einholung eines Einredeverzichts. Dass die Aktivseite zu einem früheren Zeitpunkt etwas hätte tun können, liegt in der Natur der mindestens dreijährigen Verjährungsfrist, sagt aber nichts dazu aus, ob eine für die Klagerhebung ausreichende Kenntnis in verjährungsrelevanter Zeit vorgelegen hat. Und ohne ausreichende Kenntnis oder ohne grob fahrlässige Unkenntnis beginnt die Verjährung nicht und muss auch kein Einredeverzicht eingeholt werden.

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Dennoch haben die verschiedenen Fallkonstellationen und die vorstehend zu den einzelnen Themen aufbereiteten Entscheidungen der Obergerichte und des Bundesgerichtshofs gezeigt, dass zur Frage der Kenntnis, der grob fahrlässigen Unkenntnis und zur Frage der Verjährungshemmung noch eine erhebliche Bandbreite von Argumentationsmustern in der Welt ist.

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Kommen wir zurück auf die Diskussion, inwieweit Unmutsäußerungen oder Vorwürfe der Patientenseite als durchgreifendes Indiz für eine bereits vorliegende Kenntnis von einer schadenskausalen Standardunterschreitung zu werten sind, führen die „patientenfreundlichen“ Stimmen in der Literatur[158] gewichtige Argumente an. Dennoch sollte die Anwältin/der Anwalt auf Aktivseite grundsätzlich dort, wo dies zum Zeitpunkt der Beauftragung noch möglich ist, schon die Diskussion über diese Frage vermeiden. Dort, wo nicht lediglich Unmutsäußerungen oder Unzufriedenheit in verjährungsrelevanter Zeit festzustellen sind, sondern bereits konkrete Vorwürfe ausformuliert oder gar Schadensersatzforderungen geltend gemacht wurden, ist es für die Gerichte schwer erkennbar, dass hier noch keine den Schadensersatzanspruch begründende Umstände bekannt gewesen sein sollen, der Patient bzw. sein Anwalt lediglich den Versuch einer Substantiierung unternommen hat.

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Dabei muss in der anwaltlichen Vertretung auf Aktivseite ein Phänomen im Blick behalten werden, auf welches J. Prütting hinweist, dass nämlich in der I. Instanz und gelegentlich auch in der II. Instanz eine Tendenz zu beobachten ist, dass auch im Interesse der Erledigung des Geschäftsaufkommens Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis leichter bzw. früher angenommen wird.[159] Das unausgesprochene, manchmal sogar direkt angedeutete Motto, was sollen wir hier die Verjährung verneinen und die ganze Beweisaufnahme durchführen, wenn dann möglichweise in der II. Instanz Verjährung angenommen wird, gehört zu der nicht ganz seltenen Erfahrung der Praxis.

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Die Klagabweisung wegen Verjährung führt dann gelegentlich zum Aufgeben der Patientenseite. Geht die Sache in die Berufung und korrigiert das Oberlandesgericht die verjährungsrechtliche Beurteilung der I. Instanz, kommt es erst in der II. Instanz zu der sachverständig beratenen Klärung des Anspruchsgrundes. Und da diese Klärung selbst bei Bestätigung eines Behandlungsfehlers oft nur zu einem Teilerfolg führt, steht am Ende der Teilerfolg mit einer die Klägerseite belastenden Kostenquote für zwei (evtl. auch drei + Zurückverweisung) Instanzen. Dem nicht rechtschutzversicherten Mandanten bleibt von dem erzielten Erfolgt nach Abzug der ihm auferlegten Kosten dann ein deutlich geminderter Betrag, wenn überhaupt etwas übrigbleibt.

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Verjährungsdiskussionen sollten daher soweit irgend möglich von Aktivseite vermieden werden. Soweit noch Klärungsbedarf vor einer Klagerhebung gesehen wird oder soweit sich Verhandlungen hinziehen und nicht eindeutig feststellbar ist, dass die Verjährung noch gehemmt ist, bietet es sich an, bei dem Gegner bzw. dessen Haftpflichtversicherer einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung einzuholen. Das gilt auch dann, wenn nach eigener Überzeugung der Ablauf der Verjährung noch nicht droht, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Patientin/der Patient einer Diskussion darüber ausgesetzt wird, ob in diesem Fall nicht Besonderheiten vorgelegen hätten, die eine Nachfrage oder Prüfung sehr nahegelegt hätten. Typischerweise würde dann die Bitte um einen Einredeverzicht mit dem Hinweis verbunden werden, dass man zwar noch keine drohende Verjährung sehe, aber Diskussionen über dieses Thema und über die Reichweite von Verjährungshemmungen ausschließen wolle.

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Wird ein Einredeverzicht ausgesprochen ist Vorsicht bei bestimmten Einschränkungen geboten. Schränkt der Haftpflichtversicherer den Einredeverzicht auf den „Rahmen des Versicherungsvertrages“ ein, stellt dies eine der Patientenseite unbekannte Größe dar. Deshalb sollte zumindest in größeren Schadensfällen auf eine Klarstellung zur Reichweite dieser Einschränkung gedrungen werden.

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Zu beachten ist weiter, dass der Einredeverzicht für sich genommen zwar zu einer kurzen Verjährungshemmung (vom Eingang der Anfrage bis zur Erteilung des Verzichts) führen kann[160], aber die Verjährung nicht bis zu dem kalendermäßig bestimmten Ablauf des Verzichts hemmt. Verjährungshemmung und befristeter Einredeverzicht sind unabhängig voneinander zu prüfen. So kann die Verjährungshemmung über den Ablauf des befristeten Einredeverzichts hinaus reichen.[161] Der Anspruch kann aber auch während des laufenden Einredeverzichts verjähren mit der Folge, dass nach dem Eintritt der Verjährung vor Ablauf des Einredeverzichts aufgenommene Verhandlungen keine verjährungshemmende Wirkungen mehr entfalten können.[162] Auch vorbehaltlose Zahlungen auf den Schadensersatzanspruch können dann nicht mehr zu einem Neubeginn der bereits abgelaufenen Verjährung führen.[163] Der Einredeverzicht muss daher, will man sich durch ihn absichern lassen, vor seinem Ablauf auch dann verlängert werden, wenn zu diesem Zeitpunkt Verhandlungen laufen.

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Das ist auch zu beachten, wenn ein Schlichtungsstellenverfahren eingeleitet werden soll. Mit Urteil vom 17.1.2017[164] hatte der BGH das Verfahren vor einer Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen bzw. Gutachterkommission zwar hinsichtlich der Hemmung der Verjährung grundsätzlich dem § 204 Abs. 1 Ziff. 4 BGB zugeordnet. Diese Entscheidung darf jedoch nicht dazu verleiten, den Verzicht auf die Einrede der Verjährung im Verhältnis zum Schlichtungsstellenverfahren so zu behandeln wie im Verhältnis zu einem Klagverfahren. Mit seiner Entscheidung vom 10.11.2020[165] hat der BGH klargestellt, dass der befristete Verzicht auf die Einrede der Verjährung den Gläubiger nur von der Notwendigkeit der alsbaldigen gerichtlichen Geltendmachung entheben soll. Für andere Hemmungstatbestände gelte dies vorbehaltlich einer gegenteiligen Erklärung des Schuldners nicht. Der Gläubiger muss sich mithin um eine Verlängerung des Einredeverzichts bemühen, wenn vor Einleitung des Schlichtungsstellenverfahrens die Verjährungsfrist abgelaufen war und der Schuldner nur wegen eines befristeten Verzichts die Einrede nicht erheben darf.

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Wird vor Ablauf eines kalendermäßig befristeten Einredeverzichts mehrfach ein neuer Einredeverzicht für z.B. ein weiteres Jahr ausgesprochen, wirken die so sukzessive ausgesprochenen Einredeverzichte auch mit der Einschränkung „soweit noch nicht verjährt“ in der Weise, dass sich die Passivseite in dem rechtzeitig vor Ablauf des letzten Einredeverzichts eingeleiteten Klagverfahren nicht auf den Eintritt der Verjährung berufen kann, wenn zum Zeitpunkt des ersten Einredeverzichts Verjährung noch nicht eingetreten war.[166]

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Gerät ein Klagverfahren in Stillstand und endet die Hemmung nach § 204 Abs. 2 BGB, tritt bei dann laufenden Vergleichsverhandlungen ebenfalls keine Hemmung nach § 203 BGB ein, wenn die Verjährung vor Klagerhebung bereits abgelaufen war und nur der Einredeverzicht der Verjährungseinrede im Klagverfahren entgegenstand.[167] Das muss bei auch im Arzthaftungsprozess nicht ganz seltenen Verhandlungspausen in gerichtlichen Verfahren wegen Vergleichsverhandlungen unbedingt beachtet werden. Hier bleibt, wenn sich Verhandlungen über mehr als 6 Monate zu erstrecken drohen, nur die Einholung eines neuen Einredeverzichts.

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