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II. Verjährungshemmung während eines Verfahrens vor einer von den Ärztekammern eingerichteten Schlichtungs- bzw. Gutachterstelle nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB
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Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 17.1.2017[139] eine Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB angenommen, wenn der Patient gegen den behandelnden Arzt Schadensersatzansprüche bei einer von den Ärztekammern eingerichteten Schlichtungsstelle oder Gutachterstelle geltend macht, und zwar unabhängig davon, ob der Arzt oder der hinter diesem stehende Haftpflichtversicherer sich auf das Schlichtungsverfahren einlässt. Dies gelte auch, wenn ein Schlichtungsverfahren nach der Verfahrensordnung der jeweiligen Schlichtungsstelle nur dann durchgeführt wird, wenn Arzt und Haftpflichtversicherer der Durchführung des Verfahrens zustimmen.
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In Rechtsprechung und Literatur wurde bislang die Verjährungshemmung nur bei erklärtem Einvernehmen angenommen. Deutsch/Spickhoff haben z.B. vertreten, dass der Schlichtungsantrag des Geschädigten nur zu einer Hemmung der Verjährung nach § 203 BGB führen könne, wenn der Gegner sich auf das Verfahren einlasse.[140] Das OLG Köln hat in einer Entscheidung vom 1.7.2013[141] offen gelassen, ob die Hemmung der Verjährung während eines Verfahrens vor der Gutachterkommission der Ärztekammer sich nach § 203 BGB oder nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB richte. Die Hemmung setze in beiden Fällen voraus, dass die Parteien das Verfahren im Einvernehmen betrieben. Auch die Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen haben in ihren Broschüren oder Internetauftritten darauf hingewiesen, dass eine Hemmung der Verjährung vom Einvernehmen des Arztes und seines Haftpflichtversicherers mit der Durchführung des Verfahrens abhängig sei.
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Der BGH sieht die Schlichtungsstellen der Ärztekammern als sonstige Gütestellen bzw. nach dem jetzigen Gesetzeswortlaut Streitbeilegungsstellen i.S.d. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB. Das für diese Gütestellen geforderte Einvernehmen unterstellt er mit einem Rückgriff auf § 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO, nach welchem das Einvernehmen unwiderleglich vermutet wird, wenn der Verbraucher eine branchengebundene Gütestelle angerufen hat. Bei den Schlichtungsstellen der Ärztekammern handele es sich um eine derartige branchengebundene Gütestelle. Der Patient sei im Verhältnis zum beklagten Arzt Verbraucher i.S.d. § 13 BGB. Diese Entscheidung eröffnet für die Patientenseite eine einfache und kostengünstige Möglichkeit, kurz vor Ablauf der Verjährung noch zu einer Verjährungshemmung zu kommen. Lehnt der Arzt oder sein Haftpflichtversicherer nach Antragstellung die Durchführung des Schlichtungsverfahrens ab, endet die Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 2 BGB sechs Monate nach Beendigung des eingeleiteten Verfahrens.[142]
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Zu warnen ist jedoch vor einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Schlichtungsstelle. Zwar wird die Inanspruchnahme des Güteverfahrens nicht schon dann als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn die Gütestelle ausschließlich zum Zwecke der Verjährungshemmung angerufen wird. Als rechtsmissbräuchlich sieht der BGH ein solches Vorgehen jedoch dann an, wenn schon vor Einreichung des Güteantrages durch den Antragsgegner klargestellt wurde, dass er nicht bereit ist, an einem Güteverfahren mitzuwirken und sich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen.[143] Hat mithin in einer Arzthaftungssache der zuständige Haftpflichtversicherer im Zuge der vorausgehenden Korrespondenz die Beteiligung an einem Schlichtungsstellenverfahren ausdrücklich und eindeutig abgelehnt, dürfte eine Verjährungshemmung nicht eintreten.
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Vorsicht ist auch geboten bei der Begründung des Antrages auf Durchführung des Schlichtungsstellenverfahrens. Der BGH verlangt in einem Fall aus dem Bereich der Anlagenberatung eine hinreichende Konkretisierung des Anspruchs. Das angestrebte Verfahrensziel müsse zumindest soweit umschrieben werden, dass dem Gegner und der Gütestelle ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich ist.[144] Eine genauere Bezifferung müsse der Güteantrag demgegenüber grundsätzlich nicht enthalten. Hier wird man vor dem Hintergrund, dass in Arzthaftungssachen auch im gerichtlichen Verfahren nur mäßige Anforderungen an die Substantiierung zu stellen sind,[145] für Schlichtungsverfahren im Arzthaftungsbereich die Anforderungen nicht sehr hoch ansetzen, zumal die Schlichtungsstellen auch nicht verlangen, dass bereits ein konkreter Fehlervorwurf erhoben wird. Dennoch sollte, um das Ziel der Verjährungshemmung nicht zu gefährden, eine Konkretisierung des Verfahrensziels und insbesondere eine hinreichend genaue Bezeichnung der Behandlung und des als behandlungsfehlerbedingt vermuteten Schadens erfolgen.
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Zu beachten ist im Übrigen, dass die Hemmungswirkung des Verfahrens vor der Schlichtungsstelle voraussetzt, dass Verjährung noch nicht eingetreten ist. Ist die Verjährung vor der Einleitung des Schlichtungsstellenverfahrens abgelaufen, steht der Einrede aber ein befristeter Verzicht auf die Einrede der Verjährung entgegen, kann eine Verjährungshemmung nicht eintreten. Der Gläubiger, also hier die Patientenseite, muss sich daher, soll ein Schlichtungsstellenverfahren durchgeführt werden, rechtzeitig vor Ablauf des befristeten Verzichts um eine Verlängerung bemühen.[146]