Читать книгу Handbuch Arzthaftungsrecht - Alexander Raleigh Walter - Страница 92
b) Einschlafen der Verhandlungen
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Noch unschärfer als der ausdrückliche oder deutlich zum Ausdruck gebrachte Abbruch von Verhandlungen stellt sich in der Rechtsprechung die Annahme eines Abbruchs der Verhandlungen durch Einschlafen dar.
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Der VI. Zivilsenat des BGH hatte einen Abbruch der Verhandlungen durch Einschlafenlassen in der Vergangenheit dann angenommen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt hatte, zu dem eine Antwort auf die letzte Anfrage des Ersatzpflichtigen spätestens zu erwarten gewesen wäre, falls die Regulierungsverhandlungen mit verjährungshemmender Wirkung hätten fortgesetzt werden sollen.[123] Er hat ein solches Einschlafenlassen der Verhandlungen z.B. in einem Fall angenommen, in welchem der Haftpflichtversicherer am 7.12.1983 eine detaillierte Stellungnahme zur Anspruchshöhe abgegeben und um Beantwortung von Fragen zur Höhe der geltend gemachten Pflegekosten gebeten hatte. In diesem Fall hielt der BGH die Reaktion der Klägerin erst am 17.3.1984 für verspätet, sodass die Hemmungswirkung noch vor diesem Zeitpunkt entfallen sollte.
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Im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung war diskutiert worden, für das Einschlafen von Verhandlungen i.S.d. § 203 BGB eine ähnliche Regelung wie in § 204 Abs. 2 für den Stillstand des Verfahrens einzuführen mit einer Nachhemmung von 6 Monaten nach der letzten Erklärung einer der Parteien. Auch war überlegt worden, ob die Schriftform für verhandlungsbeendende Erklärungen eingeführt werden sollte. Der Gesetzgeber hat sich jedoch gegen eine solche, sicher einfacher zu berechnende Regelung entschieden. Man entschied sich für die Fortführung der bisher durch die Rechtsprechung gefundenen flexiblen Lösung zu § 852 Abs. 2 BGB a.F. Das praktische Problem, dass Gläubiger und Schuldner im Zweifel unterschiedliche Zeitpunkte angeben werden, zu welchen der nächste Schritt hätte erwartet werden dürfen, bleibt damit bestehen.[124]
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Da der Sinn der Verjährung dahingeht, den Schuldner davor zu bewahren, nach längerer Zeit mit von ihm nicht mehr erwarteten Ansprüchen konfrontiert zu werden, lässt sich die Annahme eines Einschlafens der Verhandlungen eher rechtfertigen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu welchem er auf ein Schreiben des Verpflichteten hätte reagieren müssen. Bleibt dagegen bei laufenden Verhandlungen eine Reaktion des Schuldners aus, fällt es schwer, die Geduld des Berechtigten diesem als Einschlafenlassen der Verhandlungen zum Nachteil gereichen zu lassen.
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Einzelne Bemerkungen in Entscheidungen des VII. Zivilsenats des BGH[125] und des X. Zivilsenats[126] aus dem Bereich des Bauvertragsrechts waren jedoch so zu verstehen, dass ein Einschlafen der Verhandlungen auch durch unterbleibende Reaktionen des Verpflichteten eintreten kann. Das hat das OLG Koblenz in seiner Entscheidung vom 23.9.2015[127] bewogen, die Revision zuzulassen, nachdem es ein Einschlafen aufgrund ausbleibender bzw. später Reaktion des Haftpflichtversicherers des Verpflichteten nicht annehmen wollte. Das OLG Koblenz sah sich auf der Linie des VI. Zivilsenats, einen Abbruch der Verhandlung durch Einschlafenlassen nur dann zu unterstellen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu welchem der Verpflichtete spätestens mit seiner Reaktion rechnen konnte und durfte.
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Der VI. Zivilsenat des BGH hat dem OLG Koblenz jedoch widersprochen und in seiner Revisionsentscheidung vom 8.11.2016[128] durch die in früheren Entscheidungen gewählte Formulierung, in denen es jeweils um eine nicht zeitnahe Reaktion des Gläubigers ging, sollte ein Einschlafenlassen durch den Schuldner nicht ausgeschlossen werden. Der BGH habe in keinem Fall ein Einschlafenlassen der Verhandlungen mit dem Argument abgelehnt, dass dies durch eine fehlende Reaktion des Schuldners nicht möglich sei.
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Wenig ergiebig ist diese Entscheidung, wenn es um die Frage geht, welche Zeitläufe der BGH bis zum Einschlafen ansetzt, was aber für die Entscheidung auch nicht erforderlich war, weil schon von einem ausdrücklichen Abbruch der Verhandlungen ausgegangen wurde, also ohnehin nichts mehr „einschlafen“ konnte.
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In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall ging es um fehlende Unterlagen, die die Patientenseite nach der Anspruchsablehnung durch den Haftpflichtversicherer bei diesem im November 2007 angefordert hatte. Die Antwort kam auf nochmalige Anforderung im August 2008. Es lag schon deutlich früher nahe zu überlegen, ob man überhaupt noch in Verhandlungen stehe, nachdem auf die Anforderung fehlender Unterlagen eine Antwort ausblieb.
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Geht es jedoch um die Prüfung des Anspruchsgrundes, werden in der Praxis nicht selten 9 Monate oder mehr Geduld abverlangt. Die Gefahr besteht jedoch, dass die vom Gesetzgeber als ausreichend angesehene, in der Rechtsprechung gefundene flexible Lösung den Realitäten der arzthaftungsrechtlichen Auseinandersetzungen nicht gerecht wird und Richter ohne Erfahrung mit vorgerichtlichen Verhandlungen schematisch von praxisfernen Zeitvorstellungen ausgehen. Man wird im Arzthaftungsbereich auch nicht Zeitvorstellungen, die die Rechtsprechung zu anderen Rechtsgebieten entwickelt hat, übernehmen können.[129] Die Hinweise von Martis/Winkhart auf derartige Entscheidungen sind als Mahnung zur Vorsicht auf Aktivseite sicher nützlich.[130] Es kann entgegen der dort vertretenen Ansicht aber nicht schematisch „regelmäßig nach einmonatiger Untätigkeit“ vom Ende der Verhandlungen ausgegangen werden. Erinnert sei an eine Entscheidung des VI. Zivilsenats vom 1.3.2005[131], in welcher es um einen Fall ging, in welchem der Kläger Schadenersatzansprüche aus fehlerhafter Behandlung geltend gemacht und der Haftpflichtversicherer des Universitätsklinikums eine Prüfung zugesagt hatte mit dem gleichzeitigen Hinweis, dass das Archiv derzeit nicht zugänglich sei, er werde aber unaufgefordert weiter Stellung nehmen. Auf ein Erinnerungsschreiben des anwaltlich vertretenen Kindes 18 Monate nach dieser Prüfungszusage wurden Schadenersatzansprüche abgelehnt. Es sei unter diesen Umständen grundsätzlich Sache des Haftpflichtversicherers, die Initiative wegen einer Wiederaufnahme der Verhandlungen zu ergreifen, wenn er die Hemmung einer Verjährung der Ersatzansprüche beenden wolle. Der Hinweis, man müsse zur weiteren Prüfung des Anspruchs Einsicht in derzeit nicht zugängliche Archivunterlagen nehmen und werde unaufgefordert weiter Stellung nehmen, habe dazu geführt, dass der Berechtigte ohne die Folge eines Abbruchs der Verhandlungen abwarten durfte.
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Es unterliegt nach der Entscheidung des BGH vom 15.12.2016[132] grundsätzlich tatrichterlichem Ermessen, die Zeitspanne zu bestimmen, innerhalb derer auf die Erklärung eines der Verhandlungsführer eine Antwort des anderen vernünftigerweise zu erwarten war. Der BGH gibt selbst keine festen Fristen für ein Einschlafen der Verhandlungen vor. Der Zeitraum, den man dem einen Teil zur Reaktion auf die Äußerung des anderen Teils einräumen müsse, hänge von dem Gegenstand der Verhandlung und der Verhandlungssituation ab. Gerechnet werden muss auf Aktivseite damit, dass das Ermessen von Tatrichter zu Tatrichter sehr unterschiedlich ausgeübt wird.
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Es muss aber einen Unterschied machen, ob Verhandlungen über ein vom Anspruchsgrund her relativ überschaubares Unfallgeschehen oder ein i.d.R. komplexes Behandlungsgeschehen geführt werden[133] und in welchem Verhandlungsstadium die Parteien sich befinden. Die von Martis/Winkhart zitierten Entscheidungen[134] betreffen allesamt Verhandlungssituationen, in denen der Anspruchsgrund nicht hochkomplex war und schon ausführlich korrespondiert worden war und in denen sich ein Stocken der Verhandlungen schon beim letzten Gespräch oder Schreiben abgezeichnet hatte. Hier mag eine Frist von einem Monat tatsächlich der Erwartung eines nächsten Verhandlungsschritts entsprechen.
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Die zentrale Frage wird im Einzelfall bleiben, wann der Verpflichtete bzw. dessen Haftpflichtversicherer spätestens eine Reaktion des Berechtigten, also des Patienten oder des Rechtsnachfolgers des Patienten, oder der Berechtigte eine Reaktion des Verpflichteten bzw. seines Haftpflichtversicherers erwarten durfte. Hier kommt es auf tatsächliche Umstände und die Erwartungshaltung im Einzelfall an. Geht es in Arzthaftungssachen um den Anspruchsgrund, benötigt der Haftpflichtversicherer des Arztes i.d.R. ausführliche Stellungnahmen der beteiligten Ärzte und interne oder externe medizinische Beratung, sodass selten eine Positionierung innerhalb von 3 Monaten stattfindet. Wird dann noch ein ärztlicher Berater eingeschaltet, zieht sich die Prüfung oft noch weitere Monate hin.[135]
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Nach einer ablehnenden Stellungnahme mit umfangreichen medizinischen Ausführungen werden weder der Patient noch ein Sachbearbeiter bei einem SVT innerhalb von wenigen Wochen zu diesen Ausführungen Stellung nehmen können, da auch dort medizinische Beratung erforderlich sein wird, die üblicherweise nicht innerhalb von zwei Wochen oder einem Monat zu organisieren ist. Das ist auf Seiten der Haftpflichtversicherer bekannt. Von daher gehört es in Arzthaftungssachen zu der die Erwartungshaltung prägenden Erfahrung, dass die Verhandlungen sich hinziehen und Antworten oft mehrere Monate auf sich warten lassen.
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Teilt der Haftpflichtversicherer mit, er wolle die Ansprüche prüfen und dazu Informationen seines Versicherungsnehmers oder der an der Behandlung beteiligten Ärzte einholen und er komme unaufgefordert auf die Sache zurück, hat der Berechtigte auch nach mehreren Monaten keinen Grund zu der Annahme, die Verhandlungen würden nicht fortgesetzt werden. Der Berechtigte muss dann darauf vertrauen dürfen, dass der Haftpflichtversicherer wie angekündigt „unaufgefordert auf die Sache zurückkommt.“[136] Wenn sodann der Haftpflichtversicherer sich mit der Prüfung mehrere Monate Zeit nimmt und eine ausführliche, auch medizinisch begründete Stellungnahme abgibt, wäre es widersprüchlich, der Patientenseite oder auch der Regresssachbearbeitung einer Krankenkasse vorzuhalten, eine Reaktion könne innerhalb von z.B. einem Monat spätestens erwartet werden.
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Dennoch sollte das Thema Einschlafenlassen mit Vorsicht angegangen werden. Dabei ließe sich in der Praxis die Erwartungshaltung des Gegners beeinflussen. Will der Patient zur ablehnenden Haltung des Haftpflichtversicherers medizinische Beratung in Anspruch nehmen, wäre es möglich, dem Haftpflichtversicherer dies mitzuteilen, und auch, dass dies nach vorläufiger Einschätzung X Monate dauern werde. Dann wäre es Sache des Haftpflichtversicherers, die Verhandlungen vorher abzubrechen, falls dieser die erbetene Geduld nicht aufbringen wollte. Umgekehrt empfiehlt es sich nach der Entscheidung des BGH vom 8.11.2016[137], ein Abwarten auf eine Stellungnahme des Haftpflichtversicherers mit Nachfragen zu verbinden, ob man dort noch prüfe bzw. in eine weitere Prüfung eingetreten sei.
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Einen Sonderfall des Einschlafens bei Nichtreaktion des Verpflichteten stellt die Fristsetzung durch den Berechtigten dar, die ohne Reaktion des Verpflichteten bleibt. Wird der Berechtigte nach Fristablauf nicht aktiv, sieht der BGH[138] hier ein Ende der Verjährungshemmung spätestens einen Monat nach Ablauf der von dem Berechtigten gesetzten Frist. Das dürfte jedoch nicht anzunehmen sein, wenn der Verpflichtete auf die Fristsetzung mit dem Hinweis reagiert, dass die Prüfung noch nicht abgeschlossen sei, und nochmals um Geduld bittet.