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Drittes Kapitel Zu Gast in Skutari

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Die Reise nach Shkodër, wie Skutari in albanischer Sprache genannt wurde, war für unsere Verhältnisse eine herrliche Landpartie. Wir mussten uns nicht übermäßig beeilen und brauchten nicht in magischen Zelten nächtigen, um kostbare Zeit zu sparen.

Beinahe fühlte ich mich wie der reisende Abenteurer, der ich früher einmal gewesen war, als ich die Magie und die Zauberei noch nicht kannte oder zumindest als Aberglauben verlacht hatte – und auch noch nie einer Hexe begegnet war.

Halef, Abdi und ich ritten über die sonnigen Landstraßen. Haschim hatte sich verabschiedet, um eigenen Dingen nachzugehen. Wir würden uns bald wieder treffen. Schimin und seine Frau waren endlich frei, körperlich und von Zwängen, und beide kehrten zurück nach Ismilan, damit Schimin in der alten Schmiede Deselims endlich wieder einer ehrbaren Arbeit nachgehen konnte. Mir hatte er zugeraunt, dass er dennoch ein schönes, silbernes Ohr für Abdi fertigen würde. Statt an Lederriemen um den Kopf, könne er es genauso an einer Kette um den Hals tragen, und kein Dieb würde es sogleich sehen können.

Einige Meilen vor Skutari ritten wir über die Ura e Mesit, die Brücke von Mes, welche die Osmanen im vorigen Jahrhundert erbaut hatten und deren Mittelbogen sich ebenso elegant buckelt wie der Höcker eines Dromedares. Daran, dass ich solche Dinge wieder heiter bemerkte, erkannte ich meine gelöste Stimmung. Das gefährliche Abenteuer war vorüber, die Schurken besiegt – oder zumindest nicht mehr in dieser Welt. Die Hexe würde sich in ihrem Hexenhaus verkriechen, wenn sie denn eines besaß. Sie hatte sich blutig und grausam am Schut gerächt, der sie verraten hatte. Mit uns sollte sie nach menschlichem Ermessen keine Händel, keine Fehde haben – wir hatten sie nicht verraten und auch keinen ihrer Pläne durchkreuzt. Dass sie am Ende nicht erlangt hatte, was sie wollte, hatte sie sich selbst zuzuschreiben: Einem Schurken zu vertrauen, ist niemandem anzuraten. Und sollte sie ihre edleren Ansinnen ernst gemeint haben – eine patriotische Reliquie könnten die Skipetaren auch von uns erhalten. Und was nun uns betraf: Wir hegten sehr wohl Groll gegen die Hexe. Denn sie hatte uns verraten und unseren Gefährten entführt, gar verletzt. Dies würden wir vergelten, sobald sich uns die Gelegenheit bot.

Wir erreichten Skutari. Und diese nicht kleine Stadt trägt, obwohl sie sich in der Nähe des Adriatischen Meeres befindet, einen durchaus orientalischen Charakter, was ja auf die meisten Orte des Balkan zutrifft. Skutari liegt teils in einer fruchtbaren Ebene, teils auf einer Hügelgruppe, welche diese Ebene begrenzt und auf ihrem höchsten Punkt ein verfallenes Kastell trägt, ein Schmuck, der vielen Orten, nicht nur auf dem Balkan, gegeben ist. Rings um die Anhöhe mit den Überresten der Burg Rozafa strömen die Flüsse Kir, Drin und Buna, und so ist es nicht verwunderlich, dass Skodra seit alters her eine wichtige Handelsmetropole ist. Da die Stadt sich zudem noch zwischen den Bergen und dem nach ihr benannten See befindet, war sie stets das sprichwörtliche Nadelöhr, durch welches sich die Linien der kaufmännischen Routen fädeln mussten.

Die Stadt selbst besteht eigentlich aus mehreren Dörfern, welche miteinander verbunden und deren Häuser fast ausschließlich aus Holz gebaut sind, aber vom Wohlstand der Bürger zeugen. Zudem zeigt sich hier wohl der deutlichste Ausdruck der albanischen Kultur, denn obgleich Skutari und das Land der Skipetaren zum Osmanischen Reich gehören, ist diese Gegend doch sehr weit von Istanbul und dem Herrscher der Hohen Pforte entfernt. Die alten Einflüsse der italienischen Venezianer und die jüngeren Einflüsse der habsburgischen Österreicher finden sich zwar auch im Bild der Stadt und ihrer Einwohner, bringen das Skipetarische aber noch deutlicher hervor.

Doch hier war unsere Reise zu Ende, weswegen ich nicht weiter den Baedeker, den Reiseführer, geben möchte.

Wir nahmen die uns bekannten Wege, über die Buna-Brücke und am Basarviertel vorüber, welche zum Haus von Henri Galingré führten. Dieser war Getreidehändler, ursprünglich aus Marseille, sehr wohlhabend und zudem ein Geschäftspartner von Isla Ben Maflei. Wir würden also wie schon in Stambul bei einem Mann aus dem Kreis unserer Freunde wohnen, die uns oftmals ihr Leben verdankten – und wir ihnen gefährliche Abenteuer, an welchen meine treuen Leser dank meiner Aufzeichnungen ebenso fiebernd teilhaben können.

Wir wurden herzlich und froh willkommen geheißen – nicht allein von der Familie Galingré, sondern auch durch Fontenoy und Beecher, die wohlbehalten angekommen waren.

Die Herren waren entspannt und neu eingekleidet, der Gastgeber hatte ihnen wohl die Adresse seines örtlichen Schneiders vermittelt, denn Fontenoy und Beecher hatten neue Anzüge in ihren favorisierten Stoffen: Beecher in unauffälligem Braun, Fontenoy in den hellen Streifen eines Südstaaten-Gentleman.

Sie überreichten Halef und mir feixend die geborgten grauen Nebeltücher – gewaschen und geplättet, mit jeweils einer Schleife aus hübschem Seidenband darum. Obwohl ich mich selbst auch als Westmann verstehe, werde ich doch den Humor der Amerikaner noch weniger begreifen als jenen der Engländer.

Die beiden Amerikaner führten uns, gemeinsam mit dem Hausherrn, zu der Remise mit den Wagen und Kutschen und jenem kleinen Lagerraum daneben, in welchem eine frisch gezimmerte Kiste stand. Sie war hoch und breit genug, dass darin wohl ein Mann würde sitzen können. Und tatsächlich war dies die neue Grabstätte des Skipetarenfürsten Lekë Dukagjini, zumindest vorläufig.

Und vorläufig war das Haus Galingré auch unsere höchst angenehme Behausung. Galingré nahm nicht nur Halef und mich als alte Freunde nur zu gerne auf, er und seine Frau gewannen auch den braven, heiteren Abdi sogleich lieb, und in dem Mann aus Louisiana erkannten sie nahezu eine verwandte Seele. Und weltgewandt wie sie waren, taten sie sich auch mit Beecher nicht schwer, der seinerseits ja ebenfalls weltgewandt war, mochte ihm das der eine oder andere engstirnige Zeitgenosse aufgrund seiner amerikanischen Herkunft und seines afrikanischen Aussehens auch nicht zugestehen, wenn nicht gar absprechen wollen. Wie sehr genieße ich es doch, unter verständigen Menschen zu sein, die ein offenes Herz und einen offenen Verstand haben. Und mit solchen Menschen ist auch herrlich gemeinsam speisen.

So wurden wir zum Essen geladen, als Gastgeschenk hatten wir viele Erzählungen über unsere Abenteuer mitgebracht. Wir waren gelöst, wir waren unter Freunden und wir wurden herrlich bewirtet. Man mag nun durchaus erwarten, in einem französischen Haus auch französisch zu speisen, doch wenn sich dieses Haus nicht auf französischem Boden befindet, wird dieser Erwartung nicht immer entsprochen. Es war aber nun so, dass die Familie Galingré im Gegensatz zu anderen Europäern, die im Ausland lebten, keine einheimischen Bediensteten besaß, sondern wie in der Heimat einen rein französischen Haushalt führte. Es gab französische Hausmädchen, einen französischen Herrschaftsdiener, ebenso einen Kutscher und einen Gärtner und – wohl am wichtigsten – eine französische Küchenfrau, die aufgrund ihrer Kochkünste jedoch zweifellos im Status eines maitre de cuisine stand und somit eine maitresse de cuisine genannt werden sollte, wobei ich aber den Titel madame de cuisine vorziehen würde. Zu den Wunderdingen, die sie vollbrachte, will ich mich gleich äußern. Denn ich möchte hier das etwas rüde Wort des großen Goethe abwandeln, welches da lautet: „Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt er gern.“ Mir ist nun alles Chauvinistisch-Nationale fern, und dies nicht nur, weil ich die Galingrés als Freunde errungen hatte und sehr schätzte. Zudem möchte ich die durchaus mögliche Liebe eines Deutschen zu den Franzosen nicht nur auf die in der Tat vorzüglichen Produkte der gallischen Reben und welschen Fässer beziehen, sondern eben auch auf jenes, was die Töpfe und Pfannen der französischen Herde verlässt. Ich habe nun rund um den Erdkreis gegessen, ja geschmaust – und wie könnte ich da die französische Küche schmähen! Wobei ich natürlich nicht die überzogen-verfeinerten Speisen der berühmten Restaurants und famosen Hotels meine, sondern das, was der Franzose meint, wenn er sagt: On ne mange bien que chez sois – man isst nur daheim gut, was also ein Lob der Hausmannskost bedeutet.

Aber man fragt sich zu Recht – wie kann denn bei Franzosen im Ausland wie zu Haus in Frankreich gegessen werden? Nun, im speziellen Fall der Galingrés verhielt es sich so: Sie waren nicht einfach Franzosen, sondern Südfranzosen und zudem aus Marseille. Wie ich schon früher erwähnte, und um mich selbst zu zitieren: „Der Bewohner der größten Stadt Südfrankreichs besitzt ein volles Recht, auf dieselbe stolz zu sein. Sie hat ein mildes, ein herrliches Klima, ägyptisch klare Nächte und trotz ihrer südlichen Lage eine Luft, welche von ewig gleicher Frische ist. Hier strömen alle Nationen der Erde zusammen, der zugeknöpfte, ernste Englishman, der feurige Italiener, der smarte Yankee, der listige Grieche, der verschmitzte Armenier, der dickblütige Türke, der wortkarge Araber, der schmächtige Hindu, der zopftragende Chinese und der in allen Farben vom schmutzigen Dunkelbraun bis zum tiefsten Schwarz spielende Bewohner Innerafrikas. In dem bunten Gemisch von Rassen, Farben, Trachten und Sprachen herrscht hier der orientalische Typus vor; er erteilt Marseille jenes asiatisch-afrikanische Gepräge, welches man in einer andern Hafenstadt Frankreichs vergebens suchen würde. Wer hinüber nach Algier oder Tunis will, der findet hier die beste Gelegenheit, sein Auge auf die Farben und sein Ohr auf die Klänge des anderen Erdteils vorzubereiten.“

Und dies findet seinen köstlichen Widerhall auch in der Küche Marseilles, die nicht nur südfranzösisch, also provenzalisch ist, sondern die Geschmäcker und Gerüche des weite Gestade umgreifenden Mittelmeerraums aufgesogen hat. Und damit sind eben nicht allein die europäischen Länder Italien und Spanien gemeint, sondern auch Maghreb und Levante, also Nordafrika und das Morgenland. Da es in der Tat so ist, dass auch die Religionen sich auf den Gaumen auswirken, eben wegen der Vorschriften für Zutaten und Zubereitung, findet sich in Marseille ein geradezu ökumenisches Buffet angerichtet: Sephardische Juden, orthodoxe Griechen und christliche Armenier geben ihre Vorlieben zu den vorgenannten katholischen Romanen und muslimischen Orientalen.

So hatte also die Köchin des Hauses Galingré keine Mühen, hier im osmanischen Skutari genauso zu kochen wie in der früheren Heimat, sodass Gastgeber und Gäste stets überaus zufrieden waren und niemand mit dem Gaumen fremdeln musste. Unter meinen Begleitern meinte ich damit natürlich nicht die beiden Amerikaner, die sich schon zuvor auf ihren Reisen durch die Küchen des kontinentalen Europas gegessen hatten und im Falle von Fontenoy ohnehin aus dem kulinarischen Schmelztiegel des amerikanischen Südens stammten, in welchem sich britische, französische und afrikanische Kochtraditionen gemischt hatten. Auch meinte ich nicht den Türken Abdi, der ein vortrefflicher, gelehrter Koch war und zudem Wien und Paris bereist hatte. Nein, da war ja auch noch mein lieber, guter Halef, der stolze, arabische Beduine, der jedoch deren karge Kost gewohnt war, diese schätzte und allem anderen gegenüber stets sehr skeptisch war, wenn es nicht den drei arabischen Geschmacksvorlieben, des sehr Süßen, sehr Fettigen und sehr Gewürzhaften entsprach. Man könnte also erwarten, dass ein Araber und die französische Küche aufs Unschönste kollidieren könnten – wenn es eben nicht die zuvor beschriebene Küche Marseilles gewesen wäre.

Und so war Halef nichts weniger als begeistert! Das Entrée, die Vorspeise, bestand aus Fougasse, dem flachen provenzalischen Brot, welches sein Gegenstück in der italienischen Focaccia hat und dem willigen Orientalen als Entsprechung seines Fladenbrots gelten kann. Schmackhaft gemacht wurde dies durch die Beigaben von Anchoïade, einer Paste aus Sardellen, Knoblauch und Olivenöl, sowie Tapenade, einer Paste aus Oliven, Kapern und Olivenöl. Besonders begeisterte Halef sich für Panisse, kleine Würfel aus Kichererbsenbrei, die in Öl frittiert worden waren und so nichts anderes darstellten als jenes, was der Araber als Falafel oder Ta’amia kennt. Weiterhin wurden allerlei gekochte Gemüse und auch Eier gereicht, dazu die kräftige Tunke aus Öl, Eigelb, Zitrone und Knoblauch, die der Franzose Aïoli nennt und die dem Provenzalen das ist, was dem Normannen seine Butter bedeutet.

Unsere Tischgespräche drehten sich um diese Köstlichkeiten, und wer hätte in Halef einen solch begeisterten kulinarischen Redner erwartet? Als nun auch noch Les pieds et paquets serviert wurden, ein Gericht aus Blättermagen, also dem Pansen des Schafs, eingerollt und mit Knoblauch und Petersilie gefüllt – der traditionelle Schweinespeck war für die muslimischen Gäste durch geeigneteres Fett ersetzt worden –, war Halef den Tränen der Rührung nah. Denn die Beduinen halten Schafe und Lämmer hoch in Ehren, zumal deren Wolle ihnen Kleidung, Zelte und Einkommen sichert.

Der Hausherr Galingré lächelte und wies auf die Beilage hin, ein Gericht aus Pilzen, die ich als Semmelgelbe Stoppelpilze erkannte, welche im Französischen aber Pied-de-mouton, Schafsfuß-Pilz, heißen. Der Araber an sich ist nun mit Pilzen nicht sonderlich vertraut, aber ein vergnüglicher Name hat schon oft den zögerlichen Gaumen gelockert.

Dies war auch ein guter Weg zum Hauptgericht des Abends, den mein tapferer Halef nun einmal beschreiten musste. Denn nun bekam es der Sohn der Wüste mit Geschöpfen aus dem ihm so fremden Element, dem Meer, zu tun. Es wurde uns die berühmte Marseiller Fischsuppe kredenzt, die alle Welt unter dem Namen Bouillabaisse kennt. Deren Farbenpracht und Symphonie aus Aromen ist zu Recht berühmt, und auch die Art der Darreichung ist bestechend: Die reichhaltige Brühe wird nämlich getrennt von den Fischen, Gemüsen und Kartoffeln serviert. Dies ist eine französische Eigentümlichkeit, die sich auch im pot-au-feu mit Rindfleisch und dem sprichwörtlich gewordenen Sonntagshuhn wiederfindet – während der Deutsche seinen Eintopf eben in einem Topf oder einer einzelnen Suppenschüssel belässt, wenn er zu Tisch kommt. Auf unserem Tisch nun gab es zu beiden Gängen geröstetes weißes Brot und eine neuerliche Tunke, mit den Aromen und Farben von Eigelb, Olivenöl, rotem Pfeffer und Safran sowie dem unvermeidlichen Knoblauch.

Galingré betonte die Besonderheit des Gerichts: dass die Bouillabaisse stets aus so vielen verschiedenen Seefischen und Meeresfrüchten wie möglich bereitet würde, es aber eine Sache der Ehre sei, für jeden weiteren Gast noch eine weitere Sorte Schuppentier beizufügen, und es deshalb nachgerade wundervoll sei, einen so reich besetzten Tisch zu haben. Halef fühlte sich geschmeichelt und nahm deswegen seine Scheu vor den gekochten Meeresbewohnern zurück.

Als ich aber ahnte, dass Galingré nun die mannigfaltige Fischersbeute komplett aufzählen wollte, die den Weg in den großen Topf gefunden hatte, ließ ich ihn nur für eine Weile gewähren. Ich sah nämlich, dass Halefs Miene sich merklich veränderte, bei jedem der seltsamen Namen: Rotbarbe, Petersfisch, Meeraal und Merlan waren hier noch die harmlosesten, auch Languste, Kaisergranat, Garnele und Miesmuschel. Als es dann aber zum Knurrhahn, Seewolf, Wolfsbarsch und Seeigel kam und mit Rotem Drachenkopf, Braunem Drachenkopf und Seeteufel weiterging – da wurden Halefs Augen groß und sein Mund klein. Er hatte alles sehr gut verstehen können, da Galingré ja Türkisch und Arabisch sprach, und falls ihm ein Begriff fehlte, Abdi sogleich aushelfen konnte. Ich konnte Galingré gerade noch Einhalt gebieten, als er in seiner Begeisterung erwähnen wollte, wie stolz er sei, sogar araignées de mer erhalten zu haben, eine besondere Köstlichkeit. Ich bezweifelte aber, dass Halef noch ein Gericht hätte genießen können, das Seespinnen enthielt, wenngleich diese auch nur eine Art von Krabben sind. Und die Erwähnung der weiteren Zutaten, nämlich weißen Wein und Pastis, einen Anisschnaps, unterband ich ebenfalls. Es wäre mir zu anstrengend gewesen, Halef davon zu überzeugen, dass während des Kochvorgangs aller Alkohol verdunstet wäre und sich allein die Aromen erhalten hätten.

Aber am Ende speiste auch Halef mit Genuss, selbst wenn es zunächst nur dazu kam, weil Abdi ihn in kecken Worten herausforderte, neben seinem stets vorhandenen Kampfesmut doch auch kulinarischen Mut zu zeigen. Wie gut also, dass man Halef stets an der Ehre packen konnte, und sei es nur zu seinem Besten, nämlich dass er ein köstliches Mahl nicht verschmähte.

Die Tischfreuden endeten mit schwarzem Kaffee und kleinem, bootsförmigem Gebäck, wiederum eine Marseillaiser Spezialität, parfümiert mit Orangenschale. Halef war so weit zufrieden und satt, dass er milde und nachsichtig war, als wir anderen auch ein wenig Cognac genossen. Beim anschließenden Rauchen sprach er wieder mit uns gemeinsam dem lässlichen Laster des Tabaks zu.

Spät am Abend bezogen wir unsere Quartiere und schliefen herrlich bequem auf weichen Federbetten ein.

Die französische Standuhr im Salon schlug die halbe Stunde nach Mitternacht, als wir aufschreckten. Im Haus war Tumult! Wir sprangen aus den Betten, mit bloßen Füßen und im Hemd, griffen nach den Revolvern und rannten auf den Gang hinaus. Halef und ich mussten uns kurz orientieren – Galingré hatte sein Haus ein wenig umgebaut, allerdings wesentlich geschmackvoller, als es dem Schut mit seinem Karaul je möglich gewesen wäre. Und statt der bläulichen Lichtkugeln brannten nur einige vereinzelte, niedergedrehte Lampen als Nachtbeleuchtung. Wir folgten dem Lärm und erkannten, dass er aus den Räumen Galingrés selbst kam. Vor uns hatten zwei weitere Schatten bereits die Tür erreicht und stürzten hinein – es waren Fontenoy und Beecher, welche in einem näherliegenden Zimmer untergekommen waren. Halef und ich erreichten ebenfalls den Durchgang, aus dem ein blasses, weißes Licht drang, in dem Schatten tanzten – und Schreie gellten!

Wir prallten gegen den Türrahmen, die Revolver erhoben, und sahen die unglaubliche Szene: Das Fenster stand offen, die Vorhänge wehten – keine Lampe, keine Kerze war entzündet, und doch flackerte weißes Licht gegen Decken und Wände, wie zitterndes Mondlicht, wie Sternenlicht! Im Bett, unter dem Baldachin, kauerten die Eheleute Galingré, die Laken als dürftigen Schutz vor sich, die Gesichter so weiß wie das Leinen.

Im Raum rangen drei Menschen. Beecher hielt den Revolver in der Faust, eine blasse Hand krallte sich um sein Handgelenk. Fontenoy schwang die blanke Klinge, deren Griff der Pelikanknauf seines Stockdegens war. Funkensprühend kreuzte sich der Stahl mit einer Hakensichel, deren Stockgriff in der Faust des Angreifers steckte – und an dessen kalt glühenden Augen erkannte ich: Hamd el Amasat!

Einige Herzschläge währte der Kampf – wir konnten nicht eingreifen, nicht schießen, denn wir hätten die Amerikaner verwunden, ja töten können. Dennoch warfen Halef und ich uns in den Raum, zerrten die Galingrés aus ihrem Bett, um sie hinter uns zu drängen und mit unseren Körpern zu schützen – wer wusste, was geschehen würde, ob Hamd el Amasat noch Helfer hatte oder ob ihm noch andere Teufeleien gegeben waren, außer den Sternen des Scheitan, die ihn, den einst Geblendeten, wieder sehend machten und gleichzeitig den Raum schaurig beleuchteten.

Mit einem Knurren schlug Hamd die Hakensichel in schrecklichem Hieb gegen den Pelikandegen und prellte ihn Fontenoy aus der Hand. Der Stahl klirrte zu Boden, Fontenoy duckte sich und griff hastig nach dem Knauf. Beecher langte mit der freien Hand nach Hamds Kehle, konnte nur die Schulter fassen, brachte seine Revolverhand aber in geeignete Position und drückte zweimal ab. Die Schüsse donnerten los, ein scharfes und doch dumpfes Klirren klang auf, dann heulten zwei Bleikugeln als Querschläger durch den Raum, zerschlugen einen Krug auf dem Waschtisch und das Glas einer gerahmten Fotografie.

Beecher keuchte entsetzt und schreckte zurück, Fontenoy stach von unten mit dem Degen nach Hamd, verfehlte ihn und erstarrte ebenfalls in Schrecken. Die Kugeln hatten Hamds Augen getroffen, beide, und mitten hinein – aber das Blei war von den Scheitanssternen abgeprallt. Die leuchtenden Augen waren gesplittert, winzige Blitze schossen heraus, die uns blendeten – doch Hamd konnte noch sehen, verspürte wohl auch keine Schmerzen. Er schwang noch einmal den Stock mit der Hakensichel, gegen Fontenoy, gegen Beecher, um sie abzuwehren, sie weichen zu lassen, und traf sogar den Revolver Beechers, dessen Hand im Schrecken erschlafft war und die Waffe fallen ließ. Hamd sprang zum Fenster – Halef und ich hätten auf ihn schießen können, doch die Galingrés klammerten sich entsetzt an unsere Arme und Schultern – zu dumm! Doch wer hätte es ihnen verdenken können!

Noch einmal schaute Hamd el Amasat uns mit seinen Sternenaugen an, dann sprang er aus dem Fenster, und mit einem wilden Ruf und lautem Hufschlag verschwand er.

Mit Mühe konnten wir uns fassen – zum Glück waren alle unverletzt. Fontenoy und Beecher rappelten sich auf. Wir beruhigten die Galingrés und versuchten eilig, das Geschehene zu ergründen: Hamd hatte sich in das Zimmer geschlichen, wohl um Rache zu nehmen, da er sie nicht an Omar Ben Sadek hatte üben können. Doch die Galingrés verneinten – er hatte ihnen wohl nichts tun wollen.

Nur weil die Amerikaner so rasch zur Hilfe eilten, entgegnete ich. Nur deshalb hatte das Scheusal nicht zuschlagen können! Die Galingrés nickten verwirrt Zustimmung, wenngleich nun in mir selbst Zweifel aufkamen.

Endlich sorgte jemand für Licht! Und schloss das Fenster. Wir mussten uns fassen und klar denken. Da rief Halef und zeigte. „Schau, Sihdi!“

Auf einem kleinen Tisch, der mit einer weißen Spitzendecke geschmückt war, stand eine kleine Vase, mit Blumen aus Galingrés Garten darin. Davor lag, ein harscher Kontrast zum Weiß der Spitzendecke, ein schwarzer Handschuh, lang und aus Seide. Wie vom Abendkleid einer Dame. Und darauf lag ein winziges goldenes Schmuckstück. Die Figur eines Ziegenbocks mit geschwungenen Hörnern, das Zeichen der albanischen Fürsten. Wer ein Collier aus solchen Figuren vor Jahrhunderten besessen hatte, war unklar. Wer es jüngst getragen hatte, wusste ich genau.

„Die Hexe!“, rief Halef. „Sie hat uns nicht vergessen.“

Ich nickte.

„Sie wird dies bereuen.“ Meine Worte klangen harsch. Ich war empört, dass unsere Freunde, die braven Eheleute Galingré, in ihrem trauten Heim einen solchen Überfall hatten erleiden müssen. Sie mochten nicht bedroht worden sein, es war nichts gestohlen worden, und den einzigen Schaden an ihrem Hab und Gut hatten die Kugeln der zur Hilfe eilenden Gäste verursacht. Aber es waren eben auch wir gewesen, die Hamd el Amasat in dieses Haus geführt hatten, in welchem wir logierten, weil uns die Galingrés so freundlich gastfrei hielten. Und nun herrschte Tumult: Das nächtliche Haus war aus seiner Ruhe gerissen. Der ältliche Gärtner kam mit seiner noch älteren Schrotflinte heran, mit der er gemeinhin allerlei störendes Getier von den Beeten und Rabatten fernhielt. Dann folgte die resolute Küchenmadame mit dem Küchenbeil, bereit, es genauso gegen Einbrecher einzusetzen wie sonst gegen Hühnerhälse und Fischköpfe. Der Kutscher war mit der Büchse bewaffnet, mit der er sonst seinen Herrn und dessen Waren vom Wagenbock aus verteidigte. Er schien auch damit umgehen zu können, aber er kam nun doch zu spät an den Ort des Geschehens, was ihm aber nicht als Feigheit anzulasten war. Denn nicht nur waren ja etliche veritable Abenteurer und Kämpfer unter dem Dach Galingrés zu Gast, die auf Gefahren und Alarm nun einmal rascher und erfahrener reagieren, nein, er schien anderweitig verhindert gewesen zu sein. Ich bemerkte nämlich, dass eines der Dienstmädchen, die ohnehin als Letzte eintrafen und scheu und ängstlich dreinschauten, durchaus nicht so verschlafen wirkte wie die anderen. Darüber kann ein jeder denken, was ihm beliebt. Man möge aber nicht allein nach dem urteilen, was die Franzosen ein cliché nennen, wenngleich ein solches sich ja dadurch auszeichnet, dass es meist der Wahrheit entspricht.

Wir hatten einiges damit zu tun, die Anwesenden zu beruhigen. Mehr als Worte halfen jedoch die probaten Mittel der Köchin: In kürzester Zeit waren erneut Kaffee und Cognac serviert, was uns gleichermaßen anregte und beruhigte und auch wieder in jene gelöste Stimmung versetzte, die nach dem Abendessen geherrscht hatte. Dies half den Gastgebern, über ihren Schrecken hinwegzukommen. Wir Gäste hingegen vergaßen natürlich nicht, was dieses nächtliche Ereignis zu bedeuten hatte und zu welchen Aktionen es uns führen würde.

Zunächst aber begaben wir uns allesamt erneut zur verdienten Ruhe. In dieser Nacht geschah nichts mehr, was die Galingrés beunruhigte. Allein ich wurde heimgesucht.

Der Sturz des Verschwörers

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