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Island-Hopping 1 - also Insel-Hüpfen

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Zip und Zap waren schon etliche Tage, wenn nicht gar schon zwei Wochen bei Joao und Maria da Luz Gomez und ihrer lärmenden Brut. Sie hatten schon ein klein wenig schlechtes Gewissen, weil sie dem reizenden Paar auf der Tasche lagen - obwohl man das kaum einem diebischen, frechen Spatzen zutrauen mag -, aber: Auch Spatzen haben ihren Stolz! Und außerdem wurden ihnen die abendlichen Vino-Verde-dos-Acores-Gelage langsam zuviel. An einem Montagmorgen verabschiedeten sie sich. Sie wollten einfach die Umgebung erkunden und einen Tagestrip nach Süden unternehmen. Maria umflügelte Zip: „Paß auf dich auf und kommt auf dem Rückweg wieder vorbei.“ Joao war wieder auf Futterbeschaffungstour und ließ herzlich grüßen. Zip und Zap winkten der schon wieder mit weit geöffneten Schnäbeln im Jungennest hockenden Brut zu und schoben sich durch die Lücke zwischen den beiden Ziegeln. Ein strahlender Morgen, laue Luft, blauer Himmel und up and away. Richtung Westen. Sie wollten gerade abheben, als Joao, schwer beladen, einflog:

„He, Leute, wo wollt ihr hin? Ich habe uns einen wunderbaren Verde mitgebracht …“ „Nein, danke“, sagte Zap, „wir wollen einen Ausflug machen, nach Süden, so wie du gesagt hast!“ Joao hatte es ihnen genau erklärt: „Also abheben von Santa Cruz (er hatte natürlich SCHANTA CRUSZCH gesagt) und direkt nach Süden, wenn ihr morgens fliegt, also die Sonne links, wenn ihr mittags fliegt, die Sonne voraus.“

„Joao“, sagte Zap, „ Joao, vielen Dank für alles, aber wir müssen los, wir kommen auch nicht zurück, vielleicht auf der Rückreise von Amerika, aber jetzt wollen wir wirklich los!“

„Na gut“, Joao umflügelte Zap, „aber ihr müßt mir einen Gefallen tun: Hier ist eine Flasche Vino Verde dos Acores (vin..verd dosch aschoresch), die bringt ihr meinem Bruder Joaquin, der wohnt auf der Insel Flores (er sagte Floresch) ganz nahe bei dem Dorf Faja Grande (er sagte Faisch Graau). Der wird sich freuen. Und ihr müßt ja ohnehin noch irgendwo Rast machen, bevor ihr über den großen, den schrecklich großen Teich fliegt … Ihr seid wirklich mutige Spatzen!“ Sie umarmten, pardon, umflügelten Maria und Joao und bedankten sich für die liebevolle Aufnahme. Maria da Luz Gomez verdrückte eine Träne und rieb sich die Augen mit der Flügelspitze: „Paßt auf euch auf Kinder, und laßt mal was von euch hören!“ „Ganz bestimmt, ganz bestimmt tun wir das“, sagte Zap. Er verstaute die Weinflasche sorgfältig in seinem Rucksack, ein letzter Blick auch auf die ewig hungrig die Schnäbel der Nestdecke entgegenstreckende Brut.

Ein stiller Tag und es waren mal gerade knapp 40 Kilometer bis zur Insel Sao Jorge, ein Klacks für unsere beiden Weltenbummler, zumal eine kleine Nordbrise sie auf ihren Schwingen gen Süden trug. Kaum waren sie über Santa Cruz aufgestiegen und hatten einige Hundert Meter an Höhe gewonnen, sahen sie im Sonnenglast bereits die blaugrün schimmernden Berge von Sao Jorge. Keine 20 Minuten Flug und sie landeten an der Nordküste der Insel. Sao Jorge, eine grüne, bergige Insel. Nach einer kurzen Verschnaufpause, die jäh von einer böse blickenden, dicken Möwe unterbrochen wurde, die ihren großen, gelben Schnabel, in dem das gubbelige Innere einer sich windenden Muschel hing, drohend in Richtung unserer beiden kleinen Reisenden erhob und ein klickerndes Meckern aus dem zugekniffenen Schnabel ertönen ließ, waren die beiden wieder in der Luft. Ein jäher Aufwind trug sie ganz schnell nach oben bis über den Krater des Pico de Esperanca, des Gipfels der Hoffnung, und dann in einem Abwind an die Südküste. Dort landeten sie, hoch überm Meer, auf den Klippen, für einen kurzen Imbiß. „Irgendwie nichts los hier, Zip, laß uns weiter nach Süden!“ „Okay“, sagte Zap und schwang sich in die Luft. Wieder übers Meer, aber nur sehr kurz, sie konnten schon die nächste Insel sehen, Faial, mal gerade eine halbe Flugstunde entfernt. Sie steuerten den schon von weitem zu sehenden Cabeco gordo, den Dicken Kopf an. Es dauerte keine 20 Minuten und sie landeten mit dem Wind, ungeschickt und sich überschlagend in einem riesigen Hortensienfeld. Blumen eben. Es gab weder Larven noch Würmer, keine Mücken und keine Libellen. Irgendein Schweinestall war auch nicht in der Nähe und Komposthaufen gab es schon gar nicht. Südhalbkugel hatte recht gehabt, es war etwas karg für Spatzen! Es war ein Tag wie nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Froschfett und nicht Dampfkartoffel aus dem Schweinetrog. Es fiel ihnen auf, daß kaum andere Vögel in der Luft waren, irgendwie war es hier vogellos! Ab und zu eine einsame Möwe, keine Krähe, kein Rabe, Spatzen schon gar nicht, aber sicherlich auch kein Sperber! Es war ihnen etwas unheimlich zumute. Sie setzten sich unter einen der Hortensienbüsche, Zip packte etwas Proviant aus: „Jetzt sag mir mal, Zap, was das nun soll, ich dachte, wir wollten nach Amerika, und jetzt fliegen wir hier herum, ohne Ziel und Plan, so geht das nicht!“ Zip reckte energisch ihren zierlichen Schnabel in die Luft. Zap mochte nun gar nicht sein leises Unbehagen vor dem Ritt über den großen Teich, den wirklich großen Teich, zugeben. Seine kleinen, großen Zweifel. Sie könnten doch auch hier bleiben, in Santa Cruz vielleicht, eine Familie gründen und ein Nest bauen. Und irgendwann mal mit einer Westwetterlage wieder zurück fliegen?!

Zip merkte wohl, das Zap schwere Gedanken wälzte: „Zap, was hast du denn, machst du dir Sorgen?“ „Ach, Zip, was heißt Sorgen, ich habe dich in diese Situation hineingebracht, vielleicht wäre es besser gewesen, wir wären auf der Geest geblieben?“ Zap stützte sich schwer auf seine Flügel und seufzte, den Schnabel fast in den Boden bohrend.

„Meinst du nicht Zap, daß es dafür zu spät ist, und … wir haben doch bislang Glück gehabt.“ Sie legte Zap einen Flügel um die Schulter: „Komm, laß dich nicht hängen!“ Zap lehnte seinen Kopf gegen ihre Schulter und er faßte wieder Mut. „Hast Recht, Zip, laß uns weiterfliegen!“ Zip packte ihre Tasche und den von Zap verschmähten, nicht angerührten Heuschrecken-Oberschenkel-Innenkante-Salat und die kleine Flasche Vino Verde dos Acores wieder einpackend. Mühelos erhoben sie sich und flogen die kurze Strecke direkt in den Hafen von Horta, der großen Hauptstadt. Na ja, eigentlich das Hauptdorf. Im Hafen lagen etliche Boote, Fischerboote, Jachten, Segler eben. Atlantiküberquerer. Sie landeten auf der stainless steel reeling einer etwa 30 Meter großen Yacht. Es war schon langsam dämmrig geworden und im Cockpit saßen beim Feuerschein aus einem stainless steel (rostfreier Stahl, sauteuer) Holzofen ein paar Leute um einen stainless steel Grill beieinander. Ein braungebrannter, muskulöser, durchtrainierter Segler, offenbar der Skipper der Yacht schwadronierte: „Also, das war eine riesige See, bestimmt 30 Meter hoch, der Wind blies mit Windstärke 20 aus Nordwest, aber ich habe das Ruder herum- gerissen und es ging noch mal gut.“ Alle klatschten, besonders die beiden, ebenfalls braungebrannten, fürchterlich vollbusigen, jungen Blondinen oder sie sagten OOOOOOHHHH und AAAAAAAHHH. Der Skipper schenkte ein, und jeder gab seine kurze Geschichte zum Besten. Zip und Zap taten sich gütlich an all den Shrimpsfußresten, salzigen Kaviarkügelchen und dem heruntertropfenden Sekt und Wein, Krümeln, Fischresten, die von den Backen fielen. (Backen: seemännisch für Tisch; Banken: Stühle oder Bänke: daher hieß es auch früher auf den Großseglern: Backen und Banken. Da wurden die unter der Decke des Mannschaftsschlafraumes festgezurrten Tische und Bänke heruntergelassen zur Vorbereitung des Mittagsmahles, Frühstücks oder was sonst für eine Mahlzeit. Backschaft hieß: Geschirr aufbacken und wieder abbacken!)

Horta, der Yachthafen für die Atlantiküberquerer. Da gab es Boote aus Holz, einfache, kleine Boote für gute, harte, für Entbehrungen bereite Seeleute, Einhandsegler. Ein, zwei Aussteiger mit Kind und Kegel an Bord. Die Partnersegler („Suche Partner für Atlantiküberquerung, keine Heirat beabsichtigt“… und nach fünf Tagen auf See oder schon vor der Abreise in Viana do Castelo waren sie schon schwer verliebt …“), die man an der aufgehängten Wäsche und an der Fußmatte an der Gangway erkennen konnte und dann eben die großen Luxusyachten (die nur bei gutem Wetter segelten). Auf einer solchen waren Zip und Zap gerade gelandet. Der Einhandsegler meistens unrasiert, verhärmt, aber glücklich in Horta wider alle Erwartung angekommen zu sein. Die Paarsegler waren ruhiger, gelassener, sie hatten schon immer gewußt, daß sie irgendwo, wo auch immer, irgendwie, irgendwann trotz oder gerade wegen äußerst bescheidener navigatorischer Kenntnisse ankommen würden. Die Partnersegler waren schon sowieso immer da und kochten auf ihren Spiritusbrennern die unvermeidliche Seglersuppe - also bloß nichts mit Fisch, man wollte es sich ja mit seinen Freunden im Wasser nicht verderben …! Die großen Yachten eben, die kamen immer an, waren eigentlich schon immer da und hatten reichlich Sekt und vollbusige Damen nebst Kaviar an Bord! Wovon auch hin und wieder etliche Perlen, wie oben schon beschrieben auf das Mahagonideck fielen. „Ziemlich salzig!“ sagte Zip, „und es schmeckt nach Fisch.“

Unsere beiden Spatzen blieben die Nacht über auf der Yacht. Der Trubel legte sich und der Skipper mit seinen Blondinen verklappte sich ins Innere des Bootes, pardon, der Yacht. Zip und Zap legten sich in einem eingerollten Segel zur Ruhe, die kleinen Bäuche voller salziger Kaviarkugeln, Weißbrotkrümeln, Lachsstreifen und weiß der Deubel wat noch allens. Auf jeden Fall keine profanen, im Grunde eigentlich auch für Spatzen, ekligen, glibberigen Regenwürmer. Nein, hier war alles vom Feinsten gewesen!

Die Sonne ging strahlend über dem Hafen von Horta auf, die bunten Häuser glänzten im Licht und unsere beiden Wanderspatzen reckten und streckten sich. Zip nahm versehentlich ein Bad in einem der nunmehr verwaisten, immer noch halbvollen Sektschalen. Wie durchaus und absolut üblich und sogar erforderlich bei einem Spatzenbad, nahm sie auch einige Schlucke des Badewassers: „Pfui, uähhh, das ist ja ekelhaft!“

Wie hatte Joao gesagt? „Also von Faial aus müßt ihr Nordwest halten, da wird auch immer ein guter Wind wehen, knapp 200 km bis zur Insel Flores. Lachhaft für einen Azorenspatz! Und dort müßt ihr unbedingt meinen Bruder Joaquin besuchen, der wird sich freuen, und richtet ihm einen herzlichen Gruß aus, und, äh, gebt ihm diese Flasche Vino verdo dos Acores.“

Zip und Zap erhoben sich von dem Mahagonideck der Yacht, die Rücksäcke wohlgefüllt mit Resten der Party. Zap hatte seinen Sack wohl ein wenig zu voll gepackt und so einige Mühe, Auftrieb zu bekommen. Aber nach einer Weile ging es. Sie strebten in schnellem Fluge dem Kap Faial zu, der Westspitze der Insel. Unter sich die gebirgige Landschaft, die Sonne schon von vorne war es ihnen dennoch ein Leichtes über die ruhige See Westnordwest, ein Viertel West zu steuern. Sie waren schon über 2500 Meter hoch und konnten bereits die westlichsten Inseln der Azoren sehen. Absolut beste Fernsicht! Der aufkommende Westwind machte ihnen allerdings mehr und mehr zu schaffen. Zip merkte schnell, was los war: „He, Zap, was machen wir? Ich kann kaum noch und wir kommen nicht mehr vorwärts!“

„Nur die Ruhe, Zip, wir machen das schon!“ Zap schlug schwer mit seinen Flügeln. „Wir müssen Höhe gewinnen.“ Er erinnerte sich an Südhalbkugels Worte: „Wenn du mal partout nicht vorwärtskommst, dann geh einfach höher. Aaaaaber“, Südhalbkugel hatte seinen rechten Flügel erhoben, „aber mach das nicht gegen den Wind, dreh einfach um und reite auf dem Wind so hoch, bis du wieder Gegenwind hast. Verzage nicht, du erwischst bestimmt einen Schiebewind ein paar Hundert Meter höher. Dann drehst du eben wieder um und lässt dich zu deinem Ziel tragen. Ganz einfach!“ Zap hatte ihm aufmerksam, atemlos zugehört und sich bereits in den entgegengesetzt wehenden Luftschichten über dem großen Meer den Kurs ändern sehen. Jetzt war er tatsächlich hier, jetzt mußte eine Entscheidung getroffen werden. „Komm, Zip, wir drehen um!“ zwitscherte er mit lauter Kommandostimme und schwenkte um 180 Grad. Zip folgte ihm kommentarlos. Sie stiegen mit dem Wind höher und höher, Faial war schon wieder ganz gut zu erkennen. Die Luft wurde dünner und plötzlich spürten sie den Gegenwind. „Uuuund: Umdrehen!!!“ Zap machte wieder eine 180 Grad Kurve. „Aber ich dachte, ich dachte, wir wollten zurück?“ fragte Zip. „Vertrau mir, Zip!“ Sie ließen sich von dem nunmehr vorhandenem Ostwind tragen und gelangten innerhalb zweier Stunden zur Insel Flores. Dort gab es auch ein Santa Cruz, Santa Cruusch. Sie landeten in einem Blumenfeld unweit des Morro Alto, ein wenig innerhalb der Insel, weil es gar nicht so einfach war, dem starken Ostwind zu entrinnen. Immer wieder hatte es sie hoch gedrückt und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als ein eleganter Sturzflug aus 3500 Metern Höhe. Die Rucksackriemen schnitten ihnen in die Federn, Zip hatte die Augen fest zugedrückt: „Sag mir Bescheid, wenn wir fast unten sind.“

Der Boden näherte sich schnell und Zip und Zap streckten wieder die Flügel aus, stoppten den rasanten Sturzflug und schwangen elegant über dem Hortensienfeld nahe dem Zentralberg aus. Irgendwie hatten sie es hier mit Hortensien auf den Inseln. Nach einer kurzen Erholungspause flogen unsere beiden Spatzen weiter Richtung Westende der kleinen Insel und landeten punktgenau auf dem Marktplatz, der Grande Placa des Dorfes Faja Grande.

Natürlich waren dort auch ein paar Spatzen, die sich in respektvoller Entfernung einiger großer, weißer Möwen unter den Tischen des einzigen Cafés des Ortes aufhielten. „Bom Dia“, sagte Zap. „Bom dia, patrice, doinde bwaasch?“

„Hallo, mein Name ist Zap, weiß jemand, wo Joaqiun wohnt?“ Einige zuckten mit den Flügelschultern, aber einer, ein schon recht älterer Spatz sagte: „Was wollt ihr von Joaquin?“ „Ich habe einen Gruß von seinem Bruder und ein Geschenk für ihn.“ „Von seinem Bruder, von Joao?“ Der alte Spatz sagte: „Joaquin ist mein Schwager, dann kommt mal mit!“

Er stieg für sein Alter überraschend schnell auf, Zip und Zap folgten ihm. Sie flogen über den kleinen Ort, der genauso aussah wie jeder andere Ort auf den Inseln der Azoren, die sie bislang besucht hatten. Bunt gestrichene Häuser mit großen Balkonen, darauf ältere Frauen mit haarigen Warzen auf den Wangen, schwarzen Kopftüchern und in den Gassen vor den Häusern an blauen Tischen sitzend, grauhaarige, Karten spielende, alte und Vino Verde dos Acores trinkende Männer.

Sie flogen auf einen außerhalb liegenden Hof zu über einen Lorbeerwald hinweg. Es war eine wunderschöne Insel, viele Bäume, Felder von wild wachsenden Blumen, Lorbeerwälder, alles üppig grünend und blühend. Eine Duftmischung aus Ingwerblüten, Yams und Lorbeer stieg zu ihnen auf. Die Felder voller goldenem Getreide. Nach wenigen Minuten landeten sie auf dem Dach eines hellgrün gestrichenen Hauses, dem Haupthaus des Bauernhofes.

Der alte Spatz, der sich inzwischen als Piedro vorgestellt hatte, klopfte kräftig gegen eine kleine, hölzerne Tür. „Oj, Kuniadusch, hier ist Piedrusch, Besuch für dich, mach auf!“ Statt des erwarteten Schwagers Joaquin steckte eine, wie offenbar auf den Islas dos Acores üblich, kräftige und vollbusige Spätzin mit dem unvermeidlichen schwarzen, unter dem Schnabel festgeknotetem Kopftuch den Schnabel zur Tür heraus. „Aaah, Piedrusch, bienvenudosch“, sie öffnete die Tür weit und bat die drei Spatzen herein. Piedro erklärte die Situation. „Joaquin muss gleich hier sein“, sagte die Spätzin, die sich zwischenzeitlich als Maria dos Calvos (sie sagte natürlich: Mariu dosch Calvusch oder Calvosch, so genau war das nicht zu verstehen) vorgestellt hatte. Nach wenigen Minuten kam der Cuniado, der Schwager, so heißen die rund ums Mittelmeer bis Portugal hinein und bis auf die Azoren (Schwager = Cuniado, in allen Variationen). Joaquin nahm kaum Notiz von unseren beiden Wanderhelden-Spatzen-Von-Der-Geest. Zip und Zap waren gerade eingehüpft in die wirklich phantastisch große Nestanlage. Es war ein großer, allerdings niedriger Plattboden über einer alten Scheune etwa fünf Quadratmeter groß mit einer Unmenge an Stroh und Heu gefüllt. Darin, darunter, dazwischen jede Menge Jungspatzen, Spatzen die ein Jahr alt waren, so wie Zip und Zap, einige ältere, gebrechlich wirkende Spatzen, die sich, die Hüften haltend, am Stock gingen, graufedrig und gebeugt.

„Oije“, zwitscherte Maria fröhlich, wohlbeleibt ihren mächtigen Bauch schwenkend, „Bienvenudosch, das ist meine Familie: Opa Jorge, Oma Maria.“ (Maria, wie auch sonst) Oma, die ein schwarzes Kopftuch um Kopf und Schnabel trug, Opa, der sich auf einen knorrigen Stock aus Vino-Verde-dos- Acores-Weinholz stützte. Und die ganzen Enkel, Urenkel und Ururenkel … und wahrscheinlich noch ein paar heimlich eingenistete Fremdspatzen! (Wahrscheinlich waren auch noch ein paar junge Kuckucke darunter …!) Jedenfalls Großfamilie pur, sozusagen in Reinkultur. Zap überreichte die Flasche Vino Verde dos Acores und bestellte Joaos Grüße.

Joaquin, der sich gerade seiner schweren Futterlast entledigt hatte, wischte sich mit der Flügelspitze den Schweiß von der Stirn. „Bienvenudosch, Patrices.“ Willkommen, Landsleute. Zip und vor allem Zap erklärte, was sie vor hatten, über den Atlantik und wie das wohl gehen sollte und warum. Joaquin prostete ihnen zu: „Recht so, recht so, Jungspatzen.“ Er musste etwas brüllen, da seine Brut und die alten Spatzen und die sonstigen Mitbewohner einen Höllenlärm machten, während sie sich über das von Joaquin mitgebrachte Futter stürzten. Ja, hier funktionierte noch die generationenübergreifende Versorgungsgesellschaft, der Generationenvertrag!

Kurz und gut, Zip und Zap wurden herzlich aufgenommen. Sie mußten erzählen von ihrer Heimat, von ihrer langen Reise, ihren Erlebnissen unterwegs. So vergingen die Tage, sie machten lange Flüge über die Insel, erkundeten jede Ecke, jeden Baum, jeden Abfalleimer. Einige Nahbegegnungen mit großen Möwen und vereinzelten Raben, die sie böse anknurrten, vermiesten ihnen aber den Aufenthalt auf Flores nicht. In dem großen Spatzennest wurde fast jeden Abend gefeiert, es kamen eine Menge Leute zu Besuch und beileibe nicht nur Spatzen. So auch eine magere, alte Rohrdommel, die eigentlich aus der Provence stammte, die aber versehentlich in jungen Jahren nach einer ausgelassenen Feier in einem Küstennest an der französischen Atlantikküste auf einem vorbeifahrenden Schiff gelandet war, welches stracks Richtung Amerika fuhr. Eines Tages dann kam das Schiff dicht an einer Azore vorbei, so daß Madeleine, die Rohrdommel, nach langen Tagen des Fastens und Darbens zwischen riesigen Containern auf eisernem, schwankendem Deck sich ein Herz faßte und der nahen Insel zustrebte. Schon eine Leistung, wo man doch weiß, daß Rohrdommeln Wenig- und Tiefflieger sind!

Seitdem hatte sie auch nicht nur eine Schnabelspitze Richtung Meer geneigt, geschweige denn einen ihrer dünnen, gelben Füße an den Strand gesetzt. Sie fühlte sich wohl unter den Einheimischen, wurde akzeptiert und sehnte sich nicht im Entferntesten nach ihrer Heimat zurück. Sie hatte ihr Auskommen als Gouvernante und Spatzenlehrerin. Die lange Fastenzeit auf dem Schiff hatte ihr eine perfekte Figur beschert, die sie sich dann bis in die späten Jahre bewahrt hatte. Aber sie sah eben doch aus wie eine alte Jungfer, eine Gouvernante eben, allerdings mit französischem Dialekt …!

Auch ein paar Grasmücken und Jungsturmmöven kamen zu den abendlichen Festen. Es war eine bunte Gesellschaft und zu fortgeschrittener Stunde sangen alle traurige Lieder und Zip und Zap versuchten mitzuzwitschern.

Nach langen Tagen zeichnete sich endlich eine Ostwetterlage ab, das Azorenhoch hatte sich stabilisiert und sorgte für reichlich Luftströmung.

Es war schon weit im April, eigentlich schon Mai, es war warm geworden und unsere beiden Spatzen hatte das Fernweh wieder gepackt. Besonders aber Zap, er drängte auf die Abreise, vielleicht auch, weil einer der Jungspatzen sich auffällig oft in Zips Nähe aufhielt und sie sogar schon einige Male zu einem Ausflug überredet hatte.

So kam der Tag des Aufbruchs. Eine große Schar der Bewohner und Gäste aus dem Plattboden über der Scheune begleitete unsere beiden Abenteuerspatzen. Auch die Rohrdommel, die schon ein wenig wackelig auf den Flügeln war. Opa Jorge und Oma Maria allerdings winkten lediglich vom Landebrett zum Abschied, Opa schwenkte seinen Vino Verde dos Acores Weinstockholzknüppel. Alle anderen begleiteten Zip und Zap zum Nordwestkap der Insel Flores. Sogar zwei der kleinen Sturmmöwen, die oft und gerne zu Gast auf dem Partyboden bei Maria und Joaquin waren, begleiteten sie. Jeder wollte unbedingt einen Ratschlag loswerden: „Geht man erst mal ein Stück nach Südwesten, da wird es noch wärmer!“ oder „Auf keinen Fall nach Süden, direkt nach Westen, sonst verliert ihr den Ostwind!“ rief ihnen eine der Möwen zu. Die kleinste der Grasmücken, die kaum jemals in ihrem Leben mehr als zehn Meter über dem Boden geflogen war, piepszwitscherte: „Und seht zu, daß ihr Höhe gewinnt, so hoch wie möglich!“ Madeleine, die Rohrdommel, sagte mit ihrer Lehrerinnenstimme: „Ich sage euch, Kinder, fliegt erstmal ‘ne ganze Strecke nach Nordwesten und hütet euch vor den Containerschiffen, wer weiß, wo die euch hinbringen …!“ Sie waren am Cabo Blanco angekommen, der Nordwestspitze der Insel. Man sammelte sich auf einem der weißen Felsen. Nach vielen, vielen Umflügelungen und noch mehr guten Ratschlägen waren Zip und Zap froh, sich endlich in die Luft zu erheben und auf den weiten, blauen Atlantik hinauszufliegen. Sie zurrten noch einmal ihre kleinen, aber wohlgefüllten Rucksäcke fest. Schnell fanden sie den Ostwind und die Insel Flores verschwand im Sonnenglast. Zip und Zap waren endgültig auf der großen Reise, des Herzens weit und voller Vorfreude auf das vor ihnen stehende Abenteuer.

Zip und Zap auf großer Fahrt

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