Читать книгу Zip und Zap auf großer Fahrt - Alexander-René Grahovac - Страница 8

Der Aufbruch, der Abschied und immer nach Westen

Оглавление

Mutter Genofefa umflügelte Zap: „Mach’s gut mein Kleiner und komm gesund zurück.“ Gustav legte ihm eine Flügelspitze auf die Schulter: „Ich bin stolz auf dich, Zap.“ Genofefa legte Zap kurz einen Flügel unter den Schnabel: „Und wasch dir nach dem Essen immer die Flügelspitzen, hörst du!“ Der Abschied war unspektakulär, es war eben bei Spatzens nichts Besonderes, wenn die junge Brut sich irgendwann auf den Weg machte. Nicht, daß man herzlos und desinteressiert war, aber der Frühling stand vor der Tür, Nachwuchs wurde erwartet, es war so viel zu tun und so war man bei Luigis und bei Gustavs froh, daß es endlich soweit war. Luigi hatte seine Tochter um einiges zärtlicher umflügelt. Lydia war etwas kürzer angebunden: „Flieg nur, meine kleine Schwalbe, flieg nur.“ „MAMA, ICH BIN KEINE SCHWALBE!!!!“ Lydia schwitzte, sie war schon seit dem frühen Morgen wieder mit dem großen Frühjahrsnestputz beschäftigt …! Was Luigi fürchterlich auf die Nerven ging …!


Zap hüpfte zur Tür, stieß sich ab und flog in einer großen Schleife zum Teich. Dort wartete Zip schon ungeduldig: „Wo bleibst du denn, ich warte schon so lange.“ Zap setzte sich erst gar nicht auf den Birkenzweig. „Und auf geht’s!“ Sie stiegen auf, immer höher und höher, das Dorf war schon ganz klein geworden und sie spürten, wie der Ostwind sie erfasste und so jagten sie durch die Luft Richtung Westen. Bald schon veränderte sich die Landschaft, es wurde immer flacher, die Dörfer lagen weiter auseinander, die dichten Wälder wichen großen Äckern. Sie flogen fast Flügel an Flügel. Gegen Nachmittag überquerten sie einen großen Fluß, der aus dem Süden kam und sich nach Norden im Blau verlor. Die Sonne begann, lange, dunkle Schatten aufs Land zu werfen und sich langsam rot bis dunkelrot zu verfärben. „Ich glaube, es wird Zeit, daß wir uns ein Nachtquartier suchen.“ Zap ging in den Sinkflug über. „Ja, Zap, laß uns irgendwo unterkommen, außerdem habe ich riesigen Hunger.“ Auch Zip verlor an Höhe, und sie landeten in der Nähe eines riesengroßen, hell erleuchteten Gewächshauses. An einem Wassergraben ganz in der Nähe stand ein großer, graublauer Fischreiher und beäugte die beiden argwöhnisch. Es war alles seltsam fremd und sie fühlten sich gar nicht wohl in ihren Federn.

Zip und Zap suchten und fanden in einem Komposthaufen reichlich Würmer und Obstreste, obenauf lag sogar der Rest eines trockenen Brötchens. Als sie sich satt gegessen hatten, verkrochen sie sich in einem Strohballen und fielen alsbald in tiefen Schlaf, kaum, daß sie Zeit gehabt hätten, den Tag noch einmal vor sich zu sehen: Der schnelle Abschied vom heimatlichen Himmel, das Dahinjagen über die weite Landschaft. Die Scharen von Zugvögeln, die ihnen aus allen südlichen Himmelsrichtungen entgegenkamen. Die fremder werdende Landschaft und irgendwie das bange Gefühl, schon ganz schön weit weg zu sein von zu Hause. Doch der neue Morgen verscheuchte trübe Gedanken, ein riesiger, bunter Hahn machte einen Höllenlärm und Zip wühlte sich aus dem Stroh. Die Sonne stand schon über dem Horizont. Eine kleine, blaue holländische Ente watschelte zielstrebig durch das feuchte Gras, eine fette Schnecke im Schnabel. Zap hatte sich auch aus seinen Träumen verabschiedet: „Ich dachte, Enten sind Vegetarier?“ Das hatte die Ente gehört. „Niet immer, manchmal etten wi ouch ejn biskele Fleisch“, holländelte die Ente. „Und warum bist du blau???“ fragte Zap. Doch die Ente gab keine Antwort, watschelte zielstrebig ihres Weges.

Zip und Zap flogen zum Komposthaufen und frühstückten ausgiebig. Die Märzsonne wärmte schon ordentlich. „Auf nach Süden, Zip!“ Die beiden schwangen sich in den klaren Morgen, die Sonne halbschräg im Rücken. In etwa 1000 Fuß fanden sie eine Südostströmung, und sie eilten mit dem Wind über die langsam hügeliger, waldiger werdende Landschaft.

„Wie hatte Südhalbkugel gesagt?“ Zap erinnerte sich an jedes Wort, das der Albatros gesagt hatte. „Segeln mußt du, mein Junge, segeln, laß dich vom Wind tragen und schieben, das ist das ganze Geheimnis!!“ „Segeln, Zip, nicht flattern wie ein Schmetterling, segeln, das ist das ganze Geheimnis!“ Zap breitete seine mächtigen Schwingen aus und verlor prompt an Höhe. Er kam fast ins Trudeln, fing sich aber sofort wieder. „Segeln, segeln“, spatzte Zip nach. Aber nach einer Weile und einigem Probieren hatten sie die für Spatzen eigentlich nicht vorgesehene Segelstellung der Flügel im Griff und konnten wesentlich ruhiger, mit viel weniger Kraftaufwand Strecke machen. Darauf kam es ja an: Sie wollten nach Amerika, und es war noch ein weiter Weg, obwohl sie meinten, schon eine unendliche Strecke zurückgelegt zu haben. Der große Ozean war noch immer nicht in Sicht, vielleicht hatten sie sich ja auch verflogen? Am Abend landeten sie in einem kleinen Dorf, mitten auf dem staubigen Dorfplatz. Dort waren schon einige ihrer Artgenossen versammelt. Eine Gruppe stand ein wenig starr, unbeweglich erscheinend, zusammen. Sie hatten seltsame, schief auf den fedrigen Schädeln sitzende Mützen auf, so flache, dunkelblaue, wie soll man sagen, Baskenmützen? Einer hatte eine kleine silberne Kugel im Flügel, starrte auf ein paar weiter weg liegende Kugeln, holte plötzlich aus und warf die Silberkugel mit einem herzhaften: „Sacre bleu ..!“ Die Kaugummisilberpapierkugeln stoben auseinander und die Zuschauer freuten sich, der Werfer ärgerte sich offensichtlich: „Que sque tu fait?“ Zap verstand nicht: „Wir sind Zap und Zip und auf dem Weg nach Amerika!“

„Aah, vous etes allemagnes“, französelzwitscherte einer der Spatzen. Ein anderer aus der Gruppe drängte sich heran: „Aah, bienvenue.“ Er streckte Zap die Flügelspitze entgegen: „Isch bin Marcel, wie aißt tu?“ „Ich bin Zap und das ist meine Freundin Zip, wir sind auf dem Weg nach Amerika.“

Die dabeistehenden Spatzen lachzwitscherten. Die anderen Spatzen hüpften heran und stellten sich vor. Es wurde gefragt wohin, woher, warum. Schließlich nahm Marcel Zip in den Flügel und sagte: „Kommt, wir ge’ehn essen, isch ladde oisch ajn!“ Die Schar hob ab, es staubte ein wenig, Zip und Zap flogen hinterher. Es ging vom Dorfplatz in eine dunkle Gasse. Auf einer erleuchteten Terrasse saßen einige Menschen vor ihren Tellern, Brotkörbe auf den Tischen, jede Menge Krümel. Zap landete auf einem der Tische und wollte sich gerade einen dicken Brotkrümel greifen, als der zum Teller und zum Brotkorb zugehörige Mensch mit einem Messer nach ihm schlug. Haarscharf daneben, Zap machte einen Senkrechtstart. „Mach das nie wieder, das könnte dein Tod sein!“ sagte Marcel. „Die Menschen mögen uns hier nicht besonders.“ Zap war erschrocken. Schließlich flogen sie zum Hinterausgang des Restaurants, dort, wo der Müll lagerte. In Körben und Kisten lagen die herrlichsten Abfälle, leere Weinflaschen aus denen süßer Wein sickerte, Brotreste, frisches Baguette. Zip und Zap aßen und tranken sich satt. Der ungewohnte Rotwein machte sie erst lustig, dann sehr lustig, etwas unbeholfen, Zip fing an zu torkeln, umflügelte Marcel und den dicken Spatz Bijou, der sich als besonders guter Tänzer und Hüpfer entpuppte. Es war ein schöner Abend und am Ende meinte Zap, daß er schon ganz gut französisch könne. Es war spät geworden. Zip und Zap hatten ihren Plan, nach Amerika zu reisen des Langen und Breiten erklärt und wurden allgemein für ihren Mut bewundert. „Für uns ist das nichts, wir bleiben lieber hier“, sagte Marcel. „Au revoir et bonne chance“, er winkte mit seiner kleinen Baskenmütze. Zip und Zap waren allein in der dunklen Gasse an den französischen Mülltonnen, sie verkrochen sich, müde und trunken, staubig von der Reise, aber doch satt und zufrieden, unter einem Rosenbusch und schliefen ihren kleinen Spatzenrausch aus.

Es wurde still und die Straßenlaternen gingen aus. Zap träumte vom großen Ozean, den sie morgen endlich sehen würden. Zip schnarchte mit offenem Schnabel.

Die beiden wurden jäh aus ihren Träumen gerissen, ein wütendes Knurren weckte sie. Ein großer, schwarzer Hund stand direkt über ihnen, die drohende Schnauze mit großen, gelben Zähnen, die nasse Nase nur wenige Zentimeter von ihren Köpfen entfernt. Unsere beiden Spatzen hüpften schnellstens aus dem Gebüsch in den schon hellen Tag und erhoben sich in die Luft. Bloß weg hier. Zap konnte kaum die Richtung, geschweige denn die Höhe halten. Ihm war speiübel und er mußte sich, noch in der Luft, übergeben. Zip, die eben schräg hinter ihm flog, bekam den ganzen Segen ab und es ging ihr kaum besser. Nach ein paar Minuten hatten sie das freie Feld erreicht und landeten an einem kleinen Bachlauf. Das Wasser sprudelte munter über die Steine und Zip und Zap nahmen erst mal ein ausgiebiges Bad, tranken sich satt und langsam, ganz langsam verwehte der Rotweinschleier aus ihren kleinen Köpfen. Sie erhoben sich in den strahlenden Tag und nahmen Kurs nach Südwesten, flogen Stunde um Stunde, ließen sich von dem günstigen Wind schieben, landeten, wann immer sie Hunger verspürten. Jedoch vermieden sie staubige Dorfplätze und auch die Städte, die sich unter ihnen wie Spatzenspielzeuge zeigten.

Je weiter sie nach Süden kamen, desto frühlingswärmer wurde es, auch die Nächte waren schon lau und der kalte Winter daheim auf der Geest war vollends vergessen. Es gab überall reichlich zu essen, gut genährte Würmer, die aus der frisch umgebrochenen Scholle hervorkrochen, unvorsichtigerweise ins Sonnenlicht blinzelten und dann flugs, sozusagen im Fluge, für Zip und Zap ein schnelles Frühstück oder auch ein Mittagessen wurden.

Und dann kam der große Tag. Unsere beiden Auswanderer hatten in einem Heuschober übernachtet. Sie waren herzlich von einer dort wohnenden Spatzenfamilie aufgenommen worden. Nach einem ausgiebigen Mahl aus den letzten Wintervorräten hatten es sich Zip und Zap im Heu gemütlich gemacht.

„Oh non, jetzt ischt es nischt mehr weijt bis su die Meer“, hatte Jean-Pierre, der dicke Spatzenvater mit dem weinroten Schnabel, gesagt. „Einfach nur immer nach Westen, ein paar Stunden nur, könnt ihr gar nicht verfehlen!“ Seine Frau Florance und die sechs Jungspatzen, die schon früh im Jahr zur Welt gekommen waren und gerade dem Sabber- und Windelalter entwachsen waren, hörten Vater Jeans Erzählungen gespannt zu. „Oh ja, isch war schon oft an die Meer …“ Seine Frau unterbrach ihn: „Ja, ja, das ist aber schon lange, ganz lange her …“ „Und nun ins Bett, die jungen Leute müssen morgen früh raus, wenn sie es schaffen wollen bis zu die Meer!“ Jean trank den letzten Rest seines vin rouge.

Zip und Zap erwachten früh, klaubten sich aus dem Heu und fanden zu ihrer Überraschung die gesamte Familie bereits am reich gedeckten Frühstückstisch vor. Es gab frische Brötchenkrümel, eine Schüssel mit sich windenden Regenwürmern, stark riechende Camembertrinden und ein paar Tropfen Ziegenmilch.

„Macht’s gut, ihr zwei, et bon chance!“ „Vielen Dank für alles, vielen Dank“, zwitscherten Zip und Zap und stürzten sich vom Sims des Scheunenfensters in einer eleganten Kurve über den First des Wohnhauses und der Stallungen. Hinaus in die grüne Frische eines der letzten Märztage.

Es ging nur mühsam voran und sie mußten auf ihrem Weg nach Westen öfter runter und Pause machen. Der Westwind hatte aufgefrischt und vergeblich hatten sie versucht, eine Ostströmung zu erwischen.

Die Sonne war schon fast auf dem Gipfel ihres Tagesberges im Süden geklettert und schickte sich langsam an, auf ihre lange Reise zu gehen, in ihr kühles Bett im großen Ozean. Zip und Zap waren schon müde und etwas mutlos geworden, als sie endlich in 2000 Fuß Höhe - für Spatzen schon eine ordentliche Höhe, nämlich eben über 600 Meter - einen Schiebewind fanden, der sie rasch nach Westen schob. Und da war es: das Meer, der Ozean. Unmerklich hatte sich das Grün der Wälder, das Braun der frisch gepflügten Äcker in ein sanftes, schillerndes, diesiges Blau verwandelt ohne Grenze oder Konturen.

„ZIIIIIPPP, Ziiiip!“ schriezwitscherte Zap, „Ziiippp, das Meer, das Meer!!“

„Meinst du nicht“, Zip war etwas atemlos, „meinst du nicht, wir sollten noch mal irgendwo Rast machen, Zap?“ Sie flogen noch eine Weile nach Süden, bis sie eine große, eine riesengroße Stadt unter sich sahen.

Seit sie Cazares-sur-l’Adour verlassen hatten, so hieß der Ort, in dem sie so herzliche französische Gastfreundschaft genossen hatten, waren sie Generalrichtung Süd-Südwest zu Süd geflogen, so wie Jean-Pierre es ihnen gesagt hatte und tatsächlich nach knapp 100 Kilometern, die sie Dank des doch noch gefundenen Schiebewindes schnell zurückgelegt hatten, erreichten sie das riesige Seebad Biarritz. Und da sie nun wirklich nagenden Hunger hatten und vor dem weiten Flug über den großen Ozean noch eine Pause brauchten, landeten sie irgendwo in der Vorstadt, in einem verwilderten Garten. Es dauerte eine Weile, bis sie etwas Eßbares fanden. Ein paar kleine, fleißige Käfer entwischten ihnen, ein Maulwurf warf ihnen mit einer seiner kräftigen Schaufeln eine Ladung Erde ins Gefieder. Es fand sich etwas Abfall, eine leere Nudelpackung, in der noch ein paar Grießnudeln waren, eine fast verrottete Bratwurst, die wohl ein Hund für schlechte Zeiten verbuddelt hatte. Besser als nichts, ein Spatz ist nicht wählerisch.

Die Sonne stand nun im Süden und Zip und Zap machten sich auf. Sie ließen die große, laute Stadt im Süden und flogen auf das Meer hinaus. Sie waren nun schon mehr als 1300 Kilometer von der heimatlichen Geest entfernt und die Tage waren wie im Fluge vergangen …! Und jetzt lag das große, das unendliche Meer vor ihnen.

Wie hatte Südhalbkugel gesagt: „Navigation ist ganz einfach: Die Erde dreht sich einmal in 24 Stunden um sich selbst, sie liegt mit einem Achsenwinkel von 23,5 Grad im Weltraum. Im Idealfall geht die Sonne im Osten auf und im Westen unter, aber das paßt nicht immer ganz genau, je nach Jahreszeit. Seid ihr im Norden, kulminiert sie im Süden. Das heißt, wenn ihr tagsüber nach Westen fliegt, muß die Sonne auf der Backbordseite sein …“ „Was ist das, BACKBORD??“ fragte Zap, den riesigen Albatros verständnislos anschauend … „Backbord ist links, Steuerbord ist rechts. Also wandert die Sonne im Tagesverlauf von Ost über Süd nach West, da kannst du gar nichts falsch machen!! Zumindest auf der Nordhalbkugel.“

Zap hatte schon verstanden. „Zip, laß uns ein wenig mehr nach Backbord halten.“ „Jau, Backbord“, antwortete Zip, die die navigatorische Planung Zap völlig überlassen hatte. Ein guter Wind schob sie immer weiter nach Westen, nach Südwesten auf den Golf von Biskaya hinaus. Durch einen Aufgleitvorgang mit einer starken Ostströmung waren sie schon fast 4000 Fuß hoch, so hoch, wie noch nie. Die Küste war hinter ihnen verschwunden, der Himmel war blau und das Meer war blau. Sie mußten sich nicht groß anstrengen, um vorwärts zu kommen und das Segeln ging tatsächlich ganz gut, auch wenn ihre kleinen Flügel dafür eigentlich nicht gebaut waren.

Meer und Horizont waren miteinander verschmolzen, Land war nicht mehr zu sehen und so verging Stunde um Stunde. Die Sonne wanderte über den Himmel nach Westen und färbte sich langsam rot. Aus dem blauroten Dunst schälte sich im Süden langsam eine Küste. Zip und Zap änderten den Kurs und hielten nun wieder mehr nach Süden auf das im Dunst liegende Land zu.

Die Sonne versank in einem rotblauvioletten Feuerwerk in der See und der Wind, der sie bislang so schön geschoben hatte, war fast schlagartig weg. Zip und Zap mußten sich anstrengen und die kleinen Flügel ordentlich flattern lassen, um die kaum fünf Kilometer entfernte Küste zu erreichen. Endlich hatten sie es geschafft. Sie landeten elegant auf den steilen Klippen. Ein unwirtlicher Ort, überall saßen große Möwen, mit scharfen Schnäbeln und vermeintlich bösen Augen, die sich drohend aufrichteten, wenn Zip und Zap vorsichtig über die spitzen Steine kletterten und vielleicht einem der Möwennester etwas zu nahe kamen. Es wurde rasch dunkel, sehr dunkel, man konnte keinen Flügel mehr vor Augen sehen. Schließlich setzten sich die beiden in eine kleine, etwas streng riechende Felsnische. „Wir müssen hier übernachten, Zip, und wenn es hell wird, nichts wie weg.“ Zap nahm Zip schützend in den Flügel und so schliefen sie erschöpft von der langen Reise endlich ein. Im Einschlafen hörten sie die schnarrenden Geräusche der ringsum in ihren Nestern sitzenden Möwen. Ihre kleinen Mägen knurrten sie in den Schlaf. Was für ein Tag lag hinter ihnen, das Meer, der Ozean, endlich. Nun eigentlich würde die Reise erst richtig beginnen. Das weite, blaue Meer, der unendlich blaue Himmel. Während des langen Fluges über das Wasser überkam Zap manchmal ein Gefühl der Panik: „Oh Gott, was mache ich hier eigentlich? Warum bin ich nicht in meinem schönen Nest oder besser auf der Birke am Teich mit dem Haus und den Hunden?“

Aber dann fing er sich wieder, schaute auf den dunstigblauen Horizont, betrachtete die neben ihm segelnde Zip, die so viel Vertrauen zu ihm hatte …! „Ach was! Auf nach Amerika, schließlich bin ich ein Spatz, der mutigste Spatz auf der Norhalbkugel!!!!“

Zap erwachte von einem markerschütternden Spatzengezwitscher. Zip stand mit aufgerichteten Kopffedern und starrte und schimpfte einen riesengroßen Schatten an. Eine gewaltige Lachmöwe, die ihren schokoladenbraunen Kopf in das kleine Felsloch steckte und durchdringend lachte, schimpfte, fluchte?

„Que tu queires aqiu, oje? De donde usted? Was seid ihr denn für welche? Was macht ihr in meinem Klo?“

Ihr scharfer, spitzer Schnabel deutete auf den nun hellwachen Zap. „Ich, ich“, stotterte Zap, „ich wußte nicht, daß dies dein Klo ist.“ „Schon gut, schon gut“, sagte die Möwe einen Ton versöhnlicher angesichts der kleinen, fröstelnden Vögel. „Ihr habt euch wohl verirrt!“

„Nein“, sagte Zip, „wir sind auf dem Weg nach Amerika und haben hier nur übernachtet, tut uns leid, wir sind schon weg!“

„He, tranquilo, tranquilo, Querida, nach Amerika wollt ihr?“ Die Möwe schaute sie ungläubig an. „Na, dann kommt mal mit“, sie drehte sich um und watschelte voran, „kommt, kommt, keine Angst.“ Zip und Zap kletterten aus dem Möwenklo und hüpften hinter der großen Möwe her. „Ihr habt doch sicher Hunger? Übrigens mi nombre es Esmeralda, yo soy una gaviota Espanol.“ Esmeralda zottelte ein weißlich, gelbschleimiges Etwas aus der Abseite ihres Nestes. Es roch stark nach Fisch und sah nicht gerade appetitlich aus. „Was ist das?“ fragte Zap. „Fischdärme, gut abgelagert!“ … und es schmeckte vorzüglich!! „Und ihr wollt wirklich nach Amerika?? Seid ihr da nicht ein wenig zu klein, äh, ich meine, also, wie soll ich sagen …?“ Sie wiegte ihren Schokokopf hin und her und betrachtete die beiden kleinen, vor ihr stehenden Spatzen, die sich den Fischdarmsaft von den Schnäbeln wischten, ein wenig skeptisch. „Wo kommt ihr noch mal her?“ „Von der Geest, aus Norddeutschland … also aus … von zu Hause ...!“ Zap war etwas unsicher, Esmeralda sah auch nicht gerade sehr freundlich aus mit ihrem scharfen Lidstrich, den gelben Augen und dem wohl geschärften, noch gelberen Schnabel! „Soso, von der Geest, ich glaub, da war ich schon mal, kann das sein? Spiekeroog oder so?“ Esmeralda zerrte noch ein paar kleine Fischdarmstücke aus ihrem großen Vorratstrog und legte sie vor Zip und Zap ab. „Darf ich mir was davon in meinen Rucksack packen?“ fragte Zip zur großen Möwe aufblickend, „für unterwegs?“ „Na klar, Zip, soviel du willst, ich habe jede Menge Fischdärme in meiner Vorratshöhle!“

Durch den starken Fischdarmgeruch kamen ein paar kräftige, halbwüchsige Möwen herangeflogen, landeten vor Esmeraldas Nest und einer von ihnen - es waren durch die Bank freche Jungmöwenmänner - riß Zap das Fischdarmstückchen aus dem Schnabel, Zap flog wütend auf und landete mit vorgestreckten Krallen im Gesicht des bösen Möwerichs. „Mach das nicht noch mal, ich bin zwar nur ein Spatz, aber niemand nimmt mir mein Futter weg!“ „Was will der Zwerg?“ mischte sich einer der anderen Möwenhalbstarken ein und griff nach Zap, faßte ihn mit seiner rechten Flügelspitze um die Gurgel und schleuderte ihn hin und her - so machen Möwen ihre gefangenen Fische zu willigem, bewußtlosem Futter. Zip konnte sich vor Entsetzen nicht rühren und stand da mit ausgebreiteten Flügeln. Esmeralda reichte es jetzt und sie flog etwas auf, haute dem Jungmöwerich ihren kräftigen Flügel an den Hals, worauf dieser erschrocken Zap fallen ließ und sich Esmeralda zuwandte. Esmeraldas strengster Blick genügte und alles war vorbei. „Tja, tut mir leid, Leute, aber manche Möwen, besonders die jungen Bengels, sind nun mal so, die meinen das aber nicht so …!“ Was ein Trost für Zap, der sich seinen geschundenen Rücken rieb. „Du wirst zwar gefressen und vorher gefoltert, aber die meinen das nicht so …!“

Nachdem sich Zip und Zap artig für das tolle Frühstück und für die Rettung vor den Jungsturmmöwenjungs bedankt hatten und Esmeralda sie ein wenig unbeholfen umflügelt hatte, stürzten sie sich, begleitet von hundertfachem Lachen, Schimpfen, Fluchen von der hohen Klippe in den jungen Tag hinein. „SPATZEN, glaubt man’s denn?“ Esmeralda schüttelte ihren schokoladenbraunen Kopf. „Buena Viaje“, rief sie ihnen nach, „buena Viaje, wir sehen uns!“ Sie freute sich schon auf ihre nächste große Reise Wenn sie nur endlich die lästige Brutzeit hinter sich hätte …!

Stunde um Stunde flogen sie an der felsigen Küste entlang, immer nach Westen. Manchmal landeten sie auf den Klippen, um sich etwas auszuruhen oder nach einem kleinen Imbiß zu suchen, wohlbedacht, nicht in der Nähe von Möwennestern zu landen. Obwohl Esmeralda sie nett behandelt hatte, und auch die anderen Nestmöwen sie nur durch schrilles Lachen, Fluchen und Schimpfen erschreckt hatten, war ihnen nicht wohl in ihren Federn gewesen und sie waren froh, der Möwenkolonie entronnen zu sein.

Gegen Mittag war der Hunger so groß, sie mußten jetzt irgendetwas zu essen finden und so landeten sie in einer großen Stadt, Gijon, einem Hafen. Die eisernen Vorräte anzugreifen, brachten sie nicht übers Herz. Nahe der Stadt fanden sie einen großen Getreidesilo und viele, viele, unendlich viele Getreidekörner, an denen sie sich gütlich taten. Und es waren fast so viele Spatzen wie Getreidekörner da. Sie stopften sich jetzt auch ihre Reiserucksäcke voll. Von Gijon aus ging es bis in den späten Abend längs der Küste nach Westen. Plötzlich erfaßte sie ein starker Nordwind, der sie in Nullkommanichts bis nach Santiago de Compostela schob. Dort landeten sie in der untergehenden Sonne auf dem Kirchenvorplatz und fanden einen windgeschützten Unterschlupf im Dachgebälk der Kathedrale hoch über dem Kirchenplatz.

Nach einer kühlen, lauten Nacht - ganze Scharen von Spatzen palaverten und feierten die ganze Nacht lautstark bis in die frühen Morgenstunden - wachten die beiden schon früh auf. Ein dicker, alter Spatz hatte sich vor ihnen aufgebaut: „Oje, de donde ustedes? Ich hab’ euch hier noch nie gesehen?“ „Wir sind Zip und Zap, von der Geest, de Allemagna.“ „Aah, freut mich, ihr seid doch bestimmt hungrig, kommt mit. Ich bin übrigens Josè, mir gehört die Kathedrale.“ Er stürzte sich von dem Dachbalken und hielt Kurs auf ein Restaurant. Sie landeten zwischen den auf dem Bürgersteig stehenden Tischen und Stühlen. Es gab reichlich Brotkrümel, die die Gäste vom vorherigen Abend übrig gelassen hatten. Andere Spatzen gesellten sich dazu und wenig später war der Boden leergefegt. Zip und Zap erzählten von ihrer Reise und ihrem fernen Ziel. Sie ernteten allenthalben anerkennendes Zwitschern. Mit großem Hallo wurden sie verabschiedet: „Buena Viaje“, zwitscherte und tschilpte es, „Buena Viaje, Amigos, y Saludos.“ Sie flogen nach Westen in den hellen Tag hinein, rasteten kurz bei Brion, flogen über die karger werdende galizische Landschaft. Zu Mittag aßen sie in Mazaricos, einem kleinen, ruhigen Städtchen, wo sie sich vom Fensterbrett eines bunt gestrichenen Hauses eine ordentliche Portion noch dampfender Kartoffeln holten. Eine Frau mit einem schwarzen Kopftuch schlug mit einem hölzernen Kochlöffel nach ihnen.

Sie flogen über die weite Bucht bis direkt nach Kap Finisterre, landeten auf den hohen Klippen und sahen das erste Mal den richtigen Ozean vor sich. Welch ein Bild für unsere kleinen Spatzen:

Gewaltige Brecher schlugen an den Fuß des Kaps, die Gischt schäumte fast bis zu ihnen hinauf. Aus Westen rollten lange Dünungsberge heran, steilten sich im flacher werdenden Wasser auf und brachen sich an dem steinigen Strand. Angekommen nach einer langen Reise über den Ozean als Überrest eines Sturmes, der die See in tagelangem Peitschen und Stürmen höher und höher aufgetürmt hatte. Unweit des Kaps fuhren Schiffe nach Norden und Süden. Kap Finisterre, ein markanter Navigationspunkt, schon Lord Nelson hatte seine Flotte auf der Reise nach Trafalgar hier vorbeigeführt. Kap Finster, wie es von den Seeleuten genannt wurde, war gefährlich, man durfte ihm nicht zu nahe kommen. Legionen von Segelschiffen waren hier gescheitert, besonders, wenn der Sturm aus Westen blies. In der heutigen Zeit war das Kap dann nicht mehr ganz so schlimm für die Schiffe mit ihren großen, starken Maschinen. Dennoch hielten sie sich meist in respektvoller Entfernung.

Der Wind hier oben auf der Klippe wehte stark, Zip und Zap konnten sich kaum auf ihren kleinen, gelben Füßen halten und sie mußten ständig mit den Flügeln balancieren, um nicht einfach umzukippen und davongeweht zu werden. Und es war ein starker Westwind, der ihnen schon auf dem Weg von Brion zur Küste zu schaffen gemacht hatte und stetig stärker geworden war. „Das wird heute nichts, Zip!“

Nach einigen Tagen hatte sich der Wind gelegt, ein Hochdruckgebiet breitete sich aus und brachte endlich den erforderlichen Ostwind. Sie hatten sich ein wenig mit einer Sturmmöwe angefreundet, die es von der fernen, fernen Ostsee hierher verschlagen hatte und die nicht so recht mit den einheimischen Möwen klarkam, hausten ihrer doch Tausende und Abertausende in den Klippen von Kap Finsterre. „Leute, nun müsst ihr aber los“, sagte die Möwe, nachdem sich Zip und Zap fast eine Woche lang unter ihrem Schutz auf den Klippen aufgehalten hatten, unterbrochen von kurzen Flügen ins Inland auf der immer erfolgreichen Suche nach etwas Eßbarem, spanische Frühlingswürmer, ein paar vergessene Weizenkörner, jede Menge Weißbrotkrümel von den Tischen der vielen kleinen Cafés in den Dörfern rings um das Kap.

„Den Wind ausnutzen und geht so hoch wie möglich!“ Zip und Zap machten sich startklar, überprüften noch einmal ihre Ausrüstung, zogen die Schnallen ihrer Rücksäcke nach und auf ging’s. Der Ostwind griff unter ihre Flügel und sie stiegen höher und höher. Das Kap verschwand im Licht der aufgehenden Sonne. War da gestern Abend ein Zögern, ein wenig Angst in Zips Stimme gewesen? „Zap, sollen wir wirklich? Wer weiß, was uns erwartet?“ „Ach, Zip, hör auf, das haben wir doch schon hundertmal besprochen. Wir ziehen das jetzt eben durch!“ Zap war nach wie vor zuversichtlich, besonders nach dem gelungenen Flug über die südliche Biskaya. „Hab nur keine Angst, Zip, wir schaffen das schon, wir sind Spatzen, wir haben vor nichts Angst!“ – und nach einer Pause: „Und wie würden wir wohl dastehen, wenn wir auf die Geest zurückkehren? Amerika? Haben wir leider nicht geschafft, wir hatten Angst. Nee, Zip da wartet ein wunderbares Abenteuer auf uns!“

Zip und Zap auf großer Fahrt

Подняться наверх