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Südhalbkugel

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Etliche Tage später, sie hatten Onkel William aus dem Nest geschafft und dem Frost übergeben, gegen Nachmittag, erscholl ein lautes Klopfen an der Brettertür zum Stall: „He, wohnt hier William?“ Eine laute, furchterregende Stimme. Keiner traute sich zur Luke, Genofefa nahm Zap unter die Flügel, Gustav tastete sich langsam zur Tür, spähte durch einen Spalt und erschrak: Ein riesiger Vogel hockte dort auf dem Sims, sich gekonnt ausbalancierend im Sturmwind:

„Wer bist du, zum Sperber, was willst du hier?“ Gustav zitterte ein wenig, weniger vor Angst, vielmehr aus Schwäche, es hatte schon tagelang nur wenig zu essen gegeben!

„Wenn du Gustav bist, mach schon auf, ich habe ein Paket für euch!“

Gustav lugte wieder durch den Spalt: Tatsächlich, der gewaltige Vogel trug eine große Tasche auf den Rücken geschnallt. Gustav flog etwas auf und zog mit dem Schnabel den Riegel vom Tor.

Der große Vogel stand drohend, schwarz-weiß mit gelb-rosa Schnabel und weißem Kopfgefieder, im Tor: „ Bist Du Gustav? Wo ist William?“

„William ist verstorben, vor zwei Wochen schon, wer bist du, was willst du?“

Gustav richtete sich zu voller Größe auf, den Schnabel angriffslustig vorgewölbt. (Man, spatz, stelle sich vor: Ein kleiner, verfrorener Spatz plustert sich auf, um einem riesigen, voluminösen Albatros zu sagen: He, paß auf oder was willst du, Spatz bedroht Albatros …!) Na ja, ganz so war es ja nicht ...!

„Hey, langsam, Mann, ich bringe euch nur etwas im Auftrage von William.“

Er schlüpfte durch das Tor setzte sich auf den Balken und legte seine riesige Ledertasche ab. „Hier, für euch, eigentlich für William, der arme Kerl, wie ist er denn gestorben?“

Er leerte die große Tasche aus. Daraus fielen gelbe Maiskolben, Speckschwarten, Hamburgerreste, getrocknete Weintrauben, Rosinen, ein Kilo Weizenkörner, ein Spatzenquentchen Gerstenkörner, Selleriescheiben, Bärentraubenblätter, Vogelbeeren, getrocknete Riesenkirschen, kalifornische Walnüsse, Heuschreckenköpfe und -füße, 20 Chilischoten, ein ordentlicher Batzen Elchfett, zwei Kugeln Schmalz, ein großer Sack kalifornische Sonnenblumenkerne und auch ein oder zwei Spatzenbatzen Kürbiskerne und und und ...!

Was für ein Segen für Familie Spatz, die - trotz der Schweinefutterdiebstähle -schon sehr darbte, denn der freie Zugang zum Stall war von Bauer Alwin mit dicken Tüchern verhängt, um die Tiere in seinem Stall vor der Kälte zu schützen. „Mein Name ist ‚Südhalbkugel’ und ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein, aber ich hatte William versprochen, das Paket vorbeizubringen auf meiner Reise zum Südpol.“ Er wischte sich mit einem kräftigen Flügelschlag den Schweiß von der Stirn. „Es war ‘ne harte Reise, selbst für einen Albatros, aber nun bin ich ja hier.“ Genofefa hatte derweil ein paar Kuchenkrümel aus ihrer eisernen Reserve hervorgeholt. „Bitte“, sagte sie, „bitte nehmen Sie etwas zur Stärkung.“ Höflich nahm Südhalbkugel die kleinen Kuchenkrümel aus Genofefas Flügel. „Danke, das tut gut“, er räusperte sich, „aber haben Sie nicht ‘nen Hering oder ‘ne Makrele? Am besten wär’ natürlich ’ne Schüssel voller Tintenschnecken!“

Mutter Genofefa räumte ihre Speisekammer vollends leer, um dem Gast etwas zu bieten. Die in Froschfett eingehüllten Fliegenlarven mundeten besonders, Vater Gustav holte schweren Herzens eine seiner beinahe letzten Flaschen Spatzenbräu hervor und bald war der Gast, der in unerwarteter Weise so viele Schätze gebracht hatte, kurz davor einzunicken. Das Dämmerlicht, die langsam trotz der verhängten Decke von den Stalltieren aufsteigende Wärme, der tagelange Flug durch die eisigen Lüfte, das ungewohnte Spatzenbräu taten ein Übriges und Südhalbkugel war tief und fest eingeschlafen. Ohne diese aufsteigende Wärme hätten sie diesen Winter auch wohl kaum überlebt. Sie betteten Südhalbkugel deswegen auch auf dem großen, breiten Mittelbalken, wo es am wärmsten war. Zap bekam endlich seinen vor Staunen aufgerissenen Schnabel wieder zu. Morgen würde er ihn alles fragen: über den Atlantik und Onkel William und die weite Welt und besonders über die Südhalbkugel. Wie man ein so riesiges Paket über solch eine Distanz (wovon er allerdings nur eine leise Ahnung hatte) schleppen konnte.

Sie saßen um den Frühstückstisch, Genofefa hatte aus den Bärentraubenblättern und einigen Maiskörnern sowie ein paar flugs von Gustav geklauten Dampfkartoffelstücken aus dem Schweinetrog ein kräftiges Frühstück gezaubert. Er hatte sich dabei die linke Vorflügelklappe etwas verstaucht, denn durch die abgehängten, schweren Tücher und Planen war es gar nicht mehr so einfach, in den Stall zu kommen, aber sie mußten ihrem Gast ja etwas bieten! Der Albatros reckte sich, streckte sich: „Aaah, wo bin ich?“ Beinahe wäre er von dem breiten Balken gestolpert. „Ah jaa, Familie Spatz, Job erledigt, was duftet hier?“

Er schwang sich auf das Podest und stand, seine Flügel wohlig ausstreckend, vor dem winzigen Nest der Familie Spatz. Seine Flügel reichten fast von einer Wand zur anderen. Das waren mehr als drei Meter! Er klapperte etwas mit seinem großen, hakenförmigen Schnabel. Zap war schon lange auf und hatte heimlich den riesengroßen Albatros betrachtet, der friedlich wie eines der Lämmchen von Bauer Alwin schlief, und der offensichtlich die Wärme des Stalles genoß. Was für ein Vogel, schwarze Füße, also ein Diomeda nigripes, mit Schwimmhäuten! Mußte der ein guter Schwimmer sein! Der hätte keine Angst vor einem popeligen Koi! Und diese Flügel; selbst beigeklappt sahen sie beeindruckend aus. Onkel William mußte schon ein toller Kerl gewesen sein, wenn er so einen Albatros zum Freund hatte, der ihm über Tausende von Meilen ein Freßpaket transportierte und das auch noch auf dem Weg zum Südpol. Was für ein Umweg! Südhalbkugel reckte sich, wobei er fast den liebevoll von Mutter Genofefa gedeckten Tisch umstieß. „Leute“, dröhnte seine Stimme, „Leute, danke für eure Gastfreundschaft, aber ich muß los, ich hätte eigentlich morgen schon am Südpol sein müssen, aber das schaffe ich ja nun nicht mehr.“

„Aber du wolltest mir doch vom Nordatlantik und vom Südpol erzählen“, Zap war ganz entsetzt, daß Südhalbkugel schon wieder weg wollte. „Jau, hätte ich fast vergessen, aber das ist schnell erzählt.“ Er nahm den kleinen Zap in seinen riesigen Flügel und hielt ihn sich vors Gesicht: „Hör gut zu, kleiner Zap, den großen Teich zu überqueren ist kein Kunststück, ich mache locker mal 1000, 1500, 1900 Kilometer am Tag, je nach Windlage und man muß kein großer Albatros sein, um das zu schaffen.“

Er schüttelte sich ein dicke Stallspinne vom Flügel. „Rückenwind ist die halbe Miete, sagen wir, du machst in stiller Luft maximal 40 km/h, schnapp dir einen Rückenwind mit 100 km/h und wieviel sind das dann??????“

Zap rechnete schnell: „40 plus 100, hej, das sind ja Hundertfünfzig.“ „Na gut“, sagte Südhalbkugel, „Hundertfünfzig und ich denke, das wird für dich kein Problem sein, flieg einfach los!!“

Zap hing förmlich an seinem Schnabel: „Und, uuund, wie kann ich das schaffen?“ „Zack“, sagte der riesige Vogel, ... „Ich heiße Zap!“ „Okay, Zap, entschuldige, also einfach nach Westen und so hoch wie möglich, da hast du immer die Chance, einen Schiebewind zu erwischen.“

Zap hörte aufmerksam zu, ja, er sah die Bilder vor sich, Schiebewind, die Wellen des Atlantiks, die Inseln mitten im Meer. „Tja und dann kommst du irgendwann zu den Azoren, schöne grüne Inseln, aber wenig Futter für Spatzen, schätze ich.“ Südhalbkugel griff nach seiner Ledertasche. „Laß die Sonne immer im Süden und flieg immer nach Westen, dann kann dir nichts passieren!“ „Wie machst du das?“ fragte Zap. „Gott, wie mache ich das, ich bin ein Wander-Albatros, ich kann tagelang, ja wochenlang in der Luft bleiben, meistens segele ich, das kannst du natürlich mit deinen kleinen Flügeln kaum. Ich kann meine Flügel sozusagen einrasten und muß nur alle ein, zwei Stunden mal einen Flügelschlag tun, und so kann ich wirklich ganz lange in der Luft bleiben und auf dem Sturm reiten. Wenn ich wirklich müde werde, dann gehe ich runter aufs Wasser und lasse mich treiben, schlafe ein wenig. Eine Fischmahlzeit gibt es immer irgendwo. Manchmal schmeißen die Seeleute ja auch etwas außenbords, das reicht dann für ein paar Tage. Hauptsache ist, unterwegs zu sein!!“ „Wie ist das auf dem Atlantik?“ fragte Zap. „Schön, einfach schön - am schönsten ist es natürlich im Südatlantik, in den Brüllenden Vierzigern.“ In Südhalbkugels Augen spiegelte sich förmlich die unendliche Weite des Ozeans. Die brüllenden Vierziger, damit sind die Südbreiten um die 40 Grad bis 50 Grad Süd im Südatlantik gemeint. Schon gefürchtet bei den Kap-Hoorn-Seglern auf ihrem Weg nach Chile, an die Salpeterküste. Dort unten, in den rouring fourties türmen sich manchmal die Wellen bis auf 25 Meter auf „Manchmal stürmt es ganz ordentlich und der Wind bläst so stark, daß man kaum vom Fleck kommt.“ „Was machst du dann?“ Zap sah ihn gespannt an. „Na ja, wenn es zu arg wird, setzte ich mich aufs Wasser und lasse mich treiben, oder ich fliege einfach MIT dem Wind einmal um die Erde!“ „Und hast du keine Angst vor den hohen Wellen?“ „Ein Wander-Albatros hat niemals Angst, und du kleiner Spatz sollest auch niemals Angst haben!“ „Ich habe keine Angst, aber ein paar mehr Einzelheiten könntest du mir schon sagen …, zum Beispiel, wo lande ich, wenn ich müde bin? Ich bin ein Spatz, ich schaffe keine 900 Kilometer am Tag!“ Südhalbkugel sah Zap nachdenklich an, rieb sich die Stirn mit seiner Flügelspitze: „Hast Recht, hast Recht, gar nicht drüber nachgedacht.“ Zap schaute ihn erwartungsvoll an. „Mmmhhm, mmhm, tja, hmmhm, Südwestkurs, bis 45 Grad westliche Länge, na ja, könnte gehen, Schiffe, tja oder besser … Wale?“ Zap tänzelte hin und her, Südhalbkugel ließ sich Zeit …: „Zap, du mußt jede Gelegenheit zum Ausruhen wahrnehmen, es gibt einige Inseln im Ozean, auch unentdeckte, und große Felder schwimmenden Seetangs, Treibholz und vor allem gibt es Schiffe auf dem Atlantik, da landest du einfach und ruhst dich ein paar Tage aus. Meistens findest du auch noch ein paar Körner oder Brotkrumen und Seeleute sind allgemein bekannt für ihre Tierliebe und ihre Großzügigkeit!“ Südhalbkugel rieb sich wieder das Kinn: „Ach ja, und du mußt auf die Haie aufpassen, das sind ganz üble Brüder, ehe du einmal mit den Flügeln schlagen kannst, haben sie dich gefressen!“ „Woran erkenne ich einen Hai?“ „Ganz einfach, Zap, die sehen furchterregend aus und haben gewaltig viele Zähne im Maul und vor allem: die dreieckige Rückenflosse! Grau-blau sind sie, fürchterlich verfressen, manchmal fressen sie sich selber auf.“ Der große Albatros erzählte und erzählte, alles was er wußte über Navigation, astronomische sowie terrestrische, den Ozean, die Inseln, die Wolken, den Wind und das Wetter. Die Gefahren der See, die Weite des Ozeans, er erzählte über den wunderbaren Sternenhimmel und die unendliche Freiheit auf See. Die phantastischen Wolkengebirge, den stetigen Wind, der eigentlich immer irgendwie wehte, aus welcher Richtung auch immer.

Zaps Augen glänzten, er sah es vor sich, die gewaltigen Wolkenberge, den weiten Ozean, die Inseln darin, die Schiffe, die freundlichen Seeleute, den schwimmenden Seetang, von dem er sich wieder nach einer ausgedehnten Ruhepause erhob, die Flügel frisch gestählt und auf, auf und hinweg, immer nach Westen, gegen die gefährlichen Haie kämpfend und immer mit dem Wind nach Westen …! Entgegen seiner ursprünglichen Absicht blieb Südhalbkugel volle zwölf Tage bei Spatzens. Der vierte Tag! Südhalbkugel war etwas eingenickt, die für ihn ungewohnte Wärme ließ ihn schläfrig werden. Am Abend hatte er schon ein paar Mal versucht, Zap zu sagen, daß er nun langsam los müsse! Aber Zap hatte ihn immer wieder gelöchert und gefragt und irgendwie erkannte Südhalbkugel, daß Zap es wohl ernst meinte. So blieb der große Albatros noch beinahe eine ganze Woche bei Spatzens im warmen Nest über dem Stall – und so ganz unwohl war ihm dabei nicht. Er leerte zusammen mit Gustav die eine oder andere Flache Spatzenbräu, wobei, wenn Südhalbkugel den ersten Schluck nahm, meist nicht viel übrig blieb für Gustav. Gustav hatte sich jedoch vorsorglich in dem kleinen Spatzenladen unten an der Beeke mit reichlich Spatzenbräu eingedeckt - Lieferung frei Nest durch zwei frierende Transportamseln, die etwas beleidigt das Trinkgeld - zwei getrocknete Libellenflügelspitzen - entgegennahmen. Mutter Genofefa tat ihr bestes, das eine oder andere Mahl zuzubereiten. Ein neuer Schneesturm kam auf und man kuschelte sich im Nest aneinander. Südhalbkugel erzählte. Von der weiten Welt und wie wunderschön es war, sich einfach um den Globus treiben zu lassen, allenthalben alte Freunde wiederzutreffen. Zap konnte gar nicht genug bekommen, er sog alles in sich auf. Der 12. Tag: Der Albatros war sichtlich unruhig geworden. Es war schon um die Mittagszeit, der Schneesturm hatte für einen Moment ein ganz klein wenig nachgelassen, als Südhalbkugel erwachte. Er schaute auf seine große Flügelbanduhr: „Gott, schon so spät, jetzt muß ich aber los!“ Er schüttelte Gustav die Flügelspitze, umflügelte (umarmte) Genofefa, die ein klein wenig schluchzte. Dann nahm er Zap noch einmal in den Flügel: „Zap, mein Kleiner, sieh zu, daß du dich auf die große Reise machst, es gibt nichts Schöneres.“ Er strich sich mit beiden Flügeln die Kopffedern glatt. „Leute, macht’s gut, bleibt gesund und laßt euch nicht vom Sperber holen!“ Gustav hatte, mühsam sich gegen die schweren Tore stemmend, die der Wind unbedingt zuhalten wollte, endlich die eine Hälfte des Tores aufbekommen. Südhalbkugel schwang sich auf das große Brett, breitete seine riesigen Flügel aus, zog noch einmal den nun leeren Rucksack fest und erhob sich mit einem einzigen Flügelschlag in den winterlichen Himmel. Nach drei Flügelschlägen hatte ihn der Schneesturm verschluckt. „Ein toller Kerl“, murmelzwitscherte Gustav und ließ den Wind das Tor zuschlagen. Es war still geworden im Nest auf dem großen Balken über dem Stall der Gnadenbrotliese. Der Nachmittag kam, es wurde dunkel, Spatzens saßen um den Kaffeetisch, Zap knabberte lustlos an einem kalifornischen Maiskorn, Mutter Genofefa schlief in ihrem Strohsessel ein und Gustav dämmerte vor sich hin. Bauer Alwin hatte am Nachmittag die Tücher und Leinwände etwas bewegt und so stieg wieder wärmere Stalluft auf ins Nest. Der Abend kam, der Sturmwind rüttelte an den Toren und Fenstern und pfiff hier und da durch den Stall. Wo mochte Südhalbkugel nun sein, dort oben, in dem eisigen Sturm, das hakenverschnabelte Gesicht trotzig, mutig in Flugrichtung gereckt, sich ab und zu die Schneeflocken aus den Augen wischend. „Ein toller Kerl“, dachte Zap, „und bald bin ich auch ein toller Kerl!“

Zip und Zap auf großer Fahrt

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