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Onkel William

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Und tatsächlich, eines Tages kam er mit einer längeren Westwetterlage hereingeweht, Dreipunktlandung auf dem dicken Vorbrett, dem großen, starken Tragebalken des Stalles: „Hey, o wie geht’s oich, Gott war ein langes Flug, do you have was zu essen für mich?“

Tatsächlich war er gekommen, Onkel William aus Amerika. Der Tisch wurde gedeckt mit allem, was Mutter Genofefas Vorratskammer hergab: Eingelegte Weizenkörner, sauer gegorenes Wurmragout, getrocknete Gelbrandkäferflügelspitzen, frische Silage aus dem Silagespeicher, Kartoffelstückchen, die Gustav aus dem Schweinetrog unter Einsatz seines Lebens geklaut hatte, denn die grunzenden Schweine fraßen alles, und es wäre ihnen nicht mal aufgefallen, wenn sie einen Spatzenmann verspeist hätten …!

Der Winter kam mit Schneestürmen und sibirischer Kälte und sogar in dem warmen Pferdestall wurde es ungemütlich. Die Pferde wurden einmal am Tag auf die vereiste Weide herausgelassen, um sich die langen, langen Beine zu vertreten. Sie genossen es auch und sprangen herum - bis auf die alte Liese, die träge herumstand, bald schon anfing zu frieren und in den Stall zurückging. Der eisige Wind blies durchs Gebälk und besonders bei Ostwind sprühte es eiskalt herein. Familie Spatz rückte enger zusammen. Und Onkel William erzählte, während er genüßlich die Suppe aus getrockneten Gelbrandkäferflügelspitzen löffelte: „Also bei uns in California, da gibt’s keine Winter (er sagte Uinter), immer sunshine, warm und ganz viele Raupen and andere Insects und ganz viele Hamburger Laden mit große Mulltonnen voll Reste!“ Zap hörte immer ganz gespannt zu, wenn Onkel William erzählte, er kuschelte sich unter Mutter Genofefas Vorflügel und stellte sich vor, er wäre in Amerika. „Die Wurmer“, sagte Onkel William, „die Wurmer sind so dick wie ein Cigarre und der Maiskorner sind schwer wie ein halbes Spatz.“

Der Winter zog sich hin und an einem klaren, ausnahmsweise ruhigen Tag stand Zip in der Tür, eigentlich auf dem Balken vorm Nest. Vater Gustav schaute streng und fragte: „Was willst du denn hier!!!!???“ Und es klang eigentlich nicht wie eine Frage, sondern eher wie eine Drohung. „Mein Name ist Zip, ich wollte zu Zap, ist er da?“ Zap hatte Zips Stimme gehört und wuselte sich aus dem geräumigen Nest vorbei an dem schnarchenden Onkel William: „Oh, Zip, lange nicht gesehen, wie geht es dir?“ Vater Gustav runzelte die Stirn: „Also, wer bist du?“ „Ich sagte schon, mein Name ist Zip und ich bin die Tochter von Luigi aus der Hecke am Kuhstall und wollte mal guten Tag sagen.“ Dabei ließ sie ihren Rucksack von der Schulter gleiten, öffnete ihn und nahm ein Paket heraus: „Mit den besten Grüßen von meinen Eltern, unbekannterweise!“ „Ach, nun bitte die junge Dame doch endlich herein“, sagte Genofefa und drängte sich an Gustav vorbei, „kommen Sie nur, bei uns ist es schön warm.“ Mutter Genofefa hatte wohl gesehen, daß sich das Kopfgefieder ihres jüngsten Sohnes rot gefärbt hatte ...! Natürlich war das Gastgeschenk hochwillkommen, denn durch den gesunden Appetit Onkel Williams hatten sich die Vorräte rapide verkleinert. Obwohl Onkel William mindestens 20-mal am Tag versicherte, daß sein Proviantkurier aus Amerika unterwegs sei ... Zip klopfte sich das Eis vom Schnabel und setzte sich. Zaghaft nahm sie einen Bissen vom Schweinegallenragout. Nach einem Weilchen fühlte sie sich wohler und wurde durch die Wärme im Nest etwas schläfrig.

Onkel William begann zu erzählen: „Also, Zap, du scheinst mir ja ein rechter Spatz zu sein, dich interessiert bestimmt die weite Welt, oder? Das ist sicherlich ein harter Winter für euch. Bei uns gibt’s keinen Winter, es ist ewiger Frühling und die Tische sind reichlich gedeckt. Riesige, weite Felder voller reifem Korn und das dreimal im Jahr. Die Mülltonnen bei den vielen Schnellrestaurants, sie quellen über. Brot, süßes Weißbrot (er sagte Uaißbrout), Reste von Hamburgern, Salat, Maiskorner, Erdnusse, alles was man will, wir leben im Uberfluß.“ Er stopfte sich ein paar von den Kuchenkrümeln, die Zip mitgebracht hatte, in seinen Schnabel. Zip, die in der wohligen Wärme des Nestes eingeschlafen war, war wach geworden. „Und was gibt es noch in Amerika?“ fragte Zap begierig, mehr zu erfahren. „Alles, Zap, was du dir vorstellen kannst, einfach alles. Die fettesten Maden, den blauesten Himmel, ewiger Frühling und ein wunderbares Sternenzelt. Alle sind freundlich zu dir, die Menschen, auch die großen Vögel, einer meiner besten Freunde ist ein Adler, ein Weißkopfadler, sogar ein Albatros gehört zu meinen allerbesten Kumpeln, Hunde und Katzen, alles gute Freunde und wie gesagt alles, was das Spatzenherz begehrt, zu essen. Besuch mich doch einfach mal, ich wohne in einer großen Knorreiche und habe ein riesiges, vierstöckiges Eigentumsnest mit eigener Startbahn und einer Wetterfahne.“ Zap schaute ehrfurchtsvoll zu Onkel William auf. Ja, das würde er machen, gleich im nächsten Frühjahr.

„Wie weit ist es denn nach Amerika und wie komme ich überhaupt dahin??“ „Aaach, Zap, was für eine Frage für einen Spatz“, antwortete Onkel William, sich einen letzten Kuchenkrümel aus dem Brustgefieder klaubend. Das ist ganz einfach: „Im Frühjahr, wenn es noch einigermaßen kalt ist, einfach eine Ostwetterlage abwarten und mit dem steifen Ostwind immer nach Westen fliegen, Richtung Atlantikküste und dann etwas nach Süden halten Richtung Azoren und dann bist du schon fast da.“ Zap sah in Gedanken den weiten, blauen Atlantik, von dem hatte er schon gehört. „Hauptsache immer Generalkurs Westen halten, dann kannst du Amerika gar nicht verfehlen, dann noch eben quer über den Kontinent und schon bist du in Kalifornien.“ Der Abend war schnell gekommen, Zap begleitete Zip zum Stalltor: „Machs gut Zap, vielleicht fliegen wir ja zusammen nach Amerika?“ Zip ließ sich elegant vom Sims fallen und gewann schnell Höhe. Aus dem ruhigen Wintertag war ein stürmischer, dunkler Winterabend geworden und Zip hatte einige Mühe, die heimatliche Hecke zu finden. Es war beileibe keine einfache Behausung in der Hecke. Luigi hatte den Platz für seine Heimstatt sorgfältig ausgewählt. Die Hecke stand an der Wand eines Kuhstalles und es war windgeschützt und durch ein Loch in der Stallwand strömte immer warme Luft heraus. So hatte Familie Spatz das Nest nach und nach zu einem luxuriösen 8-Zimmer-Spatzennest im Stil eines toskanischen Landhauses ausgebaut.

„Wo warst du so lange?“ fragte Lydia, „ich hatte mir schon Sorgen gemacht!“ „Ach, Mama“, antwortete Zip, „ich werde nach Amerika fliegen!“ „Aber heute Abend nicht mehr,“ sagte Mutter Lydia, „und jetzt ab ins Bett, Schluß für heute!“

Der Winter breitete sich mit aller Macht aus, es wurde bitterkalt, ein starker Ostwind wehte und es fand sich in Feld und Flur nichts mehr zu essen. Das sibirische Hoch hatte auch den Westkontinent fest im Griff. 22 Grad unter Null. Nicht nur für unsere Spatzen eine schreckliche Zeit, auch alle anderen Vögel litten und wer keine Vorräte angelegt hatte oder die Gott sei Dank vielerorts angelegten Futterstellen nicht fand, mußte ganz einfach verhungern. Die Leute im Haus mit der Terrasse am Teich legten UNMENGEN Vogelfutter aus, dicke Sonnenblumenkerne und Brot und Kuchen und Meisenknödel und was noch nicht alles. Bei Spatzens kuschelte man sich aneinander. Der Schnee lastete schwer auf der Hecke und eine Verwehung machte es fast unmöglich, aus dem Nest zu kommen. „Papa“, fragte Zip, „ist das immer so im Winter?“

„Ja, meine Kleine, das kann schon sein, aber keine Sorge, es wird ja bald wieder Frühling!“ Und Luigi erinnerte sich an die milden Winter in der Toskana, kein Schnee, kein Eis, keine quengelnde Brut …!

Im Januar fing Onkel William an zu husten, es war eiskalt geworden im Stall, im Nest. Er, der die Weite, die unendliche Größe des amerikanischen Kontinents gewohnt war, hatte einfach kurz entschlossen einen langen Flug über die Geest gemacht. Er war nichts mehr gewohnt, fing unterwegs an zu schwitzen und erkältete sich fürchterlich. Der Schweiß lief ihm den Schnabel hinunter. Am Abend nach seinem Ausflug, der ihn auch über den Teich mit der Terrasse und dem Haus und den gefährlichen Hunden - von denen allerdings nichts zu sehen oder zu hören war- geführt hatte, bekam er Fieber. Lydia machte ihm warme Beinwickel aus Libellenlarvenhaut und Schweinekot. Aber es nützte alles nichts, das Fieber wollte und wollte nicht weichen. „Zap“, sagte er eines Abends, „Zap!!“ Der Wind pfiff eisig durch alle Ritzen und Löcher in den Stall hinein. Bauer Bodenstab hatte den Pferden und Schweinen Decken umgelegt ..! „Zap, komm mal her!“ Seine Stimme war nicht mehr so kraftvoll, irgendwie klein und verwehend. „Zap, du bist ein guter, starker Spatz, so, wie ich es einmal war. Ich schaffe es nicht mehr zurück...“ Zap legte ihm einen Flügel auf den gebeugten Rücken. „Onkel William, du wirst schon wieder gesund, du kommst doch aus Amerika …“

Onkel William bekam einen Hustenanfall, er schüttelte sich, dicke Schweißtropfen flogen aus seinem Gefieder: „Unterbrich mich nicht, Zap, hör zu: Du bist ein guter Kerl, ein rechter Spatz, so wie’s sein soll. Ich möchte, daß du im Frühjahr nach Amerika fliegst und dort mein Erbe antrittst. Immer nach Westen, nicht lockerlassen, es gibt viele Gefahren, aber du wirst es schaffen, immer nach Westen über Frankreich an die Atlantikküste und dort eine Ostwetterlage abwarten und dann nichts wie rüber zu den Azoren. Hier ist meine Adresse: Knorreiche, Malibu, SEA SHORE DRIVE 115, California, das obere Nest. Da findest du alles, was ich dir erzählt habe. Und in der Kiste hinten im Garten ist eine riesige Menge an Maiskörnern … und da war noch was, irgendwas habe ich vergessen … die Tauben, Thea und Theodor …“ Seine Stimme wurde schwächer und er fing an zu schnaufen, er legte Zap den Flügel um die Schultern. Genofefa, seine Schwester, kam herbei mit einem Stückchen Eis, um seine Stirn und seinen Schnabel zu kühlen.

Onkel William starb in den Armen seiner Schwester, Vater Gustav nahm seinen Sohn in die Flügel: „So ist das Leben, Zap. Onkel William hatte ein erfülltes Leben, ehren wir sein Andenken! Er war ein richtiger, ehrlicher norddeutscher Spatz.“

Zip und Zap auf großer Fahrt

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