Читать книгу Rote Tulpe - Alexander Sandmann - Страница 5
Sie
ОглавлениеWer "Sie" war, wagte er selten und fast niemandem zu erzählen. Am meisten über „sie“ hatte er seiner Schwester Sabrina anvertraut, die mit ihren 10 Jahren mehr Lebenserfahrung das eine oder andere zu sagen hatte.
Einst hatte er hilfesuchend und unter falschem Namen in ein Internetforum geschrieben, er suche seine Jugendliebe. So ganz traf es das jedoch nicht. Er hatte ihre eMail-Adresse, konnte sie jedoch nicht kontaktieren. "...wegen...wegen allem!" hielt er seine Verzweiflung später in einem Tagebucheintrag fest. Vielmehr wusste er nicht, wie er mit seiner Gefühlswelt fertig werden sollte, die seit über 10 Jahren das gleiche bewirkte: in regelmäßigen Abständen musste er an sie denken, sich fragen, was sie so machte und ob sie manchmal an ihn dachte. Um dann sofort festzustellen, dass sie damals ganz anders empfunden hatte als er.
Ja, "Sie" hatte seit jenem verhängnisvollen Tag in seiner Jugend einen festen Platz in seinem Herzen, als sei ein Komet eingeschlagen, später gewaltsam wieder entfernt worden und habe einen großen Krater hinterlassen.
Dieser Krater trug einen Namen: Katharina.
Und würde er den fremden Gestalten aus dem Internetforum Glauben schenken, so würde dieser Krater zeitlebens sein Herz zieren. Ein Umstand, der ihn weder glücklich, noch sonderlich traurig stimmte. Denn so würde er sicher gehen, dass er diese eine Person stets im Herzen tragen würde, jedoch würde es jedes Mal schmerzen, an sie zu denken - bis ans Ende. Ein Ende, ihres oder seins. Beizeiten hatte er sich Szenarien ausgemalt, was er täte, sollte er von ihrem Tode erfahren - oder umgekehrt. Er würde an der Trauerfeier teilnehmen wollen, das stand fest. Würde auch sie ihm jemals die Ehre erweisen? Niemals dachte er diese Gedanken zu Ende.
Nun saß er dort, am Ufer des Rheins, der sich vom aufgewühlten Schlamm bräunlich seinen Weg zum Meer bahnte. Möwen kreischten hier und dort, Frachtschiffe fuhren im Minutentakt an ihm vorüber. Niemand nahm Notiz von ihm und das gefiel ihm. "Endlich allein, endlich Ruhe", dachte er bei sich.
"Was heute passiert war, hätte besser nicht passieren sollen." beschloss er kurzerhand und hatte augenblicklich das Gefühl, seine Welt bräche vor ihm entzwei. Seine Familie, sein noch lange nicht abgezahltes Haus, seine Arbeit und sein Studium...alles, was ihm irgendwie wichtig war. Ein Gefühl unendlicher Hilflosigkeit und Leere überkam ihn, als er die heutigen Geschehnisse noch einmal in Gedanken analysierte.
Seine Frau hatte auf seinem Rechner im Internet etwas suchen wollen und war dabei auf von ihm eigegebene Suchanfragen "Katharina Förster" gestoßen. Unerwartet fragte sie ihn mit hochrotem Kopf, wer das denn sei und warum er nach ihr suchen würde. Er hatte kurz in seinem Hirn nach einer guten Ausrede gesucht, sich dann aber doch für die Wahrheit entschieden...