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[9]Einleitung

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Am 3. Februar 2008 kam es in Ludwigshafen zu einem verheerenden Brand in einem von türkeistämmigen Migrantinnen und Migranten bewohnten Haus. Neun Personen kamen dabei ums Leben, 60 wurden verletzt. Tragödien in dieser Größenordnung sind in Deutschland zum Glück sehr selten. Zu einem besonderen Ereignis wurde dieser Hausbrand nicht nur wegen der Anzahl der Opfer, sondern noch aus einem anderen Grund: Türkischsprachige Medien berichteten in den Tagen danach, dass Feuerwehr und Polizei nicht schnell genug gehandelt hätten. In den Wochen nach dem Einsatz wurde ein Feuerwehrmann tätlich angegriffen, andere erhielten Morddrohungen, viele Feuerwehrangehörige wurden beschimpft. Erst als der Verdacht einer Ungleichbehandlung widerlegt werden konnte und nach aktiver Aufklärungsarbeit in der türkischen Community Ludwigshafens glätteten sich langsam die Wogen.

Laut den regelmäßig durchgeführten Umfragen des Forsa-Instituts genießt der Beruf des Feuerwehrmanns bzw. der Feuerwehrfrau mit das höchste Ansehen aller Berufe in Deutschland. Entsprechend groß war bei der Feuerwehr das Erstaunen über die Vorwürfe und das Entsetzen über die Übergriffe in den Wochen nach der Brandkatastrophe in Ludwigshafen. Ganz offensichtlich gab es eine Bevölkerungsgruppe, die nicht ganz so positiv über die deutsche Feuerwehr dachte oder bei der zumindest diese positive Sicht auf sehr wackeligen Beinen stand. Der Hausbrand von Ludwigshafen rückte schlagartig die kulturelle Vielfalt in Deutschland in die Aufmerksamkeit der Feuerwehr: Wie werden wir bei nicht deutschstämmigen Mitbürger*innen wahrgenommen? Was wissen Menschen mit Migrationshintergrund über uns und unsere Arbeit? Und schließlich: Was müssen wir tun, um bei den sich ändernden gesellschaftlichen Bedingungen auch in Zukunft erfolgreich unsere Aufgaben zu erfüllen?

Im darauffolgenden Jahr nahm auch die erste Feuerwehr Kontakt mit dem interkulturellen Weiterbildungsinstitut auf, dem ich angehöre. Seitdem nimmt die Arbeit mit Berufsfeuerwehren und Freiwilligen Feuerwehren einen nicht unerheblichen Teil meiner Tätigkeit als interkultureller Trainer ein. Für einen Trainer ohne eigene Feuerwehrerfahrung war das Feuerwehrwesen zu Beginn Neuland. In den Jahren der gemeinsamen Arbeit konnte ich aber immer tiefer in das »Feuerwehruniversum« eintauchen und die Feuerwehr ist mir in dieser Zeit immer mehr ans Herz gewachsen. Die Tätigkeit von Einsatzkräften ist in doppeltem Sinn sozial: Sie setzen sich – teilweise unter Lebensgefahr – für das Gemeinwesen ein und tun dies auf eine [10]Art und Weise, die meist nur im Verbund mit Kameradinnen und Kameraden erfolgreich sein kann. Ein bestimmter Menschentyp ist mir bei der Feuerwehr häufig begegnet: Mit Nüchternheit blickt er auf ein Geschehen, mit Leidenschaft setzt er sich bei seiner Tätigkeit ein und mit Warmherzigkeit genießt er das kameradschaftliche Miteinander.

Aber nicht immer war die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr spannungsfrei. In einem Großprojekt mit einer Berufsfeuerwehr wurden meine Kolleg*innen und ich belehrt, dass nicht jeder Feuerwehrmann/-frau darauf gewartet hat, seine/ihre interkulturellen Kompetenzen weiter auszubauen. Die zugenommene kulturelle Vielfalt in der deutschen Gesellschaft wurde von nicht wenigen Kamerad*innen skeptisch betrachtet, die notwendigen Anpassungsleistungen einseitig von Migrant*innen erwartet. Dass ein gekonnter Umgang mit interkulturellen Herausforderungen heutzutage auch Teil der eigenen Professionalität sein muss, war nicht auf Anhieb einsichtig. Nach mehreren gelungenen Kooperationen mit Feuerwehren und einer Vielzahl interkultureller Weiterbildungen für Sicherheitskräfte und öffentliche Verwaltungen zeigte uns dieses Projekt auf, dass gelegentlich sehr grundlegende Überzeugungsarbeit zu leisten ist und die Rahmenbedingungen einer Weiterbildung nicht vernachlässigt werden dürfen, damit eine interkulturelle Weiterbildung auch erfolgreich sein kann. Um mit solchen – menschlich ja durchaus nachvollziehbaren – Widerständen umzugehen und Angehörige der Feuerwehr in interkulturellen Weiterbildungsveranstaltungen dort abzuholen, wo sie sich in ihrer Auseinandersetzung mit interkulturellen Themen gerade befinden, haben meine Kolleg*innen und ich unser Repertoire an Inhalten und Methoden im Anschluss an diese Erfahrung beständig ausgebaut und verfeinert.

In den letzten Jahren ist neben dem Einsatzgeschehen eine weitere interkulturelle Herausforderung in das Blickfeld der Feuerwehr geraten: Während die deutsche Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten kulturell immer vielfältiger geworden ist, sind die in der Feuerwehr Tätigen fast ausschließlich deutscher Herkunft. Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln scheinen nur selten den Weg in die Feuerwehr zu finden. Migrantinnen und Migranten in die Feuerwehr zu integrieren, ist aber nicht nur ein Gebot gesellschaftlicher Mitverantwortung. Aufgrund rückläufiger Mitgliedszahlen wird es vor allem für die Freiwillige Feuerwehr zu einer puren Notwendigkeit, verstärkt auch Mitglieder aus anderen Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, um auch in Zukunft erfolgreich ihren Auftrag zu erfüllen. Es stellen sich die folgenden Fragen: Wie erreicht man diese Gruppen? Wie kann man Menschen mit Migrationshintergrund für die Feuerwehr begeistern? Welche Strategien und welche Argumente sprechen diese Zielgruppe an? Inwiefern muss die Feuerwehr ihre eigene »Kultur« überdenken und an manchen Stellen vielleicht modifizieren?

[11]Dieses Buch basiert auf einer Vielzahl von Weiterbildungsveranstaltungen und Gesprächen mit Feuerwehrangehörigen. Es widmet sich sowohl den interkulturellen Herausforderungen im Einsatzgeschehen als auch bei der Gewinnung von Mitgliedern. In den ersten vier Kapiteln beschreibt es den Status quo der deutschen Feuerwehr. Kapitel 1 blickt dabei in die Vergangenheit und stellt die wechselhafte Geschichte des Feuerwehrwesens in Deutschland bis zur Wiedervereinigung dar. Der Autor Rolf Schamberger (Leiter des Deutschen Feuerwehrmuseums in Fulda) beschreibt die interkulturellen Wurzeln der deutschen Feuerwehr und zeigt auf, wie diese sich immer wieder an gesellschaftliche Bedingungen angepasst hat bzw. anpassen musste.

Kapitel 2 beschäftigt sich allgemein mit dem Ehrenamt, seiner Geschichte sowie den Entwicklungen von bürgerschaftlichem Engagement in jüngster Zeit. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Verhältnis von Menschen mit Migrationshintergrund zu einer ehrenamtlichen Betätigung: Welche Erfahrungen und Prägungen beeinflussen die Sicht dieser Bevölkerungsgruppe auf ehrenamtliche Tätigkeiten? Welche Herausforderungen stellen sich für Ehrenamtsorganisationen wie der Feuerwehr? Welche Chancen bietet das Ehrenamt sowohl für die Integration und Teilhabe von Migrant*innen als auch für Ehrenamtsorganisationen wie die Feuerwehr?

Kapitel 3 betrachtet die aktuelle Situation der deutschen Feuerwehr. Die Mitglieder- bzw. Beschäftigtenstruktur von Freiwilliger und Berufsfeuerwehr wird dabei dem aktuellen gesellschaftlichen Profil der Bundesrepublik Deutschland gegenübergestellt. In den Blick genommen werden darüber hinaus auch die Motive, die Menschen in die Feuerwehr führen. Daneben wird ein Versuch unternommen, die »Kultur« der Feuerwehr herauszuarbeiten. Auf der Grundlage der Struktur- und Kulturbeschreibungen in Kapitel 3 werden in Kapitel 4 die interkulturellen Herausforderungen der deutschen Feuerwehr dargestellt. Anhand eines Fallbeispiels wird erläutert, wie sich kulturelle Faktoren im Einsatzgeschehen bemerkbar machen können. Anschließend wird aufgezeigt, welche kulturellen Faktoren auch bei der Mitgliedergewinnung eine Rolle spielen können.

Die Kapitel 5 und 6 verknüpfen die Feuerwehr mit interkulturellen Kernkonzepten. Kapitel 5 führt in die Grundlagen »Interkultureller Öffnung« ein. Dabei werden zunächst die mit dem Konzept verbundenen Vorstellungen und Perspektiven erklärt. Mithilfe eines Typenmodells wird daraufhin analysiert, wie sich die Feuerwehr gegenwärtig zu kultureller Vielfalt positioniert. Daraus abgeleitet werden die für eine weitere interkulturelle Öffnung der Feuerwehr notwendigen Schritte. Eine Darstellung möglicher Öffnungsmaßnahmen in den Bereichen Organisationsentwicklung und Personalentwicklung rundet das Kapitel ab. Kapitel 6 fokussiert auf Interkulturelle Kompetenz als individuelle Voraussetzung für eine interkulturelle Öffnung, [12]aber auch als Grundlage für erfolgreiches Handeln in Einsätzen, in denen der Faktor Kultur eine Rolle spielt. Nach einer kurzen Darstellung grundlegender Überlegungen wird der Frage nachgegangen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten für Feuerwehrmänner und -frauen in kulturellen Überschneidungssituationen besonders relevant sind. Besonders aufschlussreich sind hier die Ergebnisse einer empirischen Studie, die zu diesem Zweck durchgeführt wurde.

Bei den Kapiteln 7 und 8 geht es schließlich um den Ausbau interkultureller Kompetenzen bei Feuerwehrangehörigen. Auf Grundlage der Kapitel 4, 5 und 6 werden in Kapitel 7 Zielhorizonte für interkulturelle Trainings bei der Feuerwehr formuliert und insgesamt neun Trainingsbausteine zur Förderung interkultureller Fähigkeiten vorgeschlagen. Da das Ingangsetzen von persönlichen Entwicklungsprozessen bei Weiterbildungsteilnehmenden nicht allein von Inhalten und Methoden abhängt, widmet sich Kapitel 8 den strukturellen Voraussetzungen für erfolgreiche Weiterbildungen sowie individuellen Widerständen gegen das interkulturelle Thema. Es beschreibt, wie sich die Rahmenbedingungen für Seminare und Trainings optimieren lassen und mit welchen Strategien und Handlungsschritten einer Skepsis oder Ablehnung von Weiterbildungsteilnehmenden begegnet werden kann.

Kapitel 9 resümiert die in den vorherigen Kapiteln dargestellten Herausforderungen und Perspektiven und wagt einen Ausblick auf die Zukunft der Feuerwehr in einer durch kulturelle Vielfalt gekennzeichneten Gesellschaft.

Dieses Buch wäre ohne die Unterstützung vieler Personen nicht denkbar. Mein Dank gilt an erster Stelle den Co-Autor*innen Rolf Schamberger, Ilka Volkmer, Susanne Hotop, Corinna Mailänder, Maruschka Güldner und Rainer Leenen für ihre Mitwirkung und die angenehme Zusammenarbeit. Ein besonderer Dank geht auch an die Feuerwehr Lemgo und ihren Leiter Klaus Wegener für das Zurverfügungstellen historischer Aufnahmen, die das Kapitel 1 illustrieren. Anne Pin danke ich für ihre tatkräftige Unterstützung bei der empirischen Studie zu feuerwehrspezifischen interkulturellen Kompetenzen, die in Kapitel 6 dargestellt ist. Diese Studie wäre ohne die Mitwirkung der 21 Angehörigen von Freiwilligen Feuerwehren in Hessen, die sich von ihr und von mir befragen ließen, nicht möglich gewesen. Vielen Dank für diese Mitwirkung!

Der Hessischen Landesfeuerwehrschule, dem Landesfeuerwehrverband Hessen sowie dem Hessisches Ministerium des Innern und für Sport danke ich für die vertrauensvolle und außergewöhnliche Kooperation der letzten Jahre, besonders für die Bereitschaft, gemeinsam mit mir Weiterbildungsangebote immer weiter zu optimieren. Meinen Kolleginnen und Kollegen vom Kölner Institut für interkulturelle Kompetenz e. V. gilt mein Dank für die fortlaufende Inspiration bei der Beschäftigung [13]mit interkulturellen Fragestellungen und ganz konkret für die Tipps und Hinweise bei der Endredaktion des Buches. Besonders gerührt hat mich das spontane Entgegenkommen von 20 Feuerwehrangehörigen, die sich bereit erklärt hatten, das Manuskript dieses Buches durchzusehen und mir Rückmeldung zu geben. Herzlichen Dank euch allen! Euch und all den anderen leidenschaftlichen Feuerwehrmännern und -frauen, die ich in den vergangenen Jahren kennenlernen durfte und die mein Verständnis der Feuerwehr vertieft haben, ist dieses Buch gewidmet.

Alexander Scheitza, April 2020

Interkulturelle Kompetenz bei der Feuerwehr

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