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Der mythologische Buddha

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Im Gegensatz zum historischen Buddha hört sich seine Hagiographie, d. h. seine Heiligengeschichte aus anderen buddhistischen Texten ganz anders an. Wie Strong (2009) treffend bemerkte, gibt es nicht eine einzige Biografie des Buddha, sondern unterschiedliche Version der gleichen Geschichte:

»Es gibt nicht eine einzige Biografie des Buddha und jede buddhistische Erzählung wurde beeinflusst durch historische Wiedererinnerungen, religiöse Gewichtungen, rituelle Berücksichtigungen, politische Bündnisse, soziale und kulturelle Faktoren oder einfach durch den Wunsch, eine gute Geschichte zu erzählen« (Strong 2009, S. xii).

In anderen Worten, die Episoden aus dem Leben des Buddha, die besonders inspirierend waren, wurden wiederholt erinnert und rekonstruiert, um letztendlich seine mythologische Biografie zu formen. Strong argumentiert:

»Zusammengenommen ergeben diese Geschichten eine heilige Biografie, oder besser gesagt, mehrere heilige Biografien, da wir sehen werden, dass es viele verschiedene Versionen der Geschichten über den Buddha gibt. Diese Erzählungen können erdichtet sein, d. h. Legenden und Traditionen, die ständig um ihn herum anwuchsen, aber diese ›Dichtungen‹ sind in vielerlei Hinsicht wahrer oder aus religiöser Sicht sinnvoller als die wirklichen ›Fakten‹« (Strong 2009, S. 2).

Strong deutet hiermit an, dass Mythologie für die menschliche Seele inspirierender sein kann als die eigentlichen historischen Fakten.

Indem man die wahre Person des Siddhartha Gautama und später des Buddha verlässt, verlässt man auch die Arena der Biografie, Psychologie und Geschichte und tritt auf die Bühne des Glaubens, der Mythologie und der archetypischen Bilder. Strong interpretiert diese übernatürlichen, detailliert ausgearbeiteten magischen Geschichten als selbsterfüllende Erzählungen, die sich entwickelten, indem die Orte des Lebens des Buddha sich langsam zu wichtigen Pilgerstätten entwickelten:

»Diese Art des Details spiegelt das gleichzeitige und symbiotische Wachstum von sowohl biografischen, wie auch Pilgertraditionen wider. Einerseits wurden die Orte als Plätze etabliert, an denen sich bestimmte Geschichten ereignet hatten; andererseits wurden Geschichten erzählt, um die Existenz bestimmter Pilgerorte zu erklären. Dies war ein Prozess, der sich leicht selbst verstärken konnte, denn sobald ein Ort als heilig anerkannt wurde, konnte jede ungewöhnliche topographische Eigenschaft der Gegend als Ausgangspunkt für eine neue Geschichte genügen« (Strong 2009, S. 9).

Nach dieser mythologischen Tradition war der Buddha nicht eine einzigartige historische Person. Im Gegenteil gab es eine riesige, weitergehende Abstammungslinie von einer Unzahl an Buddhas – d. h. Siddhartha Gautama hatte sowohl Vorgänger wie auch Nachfolger. Dies bedeutet, dass eine Sequenz von Hunderten, selbst Tausenden von Buddhas existiert. Strong hat eine Liste der 25 wichtigsten vorherigen Buddhas (aus nicht weniger als 512 024 Buddhas) zusammengestellt, beginnend vor unermesslichen, vorherigen 100 000 Äonen bis zum gegenwärtigen Äon (Strong 2009, S. 26–29).

Nach verschiedenen Legenden und Traditionen wird behauptet, dass der Buddha sich sorgfältig auf seine Wiedergeburt vorbereitet hätte. Er lebte in einem besonderen Himmel, der den Namen »Tuschita« trägt, die Wohnstätte göttlicher Wesen.

Nachdem er den richtigen Ort, die passende Familie und optimale Mutter ausgesucht hatte, stieg er als weißer Elefant mit sechs Stoßzähnen vom Himmel herab und trat über die rechte Flanke in die Gebärmutter seiner Mutter ein. In manchen Traditionen wird dieses Ereignis als ein Traum von Maya, der Mutter des Buddha, wiedergegeben, den sie während der Empfängnis hatte.


Abb. 7: Der Anfang der Schwangerschaft (Asian Art Museum, San Francisco). Ein weißer Elefant tritt über die rechte Flanke in den Körper der Königin Maya ein. In manchen Legenden träumt sie nur vom weißen Elefanten.

Der weiße Elefant ist ein heiliges Symbol. Selbst im heutigen Indien werden heilige Elefanten in vielen Hindu-Tempeln verehrt. Ganesha, der Sohn des Gottes Shiva, trägt den Kopf eines Elefanten und ist der beliebteste aller Hindu-Götter. Er wird als der Entferner von Widerständen und als der Beschützer von Übergängen verehrt. Überdies ist der weiße Elefant ein Symbol von Herrschaft und Souveränität. Während der zehn Schwangerschaftsmonate saß der Buddha mit gekreuzten Beinen und mit Blick nach außen in der Gebärmutter. Anderen Quellen zufolge saß er auf einem weichen Seidenkissen in einer Kammer, die mit Edelsteinen verziert wurde. Wiederum anderen Erzählungen zufolge wurde auch diese Kammer geboren und stieg zurück in den Himmel auf. Vor seiner Geburt wurde der zukünftige Buddha wiederholt von Göttern besucht. Auch trug er schon die 32 körperlichen Zeichen eines großen Mannes, die unten aufgeführt werden. Seine Mutter konnte ihn sogar im meditierenden Zustand in ihrem Körper sehen.

Nach Abschluss der Schwangerschaft wurde der Buddha aus der rechten Körperseite geboren. Wie schon zuvor beschrieben, hielt sich Königin Maya dabei an den Ästen eines Salbaums fest. Die Geburt erfolgte angeblich ohne Schmerzen. Eine vaginale Geburt wurde dadurch vermieden, denn diese hätte seine Erinnerungen an frühere Leben ausgelöscht. Während der Geburt erschien ein helles Licht und die Erde erbebte. Zusätzlich ereigneten sich viele andere Wunder: Blinde waren plötzlich fähig zu sehen, Taube konnten hören und Tiere verloren ihre Ängste. Wie durch ein Wunder wurden genau zum Zeitpunkt der Geburt sieben weitere Menschen geboren, einschließlich der zukünftigen Frau des Buddha, Yasodhara.

Beim Verlassen des Körpers seiner Mutter wurde der Buddha von Göttern in Empfang genommen, die ihn beschützten, sodass er nicht auf die Erde fiel. Sie badeten ihn in Strömen von heißem und kaltem Wasser, die sich aus dem Himmel ergossen. Obwohl er gerade geboren war, konnte er direkt und unmittelbar laufen: er nahm sieben Schritte nach Osten, Süden, Westen und Norden und kontemplierte über die vier Richtungen. Sobald seine Füße die Erde berührten, blühten riesige Lotusblumen auf. Auch konnte er unmittelbar sprechen und verkündete, dass er das Oberhaupt der Welt sei und dass dies seine letzte Geburt sein würde.

Die 32 Zeichen eines großen Mannes, die er schon vorgeburtlich trug, werden in mehreren Texten detailliert behandelt. Wiederum hat Strong eine interessante Liste dieser Zeichen zusammengestellt, die alle Zeichen von Heiligkeit und Adel sind. Diese Zeichen umfassen den Höcker auf seinem Kopf, ein Haarbüschel zwischen den Augenbrauen, Wimpern wie eine Kuh, Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen und vieles andere mehr. Als der Buddha zum Tempel einer Göttin gebracht wurde, richtete er nicht wie üblich seinen Kopf, sondern seine Füße auf die Göttin. Nach dieser Geste erkannte die Göttin seine Überlegenheit an. Nachdem der Buddha anschließend weiteren Göttern vorgestellt wurde, traten sie von ihren Säulen herab und fielen ihm zu Füßen. Als der Buddha als Baby zuletzt seinem Vater Suddhodana gezeigt wurde, verbeugte dieser sich und verehrte seinen Sohn, indem auch er seine Überlegenheit anerkannte.

Als Baby hatte der Buddha mehrere Ammen und Kinderfrauen, die in versorgten. Während seiner Kindheit und Jugend sowie im jungen Erwachsenenalter führte er ein Leben in Luxus und Verwöhnung. Selbst als Kleinkind genoss er außergewöhnliches Spielzeug, wie goldene Wagen, die von Rehen gezogen wurden, Spielzeugelefanten, Pferde, Büffelwagen und Puppen. Die Atmosphäre seiner Kindheit wird nicht nur als luxuriös, sondern auch als friedlich, harmonisch und glücklich beschrieben (Sasson 2013, S. 79).

Anderen Texten zufolge wird sein erster Schultag als mehr als übernatürlich beschrieben. Der junge Buddha wurde von nicht weniger als 10 000 Jungen und 10 000 mit Gold gefüllten Wagen begleitet. Er wurde von 8 000 Mädchen begrüßt, die Blumen streuten. Natürlich benötigte er keine Schulbildung im eigentlichen Sinn, da er bereits alles wusste. Er ersetzte seine Lehrer rasch und übernahm das Unterrichten selber (Sasson 2013, S. 90). Schon als Kind und Jugendlicher waren seine Fähigkeiten beim Schreiben und in den Künsten unübertroffen. Sein Wissen war erstaunlich und seine Fertigkeiten als Krieger unvergleichlich. Er lernte rasch ein Pferd zu reiten, einen Elefanten zu steuern und einen Kriegswagen zu fahren. Er genoss schmackhafte Mahlzeiten, teure und exquisite Kleidung und wurde von Frauen unterhalten. Manche Texte sprechen von drei Frauen und Tausenden von Konkubinen, die ihm zur Verfügung standen. Er lebte in drei Palästen (jeweils einer für den Sommer, für den Winter und für die Regenzeiten), geschmückt von drei Lotusteichen (jeweils einer mit roten, einer mit weißen und einer mit blauen Lotusblumen). Die Paläste waren mit goldenen und silbernen Möbeln ausgestattet, die mit Edelsteinen geschmückt wurden. Im Großen und Ganzen wird er wie ein mythologischer Superheld dargestellt.

Das Ziel seiner spektakulären, aber gleichzeitig künstlichen Umgebung war es, den Buddha von den Einflüssen der äußeren Welt fernzuhalten und die Prophezeiung zu verhindern, dass er ein spiritueller Führer werden würde statt ein weltlicher Herrscher. Auch trugen die Geschichten des Reichtums, Überflusses und Mutes dazu bei zu betonen, wie außergewöhnlich seine Aufgabe und seine Ablehnung dieses Reichtums bei seiner Entsagung tatsächlich waren (Strong 2009, S. 61).

Zusammengefasst, ist diese mythologische Geschichte der Kindheit des Buddha ein Ausdruck des Archetyps des göttlichen Kindes, wie von C. G. Jung dargestellt (Strong 2009, S. 16 und S. 51 ff.). Die Hagiographie des Buddha ist lebendig, ansprechend, unterhaltsam und spannend. Insbesondere die Geschichte als Neugeborenes spiegelt das Paradox des göttlichen Kindes wider – die Mischung aus Hilflosigkeit und gleichzeitig unendlicher Stärke. Dies ist kein normales Baby, sondern ein übernatürliches Neugeborenes, mit ungewöhnlichen Stärken von Anfang an. Nach C. G. Jung sind Archetypen die Organe der Seele, die sich in archetypischen Bildern zeigen. Wie wir später sehen werden, ist das göttliche Kind ein Archetyp der zukünftigen Möglichkeiten, der Möglichkeiten, des Trostes und der Hoffnung. Als ein Archetyp wurden die Geschichten des mythologischen Buddha durch Wiedererzählen und Ausschmückungen am Leben gehalten und erfüllten dadurch eine tiefe menschliche Sehnsucht – vergleichbar mit anderen göttlichen Kindern, wie beispielsweise Jesus oder Krishna als Neugeborene.

4 Im gesamten Buch wird der Name »Siddhartha Gautama« für die ersten 35 Jahren seines Lebens verwendet. Ab dem Zeitpunkt seiner tiefen Einsichten (Erleuchtung) wird der Name »der Buddha« verwendet, der auch der Erleuchtete heißt.

5 Für eine hervorragende Einführung in moderne indische Städte kann das Buch von Dasgupta (2014) empfohlen werden. Es ist eine persönliche und gut recherchierte Analyse der Stadt Delhi, als Beispiel für viele andere indische Städte. Zudem ist es den »Ungeborenen« gewidmet.

6 An einer anderen Stelle gibt Thich Nhat Hanh diese wichtige Begebenheit, diesen Wendepunkt in seinem Leben in anderen Worten wieder: »Als kleiner Junge von sieben oder acht Jahren sah ich einmal einen gezeichneten Buddha auf der Titelseite einer buddhistischen Zeitschrift. Der Buddha saß sehr friedvoll im Gras, was mich beeindruckte. Ich dachte, der Künstler selbst müsse sehr viel Frieden und Ruhe in sich tragen, um ein so besonderes Bild zu zeichnen. Allein es zu betrachten machte mich glücklich, auch deshalb, weil so viele Leute in meiner Umgebung damals nicht sehr ruhig und glücklich waren. Als ich dieses friedvolle Bild betrachtete, kam mir die Idee in den Sinn, dass ich so jemand wie dieser Buddha werden wollte, jemand, der so still und ruhig sitzen konnte. Ich glaube, in diesem Moment wollte ich zum ersten Mal Mönch werden, auch wenn ich es so nicht hätte ausdrücken können« (Hanh 2017, S. 183).

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