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4. Kapitel

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Thea wandte sich um. Verächtlich grinsend schob Loki die Unterlippe vor. So wie viele Männer an diesem Abend trug er einen schwarzen Smoking, der seinen Bart und seine dunklen Augen betonte. Lässig lehnte er an der Wand neben dem Fenster, die Arme verschränkt, den Blick gesenkt. „Thea Helmken“, sprach er langgezogen, beinahe belustigt.

Thea sah sich um. Die Männer in der Sitzgruppe führten ihr Gespräch unbeirrt fort. Sie lachten, nippten hier und da an ihrem Getränk und stellten die Gläser wieder auf dem Tisch ab. Zwei Damen, jeweils mit einem Sektglas in der Hand, hielten sich nur wenige Meter von Thea entfernt auf und tuschelten miteinander. Inmitten dieser Menschen tauchte der Feuergott wie aus dem Nichts auf. Wieder einmal begegnete Thea ihm völlig überraschend.

„Er ist hier!“, rief sie der Walküre im Gedanken zu. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Der Hass, den sie für den Feuergott empfand, trieb ihren Puls in die Höhe. Bilder von dem Mann, der Heimdall tötete und seine Schergen auf Tom und sie gehetzt hatte, spielten sich vor ihrem geistigen Auge ab. Sie besann sich auf ihr Versprechen und die beschwörenden Worte Wal-Freyas und versuchte mit jedem Atemzug ihr Herz zu beruhigen. Beherrscht erwiderte sie die Begrüßung des Feuergottes: „Loki Laufeyson.“

Wal-Freya drang in Theas Geist. „Wo ist hier?“

Um Lokis Mundwinkel bildete sich ein schiefes Grinsen. „Nun, da wir uns gegenseitig vorgestellt haben ...“ Er trat auf Thea zu, packte ihren Arm und zog sie unauffällig mit sich in einen anderen Raum. Abseits fremder Blicke musterte er Thea amüsiert. „Du siehst unglaublich aus. So etwas hätten wir schon längst einmal machen sollen.“

Die Fylgja sprang auf das Doppelbett und beäugte den Feuergott argwöhnisch.

„Was? Zusammen ein Schlafzimmer betreten?“, knurrte Thea.

Loki lachte. „Auch das klingt verlockend.“ Er winkte ab und durchbohrte sie förmlich mit seinen Augen. Er wartete, lauerte, doch Thea weigerte sich, seinem Spiel zu unterliegen. Ihr Blick wanderte hektisch über sein Gesicht. Sie musste jetzt stark bleiben. Sie durfte nichts von ihren Begleitern preisgeben. Sofort verjagte sie den Gedanken wieder. Es war schwer vorstellbar, dass Loki glaubte, sie sei alleine auf den Ball gekommen.

„Wo ist hier, verdammt!“, tönte Wal-Freyas Stimme in ihren Geist.

„Ich weiß nicht, irgendein Schlafzimmer!“, erwiderte Thea.

„Ein Schlafzimmer?“, rief die Walküre so laut, dass sich Thea im hereinbrechenden Schmerz die Hände gegen die Stirn presste.

Höhnend hob Loki die Brauen. „Schreit sie?“ Er schnalzte mit der Zunge. „Wenn etwas nicht nach ihrem Plan verläuft, neigt Freya dazu, sehr laut zu werden.“

Thea wartete auf den Moment, in dem die Tür aufgestoßen wurde und Wal-Freya den Feuergott überraschte. Er wusste, dass die Wanin hier war. Weshalb also blieb er so ruhig?

Loki schüttelte mit gespieltem Bedauern den Kopf. „Du hast sie gerufen“, erkannte er.

„Allerdings“, knirschte Thea.

Er zuckte mit der Oberlippe. „Mach dir keine Hoffnung. Sie wird eine Weile damit beschäftigt sein, nicht aufzufallen. Ich habe wenigstens acht Männer der Security auf sie angesetzt. Sobald sie sich ungewöhnlich verhält, kümmern sie sich um sie und Wal-Freya wird einen Dreck tun und vor einer Menschenmenge zaubern.“

Thea stockte der Atem. Also war der Feuergott auf sie vorbereitet gewesen. Aber wieso? Wusste er auch von Thor und Juli? Noch ehe sie den Gedanken zu Ende gebracht hatte, sagte Loki: „Die anderen beiden hängen am Buffet rum und halten die Terrasse im Blick. Deine törichte Freundin ist genauso leicht mit ein paar Speisen abzulenken wie ihr hohlköpfiger Freund.“ Spöttisch betrachtete er Thea.

Augenblicke verstrichen, Augenblicke, in denen Thea klar wurde, dass ihr niemand zu Hilfe eilen würde.

„Warum bist du hier, wenn du wusstest, dass wir kommen?“, fragte sie.

„Um ein klein wenig mit einer alten Freundin zu plaudern“, erwiderte Loki.

„Ich bin nicht deine Freundin!“, versetzte Thea wütend.

„Zurzeit nicht. Aber du scheinst gerade niemandes Freundin zu sein, oder? Ich war überaus erstaunt, als ich erfahren habe, dass Odin dich aus Asgard geworfen hat.“ Er strich über sein Kinn und wedelte mit dem Finger. „Was hast du nur angestellt?“

„Odin hat mich nicht rausgeworfen, er hat mich nach Hause gehen lassen“, korrigierte Thea. Sie biss die Zähne zusammen. Sie wollte nicht mit Loki reden und doch musste sie verhindern, dass er sich davonstahl. Wo blieben nur Wal-Freya und die anderen?

Gelangweilt hob Loki die Augenbrauen und zuckte mit der Schulter. „Wenn du das glaubst.“

Endlich meldete sich die Walküre: „Es gibt Schwierigkeiten. Halte ihn irgendwie auf. Ich komme so schnell ich kann. Thor und Juli sind sicher schon auf dem Weg!“

Thea reckte das Kinn. „Du brauchst gar nicht so gönnerhaft zu tun. Du bist kein Stück besser als er! Du hast gelogen! Du sagtest mir, du hättest mit alldem, was in Midgard passiert sei, nichts zu tun gehabt!“

Loki hob stirnrunzelnd den Finger an den Mund. „Konkretisiere das.“

„Mit den Unruhen, dem Krieg! Du sagtest, du hättest nichts dafür tun müssen.“

Er lachte. „Hast du zu viel Sekt getrunken? Wovon sprichst du?“

„Tu nicht so! Du weißt genau, worüber ich spreche“, knirschte Thea. „Ragnarök, du hast gesagt, alles sei ohne dein Zutun geschehen.“

„So. Habe ich das? Wann soll das gewesen sein.“

Thea presste die Lippen zusammen. „Vor ... einer Weile“, knirschte sie.

Er tippte mehrmals den Finger auf die Augenbraue, ehe er ihn in einer Idee neben den Kopf hob. „Aaaah! Du meinst dereinst vor einer Weile“, sagte er. Nun zog er die Nase kraus. „Das mit der Zukunft ist eine komplizierte Sache geworden. Vorherbestimmtes ist ausnahmslos durcheinandergeraten. Alles liegt in einem dichten Nebel.“

„An wem das wohl liegen mag“, presste Thea verbittert heraus.

In überspielter Bekümmertheit legte Loki die Hand auf die Brust. „Wohl kaum an mir, ich versuche nur, mich den Gegebenheiten anzupassen. Gudrid, die tote Seherin aus der Wikingersiedlung in Hel ... Erinnerst du dich? Du hast sie kurz kennengelernt. Sie rennt seit deinem Ausflug nach Wanaheim völlig außer sich durch die Gassen. Dabei ruft sie immerzu, sie würde nichts mehr sehen. Verstehst du? Nichts! Nicht einmal eine andere Zukunft. Sie sieht einfach nichts. Wüsste niemand, dass sie ohnehin verrückt ist, könnte man denken, sie habe den Verstand verloren.“

„Das soll deinen Einfluss, den du auf den Präsidenten genommen hast, rechtfertigen? Ich glaube nicht, dass du heute anders handelst als ... einmal.“

Loki lachte. „Wer weiß das schon. Vielleicht ja, vielleicht nein. Knifflig, nicht wahr? Du hast so ein Wirrwarr angerichtet, dass es beinahe Spaß macht. Leider spuckst du mir permanent in die Suppe, was mich wenig amüsiert.“

Sein Blick durchbohrte sie, doch Thea empfand keine Furcht, nur Wut. „Oooh, jetzt bin ich ganz traurig“, entgegnete sie verbittert.

Der Feuergott wedelte mit der Hand, als wolle er eine Fliege verjagen. „Sei’s drum! Der alten Zeiten wegen gebe ich dir noch eine Chance, es wieder zu richten. Als wir uns das letzte Mal in Wanaheim begegneten, sagtest du, ich hätte die Welt in Brand gesetzt. Das lässt mir keine Ruhe. Was geschah, geschehen wird, hat augenscheinlich nicht meinen Plänen entsprochen ...“

„Wie schade!“, knirschte Thea.

Er verengte die Augen. „Mich dünkt, dass du damit zu tun hast“, wieder winkte er ab, „... hattest ... haben wirst.“ Er lachte. „Ach, du machst mein Dasein so viel interessanter. Nun ... wenn ich sagte, ich hatte mit was auch immer nichts zu tun gehabt, dann mag es so gewesen sein. Doch nun haben sich die Gegebenheiten geändert, es müssen neue Pläne geschmiedet werden. Alles ist anders und kann jetzt anders sein. Midgard ist so ein heißer Ort.“ Erneut lachte er. „Also, noch nicht, aber bald, wenn man deinen Worten vertrauen darf.“

Thea biss die Zähne zusammen. Zu offensichtlich versuchte er, etwas von ihr über die Zukunft zu erfahren. Sie würde ihm nicht in die Falle tappen.

Loki zuckte mit den Schultern. „Wie auch immer. Ich verzeihe dir und bin bereit, dir ein Angebot zu machen.“

„Ach, wirklich? Wie großzügig“, erwiderte Thea. „Leider ist mir das völlig egal, denn ich glaube dir kein Wort mehr und ich vergebe dir niemals. Ich werde dafür sorgen, dass du für deine Taten bezahlst! Tom ist tot und das ist dein Verschulden!“

Seufzend rollte Loki die Augen. „Tom, Tom, Tom ... Diese Platte hat einen Sprung oder wie pflegt ihr hier in Midgard zu sagen? Ach nein, das ist ja längst veraltet.“ Er löste sich und trat an sie heran. „Hast du schon einmal über deine Beteiligung an seinem Unglück nachgedacht?“

Energisch stieß Thea den Feuergott zurück. Erzürnt schob sie die Augenbrauen zusammen. „Verschwinde!“

Er lachte und packte ihre Handgelenke. Erfolglos rang Thea darum, seinem Griff zu entkommen. Sie bändigte die aufschäumende Wut in den geballten Fäusten.

„Hast du deine Walkürenfreundinnen gefragt, ob sie das Schlachtenglück in Odins Willen gesteuert haben? Es wäre nicht zum ersten Mal gewesen, dass sie dies tun. Jeder Blinde konnte sehen, dass Odin sein Interesse auf den Jungen gerichtet hat!“

„Ich lasse mich nie wieder von dir beeinflussen!“, knirschte Thea. Abermals drehte sie sich im Griff des Feuergottes, doch er ließ nicht von ihr ab. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf Fehu und die Triskele um ihren Hals. Sie hatte den Zauber so oft gewirkt, es musste ihr doch gelingen, ihn ohne Staub und Rune zu wirken. Nichts geschah. Wütend öffnete sie die Augen. „Versuche erst gar nicht, dich rauszureden und anderen die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Ich war dabei, Loki. Es war die Tat deiner Schergen! Du hättest sie nur zurückhalten müssen, doch du hast keinen Finger gekrümmt.“

Ein leichtes Zucken seiner Augenbrauen ließ Thea verstummen. Sie durfte sich nicht verleiten lassen, ihm diese Dinge zu erzählen. Ihr Wissen um die Geschehnisse in der Zukunft war der einzige Trumpf, den sie ihm gegenüber hatte. Schwungvoll zerrte sie ein weiteres Mal an seinem Griff und diesmal riss sie sich los. Rasch langte sie in das Handtäschchen mit den Beuteln und warf das Pulver. Noch während Loki den Staub protestierend verjagte, malte Thea Fehu hinein und rief den magischen Befehl, der den Feuergott gegen die Wand krachen ließ. Kichernd sank er zusammen. Dann rappelte er sich auf und sprang zum Fenster. Kurzerhand öffnete er es.

Thea reckte das Kinn. „Willst du schon gehen?“, fragte sie mit dem Blick zur Öffnung.

Grinsend zuckte Loki mit der Schulter. „Reine Vorsichtsmaßnahme.“

„Sie werden gleich da sein“, erwiderte Thea.

„Du vertraust den falschen Göttern“, zischte Loki. „Odin wird niemals Frieden über Midgard bringen! Er liebt den Kampf!“

Thea schnaubte höhnisch. „Aber du tust es! Loki bringt Frieden!“

Der Feuergott lachte. „Vielleicht?“

Thea ballte die Fäuste. „Wohl kaum!“

„Ach nein? Wo ist denn dein Tom? Ich kann ihn nirgendwo entdecken. Was tun deine geliebten Götter für ihn und dich? Wenn sie Thea Helmken so lieb haben, wie sie vorgeben, warum geben sie dir den Jungen nicht zurück? Du bist doch auch hier! Sie haben die Macht dazu! Aber es schert sie einen Dreck. Wieso nur, Liebes? Du denkst, ich spiele mit dir? Mit deinen Gefühlen? Keiner von ihnen wird einen Finger in dieser Sache für dich krümmen. War es nicht so, dass er nie ein Einherjer sein wollte? Unter welcher Begründung halten die Götter ihn in Asgard fest? Aus Angst vor Hels Bestrafung? Oder steckt nicht mehr dahinter? Sie sind es, deren Absichten du hinterfragen solltest! Ich würde einiges für dich und Tom bewegen oder hast du vergessen, wer meine Tochter ist? Ich sagte dir, dass Sessrumnir nicht sein letzter Aufenthaltsort sein muss!“

„Spar dir deinen Atem. Denkst du wirklich, dass ich dir auch nur ein Wort glaube?“

Loki stellte den Fuß auf das Sims und hockte darauf nieder. Er drehte sich noch einmal zu Thea um. „Höre meine Worte! Sie könnten ihn dir zurückgeben, davon bin ich überzeugt. Ich bin sicher, dass er nicht zu Staub zerfallen wird, wenn er Midgards Boden betritt. Erkundige dich bei Wal-Freya nach Helgi. Und falls sie dir die Antwort verwehrt, frage Sigrún. Solltest du dazu keine Möglichkeit bekommen, weil sie dich nicht mehr nach Asgard lassen, dann benutze einfach das schlaue Gerät in deiner Tasche. Helgi Hundingsbana. Tu es! Danach weine der verpassten Chance nach, weil du Loki zum letzten Mal verraten hast! Lebe wohl, Liebes! Vom heutigen Tage an, bin ich endgültig fertig mit dir. Kein Mitleid mehr, keine Hilfen. Wage es bloß nicht, mir im Weg zu stehen! Du hast neben deinem Tom noch genug zu verlieren. Kommst du mir erneut in die Quere, büßt du! Und das, meine Gute, ist auch ein Versprechen!“

Die Gestalt des Feuergottes schrumpfte innerhalb eines Wimpernschlages zusammen. An seiner statt hockte ein Adler auf dem Sims. Kreischend flog das Tier in die Nacht hinaus. Wie gelähmt sah Thea ihm nach. Das Herz hämmerte ihr bis zum Hals, während ihr Blick auf der Terrasse und den beleuchteten Pavillons haften blieb. Ehe sie in der Lage war, die Begegnung zu verarbeiteten, schwang die Zimmertür auf und Thor trat ein, Mjölnir in der Faust. Dicht hinter ihm drängte Juli in den Raum. Die Fylgja sprang fröhlich um ihre Beine.

„Wo ist er?“, knurrte Thor. Sein Blick fiel auf das geöffnete Fenster.

„Weg“, knirschte Thea.

„Verdammt und eins!“, schimpfte Juli.

„Habt ihr wirklich am Buffet rumgehangen?“, fragte Thea vorwurfsvoll.

Während Juli unschuldig die Hände hob, spähte Thor zum Himmel. „Wir haben die Terrasse beobachtet, so wie es Wal-Freya wünschte. Dort war Loki nicht. Aber das hast du ja am eigenen Leib erfahren.“

Thea rieb sich die Stirn. Erneut schien alles im Sinne des Feuergottes zu laufen. Allmählich verlor sie die Geduld. Sie wollte doch nichts anderes, als ihre Familie endlich in Sicherheit wissen.

„Was nun?“, fragte Juli.

„Wir müssen Wal-Freya aus ihrem Schlamassel befreien“, brummte Thor.

Thea holte erschrocken Luft. „Was ist mir ihr?“

„Sie wird von der Security festgehalten“, erklärte Juli.

„Das ist Lokis Werk“, knirschte Thea.

„Wessen sonst?“, erwiderte Thor. „Kommt! Lasst sie uns suchen.“

Thea schickte der Walküre einen Gedanken: „Wal-Freya? Wo bist du? Wir sind auf dem Weg.“

„Sei unbesorgt“, erwiderte die Wanin. „Ich habe alles im Griff. Was ist mit Loki?“

„Weg“, antwortete Thea.

Die Antwort, die Wal-Freya schickte, war von Bitterkeit erfüllt. „Natürlich! Bleibt unauffällig! Pass auf, dass Thor nichts Unüberlegtes anstellt. Wir treffen uns draußen.“

Auf dem Weg zur Terrasse fanden die Freunde Wal-Freya umringt von mehreren Männern im Vestibül vor. Die Liebesgöttin wirkte entspannt. Während sie mit ihnen sprach, lächelte sie. Jeder Einzelne der Sicherheitsleute klebte voller Bewunderung an ihren Lippen. Sie schlug die Augen nieder, wechselte den Blick von einem zum anderen, lachte leise und schien alle zu faszinieren. Als sie die Freunde erblickte, strich sie sich eine Strähne aus der Stirn, blieb mit ihrer Aufmerksamkeit aber bei den Umstehenden.

„Wir treffen uns am Auto!“, hörte Thea sie in ihrem Geist.

„Ist alles in Ordnung?“, hakte Thea nach.

„Natürlich“, antwortete Wal-Freya.

Nicht ohne der Walküre einen Blick nachzuwerfen begab sich Thea auf die Terrasse. Die Anwesenden dort schenkten der Gruppe kaum Aufmerksamkeit. Hier und da warfen sie ihnen Blicke zu, folgten dabei aber ihren Gesprächen. Der Mann im Smoking, der zuvor ihren Wagen geparkt hatte, wirkte verdutzt, als sich die Gruppe näherte. Er sprach sie höflich an, lauschte Thors Worten, nickte bedächtig und verschwand. Die Fylgja schnurrte zufrieden. Mit langen Schritten, mehrere kleine Zettelchen studierend, näherte sich Wal-Freya.

Juli ließ erleichtert die Schultern sacken. „Da bist du ja! Ich hatte solche Angst, dass du aus der Situation nicht ohne zaubern rauskommst.“

„Aber liebe Juli, natürlich habe ich einen Zauber eingesetzt - den der Weiblichkeit.“ Sie lächelte verschmitzt, während sie die Zettelchen durchblätterte. „Antonio, Marco, Giovanni“, zählte sie auf.

„Das ist nicht dein Ernst!“, rief Juli.

Thor schüttelte den Kopf. „Willst du dich etwa mit ihnen treffen?“

Die Walküre zuckte mit der Schulter, dann rollte sie die Augen und ließ die Papierchen fallen. „Selbstverständlich nicht. Dafür habe ich keine Zeit.“ Ihr Blick verfinsterte sich und traf auf Thea. „Was hat er gesagt?“

Thea biss die Zähne zusammen. Es war zu viel gewesen, was aus seinem Mund gekommen war. Ohne es zu wollen, zeigten seine Worte bereits Wirkung. Sie beschworen dunkle Gefühle in ihr herauf. Betrog Wal-Freya sie tatsächlich? Sie versuchte, gleichgültig zu wirken, auch wenn sie befürchtete, dass die Walküre sie durchschaute. „Es war nur das übliche Geschwafel, dann war er schon wieder weg.“

Thor knurrte verärgert. „Ich habe gleich gesagt, dass diese Reise völlig überflüssig ist.“

„Nun, wir haben ihn immerhin vertrieben. Wären wir nicht aufgetaucht, würde er sein Spielchen in diesem Land weiter treiben“, erwiderte Wal-Freya.

Juli knirschte: „Wer weiß, wo er es jetzt stattdessen spielt.“

„Vielleicht ist er in seine Wohnung geflohen oder in den Palast. Irgendwo muss er doch eine Zuflucht haben“, sagte Thea.

„Diese Stadt ist ein wenig groß, um alle Zimmer zu durchsuchen“, erwiderte die Wanin.

Thor brummte. „Außerdem kommt er nicht zurück. Wir kennen ihn.“

Der Concierge fuhr mit dem Auto vor, stieg aus und hielt die Tür auf. Thea setzte sich ans Steuer, Thor nahm wieder auf dem Beifahrersitz Platz.

Die Walküre stieg gleichzeitig mit Juli ein. Fröhlich sprang die Fylgja dazu und setzte sich zwischen die beiden.

Wal-Freya stützte den Ellenbogen auf die Tür und kaute nachdenklich an ihrem Daumen. „Wir packen unsere Sachen und bringen euch zurück nach Hause. Wir werden die nächsten Schritte mit Odin und den anderen im Thing beraten.“

„Sollen wir nicht besser mit nach Asgard kommen?“, fragte Juli.

„Dazu besteht keine Notwendigkeit. Ihr behaltet die Dinge in Midgard im Auge. Sobald ihr irgendeinen Verdacht habt, wo sich Loki aufhalten könnte, ruft ihr uns.“

„Meinst du, er bleibt hier in der Menschenwelt?“, staunte Juli.

Thor wandte sich zu ihr um. „Wie es scheint, verfolgt er ein Ziel. Wenn diese Turbulenzen nicht sein gewünschtes Ergebnis bringen, wird er ein weiteres Land zur Abspaltung treiben.“

„Und so, wie das Volk Italiens auf die Regierungsentscheidung reagiert, ist das letzte Wort zu diesem Schlamassel nicht getroffen. Loki ist noch lange nicht an seinem Ziel“, ergänzte Wal-Freya.

Sie fuhren zurück ins Hotel, gaben den Autoschlüssel an der Rezeption ab und erhielten im Gegenzug Julis Führerschein. Im Zimmer zogen sie sich um und packten ihre Sachen zusammen, ehe sie sich in das verlassene Gässlein begaben. Die Pferde ließen nicht lange auf sich warten. Djarfur und Vala erschienen zuerst, dicht hinter ihnen landeten Fifil und Gulltop.

„Es tut mir leid, dass du nicht erfolgreich warst“, begrüßte Djarfur seine Reiterin.

„Allmählich gewöhne ich mich daran“, erwiderte Thea verbittert.

Das Walkürenpferd wieherte tröstend. „Eines Tages wirst du Loki finden und ihm das Handwerk legen.“ Als würde ihn die Fylgja verstehen, brummte sie zustimmend.

„Sie bringen Juli und mich zurück nach Hause. Ich werde die letzte Person auf dieser Welt sein, die Loki aufhält. Außerdem wird ‚eines Tages‘ zu spät sein“, versetzte Thea.

Djarfur wartete, bis seine Reiterin aufgesessen war, dann sprang er Wal-Freya und Vala nach, die sich bereits zwischen den Häusern in den Himmel hoben. „Es ist vernünftig, euch in Midgard zu lassen. Loki ist dieser Welt am nächsten. Ich sollte auch hierbleiben, damit du schneller handeln kannst.“

„Dein Vertrauen in meine Fähigkeiten ehrt mich, aber wir beide wissen, dass du auf die falsche Person setzt. Ich stand Loki Aug in Aug gegenüber. Ich habe nicht die Kräfte, um ihn zu fangen. Ich bin nur ein Mensch.“

„Aber du bist ein Mensch, dessen Nähe er immer wieder aufsucht. Du solltest dir von Wal-Freya noch ein paar Tricks zeigen lassen. Ich bin voller Zuversicht, dass du eine weitere Chance bekommst“, erwiderte Djarfur gelassen.

„Vielleicht“, antwortete Thea abwesend. Ihre Gedanken schweiften ab. Wal-Freya machte nicht den Anschein, als wolle sie ihr in den nächsten Tagen ein paar Tricks beibringen. Djarfur mochte an sie glauben, doch sie selbst verlor jede Zuversicht. Ihre Welt stürzte ins Chaos und nichts schien diesen Zustand aufhalten zu können. Städte und Dörfer zogen an ihrem Blick vorüber. Friedlich lagen sie unter ihren Füßen, doch wie lange würde das andauern? Die Worte von Wal-Freyas Mutter hatten Thea einst Mut zugesprochen, als diese sagte, die Zukunft sei nun ein Wirrwarr aus Pfaden und Möglichkeiten und Thea müsse nur den richtigen Weg finden. So, wie Thea die Geschehnisse gesehen hatte, mussten sie nicht mehr stattfinden. Es war ihre Chance, die Dinge zurechtzurücken. Aber sie hatte nicht bedacht, dass es Loki gleichfalls neue Pfade öffnete. Wie es schien, nutzte der Feuergott seine Gelegenheit, um die Zukunft nach seinem Willen zu gestalten oder waren die Ereignisse, die sie erblickt hatte, etwa nur das Ende des Weges, zu dem sie ihr jetziges Handeln führen würde? Schweren Herzens schweiften ihre Gedanken zu Tom ab. Wie gerne hätte sie ihren Freund jetzt um Rat gefragt. Doch er befand sich in unerreichbarer Ferne. Ungewollt schossen ihr Lokis Worte in den Sinn. Ihr Blick wanderte zur Wanin, die ihre Augen starr zum Horizont gerichtet hielt.

„Wal-Freya? Wer ist Helgi Hundingsbana?“, fragte Thea gerade heraus.

Die Walküre drehte stirnrunzelnd den Kopf. Passend zu Theas dunklem Gefühl antwortete die Göttin mit einer Gegenfrage: „Wie kommst du auf ihn?“

„Ich ... habe einmal von ihm gelesen, glaube ich“, wich Thea aus.

„Gelesen“, wiederholte Wal-Freya. „Wo und wann? Vor ein paar Stunden? Von Lokis Lippen?“

Ertappt stieg Thea die Schamesröte ins Gesicht.

„Ihr hattet wohl doch hinreichend Zeit, Dinge zu besprechen“, sagte Wal-Freya vorwurfsvoll. „Ich dachte, du hast inzwischen genug erlebt, um dich von Lokis falschem Geschwätz nicht mehr beeinflussen zu lassen. Was immer er dir einzureden versucht hat, schlag es dir aus dem Kopf!“

Thor brummte. „Sie spricht von unserem Helgi, oder nicht? Lebt er inzwischen nicht in Sessrumnir?“

„So ist es“, antwortete Wal-Freya kurz angebunden.

„Netter Kerl, aber was er mit Loki zu schaffen haben soll, ist mir ein Rätsel“, versuchte Thor zu helfen.

„Nichts hat er mit ihm zu schaffen“, erwiderte Wal-Freya. „Thea täte besser daran, sich auf ihre Familie und ihre Aufgabe zu konzentrieren, anstatt auf die Feinde der Götter zu hören.“

„Und welche wäre das?“, erwiderte Thea schärfer als gewollt.

„Heimzukehren und die Ereignisse in Midgard zu beobachten“, erwiderte Wal-Freya und richtete den Blick wieder nach vorn. Anscheinend erwartete die Walküre, dass die Unterhaltung damit beendet war. Thea biss sich auf die Unterlippe und schluckte ihre Antwort herunter. Wal-Freyas Rüge verletzte sie. Der Feuergott war für Toms Tod verantwortlich! Wie konnte die Göttin nach alldem, was sie durchgemacht hatte, an ihr zweifeln und denken, dass sie sich von Loki beeinflussen lassen würde. Oder wusste die Walküre mehr, als sie zugeben wollte? Wenn es keinen Grund gab, Lokis Worten Glauben zu schenken, warum erzählte ihr Wal-Freya dann nicht von Helgi? Verbarg sie doch etwas, so wie Loki angedeutet hatte? Gab es eine Möglichkeit Tom aus Sessrumnir zu holen? Und falls ja, was hinderte Wal-Freya daran, ihm diesen Gefallen zu erweisen? Etwa Odin? Hatte er Thea deshalb zurück nach Midgard geschickt, damit sie nicht die Wahrheit herausfand? Verzweifelt hieb sich Thea gegen die Stirn. Ungehindert tanzten ihr die Fragen durch den Kopf. Theas Wut auf Loki stieg ins Unermessliche. Nicht wegen seines Entkommens, sondern weil er es erneut geschafft hatte, seine dunkle Saat in ihr Herz zu pflanzen.

Die Midgard-Saga - Asgard

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