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„Die Bastille!“

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Unsere Leser werden uns nun erlauben, sie vollständig mit der Person bekannt zu machen, die die erste Hauptrolle in der Geschichte übernehmen wird. Die Herkunft von Gaudin de Sainte-Croix ist nicht bekannt: Glaubt man einer Geschichte, war er der biologische Sohn eines wichtigen Adligen; ein anderer Bericht behauptete, er sei ein Nachkomme von armen Leuten, dass er jedoch, angewidert von den unbedeutenden Umständen seiner Geburt, es vorzog, zu behaupten, er sei eine schillernde Schande, und so entschied er, sich als jemand auszugeben, der er nicht war. Das einzige, was bekannt ist, ist, dass er in Montauban geboren wurde, und sein derzeitiger Rang war der des Kommandanten des Tracy Regiments. Zu der Zeit, da die Geschichte beginnt, gegen Ende des Jahres 1665, war Sainte-Croix ungefähr 28 oder 30 Jahre alt, ein feiner junger Mann mit einer fröhlichen und lebhaften Art, ein angenehmer Geselle am Tisch eines Banketts, und ein ausgezeichneter Kommandant: Er amüsierte sich mit anderen Männern und war so beeinflussbar, dass er sich für sittsame Vorhaben genauso begeistern konnte wie für Ausschweifungen aller Art; in der Liebe war er äußerst empfindlich und eifersüchtig bis hin zum Wahnsinn, sogar bei einer Dirne, sobald er Gefallen an ihr gefunden hatte; seine Verschwendungssucht war fürstlich, obwohl er kein Einkommen hatte; außerdem reagierte er sehr empfindlich auf Beleidigungen, so wie es alle Männer tun, die sich in einer zweifelhaften Lage befinden und glauben, dass jeder, der auch nur eine Bemerkung zu ihrer Herkunft macht, sie absichtlich beleidigt.

Wir müssen nun die Kette der Umstände betrachten, die dazu führte, dass er seine derzeitige Position erreichte. Um das Jahr 1660 machte Sainte-Croix, der in der Armee war, Bekanntschaft mit dem Marquis de Brinvilliers, Mestre de camp des Normandie-Regiments.

Sie waren ungefähr im gleichen Alter und ihr Lebensstil ähnelte sich ebenfalls: Ihre Tugenden und Laster glichen sich, und so kam es, dass sich aus einer Bekanntschaft eine Freundschaft entwickelte und als der Marquis vom Schlachtfeld zurückkehrte, stellte er Sainte-Croix seiner Frau vor, so wurde dieser zu einem Vertrauten des Hauses. Die üblichen Resultate folgten. Madame de Brinvilliers war zu der Zeit gerade erst 28 Jahre alt geworden: Sie hatte den Marquis 1651 geheiratet – neun Jahre zuvor. Er genoss ein Einkommen von 30.000 Livres, dem sie noch ihre Mitgift von 200.000 Livres hinzufügte, zukünftig zu erwartendes Vermögen nicht mit eingerechnet. Ihr Name war Marie-Madeleine; sie hatte eine Schwester und zwei Brüder. Ihr Vater, M. De Dreux d'Aubray, war Zivil-Leutnant im Chatelet de Paris. Im Alter von 28 Jahren stand die Marquise in der Blüte ihrer Schönheit; ihre Figur war zwar klein, aber die Proportionen perfekt; ihr rundes Gesicht war verführerisch schön; ihre Gesichtszüge, so gleichmäßig, dass kein Gefühl ihre Schönheit zu schmälern schien, erweckten den Eindruck einer Staue, die durch ein Wunder zum Leben erweckt worden war: Es war einfach, ein fröhliches Gemüt zu sehen statt der kalten, grausamen Ruhe, die als Maske für Gewissensbisse diente.

Sainte-Croix und die Marquise verliebten sich auf den ersten Blick und bald war sie seine Mätresse. Der Marquis, sei es aus Glaube an die eheliche Philosophie, sich nur selten der Lust zu überlassen, oder sei es, weil er selbst damit beschäftigt war, sich zu vergnügen, um zu sehen, was sich vor seinen Augen abspielte, stellte kein eifersüchtiges Hindernis ihrer Intimität dar, und fuhr mit seinen albernen Extravaganzen fort, obwohl sie längst sein Vermögen stark geschmälert hatten: Seine Geschäfte waren so durcheinandergeraten, dass die Marquise, die längst nichts mehr für ihn empfand und sich nach Freiheit für ihre neue Liebschaft sehnte, nach einer Trennung verlangte und sie auch bekam. Daraufhin verließ sie das Haus ihres Ehemannes und ließ zugleich jegliche Diskretion fallen, sie zeigte sich überall in der Öffentlichkeit mit Sainte-Croix. Dieses Verhalten, das durch das Vorbild des hohen Adels vorgelebt wurde, beeindruckte den Marquis de Brinvilliers in keiner Weise, der weiterhin fröhlich weiter seinem Weg in den Ruin folgte, ohne sich Sorgen um das Verhalten seiner Frau zu machen. Nicht so M. de

Dreux d'Aubray: Er hatte die Gewissenhaftigkeit eines staatlichen Würdenträgers. Er war empört über das Verhalten seiner Tochter und fürchtete, dass es seinen guten Namen beflecken würde. Er suchte einen Vorwand und befugte die Verhaftung von Sainte-Croix, wo auch immer der Beauftragte ihn auch aufzufinden vermochte. Wir haben gesehen, wie der Befehl ausgeführt wurde, als Sainte-Croix die Kutsche der Marquise fuhr, die unsere Leser nun mit Sicherheit als die Frau wiedererkannt haben dürften, die sich so sorgfältig verschleiert hatte.

Nun, da man über den Charakter von Sainte-Croix besser Bescheid weiß, ist es leicht sich vorzustellen, wie viel Selbstbeherrschung er aufbringen musste, um seine Wut über die Verhaftung mitten auf der Straße zu unterdrücken; und obwohl er die ganze Fahrt über nicht ein Wort geäußert hatte, war klar zu sehen, dass sich ein Sturm in ihm zusammenbraute, der bald losbrechen würde. Doch er hielt sich zurück, als sich die unheilvollen Tore öffneten und als sie sich wieder verschlossen, wie die Tore der Hölle, die schon so oft demjenigen, der eintrat, bereits an der Schwelle sämtliche Hoffnung raubten, und auch dann, als er die Fragen, die ihm der Gouverneur stellte, beantwortete. Seine Stimme blieb ruhig und als er sich in die Liste der Gefangenen eintrug, unterschrieb er mit ruhiger Hand. Sogleich bat ihn ein Gefängniswärter, der die Befehle des Gouverneurs entgegennahm, ihm zu folgen: nachdem sie zahlreiche Gänge durchschritten hatten, die kalt und feucht waren, in die vielleicht manchmal Tageslicht dringen mochte, doch keine frische Luft, öffnete er eine Tür, und Sainte-Croix war kaum eingetreten, da hörte er bereits, wie sie hinter ihm verschlossen wurde.

Das Schloss knirschte und er drehte sich um. Der Gefängniswärter hatte ihn in einem dunklen Raum gelassen, es gab kein Licht bis auf das Licht des Mondes, das durch ein vergittertes Fenster schien, ungefähr acht oder zehn Fuß über dem Boden, und in dessen Lichtkegel lediglich ein heruntergekommenes Rollbett zu sehen war, sonst blieb der Raum in absoluter Dunkelheit. Der Gefangene blieb einen Moment lang ruhig stehen und horchte; schließlich, als die Schritte in der Ferne verhallt waren und er sich dessen bewusst war, dass er nun völlig allein war, warf er sich auf das Bett und stieß einen Schrei aus, der sich mehr wie das Röhren eines wilden Tieres anhörte als ein menschlicher Laut: Er verfluchte seinen Mitmenschen, der ihn aus seinem freudvollen Leben gerissen hatte, um ihn in einen Kerker zu werfen; er verfluchte seinen Gott, der all dies hatte geschehen lassen; er flehte laut jene Mächte an, die auch immer da sein mochten, um ihm Rache und Freiheit zu gewähren.

Gerade in jenem Moment, als ob er ihn mit seinen Worten aus den Tiefen der Erde beschworen hätte, trat langsam ein Mann in den blauen Lichtkegel, der durch das Fenster fiel, ein Mann, dünn und blass, ein Mann mit langem Haar in einem schwarzen Wams, der sich dem Bett näherte, auf dem Sainte-Croix lag. Mutig, wie dieser war, schien ihm diese Erscheinung die passende Antwort auf seine Gebete zu sein (und zu jener Zeit glaubte man noch immer an die Macht von Beschwörung und Zauberei), und so zweifelte er nicht daran, dass der Erzfeind der Menschheit, der immer zur Stelle ist, seine Gebete erhört hatte und nun zu ihm gekommen war. Er setzte sich in seinem Bett auf, griff automatisch an die Stelle, an der sich bis vor zwei Stunden normalerweise der Griff seines Schwertes befand, fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten und kalter Schweiß sein Gesicht herunterlief, als sich das seltsame, fantastische Wesen ihm Schritt für Schritt näherte. Schließlich blieb die Erscheinung stehen, der Gefangene und er standen sich für einen Moment gegenüber, Auge in Auge; dann sprach der mysteriöse Fremde mit einer düsteren Stimme.

„Junger Mann“, sagte er, „du hast zum Teufel gebetet, um Rache an den Männern zu üben, die sich gefangen genommen haben, um Unterstützung gegen jenen Gott zu erhalten, der dich verlassen hat. Ich habe die Mittel und reiche dir hiermit die Hand. Hast du den Mut, sie anzunehmen?“

„Zuallererst“, fragte Sainte-Croix, „wer sind Sie?“

„Warum möchtest du wissen, wer ich bin“, fragte der Unbekannte, „in dem Moment, da ich auf deinen Ruf erscheine, um dir zu bringen, was du ersehnst?“

„Wie dem auch sei“, sagte Sainte-Croix, der die Worte, die er vernahm, noch immer einem übernatürlichen Wesen zuschrieb, „wenn jemand ein Abkommen dieser Größenordnung eingeht, zieht man es doch wohl vor, zu wissen, mit wem man verhandelt.“

„Nun, wenn du es denn wissen musst“, sagte der Fremde, „ich bin der Italiener Exili.“

Sainte-Croix erschauderte von Neuem, als seine Gedanken von der übernatürlichen Erscheinung langsam abwichen und er die grausamen Realität erkannte. Der Name, den er soeben vernommen hatte, hatte zu jener Zeit schreckliche Berühmtheit erlangt, nicht nur in Frankreich, auch in Italien war der Name bekannt. Exili war aus Rom verjagt worden, mehrmals der Vergiftung angeklagt, jedoch schien er seine Vergehen nie zu bereuen. Danach war er nach Paris gegangen und auch dort geriet er ins Auge der Strafbehörden, genauso wie in seinem Heimatland; doch weder in Paris noch in Rom wurde der Schüler von René und Trophana für schuldig erklärt. Auch wenn die Beweise fehlten, waren diese Ungeheuerlichkeiten so anerkannt, dass man keine Skrupel hatte, ihn gefangen zu halten. Ein Haftbefehl war gegen ihn erlassen worden: Exili wurde abgeholt und in der Bastille einquartiert. Er hatte ungefähr sechs Monate dort verbracht, als Sainte-Croix zum selben Ort gebracht wurde. Zu der Zeit gab es viele Insassen und der Gouverneur schloss den neuen Gast zu dem alten in denselben Raum und brachte somit Exili und Sainte-Croix zusammen, nicht ahnend, dass sie ein Paar von Dämonen waren. Unsere Leser werden den Rest verstehen. Sainte-Croix war vom Gefängniswärter in einen sehr dunklen Raum verbracht worden, sodass er in der Dunkelheit seinen Zellennachbarn nicht hatte sehen können: Er hatte sich seinem Wutanfall hingegeben, seine Flüche hatten Exili seinen Gemütszustand offengelegt, der sofort die Möglichkeit beim Schopfe packte, einen hingebungsvollen und starken Adepten zu gewinnen, der, wenn er erst einmal aus dem Gefängnis entlassen werden würde, ihm auch die Türen wieder öffnen könnte, oder zumindest Rache für ihn nehmen könnte, im Falle, dass er lebenslänglich eingesperrt sein sollte.

Der Widerwille, den Sainte-Croix seinem Mitgefangenen gegenüber verspürte, währte nicht lang, und auch der gerissene Meister hielt seinen Schüler für geschickt. Sainte-Croix, eine seltsame Mischung aus gut und böse, hatte nun seine schwerste Lebenskrise erreicht, in der nur seine helle oder seine dunkle Seite mit all ihren Kräften Oberhand gewinnen konnte. Höchstwahrscheinlich hätte er den Weg zu Gott gefunden, wenn er in diesem Moment einer engelhaften Persönlichkeit begegnet wäre; nun hatte er aber einen Dämon getroffen, der ihn zu Satan geleitete.

Exili war kein einfacher Giftmischer: Er war ein hervorragender Künstler, wenn es um Gifte ging, vergleichbar mit den Medici oder Borgias. Für ihn war das Töten hohe Kunst, bei der er sich auf feste, strenge Regeln beschränkte. Er hatte einen Punkt erreicht, an dem er nicht mehr seinen persönlichen Interessen folgte, sondern auf den Geschmack des Experimentes gekommen war. Gott hatte die Fähigkeit der Schöpfung für sich verbucht, dennoch musste er hinnehmen, dass ein zerstörerischer Kern seiner Schöpfung, dem Menschen, innewohnte. Deshalb wähnte der Mensch sich auf Augenhöhe mit Gott, wenn er Leben zerstören konnte. Das war die Philosophie, die hinter Exilis Stolz steckte: Er war der dunkle, fahle Alchemist des Todes. Andere mochten das große Geheimnis des Lebens suchen, doch er hatte das Geheimnis der Zerstörung gefunden.

Sainte-Croix zögerte einen Moment, erlag letztendlich doch dem Hohn seines Gefährten, der den Franzosen unterstellte, dass sie viel zu viel Respekt bei ihren Verbrechen zeigten, was sie vom Ruin ihrer Feinde betroffen machte und sie mit hineinzog, obwohl sie sie mit Leichtigkeit überleben und danach den Triumph ihrer Zerstörung feiern könnten. Im Gegensatz zur französischen Ritterlichkeit, die allzu oft dazu führte, dass der Mörder eines grausameren Todes starb als sein Opfer, wies er auf den Florentinischen Verräter hin, mit seinem liebenswürdigen Lächeln und dem tödlichen Gift. Er sprach von gewissen Pulvern und Tränken, von denen einige eine Langzeitwirkung hatten, die ihr Opfer so langsam schwächten, dass es erst nach langen Qualen starb, andere wirkten so heftig und schnell, sie töteten wie der Blitz und ließen dem Opfer noch nicht einmal die Zeit für einen letzten Schrei. Nach und nach begann Sainte-Croix sich für diese grauenvolle Wissenschaft zu interessieren, mit der man das Leben der Menschheit in die Hände eines Einzigen legen konnte. Er begleitete Exilis Experimente und bald hatte er genug Geschick erlernt, um seine eigenen Experimente durchzuführen.

Sainte-Croix kehrte in jene Gesellschaft zurück, die ihn verbannt hatte, mit einem tödlichen Geheimnis, das ihn bestärkte, mit dessen Hilfe er all das Böse, das ihm widerfahren war, zurückgeben konnte. Kurze Zeit später kam auch Exili auf freien Fuß – wie das passieren konnte, wurde nie herausgefunden – und er suchte Sainte-Croix auf, der ihm unter dem Namen seines Haushalters, Martin de Beuille, ein Zimmer im Hause einer Frau Brunet besorgte, das in einer versteckten Gasse in der Nähe des Maubert-Platzes gelegen war.

Niemand weiß, ob Sainte-Croix während seiner Haft in der Bastille die Möglichkeit hatte, die Marquise de Brinvilliers zu sehen, es ist jedoch sicher, dass die beiden Liebenden sich nach seiner Entlassung näher waren als je zuvor. Aus der Erfahrung hatten sie allerdings gelernt, was sie zu befürchten hatten; weshalb sie sich dazu entschlossen, Sainte-Croix' neu erworbenes Wissen gleich auszutesten und M.

D'Aubray wurde als erstes Opfer von seiner eigenen Tochter auserkoren. Auf einen Schlag wäre sie frei von der Unbequemlichkeit seiner strengen Verbote und Regeln, zudem würde sein Erbe ihr eigenes Vermögen sanieren, das von ihrem Ehemann schon beinahe aufgebraucht worden war. Dennoch, wenn man mit einem Schlag so viel aufs Spiel setzte, musste man sich absichern, dass es auch das gewünschte Ergebnis bringen würde, die Marquise entschied sich also, das Experiment zuerst an jemand anderem auszuprobieren. Und so kam es, dass ihr Zimmermädchen, Françoise Roussel, eines Tages nach einem langen Diner in ihr Zimmer kam und die Marquise ihr ein Stück indisch zubereitetes Lamm und ein paar eingemachte Stachelbeeren anbot. Ohne Argwohn aß das junge Mädchen, was ihre Herrin ihr gegeben hatte, doch sie fühlte sich fast zur gleichen Zeit bereits krank und klagte über fürchterliche Bauchschmerzen und über ein Gefühl, als ob spitze Nadeln in ihr Herz stachen. Doch sie überlebte und die Marquise schlussfolgerte, dass das Gift nicht stark genug war. Sie gab es Sainte-Croix zurück, der ihr ein paar Tage darauf mehr Gift brachte.

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