Читать книгу Vom gehorsamen Kirchenschaf zum selbstbestimmten Katholiken - Alfons Wiebe - Страница 4
2Zur Intention meines Textes
ОглавлениеDas wichtigste Thema meines Lebens war die Religion. Sie hat dazu geführt, dass ich Religionslehrer geworden bin und mich aus beruflichen Gründen, aber auch aus existenziellem Interesse immer mit ihr beschäftigt habe. Was verstehe ich unter Religion? Ich möchte, bevor ich mein Verständnis von ihr beschreibe, das Gedicht „Reklame“ von Ingeborg Bachmann zitieren. In ihm wird ein wesentliches Element von Religion deutlich.
Wohin aber gehen wir
ohne Sorge sei ohne sorgewenn es dunkel und wenn es kalt wird sei ohne sorgeaber mit Musikwas sollen wir tun heiter und mit Musikund denken heiterAngesichts eines Endes mit Musikund wohin tragen wir am bestenunsere Fragen und den Schauer aller Jahre in die Traumwäscherei sei ohne sorge sei ohne sorgewas aber geschieht am bestenwenn Todesstille eintritt
Als ich in der 12. Klasse des Gymnasiums dieses Gedicht in einem Referat vor der Klasse interpretierte, da ahnte ich noch nicht, dass es mir einmal dazu dienen würde, meine Vorstellung von Religion zu verdeutlichen.
Das Gedicht spricht von einem Menschen, der auf der Suche nach Halt und Geborgenheit ist. Er stellt Fragen, die davon zeugen, in welcher existenziellen Not er ist. Aber er erhält nur nichtssagende Antworten, die ihn einlullen und ablenken wollen. Vor der letzten Frage, der Frage nach dem, was nach dem Tod mit dem Menschen passieren wird, verstummt die Reklame, das Sinnbild aller innerweltlichen Sinn- und Antwortgeber. Dass er so fragen kann, ja muss, ist Ausdruck seiner religiösen Natur. Er fragt, weil er Antworten sucht. In den einzelnen Kulturen fanden Menschen bei ihrem Nachdenken über die Fragen unterschiedliche Antworten. Die Antworten, die den Menschen plausibel erscheinen, fassten die Menschen in ihren Hl. Schriften zusammen. Und sie gaben diesen Antworten den Status absoluter Wahrheiten. Im Christenrum heißen sie Offenbarungen. Wer sie für sich als wahr annimmt, glaubt an sie. Er kann sie auch nur glauben. Denn mit wissenschaftlichen Methoden können sie nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. Diese Antworten sind in den verfassten Religionen vor langer Zeit gegeben und mündlich und schriftlich überliefert worden. Sie sind unterschiedlich, je nach Kultur, in der sie auf die existenziellen Fragen gestellt wurden. Jede Kultur hat ihre eigenen Antwortsysteme hervorgebracht. Sie bilden heute die unterschiedlichen Religionen. Demnach ist eine Religion ein System, das auf existenzielle Fragen, wie sie z.B. das obige Gedicht stellt, erschöpfende Antworten gibt. Das ist ihr Sinn. Eine Religion will jedem Menschen den Raum eröffnen, in dem er solche existenziellen Fragen stellen kann, damit er in ihren Antworten Sicherheit in seiner Bedrängnis finden kann. In diesem Sinne ist die christliche Religion eine unter vielen anderen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Erinnerung an die Transzendenz wach halten , ihren Mitgliedern Richtlinien geben, wie sie verantwortlich ihr Leben gestalten können und worin der Sinn ihres Lebens besteht. Sie sammeln die religiösen Zeugnisse ihrer Protagonisten in hl. Schriften und tradieren sie an die nachfolgenden Generationen.
Einer der wichtigsten Begriffe der Religion ist das Wort Gott. Es drückt aus, dass es über dem Menschen etwas gibt, was höher ist als er , was dem Gläubigen als das Höchste erscheint, vor dem er sich verneigt und dem gegenüber er sich verantwortlich fühlt. Es beruht auf der Ahnung von einem Mehr an Wirklichkeit, das über das sinnlich Erfassbare hinausgeht. Wie es zur Entstehung dieses Wortes kam, möchte ich weiter unten ausführen. Hier soll nur der Zusammenhang zwischen Gott und Religion aufgezeigt werden. Religion hat die Aufgabe, ihre Gläubigen zu der Anerkennung Gottes und seiner Verehrung zu führen. Das tut sie durch Gebete und Riten und Liturgie.
Aus dem gesagten wird deutlich, dass ich unter Religion eigentlich zwei Dinge verstehe.
Einmal das psychologische Grundgefühl des Menschen, das dazu führt, dass er sich auf die Suche nach Antworten auf seine existenziellen Fragen begibt, die ihm sein wissenschaftliches Denken nicht geben kann. Sie ist also eine spezielle Art, wie der Mensch sein Leben auffasst. Man kann das auch Religiosität nennen.
Und zweitens verstehe ich darunter die Systeme, die sich aus diesem Frage- und Antwortspiel ergeben. Das sind die Lehren der Religionen, ihre Gebete und Rituale und ihre organisatorischen Gegebenheiten.
Ein Mensch, der sich als reifer Mensch einer Religion anschließt, wählt sie aus den vielen anderen heraus, weil sie ihm plausibel erscheint. Er gibt ihr durch seinen Glauben an sie absolute Bedeutung. Von ihr erhofft er sich dann die Antworten, die seinem Leben den absoluten Sinn geben, so dass er sich im Leben und Sterben geborgen fühlen kann. Diesen Weg jedoch bin ich nicht gegangen. Wie die meisten Menschen, so habe auch ich meine Religion nicht selber gewählt, sondern bin in sie durch meine Eltern hineingeboren.