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5Das Kommunionkind

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1948 war mein Vater aus englischer Gefangenschaft nach Braunschweig entlassen. Dort hatte er auf Veranlassung des Wohnungsamtes ein Zimmer bei dem Fabrikantenehepaar Salge erhalten, das in einer repräsentativen Wohnung aus der Gründerzeit lebte.

Das Photo entstand kurz vor unserer Abreise von Karthaus nach Danzig,also etwa im Frühjahr 1948.

Die Wohnung bestand aus 6 Zimmern mit Küche und Bad. Das Wohnungsamt hatte meinen Vater und eine andere Familie mit einer Tochter dort eingewiesen.

Das uns überlassene Zimmer wurde nun unser beengtes Zuhause, nachdem mein Vater uns, die Mutter mit uns drei Kindern, zu sich hatte kommen lassen. Hier lebten wir und spielten, hier wurde gekocht, gewaschen, geschlafen und geliebt, hier machten wir unsere Schularbeiten und empfingen Besuch. Wir Kinder nahmen den Zustand als gegeben hin. Für unsere Eltern aber muss das eine Quälerei gewesen sein. Erst als mein kleiner Bruder geboren wurde (1950), überließen uns unsere Vermieter ein weiteres kleines Zimmer, in dem wir Kinder schlafen konnten.

Die beengten Wohnungsverhältnisse und die zeitweilige Arbeitslosigkeit meines Vaters waren die Ursache für häufigen Streit meiner Eltern. Oft entzündete er sich an der unterschiedlichen Vorstellung über Erziehungsmaßnahmen. Meine Mutter konnte es nicht mit ansehen, wenn mein Vater zu streng mit uns umging. Er verlangte von uns unbedingten Gehorsam. Widerworte und Maulen ließ er uns nicht durchgehen. Und wenn wir nicht gleich parierten, gab es schon mal Dresche. Auch unsere Mutter sollte sich ihm unterordnen. Er verwaltete das Geld, gab ihr das Wirtschaftsgeld und kontrollierte ihre Ausgaben. Als sie bei einem Besuch in der Ostzone von dem günstig umgetauschten Geld Geschirr für die Familie gekauft hatte, ohne ihn zu fragen, gab es mächtigen Ärger.

Dennoch habe ich nie daran gezweifelt, dass die Ehe meiner Eltern glücklich war und wir in einer harmonischen Familie lebten. Meine Eltern haben sich sehr um uns Kinder bemüht, so dass ich mich in ihrer Gegenwart immer geborgen fühlte. Besonders gern erinnere ich mich an die Gesellschaftsspiele mit ihnen, an die Zeltlager, die mein Vater mit uns durchführte, und an die lustigen Silvester- und Faschingsfeiern im Familienkreis.

Ein großes Anliegen meiner Eltern war die religiöse Erziehung. Sie beteten mit uns und hielten uns zum Gebet an. Wir beteten das Morgen-, Tisch- und Abendgebet, besuchten jeden Sonntag die Hl. Messe und gingen jeden Monat zur Beichte. Unsere Eltern lebten uns vor, wozu sie uns anhielten. Natürlich gingen auch sie mit uns jeden Sonntag und Feiertag zum Gottesdienst, wie es das Kirchengebot verlangte. In den ersten Jahren war das Nüchternheitsgebot vor dem Kommunion­empfang noch sehr streng. Nur Flüssigkeiten durften bis 1 Std. vor der Kommunion zu sich genommen werden. Meine Mutter hatte Sorge, dass wir Kinder den Vormittag nicht durchstehen könnten. Daher brockte sie uns Kindern Brötchen in heiße Milch und löste sie so auf, dass wir sie trinken konnten, und dabei das Gebot nicht verletzten. Auch die übrigen Kirchengebote wurden genau beachtet. So gab es am Freitag Fisch zu Mittag, Aschermittwoch und Karsamstag waren Fast- und Abstinenztage. Während der Adventszeit und der Fastenzeit wurden wir angehalten auf Süßigkeiten zu verzichten.

Die kirchlichen Feste spielten eine große Rolle im Jahreskreis. Ihr religiöser Gehalt wurde immer mitbedacht. Das schönste Fest war natürlich das Weihnachtsfest. Es wurde vorbereitet durch die Bräuche in der Adventszeit. Selbstverständlich hatten wir einen Adventskalender, der uns mit seinen Türchen, die wir jeden Morgen gespannt öffneten, die Zahl der Tage bis zum Fest anzeigte. Auch ein Adventskranz, der an dem mit einem goldenen Stern bekrönten Ständer hing, verkürzte uns die Wartezeit. Die Zeit der Vorbereitung war auch eine Zeit des Verzichtens, wie es die Tradition der Kirche nahe legte. Wir Kinder verzichteten auf das Essen von Süßigkeiten und gaben uns Mühe, dem Christkind zu gefallen. Jede gute Tat galt als ein Strohhalm für die Krippe, damit das Christkind weich liegen konnte. Während der Adventszeit saßen wir oft nachmittags gemütlich zusammen und feierten Advent. Dabei sangen wir die Adventslieder aus unserem Canta Bona, so hieß das kirchliche Gesangbuch der damaligen Zeit. Die Eltern lasen uns dabei vorweihnachtliche Geschichten vor, wie Ludwig Thomas „Als ich einmal Christtagsfreude holen ging“ oder Waggerls innige Geschichten von den Erlebnissen des kleinen Jesus im Stall von Bethlehem.

Oft besuchten wir auch die Roratemessen früh am Morgen und genossen den Gang durch den frisch gefallenen Schnee und die trauten Gesänge in der großen Kirche, die mit den mitgebrachten Kerzen nur spärlich erhellt war und deshalb sehr heimelig wirkte.

Zu Nikolaus luden meine Eltern einmal den Nikolaus, den ein Mitglied des Freundeskreises spielte, persönlich ein. Er kam mit Mantel, Stab und Mitra und bescherte uns. Meine kleine Schwester aber hatte Angst vor ihm und versteckte sich unter dem Tisch. In der Regel jedoch stellten wir zu Nikolaus unseren geputzten Schuh vor die Tür und warteten gespannt auf den Morgen, ob denn der Schuh auch mit Süßigkeiten gefüllt war. Falls der Schuh jedoch nach der Begutachtung meines Vaters nicht ordentlich geputzt war, dann steckten in ihm statt Süßigkeiten Kohlenstücke mit der Mahnung auf einem Zettel, ihn gefälligst ordentlich zu säubern und noch mal hinauszustellen.

Am Hl. Abend wurden wir Kinder zu unserer Oma Prill geschickt, wo wir ihr Bäumchen schmückten und den Eltern aus dem Weg waren. Mein Vater schmückte den Weihnachtsbaum zu Hause. Unsere Weihnachtsfeier am Nachmittag hatten wir über die Adventszeit gut vorbereitet. Jeder lernte ein Weihnachtsgedicht auswendig und trug es unter dem Weihnachtsbaum vor. Oder wir führten ein Krippenspiel auf, das mein Vater mit uns eingeübt hatte.

Die religiöse Erziehung im Elternhaus sollte durch die Schule unterstützt werden. Deshalb schickten uns die Eltern auf die katholische Grundschule. Dort hatten wir drei Stunden Religions­unterricht pro Woche, von denen eine für den Besuch eines Schülergottesdienstes verwandt wurde. Die übrigen Stunden entfielen auf Bibelunterricht, den der Klassenlehrer übernahm, und auf Kathechismus­unterricht, der von der Seelsorgshelferin oder einem Geistlichen erteilt wurde. In beiden Unterrichten spielte das Auswendiglernen eine sehr große Rolle. Meine Grundkenntnisse über Bibel, Kirche und katholischer Lehre verdanke ich diesem Unterricht.

Aus ihnen stammt auch das Welt-und Gottesbild meiner Kindheit. Ich stellte mir Gott als einen alten Mann mit Bart über den Wolken schwebend vor. Er saß auf einem Thron, umgeben von seinem Hofstaat aus Engeln, und wachte über die ganze Welt. Er hatte auch mich stets im Blick, um zu kontrollieren, ob ich mich auch gut verhielt. Gehorsam den Eltern gegenüber liebte er am meisten. Jede böse Tat war eine Sünde und konnte ihn beleidigen. Dabei unterschied ich zwischen lässlichen und schweren Sünden. Wenn ich mich auch nicht erinnere, dass ich mir einer schweren Sünde bewusst war, so hatte ich doch eine unbestimmte Angst, sie einmal begehen zu können. Denn in diesem Falle müsste ich, wenn ich stürbe, in die Hölle kommen, eine schreckliche Vorstellung! Ich war eigentlich immer im Ungewissen, wie ich einmal vor Gott dastehen werde und lebte in einer unbestimmte Angst vor dem, was ich nach dem Tode von Gott zu erwarten hatte.

Was lernte ich noch im Religionsunterricht? Kritische Reflektion über den Glauben oder Hinführung zu und Vorbereitung auf religiöser Entscheidungen, wie sie der heutige Religions­unterricht anzubahnen versucht, waren damals nicht üblich. Es kam darauf an, das Wissen zu vermitteln, das ein katholischer Christ zum Leben als aktiver Christ in Gesellschaft und Kirche brauchte. Der Katechismus war in Fragen und Antworten zu bestimmten Glaubenslehren aufgeteilt. Sie wurden uns erklärt und mussten dann memoriert werden.

Im Bibelunterricht lernten wir die biblischen Geschichten kennen und mussten sie wörtlich nacherzählen.

Beide Unterrichte waren die Grundlage der Sakramentenhinführung, die in der 2. und 3. Klasse erfolgte. Zuerst gab es den Beichtunterricht. Hier wurden uns anhand der 10 Gebote gesagt, wie ein Christ sich zu verhalten habe und was er dabei falsch machen konnte. Das hieß dann Sünde und war eine Beleidigung Gottes, die mit der Beichte wiedergutgemacht werden konnte. Zur Unterstützung des Unterrichts erhielten wir einzelne Din-a-5 große mit farbigen Bildern versehene Blätter, die in einem Hefter gesammelt wurden. Sie enthielten kleine Geschichten, anhand derer uns die kirchliche Lehre erläutert wurde, oder uns nahe gelegt wurde, wie wir uns als Christen zu verhalten hätten. Ich habe die Geschichten gerne gelesen und die Bilder gerne angeschaut. Die Geschichte von Tarcisius hat sich mir eingeprägt. Er hat den in den Katakomben in Rom versteckten Christen mutig die Kommunion gebracht.

An die erste hl. Beichte kann ich mich nicht erinnern, wohl aber an die vielen Beichten, zu denen wir jeden ersten Samstag im Monat geschickt wurden. Ich empfand sie als lästig, da sie mich nötigten, immer die gleichen Verfehlungen im Beichtstuhl vorzutragen. Die Beichte begann mit der Formel: Meine letzte hl. Beichte war vor vier Wochen. In Demut und Reue bekenne ich meine Sünden. Dann folgte das Bekenntnis der „Sünden“: Ich habe unandächtig gebetet, in der Hl. Messe geschwätzt, manchmal die Tagesgebete vergessen, mich mit meinen Klassenkameraden und Geschwistern gezankt und geschlagen. Ich habe meine Mutter geärgert, ich war ungehorsam, habe gelogen, und manchmal Unkeusches angeschaut oder berührt. Letzteres bezog sich auf Spielereien mit meinem Glied. Das Bekenntnis endete mit der Formel: Dies sind alle meine Sünden. Der Priester hinter dem Sprechgitter flüsterte einige Sätze der Mahnung und Aufmunterung, wobei mir noch in Erinnerung ist, dass er vor den Mund ein Tuch hielt. Und dann sprach er das „Ego te absolvo“. Zum Schluss erhielt ich noch aufgetragen, zur Buße z.B. dreimal das Vater unser oder ein anderes bekanntes Gebet aufzusagen und war dann entlassen. In der Regel stellte sich nach Erledigen der Buße auf dem Nachhauseweg eine große Erleichterung ein, wobei mir heute nicht klar ist, ob sie aus der Sündenvergebung kam oder aus der Tatsache, dass ich wieder einmal eine unangenehme Leistung hinter mich gebracht hatte. Ich hatte damals schon die Frage in mir: Welchen Sinn soll das haben, immer wieder die gleichen Sprüchlein herunter zusagen, wenn sich doch nichts änderte. Aber ich hielt mich brav an die Vorgabe, einmal im Monat zur Beichte zu gehen.

Das Kommunionkind

Meine 1.Kommunion fand am 16.April 1950 in St.Ägidien statt.

Durch den Beichtunterricht wurde die 1. Hl. Kommunion vorbereitet, auf die wir ebenfalls in einen eigenen Unterricht eingestimmt wurden. Als der große Tag herangenaht war, wurde ich als Kommunionkind neu eingekleidet.

Ich trug einen blauen Anzug mit kurzen Hosen, ein weißes Hemd, weiße Kniestrümpfe mit Zopfmuster aus Wolle; die meine Oma gestrickt hatte, und braune Schuhe. Die Kommunionkerze, die mit einer Myrthengirlande geschmückt war beeindruckte mich mit ihrer kunstvoll geknickten Papierschale. Am Morgen des Tages nahm mich mein Vater beiseite und ermahnte mich: Deine Geschenke machst du aber erst nach der Kirche auf, wenn du die hl. Kommunion schon empfangen hast. Ich weiß noch, dass ich stolz auf mich war, diese Ermahnung auch eingehalten zu haben. Der Kommunionempfang ist mir nicht in Erinnerung geblieben, wohl aber das Gefühl:“ Jetzt kommt Jesus in dein Herz und du kannst mit ihm reden.“ Für das Reden mit ihm hatte man uns ein Muster zurechtgelegt: Begrüßung, Anbetung, Dank und Bitte. Nach dem richtete ich mich in der Folgezeit. Nach dem Kommunionempfang kniete ich mich in der Bank hin, bettete mein Gesicht in die Hände und sprach im Stillen mit Jesus. Ich bemühte mich, stets eine persönliche Beziehung zu Jesus zu pflegen. Aber wenn ich zu ihm redete, vermisste ich seine Antwort.

An die Feier zu Hause kann ich mich nicht erinnern. Nur an einzelne Geschenke z.B. eine Uhr von meinen Eltern, einen Füller von Tante Elfriede und an die lederne Federtasche von Frau Salge, die ich heute noch habe.

Vom gehorsamen Kirchenschaf zum selbstbestimmten Katholiken

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