Читать книгу Liebe und Schicksal im Adelshaus: 6 Romane Sammelband - Alfred Bekker - Страница 23

17

Оглавление

An diesem Tag war Susanne sehr erschöpft und so zog sie sich bereits früh am Abend in ihre Suite zurück. Sie schlief rasch ein.

Als schließlich ein heftiges Klopfen an der Tür sie weckte, war es bereits dunkel. Das Mondlicht schien durch die hohen Fenster herein.

Susanne fuhr auf.

"Ja, wer ist dort?", rief sie, schlug die Bettdecke zur Seite und ging auf den Eingang der Suite zu. Von der anderen Seite her hörte sie Schritte auf dem Flur.

Schritte, die sich rasch entfernten.

Wer mochte das sein?

Susanne dachte an die Möglichkeit, dass es vielleicht Komtesse Christiane war, die ihr wieder einen ihrer Besuche hatte abstatten wollen. Susanne öffnet die Tür, trat dann barfuß hinaus auf den Flur. Es war niemand zu sehen. Dann entdeckte sie den Brief auf dem kalten Steinboden. Er war offenbar unter der schweren Holztür hindurchgeschoben worden. Susanne trat zurück in die Suite, schloß die Tür und machte Licht.

Dann hob sie den Brief auf.

Das Kuvert war unverschlossen.

Sie öffnete es und entfaltete den darin enthaltenen Bogen Papier. In hastig dahingeschriebenen Zeilen stand dort: Kommen Sie zum Westturm. Nadine.

Susanne ging zum Fenster und blickte zum hoch aufragenden Westturm von Schloss Eichenbach hinüber. Nichts Ungewöhnliches schien sich dort zu tun.

Susannes Herz raste.

Was mochte das Zimmermädchen jetzt, um diese Zeit da draußen von ihr wollen? Ob sie doch mehr wusste, als sie zunächst vorgegeben hatte.

Susanne blickte angestrengt hinaus. Aber beim Turm war weder eine Bewegung, noch irgendein Licht zu sehen. Der größte Teil des alten Gebäudes lag im Moment ohnehin im Schatten des Mondlichts und war daher ziemlich dunkel. Das Gebäude selbst war nur im Umriss zu sehen. Es hob sich beinahe schwarz gegen den Nachthimmel ab, der etwas wolkenverhangen war.

Was soll ich jetzt tun?, fragte sich Susanne einen Augenblick lang, aber dann obsiegte ihre Neugier.

Sie musste einfach wissen, was hier vor sich ging...

So drehte sie sich um und zog sich etwas Praktisches über.

In Windeseile geschah dies, denn Susanne dachte gar nicht daran, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen. Als sie fertig war, trat sie ans Fenster und warf noch einen Blick zum Westturm. Groß und gewaltig stand er da. In früheren Zeiten war er wohl so etwas wie die letzte

Rückzugsmöglichkeit für den Fall gewesen, dass Angreifer den Rest des Schlosses bereits eingenommen hatten. Susanne blickte hinauf zu den Zinnen, aber dort war niemand. Sie atmete tief durch.

Etwas merkwürdig war das ganze schon? Warum machte Nadine so ein Geheimnis aus der Sache?

Natürlich wollte sie es sich auf keinen Fall mit ihrer Herrschaft verderben. Das konnte Susanne verstehen. Aber war es deshalb notwendig, einen derart ungemütlichen Treffpunkt zu wählen?

Susanne verließ das Zimmer, ging über die langen, hohen Flure des Schlosses. Schließlich erreichte sie die Eingangshalle. Alles war ruhig. Im Schloss schien jeder zu schlafen.

Susanne öffnete die Haupttür und trat hinaus ins Freie.

Sie stieg die steinernen Stufen des Portals hinab. Es war eine mondhelle Nacht. Und der Schlosshof war wie immer gut beleuchtet. Das Schloss wirkte bei Nacht beinahe noch prächtiger als am Tag.

Susanne blickte sich um.

Nirgends war jemand zu sehen.

Aber ein kühler Wind strich um die Mauern herum.

Susanne fröstelte leicht.

Ich hätte mir etwas Wärmeres anziehen sollen, ging es ihr durch den Kopf. Dann trat sie auf den Turm zu. Die hölzerne Tür war verschlossen. Aber eine schmale Treppe führte außen am Gemäuer des Turms empor. Seitlich war eine brusthohe Mauer. Die Stufen waren schmal und rutschig.

Susanne ging hinauf. Immer höher, bis sie schließlich die von einer steinernen Brustwehr umrandete Turmspitze erreicht hatte. Von hier aus hatte man einen überwältigenden Ausblick über das gesamte Schloss und die umliegenden Ländereien.

Aber es war niemand hier oben.

Niemand, der auf Susanne gewartet hatte, um mit ihr zu sprechen.

Den Brief, den man ihr unter der Zimmertür hindurchgeschoben hatte, hielt sie in der Hand. Immerhin ein Beweis dafür, dass ich mir das nicht alles nur eingebildet habe, dachte Susanne.

"Nadine?", fragte die junge Baroness schließlich laut.

In der Mitte des Turms befand sich ein kleiner steinerner Aufbau. Die Tür stand offen und das Mondlicht fiel genau so, dass Susanne die Treppe sehen konnte, die hinab ins Innere des Turms führte.

Sie glaubte ein Geräusch gehört zu haben und zuckte zusammen.

"Ist da jemand?", rief sie.

Oder hatten ihre überreizten Sinne ihr einen Streich gespielt?

"Nadine!", rief Susanne noch einmal.

Aber niemand gab ihr Antwort. Sie ging auf die Tür zu.

"Nadine, sind Sie dort?"

"Kommen Sie!", wisperte eine Stimme. "Kommen Sie die Treppe hinunter..."

"Aber..."

"Man darf uns nicht sehen, Baroness! Sonst verliere ich meine Stellung..."

"Machen Sie doch Licht, Nadine!"

"Das könnte man im ganzen Schloss sehen, wenn es durch die Fenster dringt... Nein, das kommt nicht in Frage. Nun machen Sie schon!"

Susanne hatte Mühe, die Worte zu verstehen. Der Wind verschluckte einen Teil des Wisperns. Nun bist du schon so weit gegangen, jetzt kannst auch die Treppe in den Turm hinabsteigen, dachte Susanne. Aber es dauerte einen Moment, bis sie sich überwunden hatte. Diese Treppe in die Tiefe erinnerte sie doch sehr stark an jene Treppen, die in die unterirdischen Verliese führten. Und allein die Erinnerung an das, was sie bei ihrem letzten Abstieg erlebt hatte, ließ sie unwillkürlich zittern. Sie versuchte, diese Erinnerung zu verdrängen. Einfach nicht daran denken, sagte sie zu sich selbst.

Und dann setzte sie den ersten Schritt in die Dunkelheit.

Man musste sehr vorsichtig sein. Die Steinstufen waren noch glatter und abgenutzter als jene der äußeren Treppe. Es gab ein hölzernes Geländer. Susanne klammerte sich am Handlauf fest. Vom Inneren des Turms konnte sie nicht viel sehen.

Sternenlicht fiel durch eines der Fenster und sorgte dafür, dass sie einige schattenhafte Umrisse ausmachte. Mehr nicht.

"Nadine, wo sind Sie?"

Die Baroness bekam keinerlei Antwort. Sie hielt einen Augenblick lang inne, tastete sich dann noch etwas weiter vor und zögerte schließlich.

Sie hörte Schritte.

Jemand steigt die äußere Treppe empor! erkannte sie schlagartig. Susanne erstarrte. Wer auch immer das sein mochte, er durfte weder Nadine noch Susanne hier finden...

"Susanne?"

Es war Wilfrieds Stimme.

Susannes Herz klopfte wie wild. Woher wusste er, dass sie hier im Turm war? Hatte er sie beobachtet? Hatte er auf irgendeine Weise mitbekommen, dass Nadine sich mit ihr zu treffen beabsichtigte...

Vielleicht wollte er genau dieses Treffen verhindern!

Der Gedanke raubte Susanne beinahe den Atem. Wenn man davon ausging, dass Wilfried doch etwas mit dem Tod seiner ersten Verlobten zu tun gehabt hatte, dann ergab das Sinn. Ansonsten war es absurd...

Die Gedanken jagten nur so durch Susannes Kopf. Ihr Inneres war in diesem Augenblick ein einziges Chaos. Sie wusste ebenso wenig, was sie von Wilfrieds Auftauchen zu halten hatte, wie ihr Nadines Vorgehensweise reichlich eigenartig erschien.

Vorsichtig machte sie ein paar Schritte weiter die schmale Wendeltreppe hinab, die ins Innere des Turms führte. Ihre rechte Hand krampfte sich um den Handlauf, die Linke hielt den eigenartigen Brief, mit dem dieser nächtliche Ausflug begonnen hatte. Sie wollte verhindern, dass Wilfried sie sehen konnte, sobald er die obere Brustwehr des Turms erreicht hatte. Schritt um Schritt ging es tiefer. Dann durchschnitt ein durchdringendes, hartes Geräusch die Stille der Nacht.

Etwas brach. Holz splitterte. Der Handlauf, um den sie sich geklammert hatte gab nach. Susanne rutsche ab und stieß einen kurzen, schrillen Schrei des Entsetzens hervor.

"Susanne!"

Die schnellen Schritte in ihrem Rücken bemerkte sie kaum.

Bevor sie ins Bodenlose stürzen konnte, hatten starke Hände sie an den Schultern gefasst und zurückgerissen, während das Geländer in die Tiefe krachte. Die Dunkelheit verschluckte es. Polternd kam es auf dem Boden an.

"Susanne!", hörte sie Wilfrieds Stimme. Sie atmete schwer, drehte sich halb herum. Sein Gesicht konnte sie nicht erkennen. Es hob sich als dunkler Schatten gegen das hereinfallende Mondlicht ab.

"Susanne, was machst du hier?"

Er hielt sie fest. Sie zitterte.

Allmählich wurde ihr klar, dass nicht viel gefehlt hätte und sie wäre hinabgestürzt.

"Weißt du, wie tief das ist? Da kann man sich den Hals brechen!", sagte Wilfried. "Das Geländer ist uralt und völlig morsch. Es hätte schon längst renoviert werden müssen, aber dazu ist es bislang nicht gekommen..."

Wilfried ergriff ihre Hände.

Sie wollte etwas sagen, öffnete halb den Mund und schwieg dann doch. Ihr Hals war wie ausgedörrt. Sie war unfähig auch nur irgendeinen Laut herauszubringen. Wilfried führte sie die Stufen hinauf. Wenige Augenblicke später befanden sie sich auf dem Turm. Der kühle Wind fuhr ihr durch die Haare und trocknete den kalten Angstschweiß, der ihr auf der Stirn stand.

"Alles in Ordnung, Susanne?"

Susanne nickte.

Sie sah zu Wilfried empor, blickte in seine Augen, in denen sich das Mondlicht spiegelte.

"Ich glaube schon", brachte sie schließlich heraus. "Mir ist nichts passiert...."

"Das war ganz schön knapp!"

"Du hast mir das Leben gerettet, Wilfried!"

"Sag mal, was machst du eigentlich hier oben? Ich habe dich durch das Fenster gesehen. Irgendwie konnte ich nicht schlafen. Muss wohl am Vollmond liegen. Und da sah ich dich den Turm hinaufsteigen..."

"Ich... Ich weiß auch nicht!" Susanne überlegte einen Moment. Sie wollte nichts von ihrem Treffen mit Nadine sagen.

Wenn sie das tat, dann würde das Zimmermädchen ihr nichts mehr von dem verraten, was sie vielleicht wusste. Susanne wandte einen kurzen Blick zu der Tür, von wo aus die Treppe hinabführte.

"Ist dort irgendetwas?", erkundigte sich Wilfried.

Er ließ sie los und machte ein paar Schritte zurück zur Tür. Aber Susanne hielt ihn geistesgegenwärtig am Arm.

"Wilfried", sagte sie. "Da ist nichts..."

Er sah sie an. In seinen Zügen stand deutlich der Zweifel geschrieben. "Aber es muss doch einen Grund dafür gegeben haben, dass du hier hinaufgegangen bist! Und dann noch zu dieser nachtschlafenden Zeit..."

Wilfried durfte Nadine nicht finden. Das wollte Susanne auf jeden Fall verhindern. Sie nahm Wilfrieds Hand. "Lass uns hier weggehen", sagte sie dann. "Bitte..."

"Wie du willst..."

Sie gingen die Außentreppe hinunter. Einmal drehte sich Susanne noch kurz um, blickte nach oben, so als erwartete sie, dort jemanden zu sehen. Jemanden, der ihnen beiden nachblickte... aber da war niemand.

In diesem Moment wurde Susanne bewusst, dass sie Nadines Brief verloren hatte. Er war ihr in dem Moment entglitten, als das Geländer brach und war dann in die Tiefe gesegelt.

Jetzt habe ich noch nicht einmal einen Beweis, für das, was wirklich geschehen ist, dachte sie.

Morgen würde sie Nadine auf die Sache ansprechen, wenn sich eine Gelegenheit ergab. Morgen...

Und je nach dem, was dieses Gespräch dann ergab, würde sie Wilfried einweihen.

Er hat dich gerettet!, rief Susanne sich in Erinnerung. Das solltest du nicht vergessen - bei all den Verdächtigungen, die in deinem Kopf herumspuken!

Gemeinsam gingen sie auf das große Portal zu.

Als sie die Stufen hinaufschritten, blickte Susanne noch einmal kurz zurück zum Turm.

Liebe und Schicksal im Adelshaus: 6 Romane Sammelband

Подняться наверх