Читать книгу Hanseschwestern - Historical Romance Sammelband 6020: 3 Romane - Alfred Bekker - Страница 22
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ОглавлениеGordula Schopenbrink nahm die Tatsache, dass Adele Brinkmann auf ihrer Festlichkeit aufgetaucht war, ohne von ihr eingeladen worden zu sein, nicht so einfach hin. Nicht nur, weil sie diesen Umstand dafür verantwortlich machte, dass ihr platonischer Freund Johann dadurch dermaßen in Schwierigkeiten geraten war, sondern wer hatte denn an ihrer Stelle überhaupt sich angemaßt, eine solche Einladung auszusprechen?
Sie brauchte nicht lange zu überlegen, um jemanden zu verdächtigen, der ihr ganz besonders nah stand: Niemand stand ihr innerhalb des Hansehauses Wetken nämlich näher als ihr Bruder Christian.
Wer beide kannte, wusste, dass sie in der Tat so etwas wie ein Herz und eine Seele waren. Obwohl sie als Mädchen geboren war, was sie von vornherein nicht nur innerhalb des eigenen Hauses benachteiligte. Doch dafür konnte Christian ja nichts. Das war den gesellschaftlichen Umständen im Jahre 1602 geschuldet.
Dafür konnte man eigentlich niemanden speziell verantwortlich machen. Und so war Christian zwangsläufig, allein nur, weil er als Junge geboren worden war, als der spätere Nachfolger von Hieronymus Schopenbrink gedacht. Noch nicht einmal deshalb, weil er der Älteste war, denn das war er definitiv nicht. Gordula war die Jüngste, und ihr Bruder Christian war nur zwei Jahre vor ihr geboren. Trotzdem war Hieronymus Schopenbrink der festen Überzeugung, dass niemand anderes als eben Christian für eine Nachfolge in Frage kommen konnte. Weil er in seinen Augen der cleverste war unter den Jungs.
Wie gesagt, Mädchen wurden in Hamburg in dieser Zeit schon gar nicht erst ins Kalkül gezogen. Wenn sie so etwas wie Macht und Einfluss erhalten wollten, mussten sie vielleicht so werden wie Margarethe Brinkmann. Gordulas Meinung nach die einzige Frau innerhalb der ganzen Hanse, die das überhaupt hatte schaffen können, wenngleich nur höchst inoffiziell.
Vielleicht gab es ja noch mehr Frauen innerhalb der Hanse, die ihre Männer als Marionetten benutzten? Sie taten dies jedoch dermaßen geschickt, dass Gordula eben nur von Margarethe Brinkmann wusste. Und vielleicht würde sie eines Tages ebenfalls eine dieser starken Frauen sein, die lediglich aus dem Hintergrund wirken konnten?
Allerdings hatte sie sich fest vorgenommen, niemals so zu werden wie Margarethe Brinkmann, für die sie einerseits durchaus eine gewisse Bewunderung verspürte, andererseits jedoch auch so etwas wie Abscheu, weil sie mit deren Methoden ganz und gar niemals hätte einverstanden sein können.
Gordula musste vorerst noch abwarten, bis sie Christian auf Adele ansprechen konnte. Diese Zeit nutzte sie reichlich, um zu überlegen, was denn Christian überhaupt getrieben hatte, eine Adele Brinkmann auf ihre kleine Festlichkeit einzuladen. Hatte er denn gar nicht bedacht, welches Risiko damit verbunden sein würde?
Denn wie es aussah, war Margarethe Brinkmann doch tatsächlich die einzige Erwachsene, die ihnen auf die Schliche gekommen war. Und das eben nur, weil deren Enkelin an der Festlichkeit hatte teilnehmen können.
Eindeutig war für Gordula jedenfalls, dass Margarethe die Ihrigen komplett überwachte. So auch ihre Enkelin. Nur so hatte es passieren können, dass alles ans Tageslicht gekommen war. Zumindest für Margarethe Brinkmann und Georg Wetken. Das machte die Angelegenheit natürlich auch zu einer ganz persönlichen Sache von Gordula und ihrem Bruder Christian.
Falls er wirklich derjenige war, der diesen Fehler begangen hatte, hieß das vorerst. Auf die Antwort war sie jedenfalls schon sehr gespannt.
Und dann bekam sie die Gelegenheit endlich, und Gordula fragte in ihrer berüchtigten unverfrorenen Art, jegliche Diplomatie vermeidend:
„Wie bist du bloß auf die idiotische Idee gekommen, eine Brinkmann zu unserem Fest einzuladen?“
Er erschrak sichtlich. Dann blinzelte er erst einmal verwirrt, und schließlich antwortete er verwundert:
„Wie kommst du überhaupt darauf? Jetzt, nach Wochen? Ich wunderte mich schon, dass du mich noch nicht darauf angesprochen hast.“
„Ach so, und da dachtest du, lass es mal sein, es überhaupt auch nur zu erwähnen? Wenn sie schon nicht selber darauf kommt, die gute Gordula. Und du hast natürlich keinen Schimmer, was du damit wirklich angerichtet hast, nicht wahr?“
„Angerichtet? Was meinst du damit?“
„Na, dann denke doch mal selber nach: Die Enkelin von Margarethe Brinkmann? Klingelt es da denn überhaupt nicht bei dir? Wie kannst du denn nur annehmen, dass dies wirklich verborgen bleiben würde?“
„Moment mal, ich verstehe immer noch nicht. Damit kommst du jetzt nach Wochen und Monaten? Was soll das eigentlich?“
„Ich wusste das vorher ja gar nicht, weil mir das irgendwie entging, das mit dieser Adele. Ich hatte ja genug zu tun mit anderen Dingen. Zum Beispiel, dass nichts aus dem Ruder läuft, damit wir eben nicht auffallen. Und was ist passiert? Natürlich sind wir aufgefallen, aber doch nur, weil du diese Adele Brinkmann eingeladen hast!“
„Nicht wahr!“, rief er erschrocken.
Gordula Schopenbrink betrachtete ihren Bruder. Sie wusste, dass er bei vielen Frauen recht gut ankam. Nicht nur weil er bei ihnen als eine gute Partie galt. Er war ein wenig untersetzt, genauso wie seine Schwester, hatte stets ein offenes Lachen für jeden parat und konnte äußerst charmant und zuvorkommend sein.
Und diese Fröhlichkeit, die er für gewöhnlich an den Tag legte, war keineswegs gespielt, wie Gordula wusste. Sie war echt. Dagegen wirkte Gordula auf die meisten Menschen, die mit ihr in Berührung kamen, eher mürrisch. Sicher deshalb, weil sie sich grundsätzlich nichts gefallen ließ, was für eine junge Dame aus besonders gutem Hause eben alles andere als üblich war.
Aber Hieronymus Schopenbrink ließ seine Tochter gern gewähren. Sie hatte zwar betreffend die Geschäfte des Hansehauses Schopenbrink nicht wirklich etwas zu melden, aber wenn sie ihrem Vater einen wohlgemeinten Rat gab, hörte er sich diesen durchaus an, weil er wusste, dass seine Tochter Gordula nicht unterschätzt werden durfte.
Obwohl sie eine Frau war, wohlgemerkt, was eben in einer Zeit der reinen Männerwirtschaft und Männerherrschaft hier in Hamburg halt nicht nur Gordula zutiefst bedauerte. Nicht weil sie nicht gern eine Frau war, aber sie hätte die Vorherrschaft des Männlichen gern radikal abgeschafft, möglichst sogar auf der Stelle.
Wenn sie das allerdings wagte, laut auszusprechen, lächelte Hiernonymus Schopenbrink nur nachsichtig. Er war nicht etwa entsetzt darüber wie wohl die meisten anderen einflussreichen Männer reagiert hätten, sondern hielt es wohl nur für eine der liebenswerten Schrullen seiner Tochter und konnte sich gar nicht vorstellen, dass ihr das völlig ernst sein konnte. Weil ein solches Ansinnen in seinen Augen sowieso und eindeutig aussichtslos erschien.
Und Gordula sah jetzt deutlich, dass Christian nicht erwartet hatte, mit der Einladung von Adele Brinkmann einen Fehler begangen zu haben.
„Und doch ist es wahr!“, betonte sie ernst. „Du hast das nur nicht bedacht, und ich frage mich unwillkürlich, wie das sein kann. Du bist doch sonst nicht so dumm.“
„Oh, vielen Dank für diese Blumen, aber ich habe Adele ja nicht aus schierer Dummheit eingeladen, sondern weil ich sie halt sehr schätze.“
„Ach was? Du schätzt Adele Brinkmann und dann auch noch sehr? Weiß die überhaupt davon?“
„Keine Ahnung, aber das ist mir eigentlich ziemlich egal. Wir sind uns ein paarmal zufällig begegnet.“
„Ach, rein zufällig – und dann auch noch ein paarmal?“, provozierte ihn Gordula.
„Und ich persönlich habe ja nichts gegen die Brinkmanns“, betonte Christian unbeirrt.
„Außer gegen ihre Großmutter Margareth“, erinnerte ihn Gordula.
„In der Tat!“, bestätigte Christian prompt. „Und ich habe mir wirklich nichts dabei gedacht.“
„Auch nicht, als sie sich auf dem Fest ausgerechnet mit Johann Wetken anfreundete.“
„Ach was, die haben zwar miteinander geredet, aber ich nehme an, dass er gar nicht wusste, wer sie war.“
„Wie bitte? Das nimmst du an? Und wie kommst du auf einen solchen Schwachsinn?“
„Er hätte doch ansonsten niemals das Gespräch mit ihr gesucht. Jeder weiß doch, dass die Brinkmanns und die Wetkens sich spinnefeind sind.“
„Natürlich weiß das jeder, auch Johann Wetken. Und trotzdem hat er sie angesprochen – und sie hat sich ansprechen lassen von ihm. Ausgerechnet! Dabei bin ich mir sogar ziemlich sicher, dass die beiden durchaus wussten, wer der jeweils andere war.“
„Das ergäbe doch überhaupt keinen Sinn!“, versuchte Christian zu widersprechen.
„Schon mal was von Liebe gehört?“, trumpfte seine Schwester auf.
„Äh, was?“
„Liebe, mein lieber Herr Bruder! Die beiden haben sich gesehen und unsterblich ineinander verliebt!“
„Das ist völlig unmöglich.“
„Typisch Mann, also ehrlich!“, schimpfte sie. „Und schon wieder muss ich daran appellieren, dass du innerhalb des Hauses Schopenbrink nun wirklich nicht als der Dümmste gehandelt wirst. Vielleicht hättest du einfach einmal deinen Verstand einschalten sollen, ehe du einen Denkfehler nach dem anderen der gravierendsten Art begehst?
Denkfehler Nummer eins war eindeutig die Einladung von Adele. So etwas ist doch nun wirklich kein harmloser Spaß, mein Lieber.“
„Zugegeben“, räumte er daraufhin ein wenig kleinlaut ein, „das war sicherlich keine Glanzleistung. Aber mal ehrlich: Wer konnte denn um Gottes Willen ahnen, dass sich ausgerechnet diese beiden ineinander verlieben? Einfach nur, indem sie sich auf unserem kleinen Fest begegnen?“
„Auf meinem Fest!“, betonte Gordula jetzt.
„Ja, du hast ja recht. Ich hätte es mit dir vorher absprechen müssen. Das wird mir jetzt erst bewusst.“
„Nur dadurch konnte dieser ganze Ärger erst entstehen. Wobei das Wort Ärger vielleicht doch zu harmlos ist, um zu beschreiben, was dies alles ins Rollen gebracht hat.“
„Ins Rollen? Was denn alles? Kannst du jetzt keine Feste mehr organisieren, weil Margarethe Brinkmann uns erwischt hat oder was?“
„Ach, du liebe Unschuld mein eigener Bruder!“, seufzte Gordula ergeben. „Du hast ja immer noch nicht begriffen, was du angerichtet hast. Sagte ich nicht schon, dass sich die beiden ineinander verliebt haben?“
„Ach so, du meinst doch nicht etwa, dass diese Margarethe Brinkmann...?“
„Genau davon ist die ganze Zeit schon die Rede: Es ist herausgekommen, wo die beiden sich kennengelernt haben, und noch viel schlimmer: Sie haben sich danach mehrfach heimlich getroffen, und jetzt hat Margarethe Brinkmann ihrer Enkelin wohl Hausarrest verordnet, wenn nicht noch Schlimmeres – die arme Seele. Und dann hat die Brinkmann auch noch Georg Wetken zukommen lassen, dass ausgerechnet sein Lieblingssohn mit einer echten Brinkmann sich trifft.“
„Meiner Treu!“ Christian zeigte sich dermaßen entsetzt, wie Gordula ihn noch niemals erlebt hatte.
Sie sah, dass er jetzt endlich voll und ganz die Situation nachfühlen konnte, in die Johann da hineingeraten war. Er wusste ja, dass seine Schwester und Johann sich gut verstanden, aber er hätte ja niemals auch nur vermutet, dass sich Johann indessen heimlich ausgerechnet mit Adele Brinkmann traf. Das musste für Johann ja einer totalen Katastrophe gleich kommen, dass jetzt sein Vater davon Wind bekommen hatte.
Gordula beschwichtigte mit beiden Händen.
„Nur Gemach, Johann ist ja nicht auf den Kopf gefallen und auch nicht auf den Mund. Die Liebe macht ihn zwar blind und taub, aber sorgt nicht für seine völlige Verblödung. Obwohl er ein Mann ist. Er hat sich natürlich entsprechend herausgeredet.“
„Aha – und wie?“
Gordula tippte sich selbst an die Brust.
Christian verstand. Seine Augen weiteten sich erneut.
„Er hat doch nicht etwa dich vorgeschoben?“
„Natürlich hat er das. Immerhin macht das für Johann die Sache nicht mehr ganz so schlimm.“
„Er hat tatsächlich behauptet, sich anstatt mit Adele immer mit dir getroffen zu haben? Und weil die böse Margarethe sowieso nicht so glaubwürdig erscheint, nimmt Georg Wetken dies seinem Sohn sogar ab? Aber was ist dann mit dir? Damit hat er dich doch mit in die Angelegenheit hinein gezogen.“
„Ja, das hat er, aber sind wir beide denn nicht sowieso längst mit von der Partie, ob wir nun wollen oder nicht? Außerdem sehe ich ihn als meinen besten Freund. Freunde lässt man nicht im Stich. Zumal dies alles niemals passiert wäre, hättest du Trottel von einem Bruder nicht...“
„...hätte ich nicht Adele Brinkmann eingeladen. Schon verstanden!“, unterbrach Christian sie ärgerlich. „Ganz so blöd bin ich nun doch nicht, wie es scheint! Und wirklich, tut mir unendlich leid, Schwesterherz Lästerschmerz, aber ich war insofern vielleicht tatsächlich so etwas wie ein Depp, als ich das tat.
Diese Adele... Sie ist nun halt so etwas wie – äh - herzallerliebst. Anders kann man es nicht sagen. Da kann ich Johann völlig verstehen. Ich weiß ja nicht, ob du sie überhaupt näher kennst...?“
„Nicht so wie du offenbar. Also ehrlich, da tun sich für mich ja wahre Abgründe auf!“
„Jetzt lass doch bitte die Kirche im Dorf, liebste Lästerschwester. Immerhin bist du ausgerechnet mit Johann Wetken befreundet. Wieso also soll ich meinerseits da nicht Adele Brinkmann für besonders nett und adrett halten? Ich verkehre zwar nicht mit ihr wie du mit Johann, jedoch...“
„Wir verkehren nicht miteinander!“, wies das Gordula entrüstet zurück.
„Wie auch immer...“ Christian machte eine wegwerfende Handbewegung. „Jetzt ist es nun einmal passiert, aber wie soll es weitergehen?“
„Vorerst mal gar nicht. Ich habe dich nur deshalb darauf angesprochen, weil Johann und ich uns wunderten, wer wohl Adele eingeladen hat.“
„Ihr habt euch beide gewundert? Dann habt ihr euch doch nicht etwa schon wieder getroffen, trotz alledem?“
„Nein, nicht trotz alledem, sondern gerade wegen alledem!“, berichtigte Gordula ihren Bruder. „Nur zur Erinnerung: Ich bin sein Alibi! Und wir werden uns deshalb in naher Zukunft sicherlich noch mehr als einmal wiedersehen müssen.“
Christian schüttelte fassungslos den Kopf.
„Und diese Adele?“
„Die muss wohl noch warten.“
„Warten worauf?“
„Das weiß ich selbst noch nicht, aber ich denke da nicht so ganz zufällig an meinen werten Herrn Lieblingsbruder und die Tatsache, dass er doch diese Adele immerhin gut genug kennt, um sie zu einem verbotenen Fest einzuladen, von dem möglichst niemand sonst erfahren sollte.“
„Äh, ja, ich habe auch das inzwischen weitgehend verstanden, obwohl ich noch immer nicht sehen kann, wie ich dir da helfen könnte.“
„Nicht mir, Bruderherz, sondern Johann und Adele!“
„Nicht dein Ernst! Warum sollte ich das?“
„Noch einmal in der Wiederholung: Weil du sowieso längst involviert bist. Und noch einmal muss ich dich erinnern: Der wahre Übeltäter bist immerhin du selber! Durch dich ist diese verfahrene Situation immerhin erst entstanden.“
„Verfahrene Situation? Immerhin habe ich einer großen Liebe verholfen, zu erblühen!“, versuchte er jetzt, den Spieß einfach umzudrehen.
„Also, Christian, wenn das jetzt lustig sein soll, finde ich deinen Humor wirklich ziemlich verfehlt!“
„Entschuldige, du hast recht. Das ist alles andere als lustig. Ich weiß zwar immer noch nicht, was ich tun könnte, wenn Adele von ihrer Oma Hausarrest bekommen hat, aber ich werde dich unterstützen. Auf jeden Fall. Du weißt ja, dass du meine Lieblingsschwester bist, auch wenn du mir meist gewaltig auf die Nerven gehst. Aber wisse trotzdem:
Ich mache das nicht umsonst.“
„Aha?“
„Nun, ich helfe nur dann, wenn du es schaffst, mir meinen Fehler zu verzeihen!“
Gordula musste herzhaft lachen.
„Ach was, Bruderherz, das habe ich doch längst. Oder glaubst du, ich könnte meinem Lieblingsbruder länger böse sein als die üblichen fünf Minuten?“
Jetzt lachten beide.
Und dann wurden sie sehr schnell wieder sehr ernst, weil sie wieder an die Situation denken mussten, in der sich jetzt Adele und Johann befinden mussten.