Читать книгу Hanseschwestern - Historical Romance Sammelband 6020: 3 Romane - Alfred Bekker - Страница 33
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Es war das Gebot der Stunde. Sie musste sich durchsetzen. War sie denn nicht die Tochter der mächtigsten Frau von Hamburg? Zwar war Margarethe Brinkmann nur höchst inoffiziell so mächtig, aber es gab in Wahrheit nur einen einzigen Menschen in dieser großen Stadt im Jahre des Herrn 1602, der noch mächtiger war als sie: Georg Wetken!
Es gab daher niemanden auf der ganzen Welt, den Margarethe Brinkmann mehr hasste als diesen.
Aber auch die Tochter von Margarethe, Adolphine Brinkmann, hatte ein berühmtes Durchsetzungsvermögen. Sie war jedoch ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter eine herzensgute Frau. Dabei das, was man eine dralle Schönheit nennen durfte, schön sogar im einfachsten Gewand.
Und es war in ihrer besonderen Stellung als heimliche Leiterin des Armenhauses von Hamburg sowieso opportun, nur einfache Gewänder zu tragen. Sie konnte ja schlecht unter den Ärmsten der Armen in Prunkgewändern verkehren.
Und sie musste sich eben immer wieder aufs Neue durchsetzen. Das vor allem! Nicht nur gegen alle Unbilden, die dem Armenhaus von außerhalb drohten, sondern auch gegen denjenigen, der als der eigentliche Leiter des Armenhauses galt. Denn das durfte höchst offiziell natürlich nur ein Mann sein in dieser Stadt zu dieser Zeit.
Winand Lemberg kam aus dem Hansehaus Lemberg, das schon länger dem Hansehaus Brinkmann gildenmäßig angeschlossen war. Nur so konnte es sein, dass Margarethe Brinkmann ihn überhaupt als offiziellen Leiter duldete.
So war ihre Mutter für Adolphine stets das einzige Druckmittel, das sie gegen Winand Lemberg immer wieder geltend machen konnte, um ihn in seine Schranken zu verweisen. Allerdings gab es da gewisse Grenzen, die sie dabei nicht überschreiten durfte. Eine dieser Grenzen war die gesetzliche. Und diesmal ritt Winand Lemberg genau darauf herum:
„Wir sind ein Armenhaus“, argumentierte er erneut, „und kein Obdach für kriminelle Elemente!“
Aus dem Munde des stolzen Winand Lemberg, an dem ein Aristokrat verloren gegangen zu sein schien, weil er sich gern so gab, klang das vernichtend. Seine sonore Stimme, die für gewöhnlich das Herz der mittelalten Tochter der Gildenfrau Margarethe Brinkmann höher schlagen ließ, hatte für sie in diesen Augenblicken ganz und gar nichts Erwärmendes.
„Sie ist keine Kriminelle!“, hielt sie leidenschaftlich dagegen. „Sie ist nur eine geschundene, gequälte Frau, die bei uns Schutz sucht – für sich und ihren armen kleinen Jungen.“
„Immerhin Schutz vor ihrem Ehegemahl! Und es ist das Gesetz, dass nur der Ehegemahl bestimmen darf, wo sich seine Gattin aufzuhalten hat. Wenn sie ihn gegen seinen Willen einfach so verlässt, handelt sie nun einmal höchst gesetzeswidrig!“, beharrte Winand Lemberg, was in den Ohren Adolphines recht unerbittlich klang.
In der Regel setzte sie sich ja durch gegen diesen Mann, den sie mehr liebte als ihr eigentlich selber recht war. Dabei zweifelte sie seit Jahren, ob umgekehrt seine Liebe zu ihr wirklich so groß war wie er immer wieder behauptete. Tatsache jedenfalls war, dass sie bis heute nicht verheiratet waren, was in zweifacher Hinsicht für sie eigentlich böse war: Eine unverheiratete Frau ihres Alters war gesellschaftlich gesehen eigentlich gar nichts wert. Wenn sie keinen Ehegatten vorzuweisen hatte, galt dies sogar als nichtswürdig.
Und dann hatte sie auch noch ein Verhältnis ausgerechnet mit dem Mann, in dessen Diensten sie stand, offiziell gesehen als seine ausführende Kraft in der Führung des Armenhauses von Hamburg?
Wobei die Frage blieb, wer hier wirklich die Führung übernommen hatte. Eigentlich ganz klar ja sie, Adolphine Brinkmann. Etwas anderes hätte ihre Mutter niemals zugelassen. Und Winand Lemberg war hier nur die Gallionsfigur, weil es leider ohne Mann nicht möglich war, das Armenhaus zu führen, zumal als unverheiratete Frau mittleren Alters!
Ihr Verhältnis war selbstverständlich genauso inoffiziell wie ihre eigentliche Führung. Darüber war außer ihr nur einer umfassend unterrichtet, eben Winand Lemberg selbst. Was in der Regel nicht wirklich ein großes Problem darstellte, weil sich Adolphine eben gut durchzusetzen vermochte. Wenn es jedoch um die Einhaltung von Gesetz und Ordnung ging, konnte sie sich natürlich nicht so ohne weiteres darüber hinwegsetzen.
Dabei hatte sie gar nicht anders handeln können, als diese Johanna Holbein mit ihrem kleinen Sohn Adolph hier aufzunehmen. Nicht nur, weil sie so erschrocken gewesen war über das verquollene Gesicht der jungen, zierlichen Mutter, was eindeutig von brutalen Schlägen herrührte.
Johanna hatte ihren Gatten Hans Holbein dafür verantwortlich gemacht und gehofft, hier im Armenhaus von Hamburg Schutz und Geborgenheit zu finden, weil die Gewalttätigkeiten ihres Ehegatten sich nicht nur gegen sie, sondern am Ende vielleicht auch noch gegen den kleinen Jungen richteten.
„Und außerdem“, trumpfte jetzt Winand Lemberg großspurig auf, „sind wir ein Armenhaus und kein Waisenhaus. Wir nehmen keine Kinder auf.“
„Doch!“, widersprach Adolphine jetzt, wobei sie alle Mühe hatte, ihren in der Enttäuschung geborenen Zorn zu zügeln: „Wenn dieses Kind in Begleitung ihrer besorgten Mutter ist, dann ja!“
Winand Lemberg schüttelte entschieden den Kopf.
„Wenn die Stadtwache hier erscheint, gemeinsam mit ihrem Ehegatten Hans Holbein, müssen wir sie an ihn ausliefern, mitsamt ihrem kleinen Sohn. Uns bleibt keine andere Wahl. Das musst du endlich einsehen, Adolphine. So können wir uns zumindest noch damit herausreden, dass wir nur vorübergehend auf sie aufgepasst haben, bis ihr Mann sie abholen kommt.“
„Er wird sie womöglich noch zu Tode prügeln – und ihren armen, kleinen, unschuldigen Jungen gleich mit! Willst du das wirklich verantworten?“
„Ich habe hier gar nichts zu verantworten – und du auch nicht. So lautet nun einmal das Gesetz. Sie hat vor dem Traualtar ewige Treue geschworen und untertänig zu sein ihrem angetrauten Ehemann, bis dass der Tod sie scheide.“
„Und deshalb darf er sie zu Tode prügeln?“
„Das wird schon nicht passieren!“, meinte er leichthin und unterstrich das auch noch mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Dann würde er bestraft werden wegen Totschlags.“
„Aber es wäre Mord! Wir beide wissen doch, dass ihr Leben in Gefahr ist und das ihres Sohnes!“
„Ich weiß gar nichts, außer dass du verbotenerweise einer Flüchtige mitsamt ihres Balges Unterschlupf gewährt hast. Damit hast du eindeutig gegen geltendes Recht verstoßen. Und du weißt, wie sehr wir auf das Wohlwollen der Stadtwache angewiesen sind, damit sie uns das Haus nicht schließen.“
Damit wandte er sich einfach ab und ging hinaus.
Bebend vor Zorn sah Adolphine Brinkmann ihm hinterher.
Seit wann bestand Winand darauf, dass die Frau bis in den Tod hinein ihrem Manne untertan zu sein hatte? Ihr gegenüber war er noch nie so gewesen. Ganz klar. Oder lag das nur daran, dass er Respekt hatte vor ihrer Mutter?
Denn jeder Eingeweihte wusste, dass es besser war, sich mit Margarethe Brinkmann nicht anzulegen. Das sorgte immer nur für schmerzliche Niederlagen von einem selbst.
Es gab nur eine einzige Person in ganz Hamburg, die in der Lage war, sich ihr wirksam genug zu widersetzen, bis dato jedenfalls, und das war eben Georg Wetken, der Anführer der Wetken-Gilde, in der die größten Hansehäuser zusammengeschlossen waren – natürlich neben den großen Hansehäusern unter der Führung des Hansehauses Brinkmann in der gleichnamigen Gilde.
Und wie sollte sie sich jetzt verhalten? Sollte sie etwa ihre Mutter um Hilfe bitten, damit sie ihr beistand gegen Winand Lemberg?
Aber sie ahnte schon, wie ihre Mutter diesmal reagieren würde. Eher mit Abscheu ob ihres Versagens beim Durchsetzen ihrer Ziele als mit so etwas wie Empathie für die geschundene Johanna Holbein und ihres Kindes. Anderer Leute Schicksal war ihr völlig gleichgültig, sofern dieses in ihren Plänen keine Rolle spielte. Und dass sie dermaßen das Armenhaus von Hamburg unterstützte, indem sie hier sogar ihre leibliche Tochter als heimliche Führung eingesetzt hatte, war auch keineswegs aus purer Nächstenliebe geschehen, sondern aus höchst eigennützigen Gründen, die nur sie selbst ganz genau kannte.
Wenn ihre Tochter allein nur die Gründe bedachte, die ihr in diesem Zusammenhang selber einfielen, dämmerte ihr schon, dass es sinnlos gewesen wäre, unter solchen Umständen tatsächlich auch noch ihre Mutter einzuschalten.
Und was blieb ihr sonst noch zu tun?
Sie musste erst einmal abwarten. Ein wenig Zeit blieb ihr ja noch, denn Winand Lemberg hatte ja nicht angekündigt, dass er die Frau mitsamt ihres Kindes einfach so vor die Tür setzte, sondern immerhin angedeutet, dass er abwarten wollte, bis dieser Hans Holbein mit der Stadtwache hier auftauchte.
Adolphine Brinkmann beschloss, vorerst noch nichts zu unternehmen, auch nicht Johanna Holbein davon in Kenntnis zu setzen. Es würde die junge Frau nur unnötig quälen, fand sie.
Die Hoffnung blieb, dass ihr doch noch etwas Brauchbares zur Lösung dieses Problems einfallen würde. Sie musste sich nur erst noch wieder beruhigen, um überhaupt in die Lage zu kommen, endlich wieder einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Sie ließ sich doch sonst nicht so leicht unterkriegen. Gesetz hin oder her: Da musste es doch noch etwas geben, was sie tun konnte.
Aber was?