Читать книгу Hanseschwestern - Historical Romance Sammelband 6020: 3 Romane - Alfred Bekker - Страница 34

Оглавление

2


Was Winand Lemberg seiner Gehilfin Adolphine, die in Wahrheit ja eher seine Vorgesetzte war, wenn man es genau nahm, und weswegen er sich in seiner Männlichkeit nicht selten sehr gekränkt fühlte, nicht erzählt hatte: Er war durchaus gewillt, diese Johanna Holbein mitsamt ihrem Kind vor die Tür zu setzen. Und sei es auch nur, um ein für allemal ein Exempel für diese gekränkte Männlichkeit zu statuieren.

Dann wären sie außerdem fein heraus, wenn dieser Hans Holbein mit der Stadtwache hier auftauchte. Er konnte dann immerhin behaupten, sie abgewiesen zu haben.

Sollte diese Johanna doch selber sehen, wie sie klar kam. Das war ja wohl nicht sein Problem und auch nicht das des Armenhauses. Hier wurden zwar die Ärmsten der Armen aufgenommen, aber das war immer Regeln unterworfen, die einzuhalten er sich wohlweislich vorbehielt.

Ohne Kompromisse. Egal, wie sehr Adolphine vielleicht noch mit ihrer Mutter drohen sollte.

Wobei in diesem speziellen Fall überhaupt keine solche Drohung erfolgt war, was Winand Lemberg dergestalt deutete, dass Margarethe Brinkmann sogar ihrer eigenen Tochter dabei nicht recht geben würde. Sie hatte zwar einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Stadtwache, wie sich Winand Lemberg denken konnte, aber Schicksale wie das dieser jungen Ehefrau und Mutter waren ihr sicherlich völlig egal.

Winand Lemberg hatte sich jedenfalls selber genau in die richtige Stimmung gebracht, um möglichst kompromisslos und im Grunde genommen auch völlig herzlos auftreten zu können, als er den ziemlich überfüllten Raum betrat, in dem Johanna Holbein und ihr kleiner Adolph vorläufig untergebracht worden waren. Sie hatten noch nicht einmal ein eigens Bett zur Verfügung gestellt bekommen. Weil keines mehr frei war. Aber sie hatten sich genügsam gezeigt und sich einen provisorischen, um nicht zu sagen primitiven Lagerplatz auf dem kalten Steinboden bereitet.

Winand Lemberg, den das Elend im Armenhaus, das er doch offiziell leitete, wie gewöhnlich anekelte, weswegen er es möglichst vermied, sein eigenes Armenhaus zu begehen, versuchte, den Würgereiz zu unterdrücken, den der hier herrschende Gestank in seiner Kehle erzeugte.

Und da hatte er diese Johanna auch schon entdeckt. Obwohl er sie persönlich zum ersten Mal sah. Aber sie war unverkennbar mit ihrem von brutalen Schlägen angeschwollenen Gesicht. Sie konnte kaum aus den zugeschwollenen Augen sehen, und man vermochte nur zu ahnen, dass dieses Gesicht normalerweise wunderschön anzusehen war.

Sie umklammerte ihren ängstlich zitternden kleinen Jungen, der als erster Winand Lemberg entdeckte, diesen Mann, der hier dermaßen deplatziert wirkte wie ein aufgeblasener Pfau inmitten einer Kirche.

Jetzt sah die junge Frau ebenfalls an diesem Mann empor, der vor ihr allzu mächtig aufragte, um nicht zu sagen bedrohlich. Sie schien schon zu ahnen, dass dieser Mann nichts Gutes von ihr wollte. Das ließ sie sogar in eine Art resignierende Starre verfallen, die sie dermaßen kraftlos machte, dass ihre Arme, die sie schützend um ihren kleinen Jungen geschlungen hatte, schlaff herunterfielen.

Ja, gleich der Inkarnation des Bösen mochte ihr Winand Lemberg in diesem Augenblick erscheinen, als er noch näher trat, um allzu dicht vor diesem Häuflein Elend schließlich stehenzubleiben, zu dem Johanna Holbein mit ihrem kleinen Sohn geworden war.

Er begegnet diesem flehentlichen Blick und bemerkte gleichzeitig, dass er nun selbst erstarrte. Es war gar nicht zu begreifen: Dieser Blick ging irgendwie tief in ihn hinein und schaffte es dort, sein steinernes Herz zu berühren. In einem Maße gar, wie er es noch vor Sekunden für völlig unmöglich gehalten hätte.

Er sah zu diesem Häuflein Elend hinab, und seine Stimme versagte ihm den Dienst. Er hatte sie streng auffordern wollen, sofort das Armenhaus zu verlassen. Er hatte ihr dabei drohen wollen, Gewalt anwenden zu lassen, falls sie sich ihm zu widersetzen versuchte. Er hatte völlig kompromisslos, ja, gnadenlos auftreten wollen, wie es seiner Meinung nach dem Leiter des Armenhauses eben gebührte, um jegliches Betteln um Nachsicht der Betroffenen von vornherein zu unterbinden.

Doch jetzt stand er da, gebeugt wie ein alter Mann, und viel zu schwach, dergestalt durchgreifen zu können. Ja, er verspürte sogar den Drang, dieser jungen, sichtbar geschundenen Frau die gütige Hand zu reichen, um ihr eine bessere Unterkunft zuzuweisen – ihr und ihrem armen Kind. In diesem Raum, wo das Elend so offensichtlich war, wo es den Menschen, die man hier gemeinsam eingepfercht hatte, nur noch um das nackte Überleben ging und um sonst gar nichts mehr, sollte sie nicht länger mehr verweilen müssen.

Er erwischte sich selbst sogar dabei, dass er Adolphine Brinkmann deswegen haderte, weil sie Johanna und ihren kleinen Adolph nicht gleich schon besser untergebracht hatte. Wohl wissend, dass es in diesem hoffnungslos überfüllten Armenhaus, das er gar nicht wirklich leitete, weil er dafür überhaupt nicht willens, geschweige denn in der Lage gewesen wäre, nichts Besseres als dies hier geben konnte.

In der Tat fiel ihm dazu nur ein Ort ein, der passender gewesen wäre. Nicht nur zur Unterbringung der geschundenen jungen Mutter und ihres Sohnes, sondern auch dafür, ihre Wunden zu pflegen, was offensichtlich dringend erforderlich gewesen wäre. Ein Gedanke, den er in diesem Augenblick allerdings noch tief verborgen hielt, weil er ihn regelrecht erschreckte...

Klar, die Wunden pflegen lassen, das hätte Adolphine tatsächlich längst schon in Angriff nehmen müssen, wenn sie sich nicht zuerst noch mit ihm, Winand Lemberg, hätte auseinandersetzen müssen betreffend überhaupt des Verbleibes der flüchtigen Ehefrau und Mutter.

Und dann beugte sich Winand Lemberg tatsächlich nach vorn und reichte der Armen die Hand, und er hörte sich selber zu, wie gar wundersame Worte über seine bebenden Lippen sich drängten, Worte, die nicht nur er vordem als völlig undenkbar erachtet hätte, weil sie total dem entgegen gesetzt waren als alles, was er gegenüber Adolphine an Standpunkt vertreten hatte:

„Komme sie, Johanna, ich bringe sie und ihr Kind an einen besseren Ort!“

Zumal ein Versprechen, von dem er gar nicht wusste zu diesem Zeitpunkt, wie er es denn überhaupt in die Tat umsetzen sollte. Weil sich alles in ihm dagegen sträubte, diesen Gedanken, der längst begonnen hatte, ihn zu beherrschen, auch in die Tat umzusetzen.

Ja, was sollte dieses Versprechen, denn wo konkret konnte – ja: durfte! - er denn diese junge Frau unterbringen mit ihrem Sohn?

Vorerst einfach nur weg von hier. Soviel gestand er sich zumindest bereits ein.

Johanna zögerte indessen. Sie betrachtete ungläubig die dargebotene Hand und wagte es nicht, danach zu greifen.

Erst nach einer kleinen Weile, als Winand Lemberg seine Hand immer noch nicht zurückzog, fasste sie ein wenig mehr Mut und griff zaghaft danach.

Jetzt war sie endlich auch wieder in der Lage, ihren kleinen Adolph ganz fest an sich zu drücken.

Doch dieser zitterte jetzt nicht mehr vor Angst, sondern starrte nur noch den großgewachsenen Mann vor ihnen mit ungläubig geweiteten Augen an.

Winand Lemberg half der jungen Frau, aufzustehen, und zog sie einfach mit sich hinaus.

Erst draußen, vor der Tür, wurde ihm so richtig bewusst, was er da getan hatte - und was zu tun er noch im Begriff sein würde, was im Grunde genommen noch wesentlich schwerwiegender erschien...

Wie war das überhaupt möglich? Ausgerechnet er, Winand Lemberg, der in seinem bisherigen Leben immer noch zuallererst an sich selbst gedacht hatte? Obwohl er als Leiter des Armenhauses eingesetzt worden war. Was er ja nur deshalb angenommen hatte, weil er darin eine Chance gesehen hatte, sich im eigenen Hansehaus einen besseren Namen zu machen.

Was passierte da gerade mit ihm?

Eine Frage, die er sich selbst nicht beantworten konnte, doch auch eine Frage, die sofort wieder verpuffte, sobald er der jungen, geschundenen Frau in die Augen blickte.

Da war auf jeden Fall etwas, was ihn zutiefst berührte. Nein, so etwas hatte er noch niemals zuvor erlebt. Er wusste nicht, wieso dabei sein Herz wie verrückt zu schlagen begann. Diese junge Frau, zierlich, um nicht zu sagen zerbrechlich wirkend...

Diese Verletzungen in ihrem wohl normalerweise überaus hübschen Antlitz...

Sicherlich hatte sie auch noch Verletzungen am ganzen Körper, was man wegen der einfachen Kleidung, hochgeschlossen bis zum Hals, nicht sehen konnte. Es musste ganz dringend ein Heilkundiger herbei zitiert werden, um sich der Armen anzunehmen, bevor sich diese Wunden entzündeten oder gar vereiterten. Es musste einfach alles für sie getan werden – und natürlich auch für ihren armen Jungen.

Und noch etwas kam in ihm auf: Ein weiteres bislang unbekanntes Gefühl, das diesem Gefühl, wie er es für die eigentlich ihm völlig unbekannten jungen Frau empfand, total entgegen sprach: Nämlich echter Hass auf deren Ehegemahl Hans Holbein, der solches seiner eigenen Frau angetan hatte. Was war das denn für ein Unmensch? Schändlicher konnte sich doch wohl ein Mann gar nicht verhalten.

Adolphine Brinkmann wäre wohl aus allen Wolken gefallen, hätte sie diese mehr als wundersame Wandlung des Winand Lemberg vom rigorosen und gnadenlosen Prinzipienreiter zum beinahe schon übertrieben warmherzigen Samariter mitbekommen, und während sie sich noch den Kopf zerbrach darüber, wie sie Johanna und ihrem Kind helfen konnte, entgegen dem vordem erklärten Willen von Winand Lemberg, zog dieser doch tatsächlich Johanna Holbein und ihr Kind einfach so mit sich mit.

Er konnte sich selbst gegenüber noch immer nicht eingestehen, wo er die beiden so lange unterbringen wollte wie es nötig erschien, und begann jetzt tatsächlich auch noch, sich einzureden, es sei auf jeden Fall ja nur vorübergehend:

Zunächst einmal würde er sie galt in seine eigenen Gemächer bringen müssen, höchst persönlich. Auch auf die Gefahr hin, dass dies gründlich missverstanden werden könnte von jedem, der dieses Vorgangs ansichtig wurde.

Der Gedanke war eindeutig: Alles nur vorübergehend! Eine Notlösung gewissermaßen!

Obwohl er genau hätte wissen müssen, dass dies nie und nimmer klappen konnte, das mit der vorübergehenden Lösung, weil er es niemals über das Herz bringen würde, die beiden nach der dringend nötigen Erstversorgung wieder weg zu schicken.

Dennoch blieb er in der Ausführung seiner Rettungsaktion unbeirrbar.

Hanseschwestern - Historical Romance Sammelband 6020: 3 Romane

Подняться наверх