Читать книгу Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 12

3. Kapitel: Zwei Frauen in Weiß

Оглавление

Am nächsten Morgen fuhr Berringer zu Geraths Villa im Krefelder Stadtteil Bockum, fünf Minuten von der Galopprennbahn entfernt. Das Gebäude war weiträumig von einer hohen Mauer mit einem aufgesetzten gusseisernen Gestänge umgeben. Für jemanden, der in einem ganz gewöhnlichen Reihenhaus oder Bungalow aufgewachsen war, wirkte die Gerath’sche Villa wie ein Palast. Aber im Verhältnis zu anderen Residenzen in der näheren Umgebung war sie allenfalls Mittelmaß.

Personenschützer in den Uniformen eines privaten Sicherheitsdienstes patrouillierten auf dem kurz geschorenen Rasen.

Berringer hatte sich zuvor telefonisch angemeldet, und so brauchte er vor dem Passieren des gusseisernen Eingangsstores den Wagen nicht zu verlassen und die Sprechanlage zu bedienen. Ein Kameraauge erfasste ihn und seinen Wagen, das Tor öffnete sich mit einen leisen Surren, und Berringer konnte bis zum Haus fahren.

Einer der Wachhunde kläffte.

„Der tut nix!“, meinte der Wachmann.

„Und warum trägt er dann einen Maulkorb?“, fragte Berringer zurück.

„Ist Vorschrift - wegen der Rasse.“

Wer’s glaubt wird selig, dachte Berringer. Und wahrscheinlich trotzdem gebissen!

Der Kollege des Wachmanns kam auf Berringer zu. „Sie sind Berringer?“

„Nein“, antwortete Berringer. „Ich bin Herr Berringer. Berringer nennen mich nur Freunde und Ganoven.“

Der Mann ging nicht darauf ein. „Kommen Sie bitte mit.“ Berringer folgte ihm die Stufen zum Hauseingang hoch und trat in eine weiträumige Empfangshalle. Das Mobiliar war überraschend schlicht. An einer Wand hing ein Ölgemälde, das das Firmengelände von Avlar Tex zeigte. Kein Kunstwerk, eher Kunsthandwerk, fand Berringer. Aber ein Zeichen dafür, welchen Stellenwert die Firma in Peter Geraths Leben einnahm. Sie war sein Lebenswerk.

Eine Freitreppe führte ins Obergeschoss.

Berringer hörte Stimmen. Eine weibliche und eine männliche. Es schien nicht gerade friedlich zuzugehen im Hause Gerath, aber Berringer konnte unmöglich verstehen, worum es ging.

Dann wurde eine Tür zugeschlagen, woraufhin die Stimmen überhaupt nicht mehr zu hören waren.

„Setzen Sie sich“, sagte der Sicherheitsmann und deutete auf eine Sitzecke.

Er öffnete die Fell besetzte Jacke mit der Aufschrift SAFE & SECURE.

„Ist das die Firma, für die Sie arbeiten?“, fragte Berringer und deutete auf die Aufschrift, die in Miniaturform auch auf den Schultern zu finden war.

„Ja.“

„Wie heißen Sie?“

„Sven Giselher.“

„Sie haben nicht zufällig früher bei Delos gearbeitet?“

„Doch, hab ich. Woher wissen Sie das?“

„War nur geraten.“

„Zweitausend Mann haben die entlassen - und der Rest kommt auch noch dran. Das ist vielleicht eine Schei... ein Mist.“

„Wem sagen Sie das.“

„Und das Schlimmste ist, dass die ganze Branche darunter zu leiden hat. Viele Geschäftsleute bringen jetzt ihre Einnahmen lieber selber zur Bank, als eine Firma wie Delos damit zu beauftragen.“

„Aber Sie haben Glück gehabt und sind wieder untergekommen.“

„Ja, ich bin froh über den Job.“

Berringer setzte sich, schlug die Beine übereinander und wartete.

„Herr Gerath wird Sie gleich empfangen“, wurde ihm gesagt. „Warten Sie bitte.“

„Was ist mit Frau Gerath?“, fragte Berringer. „Ich hätte sie auch gern gesprochen.“

„Die ist momentan nicht da. Und ich kann Ihnen auch nicht sagen, wann sie zurückkehrt.“

„Sorgt sich Herr Gerath denn gar nicht, dass auch ein Anschlag auf seine Frau verübt werden könnte?“, fragte Berringer.

„Doch, das schon, aber Frau Gerath hat ihren eigenen Kopf. Wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Berringer schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich.“

„Sie lässt sich keine Vorschriften machen, das meine ich. Von ihrem Mann nicht und von uns schon gar nicht. Aber mehr sage ich besser nicht.“ In diesem Augenblick wurde oben wieder eine Tür geschlagen, und eine ziemlich aggressiv klingende weibliche Stimme war zu hören.

Dann folgten schnelle Schritte.

Eine junge Frau mit schulterlangem blondem Haar lief mit finsterem, dunkelrot verfärbtem Gesicht die Treppe herab. Sie war vollkommen in Weiß gekleidet: Ein weißes leinenartiges Gewand hing ihr bis über die Hüften, und dazu trug sie eine schneeweiße Jeans. Auf der Brust hüpfte ein hölzernes Amulett, in das ein paar verschlungene Zeichen eingebrannt waren.

Berringer stand auf. „Warten Sie!“

Sie griff zu ihrer schneeweißen Steppjacke, die an der Garderobe hing, und achtete nicht weiter auf Berringer.

Dieser machte ein paar schnelle Schritte und stellte sich zielsicher zwischen die junge Frau und die Tür. Der Sicherheitsmann machte drei Schritte, war sich aber nicht sicher, ob er eingreifen sollte, und blieb unschlüssig stehen.

„Ich muss mit Ihnen reden!“, sagte Berringer zu der Lady in Weiß.

„Sie müssen mich mit jemandem verwechseln.“

„Das halte ich für ausgeschlossen.“

„Was immer Ihnen mein Vater aufgetragen hat, sagen Sie ihm, er soll sich sein Geld sonst wohin stecken. Er kann mich mal.“

„Wie kommen Sie darauf, dass Ihr Vater mich angeheuert hat?“

„Mein Vater bezahlt doch jeden Idioten, der sich auf seinem Grundstück aufhält.“ Sie warf Sven Giselher einen finsteren Blick zu. Der Mann, der noch immer zögernd und unschlüssig in der Empfangshalle stand, wandte das Gesicht ab.

Sie ging weiter in Richtung Tür und zog dabei ihre Jacke über. Ziemlich heftig riss sie die Tür auf und trat ins Freie. Sie ging schnurstracks auf das gusseiserne Tor zu.

Offenbar hatte sie ihren Wagen nicht auf das Grundstück gefahren, sondern irgendwo in der Nähe abgestellt. Zumindest nahm Berringer das an.

Oder sie wird abgeholt, überlegte er. Nach ein paar Schritten hatte er sie eingeholt.

„So warten Sie doch! So kann sich doch kein Mensch mit Ihnen unterhalten.“

„Wer sagt, dass ich mich unterhalten will!“

„Ich bin Privatdetektiv und versuche herauszufinden, wer Ihren Vater umbringen will.“

„Schade, dass der Stümper so schlecht gezielt und nur dieses behäbige Island-Pferd getroffen hat!“

Sie ging immer schneller. Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt, und Berringer hatte den Eindruck, dass ihre Gesichtsfarbe doch ein wenig dunkler geworden war.

Sauer gewordener Rotwein, dachte er, war sich aber als Antialkoholiker nicht recht sicher, ob es so etwas überhaupt gab. Egal, sauer stimmte auf jeden Fall.

„Sie waren auf dem Rahmeier-Hof und haben sich nach Ihrem Vater erkundigt“, sagte er. „Und Sie wissen offenbar über die Pferde Ihres Vaters bestens Bescheid.“

„Na und?“

„Das sind beides Merkmale, die auch auf den Täter zutreffen, der sich als Pferde-Serienmörder betätigt hat.“

„Ach!“

„Oder auf die Täterin!“

Abrupt blieb sie stehen. Ungefähr zwanzig Meter waren es noch bis zum gusseisernen Tor. Die beiden Wachmänner dort waren so unschlüssig wie Sven Giselher in der Empfangshalle, wie sie reagieren sollten. Nur der Hund gehorchte einfach seinem Instinkt. Er spürte selbst auf die Entfernung die aggressive Stimmung, die in der Luft hing. Also riss er an der Leine und kläffte, so gut das mit Maulkorb ging. Seiner hundeeigenen Logik nach wies er damit ein sich unbotmäßig verhaltendes, seine Rangstufe missachtendes Rudelmitglied zurecht.

„Sie denken, ich habe auf meinen Vater geschossen, ja?“

„Ich konfrontiere Sie nur mit den Fakten, mit denen Sie auch die Polizei konfrontieren wird“, gab Berringer sachlich zurück. „Und die wird Ihnen auch dieselben Fragen stellen, die ich Ihnen stelle.“

„Die Bullen können mich mal!“

„Die auch?“ Berringer schmunzelte. „Sieh mal einer an.“

„Hören Sie ...“

Doch Berringer ließ sie nicht zu Wort kommen. „Was ist denn passiert, dass Sie hier wie eine Furie herumlaufen? Scheinen ja richtig tiefgehende familiäre Differenzen zu sein, die da vorliegen – und auch das wird die Polizei interessieren.“ Sie stemmte die Fäuste in die geschwungenen Hüften. „Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?“

„Die Tochter von Herrn Gerath, wenn ich Sie richtig verstanden habe“, sagte Berringer lapidar.

„Ich bin Maja Gerath!“

Zumindest hatte sie nicht gesagt: Ich bin die Gerath. Die Gerath war wahrscheinlich die Frau des Gerath, dachte Berringer amüsiert.

Sie fuhr fort: „Und wenn Sie noch einmal behaupten, dass ...“ Berringer fuhr ihr in die Parade. „Drohen Sie mir jetzt nicht mit Anwälten, die Ihr Vater bezahlen müsste. Das wäre doch irgendwie unredlich, finden Sie nicht auch?“

„Wa... was?“, stammelte sie. Sie musste erst mal ihre Gedanken ordnen, so schien es.

Und vor allem ihre Emotionen.

„Na ja“, sagte Berringer, „Ihr Vater bezahlt mich, damit ich Fragen stelle, und dann soll er Ihre Anwälte bezahlen, damit ich den Mund halte.“ Er zuckte mit den Schultern. „Da wäre Ihr Daddy ganz schön gekniffen, oder?“ Sie brauchte einen Moment, um diese Unverschämtheit zu verdauen. Dann öffnete sie die Steppjacke und deutete auf das hölzerne Amulett. „Wissen Sie, was das ist?“

„Das Ergebnis eines Volkshochschulkurses in Brandmalerei“, behauptete Berringer.

„Sie haben sicherlich eine kreative Ader.“

„Sie sind ein dummer Mensch, Herr ...“

„Berringer.“

„Dies ist das allsehende Auge mit den Zeichen des Göttlichen Prinzips und des Prinzips der Erde.“

„Um ehrlich zu sein weiß ich nicht, was das damit zu tun hat, wer auf Ihren Vater geschossen hat. Derjenige folgte nämlich wohl eher dem Prinzip des Todes, und der Blick seines allsehendes Auge wurde durch ein Fadenkreuz fokussiert.“ Sie tickte mit dem Fingernagel des rechten Zeigefingers gegen das Amulett. „Das sind Symbole des Friedens und der Spiritualität. Ich würde niemals Gewalt anwenden.“

„Ich weiß nicht, ob spirituelle Reinheit der Polizei als Beweis für Ihre Unschuld reicht.“

Sie verzog das Gesicht. „Das lassen Sie mal meine Sorge ein.“

„Hören wir auf mit dem Kinderkram“, entgegnete Berringer völlig unbeeindruckt.

„Haben Sie ein Alibi für den Sonntagmorgen, an dem zum ersten Mal auf Ihren Vater geschossen wurde?“

„Ich habe geschlafen.“

„Wahrscheinlich allein und ohne Zeugen.“

„Hören Sie, um die Zeit, wenn mein Vater auszureiten pflegt, schlummere ich tief und fest.“

„Die Polizei wird sicher begeistert sein von diesem Alibi.“ Sie war äußerst gereizt. Ein wandelnder Sprengsatz. Und Berringer ertappte sich dabei, dass es ihm Spaß machte, mit dem Feuerzeug an ihrer Zündschnur rumzuspielen.

„Was wollen Sie verdammt noch mal von mir?“, fauchte sie.

„Ich möchte, dass Sie mir sagen, weshalb Sie angenommen haben, Ihren Vater auf dem Rahmeier-Hof anzutreffen und was der Grund Ihres derzeitigen Streits ist?“

„Was Ihre erste Frage angeht: Sie können mich mal!“ Berringer grinste. „Das hatten wir doch schon.“

„Und die zweite ...“

„Ich hoffe, Sie variieren Ihre Antworten etwas.“

„Fragen Sie einfach meinen Vater!“

Mit energischen Schritten ging sie weiter Richtung Tor. Als sie dort ankam, trat sie dagegen, dass es scheppert. Dann drehte sie sich um und keifte die Wachmänner an.

„Na, worauf warten Sie denn? Ich will hier raus! Oder wollen Sie eine Anzeige wegen Freiheitsberaubung!“

Was für einer Religion oder esoterischen Lehre sie auch immer anhängen mochte, zu einem sanftmütigen Menschen hatte sie dieser Glaube auf jeden Fall nicht gemacht.

Die beiden Wachleute wechselten zunächst einen Blick. Dann nahm einer der beiden über Funk Kontakt mit jemandem auf, von dem Berringer vermutete, dass es sich um den Gerath persönlich handelte.

Um wen auch sonst?, dachte er.

„Ihr könnt wohl keine einzige Entscheidung allein treffen, Jungs!“, tönte Maja Gerath. „Wahrscheinlich muss euch mein Vater auch Bescheid sagen, wann ihr zur Toilette gehen solltet!“ Ihr heiseres Lachen wirkte nicht wirklich belustigt.

Sekunden später öffnete sich surrend das Tor.

Maja ging zur Straße und fluchte lauthals vor sich hin.

Berringer folgte ihr bis zum Tor.

Sie war inzwischen mit schnellen Schritten schräg über die Straße gegangen. Ein Mann wartete dort in einem metallicfarbenen Ford. Berringer schätzte ihn auf etwa dreißig. Er war schlank, hatte ein wenig konturiertes, unscheinbares Gesicht und aschblondes, für sein Alter schon recht dünnes Haar.

Maja stieg ein, und der Mann trat aufs Gas. Die Hinterräder des Ford drehten durch, als er losfuhr. Ein klassischer Kavalierstart.

Eine reizende Tochter haben Sie, Herr Gerath!, dachte Berringer und kehrte zum Haus zurück.

Peter Gerath empfing ihn bereits an der Tür. Der Händedruck hatte die gewohnte Qualität. Der Gerath packte zu – und dann konnte man nur froh sein, wenn man kein Ringträger war.

„Guten Tag, Herr Berringer.“

„Guten Tag.“

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie gerade habe warten lassen, aber das war unumgänglich.“

„Keine Ursache.“

„Haben Sie schon etwas herausgefunden?“

„Es haben sich erste Ermittlungsansätze ergeben.“

„Wie schön. Dann berichten Sie mir.“

„Vielleicht gehen wir dazu ins Haus. Es ist lausig kalt heute.“ Ein falkenhafter Blick. Prüfend. Durchdringend. Gerath zuckte die Schultern. „Wie Sie wollen. Möchten Sie mit mir frühstücken?“

„Danke, hab schon. Aber ich setze mich gern dazu.“

„Dann kommen Sie!“

Peter Gerath führte Berringer in einen Wintergarten, der von einer überwältigenden Vielzahl von Pflanzen erfüllt war. Da außerdem ziemlich stark geheizt wurde, hatte man den Eindruck, sich in einem Dschungel zu befinden. Eine schwarz-weiß gescheckte Katze schlich umher und huschte nahezu lautlos über den Boden.

Auf einem runden Tisch hatte ein unsichtbarer Hausgeist ein Frühstück serviert.

Kaffeegeruch hing in der Luft, und auch die Zeitung lag parat.

„Setzen Sie sich“, bat Gerath. „Wie gesagt, wenn Sie auch frühstücken wollen, lasse ich Ihnen ein Gedeck holen.“

Berringer schüttelte den Kopf und kam gleich zum Thema: „Ich habe mich gestern zusammen mit einer Mitarbeiterin auf dem Rahmeier-Hof umgesehen, nach dem dort Ihre Pferde getötet wurden.“

Gerath verzog das Gesicht und zeigte eine traurige Miene. Berringer war sich fast sicher, dass sie nicht einfach aufgesetzt war, obwohl ein Rest von Misstrauen blieb.

„Eine schreckliche Sache“, sagte Gerath, und in seiner Stimme schwang Erschütterung mit. „Ich hatte ein Meeting, darum konnte ich dort nicht erscheinen.“ Er schüttelte den Kopf und saß einen Augenblick lang in sich versunken da – in einer grauen Strickjacke statt im Blazer, mit tiefen Furchen im Gesicht und einem leeren, ins Nichts schauenden Blick. Dieser ansonsten so agile, dominant auftretende Macher-Typ wirkte auf einmal tief berührt.

Dann straffte er sich wieder, als wolle er auf seinem Stuhl Haltung einnehmen, und nahm einen Schluck Kaffee.

Doch trotz des opulenten Frühstücks schien er im Moment keinen Appetit zu haben.

„Ich glaube, ich hätte den Anblick der toten Pferde auch gar nicht ertragen“, sagte er leise. „Ich hing sehr an den Tieren.“

„Hat inzwischen irgendjemand wegen der Sache Kontakt mit Ihnen aufgenommen?“, fragte Berringer. „Wollte jemand Geld haben? Ich meine, wenn das alles wirklich etwas mit dieser Textilmafia zu tun haben sollte, wäre es allmählich an der Zeit, Ihnen entsprechende Forderungen zu stellen. Sie sollten offen mit mir darüber reden, Herr Gerath.“

„Nein, nichts.“

„Dann kann ich nicht ausschließen, dass der Täter in Ihrem persönlichen Umfeld zu suchen ist.“

„Glauben Sie das wirklich?“ Gerath schaute Berringer direkt an, dann schüttelte er wieder den Kopf. „Ich halte das für absurd. Aber bitte, ermitteln Sie in jede Richtung, die Sie für Erfolg versprechend halten. Ich will endlich wieder ruhig schlafen können.“ Er seufzte laut, gab seine steife Haltung auf und lehnte sich zurück. „In der nächsten Woche beginnt die BOOT. Ich nehme an, Sie wissen, was das ist.“

„Ich dachte immer, es hieße das Boot und nicht die Boot.“ Gerath sah Berringer erstaunt an. „Also von einem Düsseldorfer hätte ich das jetzt nicht gedacht“, sagte er sehr ernst und in einem Tonfall, als würde er einen seiner Angestellten tadeln.

Berringer lächelte mild. „Das sollte ein Witz sein.“

„Ein Witz?“

Ich hätte wissen müssen, dass Sie keinen Spaß verstehen, dachte Berringer.

„Natürlich ist mir die BOOT in Düsseldorf ein Begriff.“

„Die größte Messe für Boots- und Segelbedarf in Europa oder so ähnlich. Natürlich stellen wir unsere neuen Fasern vor. Sie werden die Entwicklung auf diesem Gebiet wahrscheinlich nicht so genau mitverfolgt haben, aber es steht eine Revolution in der Textil verarbeitenden Industrie bevor. Stoffe für Badebekleidung und Surfanzüge, die nicht nass werden, wenn man mit ihnen ins Wasser steigt.“

„Klingt für mich absurd“, gestand Berringer. „Oder verstehe ich da etwas nicht?“

„Das ist alles eine Frage der Chemie.“ Gerath zeigte ein mildes Lächeln. „Wir versuchen mit unseren Kunstfasern die Natur nachzuahmen. Es gibt zum Beispiel Insekten, die ins Wasser tauchen können, ohne nass zu werden. Warum sollte uns das nicht beim Menschen gelingen? Ober vielmehr bei seiner Bekleidung? Na ja, ich gebe zu, bis dahin liegt noch ein gewisser Weg vor uns, aber unerreichbar ist das nicht. Und eines steht fest: Wer als Erster das Ziel erreicht macht ein Vermögen.“

„Und Sie hoffen, dass Sie die Nase vorn haben werden.“

„In vielen Bereichen hatten wir das schon. Aber man muss immer Ball bleiben.

Haben Sie schon mal was vom Lotus-Effekt gehört? Feuchtigkeit und Dreck perlen einfach ab. Es können sich im Gewebe keinerlei Flecken bilden. Die Natur macht uns das vor, und wir wollen dieses Verfahren kopieren.“ Mit einem triumphierenden Ausdruck im Gesicht grinste er Berringer an. Als der dieses Grinsen nicht erwiderte, sondern nur mit den Schultern zuckte, fielen seine Mundwinkel nach unten, und er murmelte: „Das alles interessiert Sie offenbar nicht sonderlich.“

„Eine Regenjacke, die nicht durchweicht und in der man nicht schwitzt“, überlegte Berringer laut. „Nun, das wäre nicht schlecht.“

„Sehen Sie, das meine ich. Wie auch immer. Ich kann es mir nicht leisten, wegen der letzten Vorfälle nicht persönlich auf der BOOT präsent zu sein.“

„Business as usual“, sagte Berringer.

„Das können Sie nennen, wie Sie wollen, Herr Berringer. Ich hätte jedenfalls gern, dass Sie während der Messe-Tage auch anwesend sind und das Sicherheitsteam unterstützen, das ich angeheuert habe.“

„Warum? Trauen Sie denen nicht?“

„Ich denke, dass ein Paar Augen mehr einfach auch mehr sehen“, sagte Gerath.

„Wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Berringer entschied sich innerhalb von Sekunden und nickte. „Gut. Aber nur stundenweise. Wenn ich mich zu lange auf der Messe herumtreibe, kommen die Ermittlungen ins Stocken.“

„Natürlich.“

„Ich habe noch ein paar Fragen an Sie“, sagte Berringer. „Vorhin hatte ich eine Begegnung mit Ihrer Tochter. Eine ziemlich ruppige Begegnung, muss ich sagen.

Außerdem konnte ich nicht verhindern, etwas von dem Streit mitzubekommen, den Sie gegenwärtig mit ihr haben.“

„So?“ Gerath verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.

„Ihre Tochter war sehr laut.“

Mal sehen ob ich zu hoch gepokert habe, dachte Berringer. Aber er glaubte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass im Gerath etwas Näheres über den Grund dieses Streits verriet, wesentlich höher war, wenn er annahm, dass der Detektiv bereits teilweise Bescheid wusste.

Aber so leicht ließ sich jemand wie Gerath ― der Gerath ― nicht austricksen. Das Pokern war er aus dem Geschäftsleben gewohnt.

„Was wissen Sie?“, fragte er. Sein Ton klang in diesem Moment wie klirrendes Eis.

„Es ging um Geld“, sagte Berringer. „Und ich weiß außerdem, dass Ihre Tochter auf dem Reiterhof aufgetaucht ist und sich nach Ihnen erkundigt hat.“ Gerath atmete tief durch. Eine Zentnerlast schien ihm auf der Brust zu liegen, so ächzte er.

Ins Schwarze getroffen!, dachte Berringer und musste sich ein triumphierendes Grinsen verkneifen. Da scheint ein richtig dicker Hund begraben zu sein!

Gerath schloss für einen Moment die Augen. „Es ist immer das Gleiche mit meiner auch so lieblichen Tochter. Sie will dauernd Geld. Es ist ja nicht so, dass ich nicht genug davon hätte. Aber ich habe einfach keine Lust, alles dieser Sekte in den Rachen zu werfen.“

Berringer horchte auf. „Was für eine Sekte?“, hakte er sofort nach.

„Esoterikern. Maja angehört ihnen seit einiger Zeit an. Gottes Erdkinder oder so ähnlich nennen sie sich. Sie glauben an irgendwelche heilenden Kräfte, die aus dem Erdreich und durch den Mond wirken.“ Gerath nahm sich ein Brötchen, halbierte es und schmierte Butter auf beide Hälften. Dann blickte er über den Tisch, so als könnte er sich nicht entscheiden, was er drauflegen sollte. „Ich will mich mit diesem Quatsch gar nicht erst auseinandersetzen. Maja haben diese Spinner das Hirn vernebelt, aber das heißt nicht, dass ich denen mein Vermögen nachschmeißen muss.“

„Was genau hat Ihre Tochter von Ihnen verlangt?“

„Dass ich Ihr das Erbteil vorzeitig auszahle. Würde ich ja auch machen, wenn sie irgendwas Vernünftiges damit vorhätte. Ein eigenes Geschäft gründen oder so. Aber wenn ich es ihr gebe, kann ich es gleich auf das Konto dieser Gotteskinder überweisen.“ Er machte eine Pause und fragte dann zurück: „Haben Sie auch Kinder?“

„Nein“, sagte Berringer. „Weder Gotteskinder noch richtige.“

„Sie Glücklicher!“

Berringer sagte nichts dazu. Im Moment hatte er kein Kind, und Gerath hatte es nicht zu interessieren, dass er mal eins gehabt hatte. Darüber wollte er nicht sprechen.

Schon gar nicht mit dem Gerath.

Der aber schien Berringers Antwort als Signal zum Weiterreden aufzufassen. Umso besser.

„Ich habe mit meinen drei Kindern wirklich genug gelitten“, klagte er. „Maja hat mit Ach und Krach ihr Abi geschafft, aber danach ging alles daneben. Sie hat mehrfach das Studium abgebrochen, schließlich eine Ausbildung zur Krankenschwester angefangen, aber nicht beendet, und jetzt ist sie Predigerin in den Diensten dieser Gotteskinder und verteilt Zettel und Broschüren, die die Menschen bekehren sollen, zur Besitzlosigkeit und zum Vertrauen auf irgendwelche mystischen Mächte.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Sie haben auch noch zwei Söhne, wenn ich richtig informiert bin, Herr Gerath.“

„Die sind nicht besser. Als Unternehmer, der etwas aufgebaut hat, strebt man ja immer an, dass jemand aus der eigenen Familie dieses Werk mal fortsetzt. Avlar Tex und Avlar Sport haben zusammen fast dreihundert Mitarbeiter. Da trägt man einfach eine Verantwortung über die Grenze des eigenen Lebens hinaus. Man kann nicht einfach sagen: Nach mir die Sintflut, mir ist es gleichgültig, was geschieht, wenn ich einmal nicht mehr bin.“ Er seufzte schwer.

Du armer Mann!, dachte Berringer mitleidslos und hakte noch mal nach. „Ihre Söhne haben kein Interesse an der Firma?“

Gerath lachte heiser. Ein bitterer Ton mischte sich in seine Worte. „Till, mein Ältester, lebt in Düsseldorf und bildet sich ein, ein Künstler zu sein. Er schmiert irgendwelche Kleckse auf Leinwände und denkt, dass er damit eine neue Perspektive des Sehens eröffnet oder dergleichen Unsinn. Meine Frau hat ihn als Kind zu einem Wochenendseminar Töpfern mitgenommen, als sie auch mal solche Anwandlungen hatte. Das muss ihn verdorben haben. Er war immer ihr Liebling. Sie hat ihn völlig vertätschelt und schon von frühster Kindheit an eingeredet, dass er etwas Besonderes wäre. Wahrscheinlich kann ich froh sein, dass er wenigstens nicht noch schwul geworden ist.“

Berringer musste sich ein freches Grinsen verkneifen. Für den Gerath wäre das wohl der Supergau gewesen.

Sekundenlanges Schweigen herrschte. Gerath nahm einen Happen von seinem Brötchen, köpfte dann sein Ei und verzog das Gesicht, weil die Konsistenz des Eigelbs wohl nicht so ganz seinen verfeinerten kulinarischen Vorstellungen entsprach.

Er aß es aber schließlich doch – und zwar nach einem kurzen Blick auf die Rolex an seinem Handgelenk, was Berringer zu der Vermutung veranlasste, dass irgendein Termin den Unternehmer drängte. Wie immer.

Mit vollem Mund sprach er weiter.

„Mit dem Jüngsten – Andreas heißt er – hat es eigentlich ganz gut angefangen. Er hat zunächst in der Firma mitgearbeitet, und ich habe ihn schrittweise an immer wichtigere Aufgaben herangeführt. Irgendwann, so dachte ich, übernimmt er den ganzen Laden mal ...“

„Hat er seine Pläne geändert“, vermutete Berringer.

„ Ich habe sie geändert.“

„Ach.“

„Ich musste sie ändern, leider.“ Erneut folgte eine kurze Pause, ehe Peter Gerath weitersprach. „Er hat Gelder veruntreut. Wie sich herausstellte, war er kokainabhängig und spielsüchtig. Ich konnte nicht anders, als ihn aus dem Spiel nehmen.“

Aus dem Spiel nehmen. War das nun ein Wortspiel hinsichtlich der Spielsucht seines Sohnes, überlegte Berringer, oder sagte diese Formulierung etwas über Geraths allgemeine Einstellung zu Menschen aus? Nahm er wie ein Trainer Menschen aus dem Spiel und wechselte sie aus, wenn sie seine Erwartungen nicht erfüllten?

„Was macht Ihr Sohn Andreas jetzt?“, fragte Berringer.

„Ich denke, er hat seinen Drogenentzug hinter sich.“

„Sie denken?“

„Um ehrlich zu sein, wir haben seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr.“ Gerath schaute erneut auf die Uhr. „Ich habe einen Termin. In der Firma stecken wir in der heißen Entwicklungsphase für mehrere Produkte, und es stehen noch letzte Besprechungen für die kommende BOOT an.“ Er deutete auf die Brötchen. „Wenn Sie doch noch Hunger haben, langen Sie zu!“

„Wo ist Ihre Frau?“

„Sie ist schwimmen gefahren. Das macht sie öfter morgens. Im Gegensatz zu mir sorgt sie dafür, dass sie fit bleibt. Ich habe leider keine Zeit dafür. Die Reiterei am Sonntagmorgen war das Einzige, was ich mir in dieser Hinsicht gegönnt habe, aber das ist ja nun vorbei.“

„Ich würde gern mit Ihrer Frau sprechen, damit ich ein abgerundetes Bild Ihrer Situation ...“

„Halte ich für Zeitverschwendung“, fiel ihm Gerath ins Wort. Doch als er Berringers Blick bemerkte, fügte er hinzu: „Aber wenn Sie meinen ... Sie müsste jeden Moment wieder hier sein. Dann kann Sie Ihnen den ganzen Morgen die Ohren voll quasseln.

Nur vergessen Sie nicht, dass ich Sie nicht dafür bezahle, in meinem Privatleben herumzuschnüffeln.“

„Keine Sorge.“

Gerath legte die Serviette zur Seite, erhob sich und wollte sich bereits von Berringer verabschieden. Aber der hatte noch etwas sehr wichtiges auf dem Herzen.

„Vielleicht sollten wir, bevor Sie gehen, noch einmal kurz über Frank Severin reden.“

„Frank? Wieso?“ Gerath zog die Augenbrauen zusammen. Eine tiefe Furche entstand zwischen seinen Augen. Ein missbilligender Ausdruck. „Was soll mit Herrn Severin sein?“

„Er ist Geschäftsführer Ihrer Tochterfirma Avlar Sport.“

„Ja ...“ Gerath musterte Berringer verständnislos und entschied dann, wieder Platz zu nehmen. „Aus marketingtechnischen Gründen haben wir für den Sportswear-Bereich ein eigenes Unternehmen gegründet. Marktdiversifikation nennt man das.“ Wie man das nannte, war Berringer völlig schnuppe, dennoch sagte er: „Aha.“

„Sitz der Firma ist am Glockenspitz, im Gewerbegebiet von Dießem, während unser Mutterwerk ja an der Gladbacher Straße liegt. Frank Severin ist Geschäftsführer bei Avlar Sport, und ich lasse ihm ziemlich freie Hand.“ Er lachte und fügte hinzu:

„Solange er dafür sorgt, dass ich reich werde!“

Berringer überlegte einen Augenblick, ob er den Verdacht, dass Severin eine Affäre mit Frau Gerath hatte, bereits äußern sollte, um Geraths Reaktion zu beobachten.

Aber es war wohl besser, auch in dieser Hinsicht erst einmal die Fakten zu sammeln.

Schließlich wollte er den guten Mann nicht völlig unnötig auf die Palme bringen.

Seine geliebte Laura war ihm unterm Hintern weggeschossen worden, und seine Frau betrog ihn möglicherweise mit dem eigenen Geschäftsführer – das war dann vielleicht doch etwas viel.

Die andere Sache, die Severin betraf, musste allerdings angesprochen werden.

„Severin scheint Kontakt zu einem Mann namens Ferdinand Commaneci zu haben“, eröffnete er dem Geschäftsmann.

Gerath runzelte die Stirn. „Wer soll das sein?“

„Commaneci ist Chef der Firma Garol ImEx, Bukarest und Düsseldorf. Diese Firma ...“ Berringer senkte den Tonfall und beugte sich etwas vor. „Diese Firma steht in Verdacht, in mafiöse Geschäft verwickelt zu sein.“ Er hob wie mahnend den Zeigefinger. „Die Betonung liegt auf ›steht in Verdacht‹.“ Er hatte gelernt, in seinem Job vorsichtig zu sein mit dem, was er sagte.

„Und?“, fragte Gerath schroff. „Glauben Sie, dass es so ist?“

„Die Polizei glaubt es“, wich Berringer aus. Er war der Ansicht, dass das genug sagte.

„Das ist ja ein Ding“, murmelte Gerath.

„Damit habe ich nicht gesagt, dass Commaneci hinter den bekannt gewordenen Schutzgelderpressungen steckt“, schränkte Berringer ein.

Gerath überlegte, dann straffte er sich. „Ich vertraue Frank Severin voll und ganz“, sagte er mit einer Überzeugung, die keinen Raum für den geringsten Zweifel ließ. „Er ist einer der innovativsten Mitarbeiter der gesamten Unternehmensgruppe. Er gehörte schon seit einigen Jahren zu meinen besten Mitarbeitern. Er ist ein grandioser Textilchemiker, auf dessen Konto einige wichtige Patente gehen.“ Er nickte, als wolle er seine Worte damit unterstreichen, und fügte hinzu: „Aber andererseits auch ein Geschäftsmann, was in dieser Kombination ziemlich einzigartig ist.“

„Ich habe erfahren, dass Severin vor kurzem bedroht und zusammengeschlagen wurde“, erklärte Berringer, „aber hinterher hat er behauptet, alles wäre in Ordnung.“

„Woher wissen Sie das?“

„Heißt das, Sie wussten davon?“

„Meine Güte“, murmelte Gerath und wandte den Kopf, um in eine Ecke des Wintergartens zu starren, „wie soll ich mich da ausdrücken?“

„Ein einfaches Ja oder Nein würde mir zunächst mal genügen“, antwortete Berringer.

„Bei einem Ja stelle ich die weiterreichenden Fragen schon ganz von allein.“ Gerath schnaubte und richtete seinen Blick wieder auf den Detektiv. „Es ist mir zugetragen worden. Aber wäre es um Schutzgelder gegangen, hätte mir Severin davon erzählt.“

„Nun, vielleicht auch nicht“, murmelte Berringer sinnierend.

„Wie meinen Sie das?“, fragte Gerath mit scharfer Stimme.

„Mir kam da gerade ein Gedanke“, sagte Berringer. „Wenn diese Bande nämlich glaubt, Sie wüssten, dass es um Schutzgelderpressung geht, macht es plötzlich Sinn, dass bislang keine Geldforderung bei Ihnen eingegangen ist, obwohl man versucht, Sie einzuschüchtern.“

„Was?“, schnappte Gerath. „Ich ... ich verstehe nicht ganz.“

„Severin wird zusammengeschlagen, um Schutzgelder von ihm und Ihrer Firma zu erpressen“, erklärte Berringer. „Weil weder er noch Sie zahlen, setzt man Sie mit diesen Anschlägen unter Druck. Die Bande glaubt, Sie wüssten, worum es geht.“

„Aber welchen Grund könnte Severin haben, mir das zu verheimlichen? Das ist doch Wahnsinn!“ Gerath schüttelte energisch den Kopf. „Ich meine, dass er gegenüber der Polizei schweigt, ist nachvollziehbar, aber ...“ Wieder straffte er sich, dann stach sein Zeigefinger wie eine Waffe in Berringers Richtung. „Ich habe jetzt wirklich keine Zeit mehr, Berringer. Aber Sie kümmern sich darum, ja?“

„Wenn Sie es wünschen ...“

„Auf Wiedersehen, Herr Berringer!“ Gerath erhob sich. „Kontaktieren Sie mich so bald wie möglich wieder!“ Mit diesen Worten ging er davon.

Berringer blieb am Tisch sitzen. Dann entschied er sich, doch eines von den Brötchen zu nehmen. Er schnitt es in zwei Hälften, bestrich sie mit Erdbeermarmelade und biss hinein ...

Als Berringer gesättigt das Haus verließ, setzte Gerath gerade mit seinem Sportcoupé aus der Garage zurück. Er nickte Berringer noch einmal zu und brauste dann mit völlig überhöhtem Tempo auf das gusseiserne Tor zu, das sich automatisch öffnete.

Ein bulliger Typ in dunklem Anzug und mit Sonnenbrille im Gesicht saß neben Gerath auf dem Beifahrersitz. Offenbar sein Personenschützer.

In dem Moment, als das Sportcoupé das inzwischen offen stehende Tor erreichte, wollte von der anderen Seite ein Austin Mini durchs Tor und auf das Grundstück rollen, musste aber hart abbremsen und zunächst Gerath durchlassen, der seinen Flitzer mit einem Affenzahn und quietschenden Reifen auf die Straße lenkte.

Schließlich hielt der Austin neben Berringers Mitsubishi.

Eine Frau saß am Steuer. Sie wirkte wie eine wenig ältere Ausgabe von Maja Gerath.

Selbst die Vorliebe für helle Kleidung schienen die beiden Frauen zu teilen. Man hätte sie für Schwestern halten können, die nur wenige Jahre auseinander lagen. Frau Gerath schien sich wirklich gut gehalten.

Jedenfalls auf dem ersten Blick. Auf dem zweiten sah man allerdings, dass das Instrument eines Chirurgen nachgeholfen hatte. Und die Sonnenstudiobräune ihres OP-gestrafften Gesichts erinnerte Berringer an den Teint eines Indianers.

Berringer schritt die Stufen hinab. „Guten Morgen, Frau Gerath. Mein Name ist Berringer.“

Sie verzog das Gesicht zu einem wie gefroren wirkendem Lächeln. Das konnte Ablehnung bedeuten, konnte aber auch an den durchstandenen Schönheits-OPs liegen. „Ah, Sie sind also der Sherlock Holmes, den mein Mann angeheuert hat.“

„Und Sie sind die Ehefrau, die offenbar keinerlei Angst davor hat, dass der Täter, der Ihrem Mann das Pferd unter dem Gesäß weggeschossen hat, vielleicht noch mal daneben schießen und Frau Gemahlin erwischen könnte.“ Ihr Lächeln wurde daraufhin etwas charmanter. „Das Leben ist zu kurz, um dauernd ängstlich zu sein, Herr Berringer.“

„Und Ihr Mann hat zumindest auf seinem Grund und Boden ziemlich umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen getroffen.“

„Und? Haben sie ihm genützt? Nein.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich würde es mir auch nicht helfen, würde ich mit schusssicherer Weste herumlaufen und mich von einem Bodyguard bewachen lassen.“

„Ich kann Sie sehr gut verstehen.“

Sie sah Berringer überrascht an. „Wie meinen Sie das?“

„Na ja, so einem Bodyguard mag man ja beibringen können, dass er den Mund hält, wenn einem der Sinn nicht nach einer Unterhaltung steht. Aber er hat Augen im Kopf und sieht alles. Also kontrolliert er einen in gewisser Weise auch, finden Sie nicht?“

„Ich stehe gern auf eigenen Füßen, das ist schon richtig“, sagte sie. „Außerdem betreibe ich Aikido. Ich brauche niemanden, der mich verteidigt.“ Berringer hob die Augenbrauen. „Ich wusste nicht, dass man mit Aikido Gewehrkugeln abwehren kann.“

„Sind Sie jetzt völlig übergeschnappt?“, fragte sie schroff. „Ich verstehe nicht, wie mein Mann Ihnen vertrauen kann. Na ja, seine Menschenkenntnis war meiner Ansicht nach nie besonders ausgeprägt.“

„Da stimme ich Ihnen inzwischen zu“, entgegnete er und dachte dabei an Frank Severin. „Tatsache ist aber, dass Ihrem Mann ein Aikido-Training nicht das Geringste genützt hätte gegen ein Jagdgewehr mit Zielfernrohr.“

„Richtig, aber ein Bodyguard wohl auch nicht. Und um ehrlich zu sein, habe ich kein Lust, weiter mit Ihnen zu plaudern. Tun Sie, wofür mein Mann Sie bezahlt, und finden Sie den Kerl, der auf ihn geschossen hat!“

„Niemand weiß bisher, ob es sich um einen Kerl handelt“, sagte Berringer.

Ihre Blicke begegneten sich. Zwei volle Sekunden lang sagte niemand ein Wort. Ein stummes Duell.

Was macht sie so nervös und angriffslustig?, fragte sich Berringer. Sie wirkte auf ihn wie ein in die Enge getriebenes Tier. Dabei hatte er sie noch nicht einmal beschuldigt oder wirklich in Bedrängnis gebracht.

Er entschloss, das nachzuholen, indem er fragte: „Wo waren Sie an dem Sonntag, als auf Ihren Mann geschossen wurde?“

„Als sein Pferd erschossen wurde!“, korrigierte sie. „Seine Laura. Er hat das zottelige Ding mehr geliebt als alles andere.“

Mehr geliebt als Sie?, lag Berringer auf der Zunge, aber er konnte es gerade noch runterschlucken.

„Ich war spazieren“, antwortete sie auf seine Frage.

„Wo?“

„Am Elfrather See. Das ist nicht weit von hier.“

„Gibt es Zeugen?“

„Wo denken Sie hin? Um diese Jahreszeit liegt da noch kein Segelboot und surfen macht bei der Kälte auch keinen Spaß. Vielleicht war ein Angler dort, aber ich habe nicht darauf geachtet. Was soll das eigentlich? Wieso fragen Sie mich das? Wollen Sie mich etwa verdächtigen?“

„Im Gegenteil“, antwortete Berringer spitzfindig, „ich versuche, Sie als Verdächtige auszuschließen.“

„Das können Sie leichter haben, indem Sie sich mal bei der Polizei erkundigen – falls die jemandem wie Ihnen überhaupt Auskunft erteilt.“

„So?“

„Wir haben insgesamt vier Jagdwaffen im Haus, und die sind von der Polizei mitgenommen worden. Mit keiner dieser Waffen ist geschossen worden, das steht inzwischen fest.“ Sie griff in ihre Handtasche und holte ihr Handy hervor. „So, Herr Berringer. Und jetzt sagen Sie mir bitte ins Gesicht, das ich auf meinen Mann geschossen haben soll! Aber dann sollten Sie ihm das auch gleich sagen. Ob er Sie dann allerdings weiterbeschäftigt, halte ich für fraglich!“ Sie klickte bereits in dem elektronischen Nummernverzeichnis ihres Mobiltelefons herum.

„Bevor Sie Ihren Mann anrufen“, schlug Berringer vor, „sollten wir uns vielleicht noch über Frank Severin unterhalten.“

Sie schaute auf, starrte ihn an. Dann klappte sie das Handy wieder zu und steckte es weg. Offenbar hatten Berringers Worte ihr Bedürfnis, umgehend mit ihrem Mann zu sprechen, schlagartig gedämpft.

Ihre Augen wurden schmal. „Frank ist ein guter Freund der Familie“, behauptete sie,

„und außerdem ein wichtiger Mitarbeiter, der ...“

„Den Sie duzen und mit dem Vornamen anreden“, unterbrach er sie, „während Ihr Mann ständig von Severin oder Herrn Severin spricht.“

„Wissen Sie was? Lassen Sie mich einfach in Ruhe! Guten Tag, Herr Berringer.“ Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen, ging die Treppe hinauf und verschwand im Haus. Berringer sah ihr nachdenklich hinterher.

Hatte er da einen Nerv getroffen?

Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten

Подняться наверх