Читать книгу Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 20

7. Kapitel: Ausgebootet auf der BOOT

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Berringers Nachricht auf Peter Geraths Mailbox blieb unbeantwortet. Daher griff der Detektiv am nächsten Morgen selbst zum Telefon, um ihn zu kontaktieren.

„Haben Sie meine Nachricht nicht bekommen?“

„Welche Nachricht?“

„Es geht um Matthias Gerndorf. Das war der Typ, der neulich vor Ihrem Haus herumgelungert hat. Der Golffahrer. Sie erinnern sich?“

„Ja, schon ...“

„Sagt Ihnen der Name was?“

Schweigen.

„Was ist?“

„Wir besprechen das ein anderes Mal“, sagte Peter Gerath und legte auf.

Später besuchte Berringer seinen Ex-Kollegen Björn Dietrich in dessen verqualmten Büro im Krefelder Polizeipräsidium am Nordwall.

„Du kommst gerade richtig. Sieh dir das mal an, Berry.“

„Worum geht es?“

„Erkenntnisse unserer Ballistiker.“

„In Fernsehkrimis sind die immer viel schneller fertig.“ Auf dem Schreibtisch lag ein Grundriss, der Haus und Grundstück von Peter Gerath und die Nachbargrundstücke zeigte. Eine gerade rote Linie markierte die Schusslinie.

„Wie du dir denken kannst, geht es um das zweite Attentat auf Gerath.“

„Als ihn die Kevlarweste gerettet hat.“

„Genau. Er ging nach den Angaben, die er uns gegenüber machte, kurz auf die Terrasse, um frische Luft zu schnappen. Der Schuss wurde vom Balkon eines Nachbarhauses abgegeben. Der Täter muss dort ziemlich lange auf der Lauer gelegen haben.“

„Und seine Bodyguards?“

„Einer war auf der Toilette, und der andere hat sich erst mal um Herrn Gerath gekümmert und ihn gesichert. Wahrscheinlich stand er in der Schussbahn, sodass der Täter es nicht noch einmal versuchte.“

Berringer deutete auf das Nachbarhaus. „Wer wohnt dort?“

„Niemand. Das Haus steht zum Verkauf, nachdem der Besitzer umgezogen ist.“ Berringer überlegte und murmelte bei sich: „Das es dieselbe Tatwaffe war wie bei dem Pferdeanschlag, hat ja schon der Vergleich der Projektile ergeben ...“

„Der Schuss wäre tödlich gewesen, wenn er nicht eine Kevlarweste unter seiner Kleidung getragen hätte“, erklärte Dietrich.

Berringer zuckte mit den Schultern. „Bringt uns das jetzt irgendeinen neuen Ermittlungsansatz?“

„Nein. Nur die Bestätigung eines alten: Die Sache war so akribisch vorbereitet, dass ich inzwischen fest an einen Profi glaube.“

„Waren Patronenhülsen auf dem Balkon zu finden?“

„Nicht auf dem Balkon, sondern unter dem Balkon. Sie sind offenbar in die Tiefe gefallen.“

„Das macht kein Profi.“

„Vielleicht ein Profi, der nicht wie ein Profi erscheinen will“, schlug der Kommissar vor. „Außerdem gibt es an den Patronenhülsen keine Fingerabdrücke, was auch für einen Profi spricht. Wenn er Latexhandschuhe trug, kann man bei ihm noch nicht einmal Schmauchspuren an den Händen nachweisen.“

„Mein Mitarbeiter hat einiges über diesen Ferdinand Commaneci und sein dubioses Firmengeflecht herausgefunden“, erklärte Berringer. „Da wird irgendetwas im Krefelder Hafen vorbereitet, das euch vielleicht die Möglichkeit geben könnte, diese Organisation auszuhebeln.“

„Lass hören, Berry.“

Am Nachmittag hatte Berringer seine wöchentliche Sitzung beim Psychiater. Das war eine heilige Zeit, in der ihn nichts stören durfte. Gleichgültig, an welchem Fall er auch arbeiten mochte. Eine Stunde in der Woche, die ihm gehörte. Ihm und den Untiefen seiner Seele.

In dieser Zeit stellte er sogar das Handy ab, was er sonst nicht einmal nachts tat.

Als die Sitzung vorüber war und er wieder im Wagen saß, hörte er seine Mailbox ab.

Vanessa hatte sich gemeldet. „Ich bin hier bei Avlar Sport und habe mich gerade mit einer Frau aus der Buchhaltung unterhalten. Durch sie hab ich erfahren, dass Frank Severin ein Gehalt bezog, das etwa doppelt so hoch war wie in seiner Position üblich“, berichtete sie. „Ich denke, es muss einen Grund dafür geben. Freiwillig zahlt doch kein Arbeitgeber so viel – das sieht man ja an dir, Robert! Tschüss und meld dich!“

Später machte er noch einen Abstecher zum Haus Oberkassel, um Regina Gerath aufzusuchen. Sie empfing ihn in einem der im englischen Jugendstil sehr individuell eingerichteten Räume. „Leider ist es noch entschieden zu kalt, um sich auf die Terrasse des Rosengartens zu setzen“, sagte sie. „Aber bei den ersten Sonnenstrahlen im Jahr denkt man daran.“

„Sie waren schon öfter hier?“, schloss Berringer aus ihren Worten.

„Frank und ich haben uns manchmal ein Wochenende hier gegönnt. Bei ihm zu Hause war das immer etwas riskant. Krefeld ist schließlich eine Kleinstadt. Aber hier

...“

„Ich wusste gar nicht, dass Herr Severin ein so kulturbeflissener Mensch war.“

„Sie unterschätzen ihn. So wie Sie auch mich falsch einschätzen. Denn ich habe mit seinem Tod nicht das Geringste zu tun – abgesehen davon, dass ich unendlich traurig darüber bin. Aber ich habe inzwischen gelernt, solche Gefühle nicht mehr allzu stark nach außen dringen zu lassen.“

Da hast du dann aber fleißig geübt, dachte Berringer und fragte: „Sagt Ihnen der Name Matthias Gerndorf etwas?“

„Gerndorf ... Gerndorf ... Nein, tut mir leid. Es könnte sein, dass der Name mal erwähnt wurde. Irgendetwas Geschäftliches oder ...“ Sie schüttelte den Kopf. „Hat keinen Sinn, Herr Berringer. Im Übrigen habe ich von den Geschäften meines Mannes keine Ahnung mehr. In den letzten Jahren, seit ich nicht mehr im Betrieb mitarbeite, hat er mich auch nicht mehr in diese einbezogen.“

„Ich verstehe.“

„Das glaube ich kaum, Herr Berringer. Das glaube ich kaum.“ Ein paar Tage später begann die BOOT. Berringer hatte bis dahin kaum Kontakt zu Gerath. Der Unternehmer ließ ihn immer wieder abwimmeln, befand sich angeblich in Meetings oder war aus irgendeinem anderen Grund nicht zu erreichen.

Berringer sah ihn erst am ersten Tag der BOOT wieder, wo Avlar Tex einen großen Stand hatte, auf dem die neuesten Segelstoffe präsentiert wurden. Der Stoff, aus dem die Zukunft ist, lautete der Firmenslogan.

Berringer wurde von Vanessa Karrenbrock und Mark Lange begleitet. Gerath wirkte sehr hektisch. Er schwitzte, aber das lag vielleicht auch an der Temperatur, die trotz Aircondition in der Messehalle herrschte und der Tatsache, dass er eine Schutzweste unter dem Hemd trug.

„Guten Tag, Herr Berringer. Schön, dass Sie hier sind. In Ihrer Gegenwart fühle ich mich doch noch etwas sicherer.“

„Taugen Ihre Bodyguards nichts?“

„Als ich auf die Terrasse ging, um frische Luft zu schnappen, haben die mich auch nicht schützen können.“ Er langte in seine Jackettinnentasche und zog einen Umschlag hervor, den er Berringer reichte. „Sehen Sie mal rein!“ Berringer holte ein gefaltetes DIN-A4-Blatt hervor. Darauf waren in ausgeschnittenen Buchstaben die Worte STRAFE MUSS SEIN!!! zu lesen.

Drei Ausrufungszeichen.

„Das war heute Morgen im Briefkasten. Diese Mafiatypen wollen mich umlegen!“

„Das hätten Sie gleich der Polizei geben und vor allen Dingen nicht anfassen sollen!“

„Es besteht doch ohnehin keine Chance, denjenigen zu identifizieren, der das verfasst hat.“

„Da muss ich Ihnen widersprechen.“

„Wie auch immer. Ich hatte vor der BOOT einfach keinen Nerv, großes Aufsehen deswegen zu machen. Für mich ist das Allerwichtigste, dass die Messe gut über die Bühne geht. Davon hängt so viel ab. Sie glauben ja gar nicht, was hier alles für Geschäfte angebahnt werden. Wenn ich das mal in Beziehung zu meinen Umsatzzahlen setze, dann ...“

„Ich würde eigentlich gern mit Ihnen noch mal über Matthias Gerndorf sprechen.“ Sein Gesicht veränderte sich. Es erstarrte zu einer Maske. Der Mund wurde zu einem dünnen Strich.

„Chef, kommen Sie mal bitte!“, rief seine Sekretärin.

„Sie glauben es vielleicht nicht, aber auch ich muss für mein Geld arbeiten“, sagte Gerath.

Er drehte sich um und ging zu seiner Sekretärin, die ihm einem Mann im dunkelgrauen dreiteiligen Anzug vorstellte, der seine Aktenmappe dicht an den Körper gepresst hielt.

In den folgenden Tagen drängten sich die Besucher der BOOT in den Messehallen, um sich Yachten, Jollen und Zubehör anzusehen oder wichtige Geschäfte abzuschließen.

Berringer und seine beiden Angestellten lösten sich schichtweise ab. Außerdem hatte Peter Gerath noch Schutz durch die Bodyguards von SAFE & SECURE, die von der Messeleitung sogar eine Sondergenehmigung bekommen hatte, ihre Waffen zu tragen.

Berringer hatte seine Waffe gar nicht erst mitgenommen. Er besaß zwar eine SIG

Sauer P 228, zu der er natürlich einen Waffenschein vorweisen konnte, aber in der Praxis führte er die sechzehnschüssige Pistole so gut wie nie mit sich, geschweige denn, dass er sie benutzte. Und auf der BOOT schloss sich jeder Waffeneinsatz eigentlich von vornherein aus. Das galt auch für die anwesenden Polizeikräfte, die Ein- und Ausgänge sicherten. Es war völlig undenkbar, innerhalb einer so dichten Menschenmasse eine Schusswaffe einzusetzen. Die Gefährdung Unbeteiligter war schlicht und ergreifend viel zu hoch und stand in keinem Verhältnis zum möglichen Nutzen.

Während einer der BOOT-Schichten, die Berringer persönlich übernehmen musste, glaubte er plötzlich in der Menge ein Gesicht wiederzuerkennen.

Der unscheinbare Golffahrer, von dem er inzwischen wusste, dass er Matthias Gerndorf hieß, hielt sich an einem Stand in unmittelbarer Nachbarschaft auf und blickte immer wieder zu dem von Avlar Tex hinüber.

Diese Gelegenheit wollte sich Berringer nicht entgehen lassen. Er ging mit schnellen Schritten auf Gerndorf zu, rempelte rücksichtslos ein paar Leute aus dem Weg und war schließlich bis auf ein Dutzend Schritte an den Mann herangekommen.

Aber dieser hatte Berringer im letzten Moment bemerkt. Er eilte davon, lief durch einen Pulk von Menschen, und Berringer versuchte ihm zu folgen. Wenig später blieb der Detektiv jedoch im dichten Gedränge stecken. Gerndorf war verschwunden.

Wohin man auch blickte – überall Gesichter. Nur das von Gerndorf war nicht dabei.

Er war in der Masse untergetaucht wie ein Fisch im Wasser.

„He, seien Sie doch nicht so rücksichtslos!“, beschwerte sich jemand.

„Entschuldigung.“

„Sie sind mir auf den Fuß getreten, und zwar heftig.“

„Ich sagte: Entschuldigung!“, erwiderte Berringer ziemlich gereizt und kehrte zum Avlar-Tex-Stand zurück.

Gerath war nicht dort. Ein potentieller Geschäftspartner – der Geschäftsführer einer Bootsfirma – hatte ihn an Bord seiner im Rahmen der BOOT ausgestellten Yacht geladen, um einen großen Segeltuch-Deal abzuschließen. Gerath war schon vorher ganz aus dem Häuschen gewesen.

„Was war denn da los?“, wandte sich einer der Wachmänner an Berringer.

„Ehrlich gesagt, wüsste ich das auch gern“, murmelte der Detektiv.

Der Publikumsandrang in der Messehalle war in den nächsten zwei Stunden so groß, dass sich die Besucher nur im Schritttempo fortbewegen konnten.

Peter Gerath war noch nicht von seiner Vertragsunterzeichnung zurück, aber Berringer machte sich diesbezüglich wenig sorgen. Schließlich wurde er von einem der Sicherheitsleute der SAFE & SECURE begleitet.

Auf einmal geschah es, plötzlich und völlig unerwartet: Mehrere Männer, die Gesichter mit Sturmhauben bedeckt, die nur die Augen freiließen, sprangen auf den Stand von Avlar Tex zu. Einer der Wachleute erhielt einen brutalen Faustschlag und taumelte zu Boden, und Berringer wurde neidergestoßen und konnte gerade noch einem Tritt ausweichen.

Sofort begannen die Angreifer die Dekoration des AvlarTex-Standes niederzureißen.

Tische wurden umgestoßen, ebenso die Ständer mit Faserproben und die aufgerichteten Modellsegel.

Etwa ein Dutzend Angreifer waren an dieser blitzschnell durchgeführten Aktion beteiligt. Mehrere von ihnen warfen Farbbeutel, die beim Aufprall zerplatzen. Der Inhalt besudelte nicht nur die Vorführsegel und das Personal, sondern verbreiteten auch einen ekelhaften Geruch, der an faule Eier erinnerte.

So schnell der Angriff erfolgt war, so rasch war er auch vorbei. Die Maskierten zogen sich zurück, stoben in verschiedene Richtungen davon und tauchten in der Menge unter. Sobald das geschehen war, nahmen sie vermutlich ihre Masken ab und waren in der Masse nicht mehr identifizierbar.

Doch Berringer fixierte seine Aufmerksamkeit auf einen von ihnen und setzte nach.

Inzwischen war Tumult ausgebrochen. Panik hatte sich breitgemacht, da kaum jemand wusste, was eigentlich los war. Jemand rief etwas von einem „Anschlag“, und natürlich dachten die Leute direkt an eine Terroraktion und Bombenleger. Es wurde gedrängelt und geschubst.

Berringer bahnte sich seinen Weg durch die Menge. Der Abstand zu dem Maskierten wurde immer geringer. Schließlich erreichte er ihn, packte ihn von hinten und riss ihn zu Boden. Rechts und links wichen die Leute zur Seite. Erschrockene Schreie gellten durch die Halle.

Der Maskierte rappelte sich auf und kam wieder auf die Beine. Er stürzte sich auf Berringer. Sein Schlag ging jedoch ins Leere, da der Detektiv geschickt auswich.

Berringer ergriff den Arm des Maskierten und hebelte ihn herum, sodass er ihn sicher unter Kontrolle hatte, ohne ihn zu verletzen.

„Gelernt ist gelernt!“, keuchte Berringer. „Auch wenn es schon eine Weile her ist, dass ich das mal anwenden musste.“

Die Umstehenden wichen so gut es ging zurück und sahen sich mit scheuem Interesse das Schauspiel an, das sich ihnen bot.

„Wäre bitte jemand von Ihnen so freundlich, mit seinem Handy die Polizei zu rufen?“, fragte Berringer laut und mit durchdringender Stimme, die man eher einem Lehrer zugetraut hätte, der es gewohnt war, sich vor einem Haufen lärmender Jugendlicher durchzusetzen, als einem Ex-Polizisten.

Niemand reagierte.

Berringer wandte sich einem Mann im blauen doppelreihigen Mantel zu, dessen Äußeres vor allem durch die Ankerkrawatte bereits ein gewisses Interesse an maritimen Themen erkennen ließ. „He, Sie!“

„Ich?“

„Haben Sie ein Handy?“

„Ja ... sicher!“

„Dann rufen Sie bitte die Polizei!“

Der Freizeitkapitän löste sich aus seiner Erstarrung und holte tatsächlich ein Mobiltelefon hervor.

Inzwischen kam jener Wachmann von SAFE & SECURE heran, den ein Faustschlag ins Gesicht niedergestreckt und der sich wohl erst etwas hatte erholen müssen. Seine Nase war blutverschmiert. Er zog dem Gefangenen die Sturmhaube vom Kopf. Das Gesicht eines dunkelhaarigen jungen Mannes kam darunter zum Vorschein.

„Lassen Sie mich los!“, ächzte er.

„Erst wenn die Polizei da ist“, kündigte Berringer an.

Der junge Mann sprach einen Akzent, der für Berringers Ohren irgendwie nach Osteuropa klang.

„Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie den Stand von Avlar Tex verwüsten sollen?“, fragte Berringer.

„Das ist Körperverletzung, was Sie tun!“, krächzte der junge Kerl und versuchte sich loszureißen.

Aber Berringers Griff war eisern. „Und das, was Sie hier getan haben? Was sollte das sein? Eine Luftveredelung, damit man den Körpergeruch der Messebesucher nicht so stark wahrnimmt?“

Es dauerte eine Weile, bis die Polizei eintraf und den Täter in Gewahrsam nahm. Er hatte einen deutschen Führerschein bei sich, der ihn als Marian Illiescu auswies, einen rumänischen Staatsangehörigen, der aber seit zehn Jahren in Deutschland lebte.

Der Stand von Avlar Tex wurde von der Polizei zunächst einmal abgesperrt.

Schließlich ging es unter anderem darum, Beweise zu sichern. Die Halle musste nach und nach geräumt werden, denn die Geruchsbelästigung war außerordentlich stark, und so lange man nicht wusste, ob möglicherweise gesundheitsgefährdende Stoffe in den Farbbeuteln gewesen waren, ging man lieber auf Nummer Sicher.

Als Peter Gerath von seiner Vertragsunterzeichnung zum Stand zurückkehrte und das deprimierende Ergebnis des Vandalismus des maskierten Rollkommandos sah, wurde er bleich wie die Wand. „Mir geht es nicht gut“, sagte er tonlos zu Berringer. „Diese Schweinehunde! Die haben ja keine Ahnung, was für eine Arbeit in so einer Präsentation steckt und was alles davon abhängt ...“ Seine Stimme bebte.

„Dank Herrn Berringer haben wir einen von den Kerlen der Polizei übergeben können“, informierte ihn ein Avlar-Tex-Mitarbeiter, dessen feiner dunkelgrauer Anzug mehrere Farbflecke aufwies.

Peter Gerath nickte leicht. Seine Augen wirkten glasig und krank. Er griff sich zwischendurch in die Herzgegend und atmete schwer, so als würde er nicht genügend Luft bekommen.

„Diese Schweinehunde!“, flüsterte er noch einmal vor sich und wandte sich wieder an Berringer. „Sie haben gute Arbeit geleistet.“

„Sie ist noch nicht zu Ende“, prophezeite Berringer.

„Ich weiß, ich weiß ...“

„Wenn wir Glück haben, dann kommen wir über den Kerl an die Hintermänner heran.“

Gerath lächelte matt. „Sie sind ein Optimist, Herr Berringer.“

„Ich hoffe, dass dieser Bande das Handwerk gelegt werden kann. Allerdings möchte ich Sie noch über einen anderen Aspekt informieren ...“

„Rufen Sie mich an“, bat Gerath. „Es geht mir hundeelend. Ich werde mir von meinem Arzt was verschreiben lassen.“

„Es geht um Matthias Gerndorf.“

Peter Gerath starrte Berringer an. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Berringer.

Ehrlich nicht.“

„Davon, dass der Kerl, der in einem Golf vor Ihrem Haus herumlungerte, hier auf der BOOT war und Ihren Stand beobachtet hat, kurz bevor sich dieses Rollkommando die Sturmhauben überstreifte und losschlug.“

„Sie denken doch nicht im Ernst, dass diese beiden Dinge irgendetwas miteinander zu tun haben?“

„Kann ich es ausschließen?“

„Gerndorf ist einfach nur ein Versager“, sagte Peter Gerath und wurde dabei ungewohnt heftig. Er sprach mit einer Vehemenz, die dafür sorgte, dass sich sogar einige der Polizisten umdrehten, die in der Zwischenzeit damit beschäftigt waren, den Tatort einer ersten Begutachtung zu unterziehen.

„Woher kennen Sie Gerndorf?“

„Wir sind uns ganze zwei Mal persönlich begegnet. Das eine Mal war auf einem Empfang der Industrie- und Handelskammer Krefeld, und das andere Mal in einem Prozess, in dem er versucht hat, seine wirtschaftliche Misere anderen anzuhängen.

Aber für Misserfolg im Geschäftsleben ist man ganz allein selbst verantwortlich.

Wenn ich in all den Jahren, in denen ich nun schon an führender Position im Business tätig bin, eins gelernt habe, dann das. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“ Berringer telefonierte noch mit Kommissar Björn Dietrich, bevor er die Messe verließ. Dietrich versprach, sich um alles Nötige zu kümmern und die Sache in die Hand zu nehmen. Dass zwischen dem Überfall des Rollkommandos und den Anschlägen auf Peter Gerath ein Zusammenhang bestand, galt als sehr wahrscheinlich.

„Die Hinweise, die uns dein Mitarbeiter in Hinblick auf illegale Warenladungen aus China via Rumänien und Ungarn, sowie die Geschäfte eines gewissen Ferdinand Commaneci geben konnte, scheinen sehr wertvoll zu sein.“

„Ich wette, dass der Kerl, der mir auf der BOOT ins Netz gegangen ist, mit dem Verein etwas zu tun hat“, meinte Berringer.

„Anzunehmen. Leider redet er bislang noch nicht mit uns. Aber ich bin überzeugt, dass wir ihn noch eines Besseren belehren können. Schließlich ist der junge Mann nur ein kleiner Handlanger, der dazu angeheuert wurde, auf der BOOT ein bisschen Krawall zu machen und den Avlar-Tex-Stand aufzumischen. Wenn er begreift, dass es hier um einen Mordfall geht, wird er kalte Füße kriegen.“

„Hast du mit den Düsseldorfer Kollegen Kontakt aufgenommen“, fragte Berringer.

„Ja. Wir bereiten eine koordinierte Operation vor.“

„Falls es irgendwelche Hinweise auf die sogenannte Eminenz gibt, dann möchte ich davon erfahren.“

„Das wirst du, Berry. Ganz bestimmt.“

„Ich würde gerne bei den Befragungen dabei sein.“

„Berry, du weißt, dass das nicht geht.“

„Ja.“

„Also vertrau deinen alten Kollegen, fahr nach Hause und erhol dich etwas von dem Stress.“

Berringer seufzte. „Vielleicht ist das das Beste.“

„Ganz bestimmt“, gab sich Dietrich überzeugt, dann fiel ihm noch etwas ein.

„Übrigens haben die Kollegen in Düsseldorf inzwischen die Genehmigung, Commanecis Telefon abzuhören. Das BKA hält es für möglich, dass der Kerl mehrere Morde in Rumänien und Deutschland in Auftrag gegeben hat, aber das ist ihm bislang nicht nachzuweisen.“

„Ich mache dir einen Vorschlag. Mein Mitarbeiter Mark Lange hat Commaneci in den letzten Tagen beschattet und eine Serie von Fotos gemacht. Vielleicht könnt ihr jemanden auf den Bilder identifizieren.“

„Schick uns die Bilder als E-Mail-Anhang!“

„Mach ich.“

Berringer beendete das Gespräch und rief in der Detektei an. Vanessa hielt die Stellung. Mark war noch unterwegs, wurde aber jeden Moment erwartet.

„Hör zu, ich habe keine Zeit, dir einen langen Bericht zu geben. Schick bitte den gesamten Bildersatz, den Mark von Commaneci und seiner Kamarilla gemacht hat, an Björn Dietrichs E-Mail-Adresse.“

„Wenn’s weiter nichts ist ...“

„Im Augenblick nicht.“

Danach fuhr Berringer zurück zur Detektei. Dort traf er Mark Lange und Vanessa Karrenbrock an.

„Wir waren inzwischen nicht untätig“, sagte Mark Lange. „Allerdings glaube ich, dass uns bei Commaneci und seinen Leuten nur noch die Polizei uns einen Schritt weiterbringen kann.“

„Die sind an der Sache dran“, sagte Berringer.

„Ich hab übrigens einen rumänischen Austauschstudenten wegen der Übersetzung einiger im Internet veröffentlichter Presseartikel angesprochen, in denen es um Commaneci geht“, berichtete Vanessa Karrenbrock.

„Und?“

„Er war bis vor einer Stunde noch hier. Das Ergebnis ist sehr interessant. Commaneci ist offenbar in Rumänien bereits zweimal wegen des Verdachts der Verabredung zum Mord angeklagt worden.“

„Da er noch auf freiem Fuß ist, kann dabei nicht viel herausgekommen sein“, meinte Berringer.

Vanessa Karrenbrock nickte. „Beide Fälle wurden rasch niedergeschlagen. Es wurde offen der Verdacht der Bestechung geäußert, aber das konnte nie nachgewiesen werden. Einmal starb der festgenommene Lohnkiller, der gegen Commaneci aussagen wollte, im Gefängnis und auf mysteriöse Weise.“

„Nun erzähl mir noch, dass die Morde, um die es bei den Gerichtsverhandlungen ging, mit einer Jagdwaffe ausgeführt wurden“, sagte Berringer.

„Genau so ist. Und das verwundert auch nicht, denn die sind dort unten sehr verbreitet.“

Berringer musste sich daraufhin erst einmal setzen.

Es war bereits dunkel. Peter Gerath hatte sich an diesem Abend früh zu Bett gelegt, aber er fand keinen Schlaf. So war er wieder aufgestanden und ging durch das riesige Wohnzimmer, barfuss und im Pyjama. Darüber trug er einen Morgenmantel. Draußen machte sich einer der Wachhunde kurz bemerkbar.

Was ist das für ein Leben - gefangen im eigenen Haus!, ging es ihm durch den Kopf.

Ein Schritt auf die Terrasse, und es wurde auf einem geschossen!

Die Geschehnisse auf der BOOT wühlten ihn noch ziemlich stark auf. Viele Kunden würden sich diskret von ihm zurückziehen, aus Angst, selbst zur Zielscheibe der Unbekannten zu werden. Vor Wut und Hilflosigkeit ballte er die Hände zu Fäusten.

Frank Severin hatte offenbar mit der Textil-Mafia kooperiert. Aber er – Peter Gerath -

war entschlossen, dieses Spiel nicht mitzumachen.

Es war nur zu hoffen, dass dieser ganze Saustall ausgemistet wurde, dachte er.

Berringer hatte einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, indem er einen der Schläger festgehalten hatte. Den Rest erledigte hoffentlich die Polizei.

Und was ist mit Gerndorf?, fragte eine Stimme in Geraths Hinterkopf, die er vergeblich versuchte, zum Schweigen zu bringen. Er konnte diesen Namen nicht mehr hören, aber vielleicht war es besser, sich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen, als ständig vor ihnen auf der Flucht zu sein.

Er schloss die Augen.

„Schluss!“, sagte er so laut, als wäre noch jemand im Raum, dem er das Wort verbieten wollte. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken.

Das Telefon klingelte. Gerath zögerte, ehe er zum Apparat ging und abnahm. Wer konnte das sein? Berringer? Dessen Auftrag war im Grunde erledigt, fand Gerath.

Herauszufinden, wer Frank Severin umgebracht hatte, das war Aufgabe der Polizei.

„Hier Gerath. Was gibt’s?“

„Andreas hier.“

Es folgte ein längeres gegenseitiges Schweigen. Wie lange hatte er mit Andreas nicht mehr gesprochen? Seitdem die Sache mit der Unterschlagung herausgekommen war, hatten sie keinerlei Kontakt mehr gehabt. Peter Gerath hatte seinerseits gar nicht den Versuch unternommen, auch wenn seine Frau ihn immer wieder dazu gedrängt hatte, Andreas aufzusuchen und sich trotz allem, was geschehen war, mit ihm zu verständigen. Aber Peter Gerath sah bis zu diesem Tag nicht ein, wozu eigentlich.

Warum sollte er, der doch der Betrogene in dieser Angelegenheit war, den ersten Schritt machen?

„Weil du der Vater bist, und Andreas ist dein Sohn!“ Noch immer hatte er Reginas Antwort auf diese Frage im Ohr und versuchte sie verzweifelt, aus seinem Kopf zu verbannen.

Die Verlegenheit war beiderseitig.

„Wie geht es dir, Andreas?“

Er antwortete nicht gleich. „Ich bin als Versicherungsberater tätig.“

„Das habe ich gehört. Aber das war keine Antwort auf meine Frage.“

„Vom Koks bin ich los, wenn du das meinst. Von ein paar anderen Dingen noch nicht.“

„Das heißt, du spielst noch.“

„Ja“, gab er zögernd zu. „Aber das bekomme ich auch noch in den Griff.“

„Warum rufst du an? Brauchst du Geld?“

Tief in seiner eigentlich sehr empfindsamen Seele hoffte Peter Geraths, dass Andreas Nein sagen und sich seine Vermutung nicht bestätigen würde. Er hoffte, dass Andreas einfach nur so anrief. Ohne einen Hintergedanken, ohne ein konkretes Ziel, abgesehen davon, wieder Kontakt zu seinem Vater aufzunehmen.

Aber das war nicht der Fall.

„Ja“, sagte Andreas. „Ich brauche Geld. Sehr viel Geld.“

„Wie viel?“

„500.000 Euro. Und die Leute, denen ich es schulde, fackeln nicht lange.“

„Wollen die dir was antun?“

„Nein, sie würden mich nicht töten. Schließlich bin ich die Kuh, die sie noch melken wollen.“

„Aber ...“ Die Gedanken begannen in Peter Gerath zu rasen.

„Sie wollen dich umbringen, Vater. Und sie haben mir gesagt, dass sie es auch schon beinahe erledigt hätten. Bislang hätten sie dich absichtlich nicht getötet.“

„Das ... das ist doch absurd!“, schrie Gerath.

„Nein, das ist sogar ziemlich clever, Vater“, widersprach sein Sohn. „Wenn sie dich töten, bekomme ich mindestens mein Pflichtteil – und das bedeutet, die Schweine bekommen ihr Geld!“

Peter Gerath war wie vor den Kopf gestoßen. „Das ist nicht wahr“, keuchte er.

„Wieso hast du mir nichts gesagt?“

„Ich hab nicht geglaubt, dass sie ernst machen.“

„Was sind das für Typen?“

„Der Anführer ist ein Deutsch-Rumäne. Er heißt Commaneci und ist hier in Düsseldorf eine bekannte Unterweltgröße.“ Eine Pause folgte. Gerath war unfähig, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen. „Ich muss jetzt Schluss machen“, sagte Andreas Gerath und unterbrach die Verbindung.

Peter Gerath überlegte. Dann suchte er die Nummer von Robert Berringer aus dem Telefonregister. Aber statt die Stimme des Detektivs bekam Peter Gerath nur einen monotonen Satz zu hören: „Der Teilnehmer ist momentan nicht zu erreichen. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht auf der Mailbox.“ Robert Berringer zog sich so leise wie möglich an. Aber er war offenbar dennoch nicht leise genug. Wiebke Brönstrup räkelte sich in den Kissen, langte auf die andere Bettseite und begriff dann, was los war.

„Du willst gehen?“

„Ja.“

Sie gähnte. „Warum bleibst du nicht bis zum Frühstück?“

„Wir wollen es nicht gleich übertreiben“, meinte er.

Sie war auf einmal hellwach, setzte sich im Bett auf und strich sich das rote Haar zurück. „Es sind doch nur noch ein paar Stunden, bis wir beide aus den Federn müssen!“

Berringer lächelte. „Bis du aus den Federn musst“, korrigierte er. „Wann ich aufstehe, bestimme ich selbst.“

„Und lässt die Arbeit von deinen beiden Angestellten machen.“

„Genau.“

„Noch ein Grund mehr, einfach hier zu bleiben.“

„Nein.“

Sie wechselten einen Blick. Ihr entging nicht das besondere Timbre, in dem er dieses letzte „Nein“ gesprochen hatte. Endgültigkeit lag darin. Und noch etwas anderes.

Furcht vielleicht? Aber wovor? Sie verstand es nicht.

„Sag mir, was los ist“, forderte sie. „Ich dachte, du hättest dich tatsächlich geändert.

Du hast sogar dein Handy beim Sex ausgemacht, das habe ich früher nie bei dir erlebt. Du warst so sensibel und einfühlsam - und jetzt lässt du mich einfach allein?“

„Nein, so ist das nicht.“

„Wie ist es dann? Hat es dich vielleicht irritiert, dass ich die Initiative ergriffen habe?

Aber erstens hätte ich wahrscheinlich lange darauf warten können, dass du den ersten Schritt machst, und zweitens dachte ich, als moderne selbstständige Frau ... Mein Gott, wir sind ja schließlich keine Teenager mehr!“

„Es ist ganz einfach: Ich möchte hier nicht einschlafen.“

„Aber weshalb nicht?“

„Ich ... ich ...“ Er wedelte mit den Händen in der Luft herum, suchte die richtigen Worte. „Ich träume manchmal schlecht“, gestand er dann. „Und ich möchte nicht, dass jemand das mitkriegt.“

„Ich bin nicht die Prinzessin auf der Erbse. Früher habe ich dein Schnarchen schließlich auch ausgehalten.“

„Ich rede nicht von Schnarchen.“

„Aber ...“

„Akzeptier es einfach.“

„Robert ...“

„Ich kann es nicht und Punkt. Noch nicht.“

„Aber ich ...“

„Gute Nacht. Oder guten Morgen. Ganz wie du willst.“

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