Читать книгу Alfred Bekker Krimi Trio #1 - Alfred Bekker - Страница 10
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Unsere Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell trafen wenig später ein. Ihr Weg hier her war etwas länger gewesen als der unsere. Ein Spezialeinsatzkommando steckte im Stau fest. Rund um das Macy's war in Midtown Manhattan der Verkehr total zusammengebrochen. Die Vielzahl von Einsatzfahrzeugen war daran nur zum Teil Schuld. Tausende von Besuchern des Macy's strömten völlig unkontrolliert aus dem Kaufhaus, liefen zu ihren Fahrzeugen in der Tiefgarage und versuchten von Panik getrieben diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Familien mit Kindern waren darunter, die einen vergnüglichen Spätnachmittag beim Einkaufsbummel hatten verbringen wollen.
Die Panik, die der Amokläufer verbreitet hatte, musste sich rasend verbreitet haben. Es hatte keinen Sinn, diese Menschenmassen mit einer Handvoll Cops aufhalten zu wollen. Das hätte nur in einer Katastrophe geendet. Wir konnten nur hoffen, dass die Security Guards in der Videozentrale wirklich sehr genau ihre Bildschirme kontrolliert hatten.
Wenn nicht, war der Amokläufer vielleicht mit den Menschenmassen hinausgespült worden, ohne dass ihn jemand bemerkt hatte.
In dem Fall hatten wir schlechte Karten.
Captain Rovanovich entschied, das Eintreffen des Spezialkommandos nicht abzuwarten.
Wir gingen in das Gebäude hinein. Das Emergency Service-Team folgte uns. Der Strom der von Panik ergriffenen Macy's-Kunden kam uns dabei entgegen und sorgte dafür, dass wir länger brauchten als gewöhnlich. Rovanovich leitete den Einsatz vom Van aus. Er war dabei in ständigem Funkkontakt mit der Videoüberwachungszentrale des privaten Security Service, der normalerweise innerhalb des Kaufhauses für Sicherheit zu sorgen hatte.
Bei den Aufzügen trafen wir ein paar Security Guards.
Sie waren mit der Situation vollkommen überfordert. Der Schrecken stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
"Fragen Sie mal nach, welchen Lift der Killer benutzt hat!", wandte ich mich über Funk an Captain Rovanovich.
Wenig später konnte mir der NYPD-Captain darauf eine Antwort geben.
"Er hat die Nummer 5 benutzt!"
"Danke!"
Ich ging zum Aufzug mit der Nummer fünf und sorgte per Knopfdruck dafür, dass sich die Kabine in Bewegung setzte.
Wir G-men und einige der City Police-Cops warteten geduldig ab, während die anderen sich auf den Weg in den siebten Stock machten. Dort sollte es einen schwerverletzten Mann mit einer Schusswunde geben. Sicherheitshalber nahmen die Kollegen den Weg über das Treppenhaus.
Schließlich war der Amokläufer in Besitz von Handgranaten. Vielleicht hatte er auch weiteren Sprengstoff dabei. Sobald er sich in die Enge getrieben fühlte, war dieser Tätertyp vollkommen unberechenbar.
Die Kabine von Nummer 5 erreichte das Erdgeschoss.
Ich wandte mich an einen der hauseigenen Security Guards.
"Können Sie im Aufzugsbereich den Strom abschalten?"
"Das ist gegen die Vorschriften, Sir!", bekam ich zur Auskunft. "Schließlich könnten sich noch Personen in den Aufzügen befinden...!"
"Tun Sie es trotzdem, wir können nicht länger warten!"
"Ich werde die Verantwortung nicht übernehmen!", erwiderte der Guard.
Milo meldete sich zu Wort. "Wenn der Kerl wirklich irgendwo in diesem Schacht herumklettert, dann sollten wir ihn schleunigst stellen!", fand er. "Schließlich hat er Handgranaten bei sich."
Jay Kronburg wandte sich an den Wachmann. "Wir übernehmen die Verantwortung! Also stellen Sie den Strom ab!"
Ich wartete nicht länger. Sollte Jay versuchen, mit der Autorität eines Ex-Cops dafür sorgen, dass die Stromversorgung der Aufzüge abgeschaltet wurde.
Ich betrat die Kabine. Milo folgte mir. Ich deutete mit dem Lauf der SIG hinauf zum Kabinendach. "Schau dir das an!"
"Du hattest den richtigen Riecher, Jesse!"
Eine der Platten des Kabinendachs war aus ihrer Halterung gebrochen worden. Der Täter hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie wieder exakt in die Lücke hineinzupassen.
Milo bildete mit den Händen einen Tritt.
Ich steckte die SIG ein, schwang mich hinauf. Die Platte war lose. Sie ließ sich zur Seite schieben. Mit einem schabenden Laut fiel sie vom Kabinendach herunter in die Tiefe. Und das mussten mindestens noch einmal zehn oder zwölf Meter sein, schließlich befanden sich unterhalb des Macy's mehrere Parkdecks, zu denen man ebenfalls über die Aufzüge gelangen konnte.
Ich zog mich mit einem Klimmzug empor. Die Öffnung war groß genug, um hindurchzuklettern. Der Amokschütze hatte es etwas schwerer gehabt. Ich vermutete, dass er die seitlichen Haltegriffe als Tritte benutzt und die Finger durch das Gitter eines Lüftungsschlitzes knapp unterhalb der Decke gekrallt hatte. Ich griff zur SIG, blickte mich um. Es herrschte Halbdunkel. Eine schwache Notbeleuchtung gab es hier im Schacht. Irgendwo weit über mir fiel spärliches Licht durch dicke Glasbausteine in der Gebäudedecke.
"Siehst du was?", fragte Milo.
Ich brauchte einige Augenblicke, um mich an das Halbdunkel zu gewöhnen.
Ein knarrender Laut ließ mich abwärts blicken. Eine der Liftkabinen wurde angehoben, kam langsam höher. Von dem Amokläufer sah ich dort jedoch keine Spur.
Immer wieder machten sogenannte Lift-Surfer von sich reden, die eine Mutprobe daraus machten, in den Schächten von einer Kabine zur anderen zu springen. Ein riskantes Spiel. Schon so mancher war dabei buchstäblich zerrissen worden. Die Sicherheitsbestimmungen waren inzwischen verschärft worden, sodass es schwieriger war, die Liftkabine zu verlassen. Offenbar reichten diese verschärften Vorschriften noch immer nicht aus.
Von oben senkte sich ebenfalls eine Kabine herab.
Ich hörte die Megafonansagen der NYPD-Kollegen. Alle, die sich noch im Gebäude aufhielten, wurden angewiesen, nicht die Fahrstühle zu benutzen.
Dann hielten beide Liftkabinen mit einem Ruck.
Die Notbeleuchtung verlosch.
"Hier spricht Special Agent Jesse Trevellian vom FBI!", rief ich. Meine Worte hallten im Schacht wider. Ich musste langsam und deutlich sprechen. "Wir wissen, dass Sie hier sind! Sie haben keine Chance zu entkommen. Aber was immer auch Ihr Anliegen sein mag, Sie werden in einem fairen Prozess die Möglichkeit bekommen, es an die Öffentlichkeit zu bringen!"
Ich lauschte. Was ich gesagt hatte, war nicht mehr als ein Schuss ins Blaue. Niemand von uns wusste, was wirklich in dem Kopf des Amokläufers vor sich ging. Manche wollten einfach nur auf spektakuläre Weise in die Öffentlichkeit. Gescheiterte Existenzen, die sich einen großen Abgang inszenierten und sich dabei Vorbilder aus den Medien nahmen. Je nachdem, wie der groß der Schaden war, den sie angerichtet hatten, starben diese Menschen in der Gewissheit, dass der Bürgermeister, der Gouverneur oder in besonders schweren Fällen sogar der Präsident öffentlich von ihnen Notiz genommen hatte.
Es gab andere Fälle, in denen sich die Betreffenden einfach nur voll bewusstseinsverändernder Drogen gepumpt hatten.
Ich hoffte nicht, dass der Kerl, mit dem wir es zu tun hatten, zu dieser Kategorie zählte.
Denn die Angehörigen dieser Sorte konnte man mit noch so geschickt gewählten Worten nicht beeinflussen.
Milo kletterte inzwischen zu mir herauf.
Noch immer herrschte ansonsten absolute Stille im Schacht.
"Hören Sie, man wird Ihnen helfen!", rief ich. "Ich bin überzeugt davon, dass Sie Hilfe brauchen. Ich verspreche Ihnen, dass man Sie Ihnen auch geben wird! Es muss mit dem heutigen Tag nicht alles für Sie zu Ende sein! Allerdings können Sie dieses Gebäude nur lebend verlassen, wenn Sie sich ergeben!"
Wieder keine Antwort.
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, ein rotes Blitzen hoch über mir zu sehen. Ein Laserstrahl, der an mehreren Stellen mit den fingerdicken Drahtseilen zusammentraf. Dadurch wurde er selbst auf die große Entfernung hin für einen Sekundenbruchteil gut sichtbar.
"Er ist dort oben", flüsterte ich Milo zu, der nach unten geblickt und davon nichts mitbekommen hatte.
"Wie kommst du darauf?", fragte mein Partner.
"Ich habe den Laserpointer seiner Waffe gesehen."
"Warum hat er sich verdammt noch einmal nach oben tragen lassen? Das gibt doch keinen Sinn, Jesse!"
"Vielleicht doch!"
"Du meinst, da wird man ihn zuletzt suchen!"
"Ich hoffe, dass das der einzige Grund ist", murmelte ich. Ich gab die ungefähre Position, an der ich den Strahl des Laserpointer zu sehen geglaubt hatte, an die Einsatzzentrale durch. Captain Rovanovich konnte so schon einmal ein paar Leute auf den Weg schicken.
Milo wandte den Kopf zu mir.
"Na, was ist? Hat der Amateurpsychologe Jesse Trevellian schon aufgegeben oder versuchst du noch einmal, den Typ aus der Reserve zu locken?", fragte Milo.
Er fasste die SIG mit beiden Händen.
Suchend blickte er empor.
Das schwache Gegenlicht, das durch die Glasbausteine in der Decke drang, machte es nicht gerade einfacher, etwas zu erkennen. Aber einen Scheinwerfer zu benutzen, wäre für uns vermutlich Selbstmord gewesen. Der Amokläufer hätte dann ein gut sichtbares Ziel vor sich gehabt.
Ein schabendes Geräusch war zu hören, hallte mehrfach wider.
Immerhin bestätigte mich das in der festen Überzeugung, dass dort oben tatsächlich jemand war.
"Hier ist nochmal Jesse Trevellian vom FBI", rief ich zu ihm hinauf. "Draußen warten ein paar Fernsehteams und Presseleute! Aber das Macy's ist komplett abgeriegelt. Von denen kommt keiner nahe genug heran, um Sie auf das Band zu bekommen! Sie wollen doch, dass man von Ihnen Notiz nimmt, oder?"
Die Antwort des Amokläufers bestand aus Schweigen.
"Wenn Sie aufgeben, sorge ich dafür, dass Sie vorne durch den Haupteingang geführt werden, wenn Sie das wollen. Dann werden Ihr Gesicht und das, was Sie in die Kameras sagen, um die ganze Welt gehen. Es ist beste Prime Time. Sie werden der Aufmacher in den Abendnachrichten sein! Was ist? Ist das kein Angebot?"
Wieder war ein Geräusch zu hören. Es klang wie ein Ratsch. Eine Waffe wurde durchgeladen. Dann folgte ein Schrei. Ein dunkler Schatten fiel aus Höhe des fünfzehnten oder sechzehnten Stocks. Der Körper eines Menschen. Genau das hatte ich befürchtet. Deswegen, so glaubte ich in diesem Moment, war der Amokläufer aufwärts "gesurft". Er gehörte offenbar zu jener Sorte, denen es einzig und allein um die Inszenierung eines dramatischen Abgangs ging.
"Verdammt!", knurrte Milo.
Im nächsten Moment hörten wir tief unten seinen Körper aufschlagen.
Ein alptraumhafter Laut.
Im nächsten Moment wurde es hell im Schacht. Eine gewaltige Explosion brach los. Tief unter uns war eine Flammenhölle. Der Knall war ohrenbetäubend. Offenbar war eine der Handgranaten losgegangen, die der Kerl bei sich trug. Wahrscheinlich hatte er den Auslöser noch gezogen, während er in die Tiefe fiel. Die Druckwelle erfasste die Liftkabine, auf deren Dach wir uns befanden mit voller Wucht. Wir mussten uns festhalten, klammerten uns an den Drahtseilen fest. Es wurde höllisch heiß. Wir kletterten in die Kabine zurück. Zuerst Milo, dann ich. Leslie und Jay nahmen uns in Empfang, halfen uns dabei. Eine weitere Detonation erschütterte jetzt den gesamten Aufzugsschacht.
"Der Kerl scheint jede Menge Explosives bei sich gehabt zu haben", kommentierte Milo den zweiten Knall.
Wir traten aus der Kabine heraus.
"Jesse! Milo! Was ist da bei euch los, verdammt noch mal?", dröhnte die Stimme von Captain Rovanovich in meinem Ohrhörer.
Ich atmete tief durch.
"Der Kerl hat sich das verschafft, worauf er es wohl von Anfang an abgesehen hatte - einen spektakulären Abgang", berichtete ich.
"Er hätte auf dein Angebot eingehen sollen, Jesse!", murmelte Milo düster. "Dann wäre er auch berühmt geworden..."
Ich schloss einige Augenblicke lang die Augen. Die aufgeregte Stimme von Captain Rovanovich beachtete ich für den Moment nicht weiter. Irgendetwas stimmt hier nicht, durchzuckte es mich. Ich konnte nicht sagen, was genau es war. Aber ich hatte das deutliche Gefühl, dass es hier um mehr ging, als nur um einen Mann, der in die Psychiatrie gehört hätte. Ich zermarterte mir das Hirn, versuchte mir noch einmal im Einzelnen zu vergegenwärtigen, was gerade geschehen war. Irgendein winziges Detail passte nicht ins Bild. Nur ein winziges Stück in einem Puzzle. So sehr ich mich auch anstrengte, es fiel mir nicht ein. Noch nicht.