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Fürst Boris von Hambach stand am Fenster seines Arbeitszimmers und blickte hinunter in den Vorhof seines Schlosses. Er bemerkte einen leicht lädiert aussehenden Wagen, der soeben die breite, von Rosenbeeten gesäumte Auffahrt herunterkam und dabei ziemlich unangenehme Geräusche von sich gab. Vor der Freitreppe, die zum Hauptportal führte, hielt er an, und dann kletterte ein schlanker junger Mann ins Freie, dehnte und reckte sich kurz und schaute sich beeindruckt um.

»Nicht übel«, murmelte der junge Mann vor sich hin, bevor er die Treppe zum Hauptportal emporspurtete. »Irgendwie erscheint mir alles so vertraut und gleichzeitig auch fremd. Die Zeit hat eben doch so manche Erinnerung verblassen lassen.«

Bevor er den Finger auf den Klingelknopf legte, atmete er noch einmal tief durch. Das seltsame Gefühl, das sich seiner bemächtigt hatte, als er den Besitz seines Vaters betreten hatte, verstärkte sich. Sein Pulsschlag beschleunigte sich auf annähernd einhundertfünfzig und mehr. Es war eben doch einfacher, einen Plan auszuhecken, als ihn dann tatsächlich durchzuführen. Am meisten fürchtete Alexander die erste Begegnung mit seinem Vater nach über zwanzig Jahren. Würde der Fürst sein gewagtes Spiel durchschauen und ihn am Ende gar erkennen?

»Zum Glück ähnelst du ihm kaum, sondern mehr meinem Vater«, hatte seine Mutter gemeint, als er sich von ihr verabschiedet hatte. »Und an den wird er sich wohl kaum noch erinnern. Trotzdem bist du verrückt.«

»Sei’s drum!«, brummte Alexander und drückte entschlossen auf den Klingelknopf. »Mehr als rausschmeißen kann er mich nicht.«

Butler Karl öffnete die messingbeschlagene Tür und fragte nach den Wünschen des Besuchers.

»Mein Name ist Thomas Wildhirt«, stellte sich Alexander vor, zwang ein gewinnendes Lächeln in sein Gesicht und verbeugte sich leicht. »Fürst Hambach hat mich für heute Vormittag zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Wenn Sie mich bitte anmelden wollen.«

»Sehr wohl«, erwiderte der Butler, verbeugte sich ebenfalls und gab die Tür frei. »Treten Sie bitte ein!«

Er führte Alexander in die Empfangshalle, bat ihn, Platz zu nehmen, und verschwand mit dem Versprechen, dem Fürsten seine Ankunft zu melden. Wenig später kam er zurück und forderte den jungen Mann auf, ihm zu folgen.

Und dann stand Alexander nach all den Jahren zum ersten Mal wieder seinem Vater gegenüber. Sein Herz raste. Seine Kehle wurde trocken, seine Hände feucht. Ein denkwürdiger Augenblick in seinem jungen Leben; vielleicht sogar der denkwürdigste überhaupt.

Fürst Boris hockte hinter seinem Schreibtisch, erhob sich, als Alexander ins Zimmer trat, und musterte ihn mit undurchdringlicher Miene. Das merkwürdige Gefühl, diesem Menschen schon einmal begegnet zu sein, beschlich ihn. Er kramte in seinen Erinnerungen, kam aber nicht dahinter, wo und wann dies gewesen sein könnte. Vermutlich irrte er sich, und dieser junge Mann besaß lediglich eine gewisse Ähnlichkeit mit jemandem, der ihm früher einmal über den Weg gelaufen war.

Das ist also mein Vater, schoss es Alexander zur gleichen Zeit durch den Sinn. Er ist ein Fremder für mich. Kaum eine Erinnerung habe ich mehr an ihn. Wären wir uns irgendwo begegnet, ich hätte ihn nicht erkannt. Und wie finster er mich anschaut. Als hätte ich ihm die Kronjuwelen geklaut. Ob dieser Mann auch lächeln kann?

»Sie können gehen«, forderte Fürst Boris seinen Butler auf, der abwartend im Hintergrund stehengeblieben war. »Wenn ich etwas brauchen sollte, läute ich.«

Butler Karl verbeugte sich und schloss die Tür.

»Sie möchten also bei mir Verwalter werden?«, wandte sich Fürst Boris an Alexander. Die Hand gereicht hatte er ihm bis jetzt noch nicht. Ein kaum wahrnehmbares Kopfnicken war der einzige Gruß gewesen, den er seinem Besucher gegönnt hatte. Es sollte auch der einzige bleiben.

»Nun, dann setzen Sie sich erst einmal!«

Während Alexander vor dem Schreibtisch des Fürsten Platz nahm, begab sich dieser zurück zu seinem und ließ sich ebenfalls nieder. Dann griff er nach einer Akte und blätterte für eine Weile darin.

»Ihr Name ist Thomas Wildhirt?«

Alexander bestätigte, dass dem so war, und kam sich wie bei einem polizeilichen Verhör vor. Die Stimme des Fürsten klang kalt und unpersönlich. Sein Gesicht blieb weiterhin unbewegt.

»Eigentlich hätte ich mir einen erfahreneren Mann als Sie gewünscht«, fuhr der Fürst fort. »Trauen Sie sich denn zu, eine Aufgabe wie diese zu bewältigen? Immerhin wäre es Ihre erste Anstellung, falls wir uns einig werden sollten.«

»Irgendwann fängt jeder einmal an«, gab Alexander zurück. »Ich hätte mich nicht um diese Stelle beworben, wenn ich mir nicht zutrauen würde, die Aufgabe zu bewältigen.«

»Sie klingen recht selbstbewusst, junger Mann«, bemerkte Fürst Boris. »Hoffentlich überschätzen Sie sich und Ihre Fähigkeiten nicht. Sie wären nicht der Erste, dem ich das bescheinigen müsste.«

Alexander hob die Schultern. »Sie müssten es auf einen Versuch ankommen lassen.«

Fürst Boris erdolchte ihn mit einem eisigen Blick.

»Das müssen Sie schon mir überlassen, ob ich den Versuch mit Ihnen wage oder nicht«, grollte er. »Ich neige eher dazu, es nicht zu tun.«

»Na schön«, gab Alexander sich möglichst gleichgültig und erhob sich. »Dann kann ich wohl wieder gehen. Es war mir eine Ehre, Durchlaucht.«

»Was soll das?« Fürst Boris wirkte verblüfft. Da war ja mal einer, der einen gewissen Schneid zu haben schien. Ein anderer hätte vermutlich kleinlaut gekuscht und durch anbiederndes Verhalten versucht, vielleicht doch berücksichtigt zu werden. Der da tat das nicht. Im Gegenteil. Dabei ging es für ihn doch um einiges. Irgendwie imponierte das dem Fürsten.

»Setzen Sie sich gefälligst wieder! Wir sind noch nicht fertig miteinander.«

»Es hörte sich aber so an«, meinte Alexander, während er wieder Platz nahm.

»Sie scheinen nicht nur selbstbewusst, Sie scheinen auch ein wenig vorlaut zu sein, junger Mann«, stellte Fürst Boris fest.

»Keineswegs«, widersprach Alexander. »Ich verabscheue es lediglich, unnötige Zeit zu vergeuden; in diesem Fall besonders die Ihre. Wenn Sie mir also erklären, mich nicht einstellen zu wollen, erübrigt sich doch jedes weitere Wort.«

»Habe ich behauptet, Sie nicht einstellen zu wollen?«, rief der Fürst.

»Es hörte sich so an«, wiederholte Alexander.

»Ich sagte lediglich, dass ich dazu neige, es nicht zu tun«, betonte der Fürst, dem der junge Mann immer besser gefiel. »Das schließt keinesfalls aus, dass ich es mir letztlich nicht doch anders überlege. Zumal Ihre Zeugnisse recht ordentlich sind.«

»Sie sind nicht bloß ordentlich, sie sind sehr gut«, warf sich Alexander stolz in die Brust. »Ich habe sowohl in Agronomie als auch in Betriebswirtschaft den besten diesjährigen Abschluss unserer Uni geschafft.«

»Also auch noch eingebildet«, brummte der Fürst kopfschüttelnd. »Ich sollte Sie zum Teufel jagen. Bleiben Sie jetzt bloß sitzen«, fügte er warnend hinzu. »Wann können Sie denn bei mir anfangen?«

Alexander hätte vor Freude jubeln mögen. Äußerlich gab er sich dagegen eher gelassen.

»Wann immer Sie möchten«, antwortete er. »Heute, morgen, Anfang nächsten Monats. Ich bin in dieser Beziehung völlig flexibel. Allerdings müssten wir uns zuvor noch über die Bedingungen einigen, unter denen ich für Sie tätig werde, insbesondere über die finanziellen.«

Dies stellte kein Problem dar. Fürst Boris bot seinem künftigen Verwalter ein Gehalt an, über das es nichts zu meckern gab. Dazu kamen ein anständiges Weihnachtsgeld, großzügig bemessene Urlaubstage sowie der mietfreie Wohnsitz im Verwalterhaus, das in unmittelbarer Nähe des Schlosses stand. Alexander war mehr als zufrieden und erklärte sich mit allem einverstanden.

»Dann sind Sie also ab heute bei mir eingestellt«, meinte der Fürst. »Die Probezeit beträgt ein halbes Jahr. Während dieser Frist ist unser Vertrag, den wir noch unterzeichnen werden, jederzeit beidseitig kündbar. Ich hoffe, dass ich meinen Entschluss, Sie eingestellt zu haben, nicht eines Tages bereuen muss.«

»Ich werde mich bemühen, stets zu Ihrer Zufriedenheit für Sie zu arbeiten«, versprach Alexander.

»Na schön«, brummte der Fürst. »Lassen wir uns überraschen. Sie können dann gehen. Karl wird Ihnen Ihr Haus zeigen. Es ist einfach, aber zweckmäßig möbliert. Natürlich bleibt es Ihnen überlassen, wie Sie es künftig einrichten werden.«

»Das geht schon in Ordnung«, erwiderte Alexander. »Als Junggeselle bin ich nicht sonderlich anspruchsvoll.«

»Sie werden wohl nicht ewig Junggeselle bleiben wollen - oder?«

Alexander zuckte lächelnd die Schultern. »Keine Ahnung. Bis jetzt ist mir jedenfalls noch nicht die richtige Frau über den Weg gelaufen, für die es sich gelohnt hätte, meine kostbare Freiheit aufzugeben.« Den jungen Mann schien der Teufel zu reiten, als er hinzufügte: »Sind Sie eigentlich verheiratet, Durchlaucht?«

Die Miene des Fürsten, vorher schon kühl und unnahbar, wirkte plötzlich noch düsterer.

»Nein«, versetzte er hart, klappte den Aktendeckel zu und erhob sich. »Ich erwarte Sie morgen Mittag um vierzehn Uhr an gleicher Stelle. Bis dahin werden Sie sich drüben einigermaßen eingerichtet haben. Ich werde Ihnen dann Ihren Arbeitsbereich zeigen und Ihnen einige Leute vorstellen. Auf Wiedersehen, Herr Wildhirt.«

Alexander verbeugte sich leicht und verließ das Zimmer. Draußen erwartete ihn bereits der Butler, um ihn zum Verwalterhaus zu geleiten.

»Willkommen auf Schloss Hambach«, empfing ihn Karl. »Hoffentlich haben wir mit Ihnen länger das Vergnügen als mit Ihrem Vorgänger.«

»Warum?«, erkundigte sich Alexander. »Wie lange ist mein Vorgänger denn geblieben?«

»Keine vier Wochen«, seufzte Karl. »Man muss Durchlaucht halt zu nehmen wissen, sonst ...« Er unterbrach sich und seufzte erneut.

»Sonst?«

»Das müssen Sie schon selbst herausfinden«, meinte Karl. »Ich möchte mir nicht den Mund verbrennen. In meinem Alter ist es nämlich nicht einfach, eine neue Stellung zu finden.«

Sammelband 4 Fürstenromane: Liebe, Schicksal, Schlösser

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