Читать книгу Sammelband 4 Fürstenromane: Liebe, Schicksal, Schlösser - Alfred Bekker - Страница 13

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»Sie könnten mir einen Gefallen erweisen, Wildhirt«, wandte sich Fürst Boris an seinen neuen Verwalter, als dieser zum täglichen Rapport bei ihm antrat. »Ich weiß, dass es nicht zu ihren Aufgaben gehört, für mich den Chauffeur zu spielen, aber ich befinde mich in einer Notlage. Oskar, mein Fahrer, ist erkrankt. Ich selbst muss in einer dringenden Angelegenheit nach München. Und Karl möchte ich nicht schicken. Der fährt nämlich Auto, wie ich Klavier spiele.«

»Sie spielen Klavier, Durchlaucht?«

»Eben nicht«, versetzte der Fürst trocken. »Und genauso fährt Karl Auto.«

Alexander lachte. Der Fürst schaute ihn an, runzelte die Stirn und dann huschte - man höre und staune - auch so etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht.

»Das sollte kein Scherz sein«, knurrte er und ärgerte sich, weil er sich diese Gemütsregung erlaubt hatte. »Das ist eine Tatsache.«

»Wie Sie meinen, Durchlaucht.«

Alexander weilte nun schon etliche Tage auf Schloss Hambach. Er fühlte sich recht wohl, seine Arbeit machte ihm Freude, und mit seinen Mitarbeitern kam er bestens aus. Sie respektierten ihn, weil sie merkten, dass er etwas von seiner Sache verstand. Wenn einem ein Fehler unterlief oder etwas nicht so erledigt wurde, wie Alexander sich das vorgestellt hatte, dann bekam er nicht gleich einen Tobsuchtsanfall, sondern bat den Verantwortlichen zu sich und sprach in ruhigem sachlichen Ton mit ihm. Niemals kehrte er den Vorgesetzten heraus. Das gefiel den Leuten. Und noch mehr gefiel ihnen, dass sie, seit Alexander die Gutsverwaltung übernommen hatte, kaum noch persönlich mit ihrem eigentlichen Dienstherrn konfrontiert wurden, denn der kümmerte sich jetzt mehr um andere Geschäftsbereiche.

Auch Fürst Boris hatte schnell erkannt, dass er mit seinem neuen Verwalter keinen schlechten Griff getan hatte. Was und wie es der junge Mann anpackte, hatte Hand und Fuß und war von Grund auf durchdacht. Er selbst hätte es nicht besser machen können. Das gefiel dem alten Despoten und etwas, das er zuvor kaum einmal für jemand empfunden hatte, wuchs in ihm: Er fühlte Sympathie für den jungen Mann - Sympathie und Achtung.

Natürlich zeigte er ihm das nicht. Er gab sich Alexander gegenüber nach wie vor unnahbar und brummig. Doch diesen schien das nicht zu stören. Er ertrug die Launen des Fürsten mit Gelassenheit, wehrte sich mit sachlichen Argumenten, wenn er sich zu Unrecht angegriffen fühlte, und gestattete seinem Vater niemals, ihn wie einen dummen Jungen zu behandeln. Was den Fürsten, der nicht gewohnt war, dass ihm widersprochen wurde, einerseits ärgerte, andererseits aber auch wiederum imponierte.

Alexander war sich über seine Gefühle für den Vater nicht im Klaren. Zuneigung oder gar Liebe empfand er mit Sicherheit nicht für ihn. Aber es schwelte auch kein Hass auf den Fürsten in ihm. Es war irgendetwas dazwischen. Alexander suchte nach der richtigen Bezeichnung dafür. Gefunden hatte er sie bis jetzt noch nicht.

»Meine ... äh ... Was ist sie eigentlich?« Fürst Boris rieb sich nachdenklich das Kinn. »Jedenfalls ist sie die Tochter meiner Cousine Herta von Kirst, die in den Staaten verheiratet ist. Das Mädchen heißt Jenny, wenn ich mich recht erinnere, und kommt heute Nachmittag auf dem Frankfurter Flughafen an. Sie wird ...«, er schnaubte verärgert, »... dummerweise für eine Weile bei uns wohnen. Ein Narr war ich, mich darauf einzulassen. Bin ich etwa der Hüter der Kinder meiner Verwandten?«

»Wie alt ist das Kind denn?« ,wollte Alexander wissen.

»Kind!« Fürst Boris lachte unlustig. »Einundzwanzig ist das Kind. In Heidelberg studieren will es. Und ich soll auf Jenny aufpassen, damit ihr keiner etwas tut. Als ob ich das könnte. Oder soll ich sie vielleicht Tag und Nacht bewachen?«

»Warum auch?«, erwiderte Alexander. »Das Mädchen ist volljährig und muss selbst wissen, was es zu tun und zu lassen hat.«

»Natürlich«, grollte der Fürst. »Aber was ist, wenn sie sich verliebt und schwanger wird? Dann muss ich mir die Vorwürfe meiner holden Cousine anhören.«

Alexander grinste. »Wenn das tatsächlich passieren sollte, kann man Ihnen doch keine Vorwürfe machen. Es sei denn, Sie selbst ...«

»Werden Sie bloß nicht unverschämt, Wildhirt!«, rief der Fürst aufgebracht. »Ich vergreife mich doch nicht an jungen Mädchen. Ich vergreife mich ja nicht einmal an älteren, weil ich ...« Er unterbrach sich und blickte Alexander finster an. »Wie komme ich überhaupt dazu, mit Ihnen solche Dinge zu erörtern? Das ist doch völlig unter meinem Niveau. Ich sollte Sie für Ihre freche Bemerkung vor die Tür setzen, Wildhirt.«

»Dann hätten Sie aber niemand mehr, der diese Jenny heute Nachmittag vom Flughafen abholen könnte«, entgegnete Alexander mit einem amüsierten Lächeln. »Denn darauf läuft unsere Unterhaltung doch hinaus, nicht wahr?«

»So ist es«, bestätigte der Fürst und fragte sich wieder einmal mehr, wieso er die Unverschämtheit seines neuen Verwalters so gelassen hinnahm; denn schließlich war dessen Erwiderung ja nichts anderes als eine neuerliche Unverschämtheit gewesen.

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das für mich übernehmen könnten.«

»Selbstverständlich übernehme ich das«, versprach Alexander. »Allerdings habe ich ein kleines Problem.«

»Und das wäre?«

»Wie soll ich das Mädchen erkennen?«

»Auch dafür ist gesorgt«, antwortete Fürst Boris. »Da ich ähnliche Befürchtungen hegte, hat mir ihre Mutter eine Fotografie neueren Datums geschickt.« Er kramte auf seinem Schreibtisch, fand endlich, was er suchte, und überreichte Alexander das Foto. »Das ist sie.«

»Hübsch.« Alexander starrte das auf der Fotografie abgelichtete blonde Mädchen fasziniert an. »Sehr hübsch.«

»Ja, aber nichts für Sie!«, brummte der Fürst. »Lassen Sie also gefälligst die Finger von ihr! Sie ist zwar von niedererem Adel als ich, aber dennoch nichts für einen biederen, dazu noch bürgerlichen Verwalter wie Sie.«

»Vielen Dank, Durchlaucht«, gab Alexander sarkastisch zurück. »So etwas nennt man Standesdünkel.«

»Es ist mir egal, wie Sie das nennen«, erklärte Fürst Boris. »Hauptsache, Sie haben mich verstanden. Hände weg von Jenny! Von anderen Dingen ganz zu schweigen. Blaues Blut muss sich durch blaues Blut fortpflanzen. Leider gibt es heutzutage viel zu viele unseres Standes, die sich nicht mehr an diese Tradition halten. Wie sonst könnte sich eine ordinäre Filmschauspielerin plötzlich Prinzessin von Soundso nennen? Das ist ein Skandal! Man sollte diesen Leuten ihren Adelstitel aberkennen und sie mit Schimpf und Schande davonjagen.«

»Sie meinen das tatsächlich ernst - Oder?«, fragte Alexander.

»Selbstverständlich meine ich das ernst«, wurde Fürst Boris laut. »Ich würde meinem Sohn niemals erlauben, eine Bürgerliche zu heiraten. Niemals!«

»Ach, Sie haben einen Sohn, Durchlaucht?«, tat Alexander erstaunt.

»Als ob Sie das nicht wüssten«, fauchte der Fürst. »Natürlich hat man Ihnen in den Tagen, die Sie hier sind, längst alles über mich und meine Familienverhältnisse erzählt. Oder wollen Sie das etwa leugnen?«

»Nein, Durchlaucht.«

»Na also. Dann tun Sie gefälligst nicht so scheinheilig. Damit möchte ich dieses Thema beenden.«

»Wie Sie wünschen, Durchlaucht«, erwiderte Alexander. »Dürfte ich abschließend aber wenigstens noch erfahren, um welche Zeit Fräulein von Kirst auf dem Frankfurter Flughafen landen wird, damit ich mich rechtzeitig auf den Weg machen kann?«

Fürst Boris nannte ihm die Uhrzeit und Ankunftshalle, dann entließ er ihn mit der erneuten Warnung: »Hände weg von Jenny!«

Abwarten, dachte Alexander, während er das Arbeitszimmer des Fürsten verließ und die Treppe zur Empfangshalle hinuntereilte. Wenn mir das Mädchen gefällt und ihr Charakter so beeindruckend ist wie ihr Aussehen, wirst du mich nicht daran hindern können, um sie zu werben. Aber vermutlich ist sie längst in festen Händen. Alles andere wäre ein Wunder. So, wie sie ausschaut. Die amerikanischen Männer müssten blind sein, wenn sie das übersehen hätten. Rechne dir also besser keine Chance aus, Junge, sonst wirst du wahrscheinlich enttäuscht. Und außerdem: Es muss ja nicht unbedingt Jenny sein. Auch andere Mütter haben schöne Töchter.

Alexander erreichte den Frankfurter Flughafen trotz etlicher Staus pünktlich, stellte seinen Wagen für teures Geld in der Tiefgarage ab und begab sich zur entsprechenden Ankunftshalle. Ein Blick auf die Anzeigetafel belehrte ihn, dass Jennys Flugzeug mit etwa halbstündiger Verspätung eintreffen würde. Also nahm er am Tresen einer kleinen Cafeteria Platz und bestellte sich ein Kännchen Kaffee. Der Geschmack des dunkelbraunen, an Spülwasser erinnernden Getränkes stand in keinem Verhältnis zu seinem Preis.

Aus der halben Stunde Verspätung wurde fast eine ganze, bis die Anzeigetafel endlich verkündete, dass Jennys Flugzeug gelandet war. Alexander bezahlte seinen Kaffee und mischte sich unter die anderen Menschen, die auf ihre Angehörigen oder Geschäftsfreunde aus den Staaten warteten. Die Fotografie des Mädchens musste er sich nicht noch einmal anschauen. Das hatte er in den vergangenen Stunden so oft getan, dass sich ihr Bild mittlerweile fest in seinem Inneren eingeprägt hatte.

In natura war Jenny noch hübscher als auf dem Foto. Sie war mittelgroß, schlank und mit all jenen Formen und Pölsterchen ausgestattet worden, die bei einem Mann die Augen aufleuchten ließen. Sie trug eine verwaschene Jeans, ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer bekannten Rockband und auf dem Kopf ein kesses Hütchen. Ihr Gepäck schob sie in einem großen Wagen vor sich her, als sie aus der Tür trat und sich suchend umschaute.

Alexander erkannte sie auf den ersten Blick, eilte ihr entgegen und begrüßte sie in englischer Sprache. Sie stutzte, runzelte die Stirn und schaute den jungen Mann erstaunt und auch etwas argwöhnisch an.

»Mein Onkel Boris sind Sie aber nicht«, stellte sie in fast akzentfreiem Deutsch fest. »Der dürfte wohl etwas älter sein als Sie.«

»So ist es«, pflichtete ihr Alexander lächelnd bei, stellte sich unter seinem falschen Namen - mit Thomas Wildhirt also - vor und erklärte ihr, warum man ihn geschickt hatte, um sie abzuholen.

»Ich hoffe, Sie sind nicht allzu enttäuscht, dass ihr Onkel nicht persönlich kommen konnte. Er selbst bedauert das natürlich zutiefst«, antwortete er charmant mit einer kleinen Lüge.

»So, tut er das?«, versetzte Jenny ironisch. »Dabei hat mir meine Mutter erzählt, dass Onkel Boris gar nicht sonderlich erfreut über meinen Besuch ist. Sollte er seine Meinung inzwischen geändert haben?«

Alexander hob die Schultern. »Darüber Auskunft zu geben, steht mir nicht zu, Frau von Kirst.«

»Nennen Sie mich um Himmels willen nicht Frau von Kirst!«, bat Jenny. »Das tut drüben in den Staaten keiner. Ich heiße Jenny, und ich würde gern Thomas sagen. Okay?«

»Von mir aus gern«, erwiderte Alexander. »Aber ob es Seiner Durchlaucht recht ist, wage ich zu bezweifeln. Der legt großen Wert auf Etikette.«

»Dann muss er sich eben umgewöhnen«, meinte Jenny. »Schließlich bin ich ein modernes amerikanisches Mädchen und keine Hofpomeranze. Frau von Kirst!« Sie verzog angewidert das Gesicht. »Das würde mir in den USA niemand glauben. Selbst Mum und Daddy nennen alle bloß beim Vornamen. Allerdings haben sie aus dem Hugo einen Hugh gemacht. Können wir dann gehen? Ich lechze nach einer Dusche.«

Also begaben sie sich hinunter in die Tiefgarage und verstauten Jennys Gepäck in Alexanders Schrottlaube, denn mit der war er, trotz des fürstlichen Angebotes, einen Wagen aus dessen Fuhrpark zu benutzen, nach Frankfurt gefahren.

»Ein hübsches Auto«, spöttelte Jenny denn auch sogleich. »Von welchem Museum hast du das denn ausgeliehen?«

»Nichts gegen Schorschi«, protestierte Alexander in gespieltem Ernst. »Er begleitet mich schon seit Ewigkeiten und hat so manchen Sturm erlebt.«

»Draußen in der Natur oder hinten auf dem Rücksitz?«, wollte Jenny mit einem anzüglichen Lächeln wissen.

»Frau von Kirst!«, rief Alexander und drohte ihr schelmisch mit dem Finger. »Wo bleibt Ihre Erziehung? Nach so etwas fragt eine anständige Dame nicht!«

»Ich bin keine Dame«, stellte Jenny klar. »Und wenn du mich noch einmal Frau von Kirst nennst, rede ich kein Wort mehr mit dir.«

»Okay, Jenny«, sagte Alexander, und es klang beinahe zärtlich. Und auch der Blick, mit dem er sie dabei anschaute, drückte Ähnliches aus.

O ja, der gute Alexander hatte sich Hals über Kopf in das Mädchen verliebt. Wenige Minuten an ihrer Seite hatten genügt, um in seinem Herzen einen wahren Feuersturm zu entfachen. Behaupte keiner, es gebe keine Liebe auf den ersten Blick. Was Alexander gerade erlebte, bewies das Gegenteil.

Auch Jenny fand den jungen Mann sehr sympathisch. Er sah unglaublich attraktiv aus, hatte Humor - und wäre sie nicht mit Ted Sullivan befreundet ...

Aber es gab ihn nun mal, diesen Ted Sullivan. Also hielt sie sich zurück und vermied es, einen heftigen Flirt mit Alexander zu beginnen. Was - zugegebenermaßen - nicht ganz leicht war; denn natürlich war ihr der Blick nicht entgangen, mit dem er sie gerade bedacht, nein, gestreichelt hatte. Sie fühlte, wie ihr ein sanftes, wohliges Kribbeln den Rücken hinunterlief.

Achtung, Jenny!, warnte sie sich selbst. Du hast deinem Ted Treue gelobt. Komm nicht auf die unsinnige Idee, sie gleich am ersten Tag in Deutschland zu brechen. Das hätte Ted nicht verdient. Außerdem kennst du diesen Mann doch noch gar nicht richtig. Vielleicht ist es einer von der Sorte, die es bei jedem Mädchen versuchen. Also sieh dich vor!

»So, dann wollen wir mal«, meinte Alexander, nachdem sie beide in seinem Wagen Platz genommen hatten. »Schorschi, blamier mich nicht, und spring in Gottes Namen an!«

Schorschi tat ihm den Gefallen, und so zuckelten sie wenig später in gemütlichem Tempo Richtung Heimat.

»Ich bin bloß froh, dass du so gut Deutsch sprichst«, wandte sich Alexander an Jenny. »Ich könnte mich zwar auch auf Englisch mit dir verständigen, aber so ist es mir lieber.«

»Ich bin zweisprachig aufgewachsen«, erklärte Jenny. »Denn bei uns auf der Ranch sprechen wir fast ausschließlich Deutsch miteinander.«

»Was dir bei deinem Studium in Heidelberg natürlich sehr entgegenkommen wird«, erwiderte Alexander. »Was möchtest du denn später mal werden, Jenny?«

»Lehrerin. Ich habe sehr gern mit Kindern zu tun.«

»Dann wirst du dir später wohl eine Menge eigener anschaffen, oder?«

»Das könnte passieren«, räumte sie ein und errötete sanft.

»Hast du auch schon einen Vater dafür im Auge?«

Jenny errötete noch tiefer. »So fragt man keine fremden Menschen aus«, beschwerte sie sich.

»Es interessiert einen halt«, gab Alexander treuherzig zurück.

»Es geht dich aber nichts an«, befand sie. »Oder habe ich mich vielleicht erkundigt, ob du verliebt, verlobt oder gar verheiratet bist?«

»Möchtest du es denn wissen?«

»Nein«, erwiderte sie beinahe trotzig, obwohl es sie brennend interessierte. »Warum auch? Ich habe schließlich nicht vor, mich mit dir auf irgendeine Art und Weise einzulassen.«

»Das ist schade«, bedauerte er. »Denn ich könnte es mir wundervoll vorstellen, wenn du es tätest.«

»Mach dir bloß keine Illusionen!«, warnte sie ihn. »Ich habe einen Freund in Amerika und gedenke nicht, diese glückliche Beziehung wegen eines flüchtigen Abenteuers aufs Spiel zu setzen. Und jetzt lass uns von etwas anderem reden, bevor wir uns noch tiefer in diesen Sumpf von Anzüglichkeiten hineinmanövrieren. Wann sind wir auf Schloss Hambach?«

»Das dauert schon noch eine Weile.«

Sie blickte aus dem Fenster und nickte zustimmend. »Eine schöne Gegend.«

»Sie wird noch schöner«, versprach Alexander. »Wenn wir erst die Autobahn verlassen haben und so richtig tief in den Odenwald hineingefahren sind. Mit so einer reizvollen Gegend wird man bei euch in Texas wohl nicht so sehr verwöhnt?«

»Bei mir zu Hause nicht«, räumte Jenny ein. »Da ist alles ziemlich flach und eintönig. Aber natürlich gibt’s auch wunderschöne Gegenden in Amerika. Das Land ist schließlich riesengroß und bietet für jeden Geschmack etwas. Ich habe mir das eine oder andere zusammen mit meinen Eltern angeschaut. Die Niagara Fälle zum Beispiel und die Rocky Mountains. Auch die Everglades unten in Florida sind sehenswert.«

»Aber in Europa warst du noch nicht?«

»Nein, das ist das erste Mal«, erklärte sie.

»Hast du keine Angst, Heimweh zu bekommen?«

»Das habe ich jetzt schon«, seufzte sie. »Aber da muss ich durch. Ich bin schließlich kein kleines Mädchen mehr.«

»Nein, das bist du weiß Gott nicht«, beteuerte Alexander, und wieder sandte er einen kurzen sehnsüchtigen Blick in Richtung seiner Beifahrerin.

»Achte lieber auf den Verkehr!«, ermahnte ihn Jenny spöttisch. »So sehenswert bin ich nicht.«

»Hast du eine Ahnung«, brummte Alexander. »Ich werde das Bild, das dein Onkel mir aus erkennungstechnischen Gründen überlassen hat, rahmen und über meinem Bett aufhängen.«

»Nimm aber einen schweren Rahmen«, riet ihm Jenny und kicherte vergnügt. »Damit es auch richtig wehtut, wenn es mal herunterfällt.«

»Was hast du bloß gegen mich?« ,klagte Alexander mit komischem Gesichtsausdruck.

»Ich habe weder etwas für noch gegen dich«, entgegnete Jenny. »Dazu kenne ich dich noch viel zu wenig. Mein erster Eindruck von dir lässt mich allerdings vermuten, dass du ein ganz ausgekochter Frauenheld bist.«

»Der erste Eindruck täuscht«, behauptete Alexander. »Ich bin harmlos wie ein neugeborenes Lämmchen.«

Jenny lachte. »Warum benimmst du dich dann völlig anders?«, konterte sie.

»Tu ich das wirklich?«

»Ja«, bestätigte das Mädchen. »Oder denkst du, mir entgeht, dass du, seit wir uns kennengelernt haben, mit mir anzubandeln versuchst - und das, obwohl ich dir mitgeteilt habe, dass ich nicht mehr zu haben bin.«

»Einen Versuch war es doch immerhin wert - oder?«

»Der Versuch ist gescheitert«, meinte sie. »Könntest du weitere bitte einstellen? Oder muss ich dir künftig aus dem Weg gehen?«

»Bitte nicht«, rief er. »Ich könnte ja wenigstens dein väterlicher Freund sein. Oder spricht auch dagegen etwas?«

»Nein«, versetzte sie. »Mein väterlicher Freund darfst du gerne sein, solange ich nicht Papi zu dir sagen muss.«

»Darling oder Schätzchen würde ich lieber hören!«

»Du fängst ja schon wieder an«, kritisierte sie ihn.

»Es sollte ein Scherz sein.«

»Ich mag solche Scherze nicht«, knurrte sie. »Also lass das ein für allemal sein, wenn du unsere junge Freundschaft nicht gefährden willst.«

Für den Rest der Fahrt hielt sich Alexander an ihren Wunsch. Was nicht hieß, dass dies für immer so sein sollte. Er wollte Jenny für sich gewinnen, und je länger er mit ihr zusammen war, um so größer wurde dieses Begehren. Zum ersten Mal in seinem Leben dachte er, dass er vielleicht die Frau seiner Träume, die Richtige gefunden hatte, denn um als Spielzeug für seine Leidenschaft missbraucht zu werden, war Jenny zu schade. Wenn seinen Gefühlen nur nicht ihre Behauptung, sie wäre gebunden, entgegen stünde. Aber selbst ein Gordischer Knoten war gelöst worden. Warum nicht auch dieses Problem?

Fürst Boris war natürlich noch nicht zu Hause, als sie auf Schloss Hambach ankamen. Butler Karl berichtete ihnen, dass dies auch kaum vor morgen Mittag der Fall sein würde. Eventuell könnte es sogar Abend werden, bis er zurückkehrte.

Das macht er doch absichtlich, dachte Alexander. Damit will er dem Mädchen zeigen, wie unerwünscht es auf seinem Schloss ist.

»Darf ich Ihnen dann Ihr Zimmer zeigen?«, schlug Karl vor. »Um Ihr Gepäck wird sich ein Angestellter kümmern. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«

Nicht nur Jenny folgte dem Butler, sondern auch Alexander, obwohl ihn keiner dazu aufgefordert hatte. Er wollte nämlich sehen, wie und wo der Fürst seine ungeliebte Verwandte unterzubringen gedachte. Und er hatte sich mit seiner Vorahnung nicht getäuscht:

Butler Karl führte sie in den abgelegensten Winkel des Schlosses - in ein winziges, tristes Zimmer, das nicht einmal über ein Bad, geschweige denn eine Toilette verfügte. Die Tapeten waren seit Jahren nicht mehr erneuert worden, die Teppiche abgenutzt und das Parkett stumpf. Das Bett war allerdings frisch bezogen. Und es gab auch noch einen Schrank, einen Waschtisch mit Schüssel und Kanne sowie einen Tisch mit zwei Stühlen.

Das war ja unglaublich!

»Hübsch hässlich«, befand Alexander. »Und in dieser Bruchbude wollen Sie die Verwandte eines Fürsten unterbringen? Dass Sie sich nicht schämen, Karl! So etwas bietet man nicht einmal einem Landstreicher an, denn selbst der würde dankend ablehnen und lieber unter einer Brücke schlafen und sich mit einer alten Zeitung zudecken.«

»Ich befolge lediglich die Anweisungen des Fürsten«, entschuldigte sich Karl verlegen. »Tut mir wirklich leid.«

»Natürlich«, grollte Alexander. »Allerdings vermute ich, dass sich Seine Durchlaucht einen Scherz mit Ihnen erlaubt hat, denn er kann unmöglich daran gedacht haben, Frau von Kirst hier wohnen zu lassen.«

»Seine Durchlaucht scherzt nie«, betonte Karl.

»Wie dem auch sei«, entgegnete Alexander resolut. »Wir suchen jetzt ein anderes Zimmer für sie.«

»Aber das geht doch nicht«, jammerte Karl. »Er reißt mir den Kopf ab, wenn ich seine Anordnungen nicht befolge. Womöglich auch noch andere Körperteile.«

»Lassen Sie doch», mischte sich Jenny ein, die sich mit angewiderter Miene im Zimmer umgeschaut hatte. »Für die ersten paar Tage wird es schon gehen. Unterdessen suche ich mir etwas anderes.«

»In und um Heidelberg sind kleine Apartments nur schwer zu bekommen«, erklärte Alexander. »Und wenn, dann kosten Sie ein Vermögen.«

»Meine Eltern sind nicht gerade arm.«

»Trotzdem«, knurrte Alexander. »Warum willst du dir unbedingt ein Zimmer suchen, wo hier das halbe Schloss eines Verwandten leersteht? Das kommt überhaupt nicht in Frage.«

»Aber wir können doch nicht die Anweisungen ....« nuschelte der Butler besorgt.

»Doch, wir können«, schnitt Alexander ihm das Wort ab. »Und wenn er aufmuckt, schieben Sie einfach alles mir in die Schuhe. Ich bin schließlich der Verwalter und habe auch etwas zu sagen.«

»Ja, aber nicht hier im Schloss«, stellte Karl klar. »Er wird Sie feuern, und mich vielleicht mit.«

»Das lassen Sie mal meine Sorge sein, Karl«, erwiderte Alexander. »Denn weder Sie noch ich dürften so mir nichts, dir nichts zu ersetzen sein. Wie ich mittlerweile festgestellt habe, war ich der einzige Bewerber für die Stelle, die ich jetzt innehabe. Der Ruf seiner Durchlaucht, ein alter Despot zu sein, scheint sich herumgesprochen zu haben. Das wird bei Butlern nicht anders sein als bei Verwaltern. Lassen Sie es uns also ruhig wagen!«

»Auf Ihre Verantwortung hin«, betonte Karl. »Ich wasche meine Hände in Unschuld.«

»Selbstverständlich«, beruhigte ihn Alexander. »Und nun zeigen Sie uns bitte ein anderes Zimmer.«

»Ich hatte, bevor ich die Anweisung Seiner Durchlaucht erhielt, ein hübsches Zimmer im Südflügel des Schlosses im Auge«, erzählte Karl, während sie sich auf den Weg dorthin machten. »Ich hatte gedacht, dies wäre eine angemessene Unterkunft für Frau von Kirst. Leider war Seine Durchlaucht anderer Meinung.«

Das Zimmer, in das der Butler sie jetzt führte, war das genaue Gegenteil von dem, das sie zuerst besichtigt hatten. Es war sehr geräumig, hell und mit jeglichem Komfort eingerichtet. Mittelpunkt war ein zauberhaftes Himmelbett, in dem sich gewiss herrlich träumen ließ. Durch eine Tür gelangte man in ein modern ausgestattetes Bad mit Wanne, Dusche und WC.

»Das gefällt mir«, zeigte Alexander sich zufrieden und schlug dem Butler freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Das nehmen wir.«

»Er wird toben«, vermutete Karl. »Er wird senkrecht in die Luft gehen.«

»Dann soll er doch«, grinste Alexander. »Wir alle werden es überleben.«

»Hoffentlich«, murmelte der Butler. »Hoffentlich.«

Auch Jenny war von diesem Zimmer begeistert und schaute es sich mit leuchtenden Augen an. Hier würde sie gerne wohnen, falls sie der Alte - wie sie ihn jetzt schon nannte - überhaupt hier wohnen ließ.

Meine Güte, was musste das bloß für ein Mensch sein, der seine Verwandten wie den letzten Dreck behandelte? Wahrscheinlich würde sie es nicht lange bei ihm aushalten. Und sicher war ihm das sogar ganz recht.

»Ich lasse Ihnen dann Ihr Gepäck heraufschicken«, erklärte der Butler Karl. »Um neunzehn Uhr gibt es das Abendessen.«

»Nun, dann sehen wir uns ja um neunzehn Uhr wieder«, wandte sich Jenny an Alexander.

»Damit habe ich nichts zu tun« widersprach dieser. »Ich esse drüben in meinem Haus, werde mir wohl ein paar Eier mit Speck in die Pfanne hauen.«

»Ja, und wer leistet mir dann beim Essen Gesellschaft?«, erkundigte sich Jenny.

»Da Seine Durchlaucht unterwegs ist, werden Sie heute Abend leider allein speisen müssen«, bedauerte Karl.

»Aber das kommt doch überhaupt nicht in Frage«, rief Jenny. »Thomas, ich lade dich hiermit ein, mit mir zu Abend zu essen.«

»Es ist nicht üblich, dass Angestellte an der fürstlichen Tafel speisen«, bemerkte Karl, dem die vertraute Anrede der jungen Leute schon aufgefallen war und der nun neue Unannehmlichkeiten auf sich zukommen sah, mit einem säuerlichen Lächeln.

»Mir ist egal, was üblich ist« fauchte Jenny verärgert. »Ich möchte, dass Herr Wildhirt heute Abend bei mir isst. Oder ist es dir nicht recht, Thomas?«

»Doch«, erwiderte dieser und grinste vergnügt. »Ich nehme die Einladung dankend an.«

»Prima«, freute sich Jenny, und zu Karl gewandt, ordnete sie an: »Sorgen Sie also dafür, dass ein Gedeck für Herrn Wildhirt aufgelegt wird.«

»Bitte sehr«, grummelte Karl und verbeugte sich leicht. »Wie die gnädige Frau wünscht.«

Damit waren die beiden Herren entlassen. Jenny wollte, wenn man ihr das Gepäck gebracht hatte, ihre Sachen in die Schränke räumen, duschen und sich umziehen. Wenn dann noch Zeit blieb, wollte sie sich ein wenig im Schloss umsehen.

»Bis sieben also«, entließ sie die beiden Männer, nickte ihnen mit einem freundlichen Lächeln zu und öffnete ihnen die Tür, damit sie sich zurückziehen konnten.

»Ich sehe schwarz«, unkte Butler Karl mit besorgter Miene, als er mit Alexander allein war. »Dieses Mädchen sorgt, kaum dass es im Haus ist, bereits für Unruhe. Das geht bestimmt nicht gut mit ihr und Seiner Durchlaucht. Herr Wildhirt, ich verstehe Sie nicht, dass Sie auf dieses gewagte Spiel eingehen. Sie schaffen sich damit doch nur unnötig Ärger und Verdruss. Und mir natürlich auch, denn ich muss das alles ausbaden, weil ich ständig mit Seiner Durchlaucht zutun habe.«

»Ich tue lediglich, was ich für richtig halte«, versetzte Alexander. »Und auf ein bisschen Ärger mehr oder weniger soll es uns beiden doch nicht ankommen, oder? Außerdem sollte der Fürst irgendwann begreifen, dass er nicht der Liebe Gott ist. Wir sind zwar bei ihm angestellt und werden von ihm bezahlt, aber deswegen muss er uns noch lange nicht wie Sklaven behandeln. Und eine enge Verwandte nicht wie einen kranken Hund.«

»Im Prinzip pflichte ich Ihnen ja bei«, meinte der Butler. »Aber meine Nerven sind nicht mehr die Allerbesten. Manchmal kann ich abends gar nicht schlafen, wenn ich darüber nachdenke, wie sehr der Fürst mich tagsüber wieder schikaniert hat.«

»Sehen Sie, Karl«, entgegnete Alexander und legte dem geplagten Butler freundschaftlich den Arm um die Schultern, »deshalb wird es höchste Zeit, dass dem Alten - wie ihn ja alle heimlich nennen - endlich jemand die Zähne zeigt. Sonst wird sich nie etwas ändern.«

Es kam, wie es kommen musste. Der Fürst, der - wie Alexander vermutet hatte - eigentlich in München gar nichts erledigen musste, langweilte sich dort zu Tode. Nachdem er in einem Café eine Kellnerin und deren Geschäftsführer verschlissen hatte, entschloss er sich, doch wieder nach Hause zu fahren. Außerdem interessierte ihn brennend, wie Jenny auf ihre kleine Kammer reagiert hatte. Vielleicht hatte sie sein Schloss aus Empörung längst wieder verlassen. Das wäre ein Triumph für ihn gewesen; denn genau das hatte er ja mit seiner Zimmereinteilung beabsichtigt.

Also setzte Fürst Boris sich in seinen Wagen und fuhr los in Richtung Hambach, das er kurz nach neunzehn Uhr erreichte. Er brachte sein Auto höchstpersönlich in die Garage, begab sich zum Hauptportal seines Schlosses und läutete.

»O mein Gott!«, stammelte Butler Karl, der ihm öffnete, entsetzt und nahm die Farbe eines Leichentuches an. »Sie?«

»Es genügt, wenn Sie mich Durchlaucht nennen, Karl«, tönte der Fürst gut gelaunt und trat in die Halle. »Ich möchte mir keine Titel zulegen, die mir nicht zustehen. Ist Jenny noch hier?«

»Sie ... sie isst gerade zu Abend«, stotterte Karl, mühsam um Fassung ringend.

»So, sie isst gerade zu Abend?«

Die gute Laune des Fürsten war wie weggefegt. »Und ich hoffte ... ich dachte ... Lassen wir das. Wie ist sie mit ihrem Zimmer zufrieden?«

»Sehr«, antwortete Karl und log damit nicht einmal.

»Scheint keine großen Ansprüche zu haben, das Mädelchen«, wunderte sich der Fürst.

»Eigentlich schon«, bemerkte Karl.

»Ich verstehe Sie nicht, Karl?«

»Sie ... sie ... sie hat das gewisse Zimmer nicht genommen.«

»Ja, und?«

»Ich ... ich ...« Butler Karl rang um jedes Wort, wäre am liebsten im Erdboden versunken. »Ich musste ihr ein anderes geben; das im Südflügel.« Endlich war es heraus! Butler Karl zog unwillkürlich den Kopf ein, als erwarte er ein Donnerwetter von oben. Zuerst kam aber noch ein Wetterleuchten, weil Fürst Boris nicht glauben konnte, was er da hörte.

»Wiederholen Sie das bitte noch einmal!«, forderte er seinen Diener auf.

»Ich ... ich habe die junge Dame im Südflügel einquartiert.«

»Entgegen meiner Anweisung?« Die Stimme des Fürsten klang erstaunlich ruhig - gefährlich ruhig.

»Der Herr Verwalter hat es strikt abgelehnt, Fräulein von Kirst in dem gewissen Zimmer wohnen zu lassen«, brachte Karl mühsam heraus. Er zitterte vor Angst am ganzen Körper und glaubte sich einem Schlaganfall nahe. »Er übernimmt auch die Verantwortung für die Umquartierung, hat er gesagt.«

»Der Herr Verwalter wagt es, sich über meine Anweisungen hinwegzusetzen?« Jetzt endlich plärrte der Fürst, wie man es von ihm gewohnt war. »Und Sie Trottel tun auch noch, was er verlangt? Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen, Karl? Sorgen Sie dafür, dass dieser Kerl auf der Stelle hier antanzt!«

»Er ... er ist bereits hier!«

»Er ist hier?« Der Fürst schaute sich um. »Wo ist er denn? Ich sehe ihn nirgendwo.«

»Er ... er speist mit dem gnädigen Fräulein zu Abend.«

»Er ...« Dem Fürsten schien die Luft wegzubleiben. »Wo?«

»Im ... im ... Speisesalon selbstverständlich.«

»Selbstverständlich?« Die Stimme des Fürsten wurde zum Orkan. »Ist es vielleicht selbstverständlich, dass ein biederer Angestellter an meinem Tisch speist? Sind denn hier alle verrückt geworden? Lebt man hier plötzlich nach dem Motto: Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch?«

Das Geschrei des Fürsten blieb natürlich auch im Speisesalon nicht ungehört. Jenny legte den Bissen, den sie gerade in den Mund schieben wollte, auf den Teller zurück und blickte Alexander erschrocken an.

»Was ist denn jetzt los?«, erkundigte sie sich.

»Seine Hoheit beliebten, vorzeitig aus München zurückzukehren«, erklärte Alexander gelassen. »Karl scheint ihm berichtet zu haben, was wir zu tun gewagt haben. Und jetzt ist Seine Durchlaucht gerade am Explodieren.«

»Und da bleibst du so ruhig?«, staunte Jenny.

»Warum nicht?« Alexander zuckte die Schultern. »Ich musste doch von Anfang an damit rechnen, dass er so ähnlich reagieren würde. Er wird sich auch wieder beruhigen.«

Aber soweit war es noch lange nicht. Die Tür zum Speisesalon wurde aufgerissen, und dann stürmte eine an einen gereizten Stier erinnernde Person mit hochrotem Kopf ins Zimmer, baute sich wie ein Rachegott vor dem Tisch auf und schrie: »Haben Sie den Verstand verloren, Wildhirt? Sie sind der Verwalter und nicht der Herr auf Schloss Hambach! Der bin ich, falls Sie das vergessen haben sollten! Und deshalb wird hier immer noch getan, was ich angeordnet habe!«

Jenny hatte den ersten Schreck überwunden und fand die Szene plötzlich geradezu lächerlich. Der Mann hier benahm sich wirklich seltsam. Jenny musste unwillkürlich lachen und tat dies so glockenhell, dass Fürst Boris, der bis jetzt nur Alexander im Auge gehabt hatte, auf sie aufmerksam wurde.

»Ich möchte wissen, was es da zu lachen gibt?«, fuhr er sie an. »Hören Sie ...« Er erinnerte sich, dass er ja mit einer Verwandten sprach - beziehungsweise schrie und verbesserte sich: »Hör sofort auf zu lachen! Das ist ein Befehl!«

»Ich kann nicht.« Jenny hielt sich die Seiten, und dicke Tränen liefen ihr über die Wangen, Lachtränen, die sie mit dem Handrücken wegwischte. »Mein Gott, ist das komisch!«

»Du findest es komisch, wenn man sich meinen Anweisungen widersetzt?«, brüllte der Fürst. »Du findest das komisch?«

»Ich finde es komisch, wie du dich wegen einer solchen Nichtigkeit aufführst«, gluckste Jenny. »Bei uns in Amerika macht man aus solchen Szenen Sitcom Serien.« Sie beruhigte sich langsam. »Entschuldige bitte, Onkel Boris. Ich habe das nicht böse gemeint. Ich nehme doch an, dass du Onkel Boris bist?«

»Ja, der bin ich«, entgegnete der Fürst in etwas gemäßigterem Ton. Das Verhalten des Mädchens verwirrte ihn. Wie konnte man noch von Herzen brüllen, wenn es da jemanden gab, der darüber lachte? Und das so unschuldig und unbekümmert, dass es nicht einmal frech wirkte.

Jenny erhob sich, umarmte den Onkel und küsste ihn auf beide Wangen. Was ihn noch mehr verwirrte und aus der Fassung brachte. Wann hatte ihn zuletzt jemand geküsst? Er konnte sich nicht daran erinnern.

»Was soll das?«, knurrte er und schob das Mädchen von sich. »So eng verwandt sind wir ja nun auch wieder nicht. Außerdem ändert das nichts an der Tatsache, dass ihr euch meinen Anweisungen widersetzt habt.«

»Wollten Sie das Mädchen denn wirklich in diesem heruntergekommenen Zimmer hausen lassen?«, ergriff Alexander das Wort und tat sehr erstaunt. »In dieser Bruchbude, vor der es einem Bettler grausen würde? Ich hielt das für einen Scherz, Durchlaucht, denn wenn Sie es tatsächlich ernst gemeint hätten, wäre das ein schlechtes Zeugnis deutscher und speziell fürstlicher Gastfreundschaft gewesen. Das mochte ich einfach nicht glauben. So etwas konnten Sie Ihrer amerikanischen Verwandten nicht ernsthaft zumuten wollen.«

»Nun ja.« Der Fürst wirkte mit einem Mal recht verlegen. Dieser verdammte Wildhirt hatte ihn durch seine scheinheiligen Worte in eine überaus peinliche Situation hineinmanövriert. Jetzt blieb ihm praktisch keine andere Wahl, als zu leugnen, Karl diese Anweisung erteilt zu haben. Alexander hatte ihm diese Lüge förmlich auf die Zunge gelegt, wollte er sich nicht vor dem Mädchen blamieren. Was ihm im Grunde gleichgültig war, aber eigentlich auch wieder nicht. Besonders deswegen nicht, weil ihn dieser Windhund bei seiner fürstlichen Ehre gepackt hatte.

»Nun ja«, wiederholte er schweren Herzens. »Karl muss mich wohl missverstanden haben.«

»Dacht’ ich mir’s doch«, grinste Alexander.

»Grinsen Sie nicht so blöd, Wildhirt!«, grollte der Fürst. »Sie sind damit noch lange nicht aus dem Schneider. Mit Ihnen werde ich noch ein ernsthaftes Wort zu reden haben.«

»Wenn es dich stört, dass er hier mit mir isst«, mischte sich Jenny ein, »daran bin ich schuld. Ich wollte einfach nicht allein speisen und habe ihn eingeladen. Wie konnte ich ahnen, dass du früher aus München zurückkehrst? Sei also nicht länger böse, liebstes Onkelchen. Erweise uns lieber die Ehre deiner Gesellschaft, und iss mit uns. Wir haben gerade erst begonnen.«

»Ich habe keinen Hunger«, behauptete Fürst Boris, obwohl ihm beim Anblick der Köstlichkeiten, die auf dem Tisch standen, das Wasser im Mund zusammenlief. »Außerdem habe ich noch zu tun. Ich werde mir nachher ein wenig Zeit für dich nehmen, Jenny, damit du mir von zu Hause erzählen kannst.«

Sprach’s, machte auf dem Absatz kehrt und verließ grußlos das Zimmer.

»Das ging ja gerade noch mal gut«, freute sich Alexander, als der Fürst verschwunden war. »Ich denke, das hast du mit deinem fröhlichen Lachen bewirkt, Jenny. Ich hätte am liebsten eingestimmt.«

»Warum hast du es nicht getan?«

»Weil ich damit vermutlich das Gegenteil von dem ausgelöst hätte, was du mit deinem Lachen eingeleitet hast. Zumal ich nicht so herrlich lachen kann wie du. Wiederhol das in Gegenwart des Fürsten, so oft du es kannst. Vielleicht wirkt es besänftigend auf seine chronische Gereiztheit und schlechte Laune. Es wäre für uns alle, die wir für ihn tätig sind, wünschenswert.«

Seltsamerweise verlor Boris von Hambach nie mehr ein Wort über diese Vorfälle. Sowohl Alexander als auch Karl kamen ungeschoren davon. Was besonders den Butler, der sich große Sorgen um seinen Arbeitsplatz gemacht hatte, erleichtert aufatmen ließ.

Sammelband 4 Fürstenromane: Liebe, Schicksal, Schlösser

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