Читать книгу Sammelband 4 Fürstenromane: Liebe, Schicksal, Schlösser - Alfred Bekker - Страница 9
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»Herrlich!« Der blonde junge Mann hatte seine Rostlaube oben auf der Passhöhe angehalten, war ausgestiegen und blickte mit leuchtenden Augen hinunter ins Tal.
»Es ist immer wieder wunderbar, nach Hause zurückzukehren. Diese einmalige Landschaft, dieser betörende Duft nach Feld, Wald und Wiesen, diese reine, von Abgasen weitgehendst verschonte Luft! Sankt Annen, ich liebe dich!«
Der Mann, der diese begeisterten Worte vor sich hin murmelte, hieß Alexander Hambach, mochte Ende Zwanzig sein und sah sehr gut aus. Er war groß, wirkte schlank und durchtrainiert und besaß angenehm männliche Gesichtszüge, aus denen sich besonders seine himmelblauen Augen sowie die beiden Grübchen in den Wangen hervorhoben. Bekleidet war er mit einem saloppen Leinenanzug, dezent gemustertem Hemd und leichten Schuhen.
Alexander, der das »Von« längst aus seinem Namen gestrichen hatte und auf den Titel »Prinz« keinerlei Wert legte, hatte gerade mit großem Erfolg seine Studien beendet und alle Examen mit Auszeichnung bestanden. Nun befand sich der frischgebackene Diplomagronom und Betriebswirt auf dem Weg zu seiner Mutter Hiltrud, die unten in St. Annen ein kleines, aber feines Hotel betrieb.
Hier, in diesem idyllischen Gebirgsort inmitten der oberbayrischen Alpen, hatte Hiltruds Großtante, die der Nichte ihr Vermögen vermacht hatte, gelebt und gewirkt. In ihrem Schlösschen, das seinerzeit nur von einem alten Verwalter und dessen Frau bewohnt und in Ordnung gehalten worden war, hatten Mutter und Sohn nach der Flucht vor dem despotischen Fürsten Unterkunft gefunden, denn auch dieses Schloss, das am Ufer des wildromantischen Alpensees stand, hatte zu den Hinterlassenschaften der Tante gehört und war somit jetzt Hiltruds Eigentum.
Die Fürstin, die nach der Trennung von ihrem Mann weder als solche noch mit Durchlaucht angesprochen werden wollte, hatte bald gemerkt, wie kostspielig es ist, ein Schloss - und sei es noch so klein - zu unterhalten. Es gab zwar noch genügend Barvermögen, aber auch das wäre bald aufgebraucht gewesen, wenn sie nicht für den nötigen Nachschub gesorgt hätte. Also hatte Hiltrud ihren Besitz kurz entschlossen zu einem Hotel umfunktioniert, das bald wegen seiner anheimelnden Atmosphäre und gepflegten Küche zu einem begehrten Urlaubsziel der etwas Betuchteren geworden war. Und da St. Annen sowohl ein Wintersport als auch Sommerluftkurort war, gab es kaum einen Leerlauf für das »Schlosshotel«. Seine Zimmer waren ständig ausgebucht.
Hiltrud hatte sich nicht davon abbringen lassen, die Leitung ihres Hotels persönlich zu übernehmen und sorgte mit ihrer freundlichen, aber bestimmten Art dafür, dass alles so lief, wie sie sich das vorstellte. Ihre neue Aufgabe füllte sie aus und befriedigte sie. Sie fühlte sich wohl und bereute keine Sekunde, ihren Mann verlassen zu haben.
Die Fürstin, die keine mehr sein wollte, hatte die Fünfzig kaum überschritten. Sie war eine gepflegte, vornehme Erscheinung und sah durchaus noch begehrenswert aus. Ihre Haare waren immer noch blond wie die des Sohnes, kleine Lachfältchen verliehen ihrem hübschen Gesicht einen sympathischen Zug, und die kleinen Pölsterchen, die sie sich im Laufe der Jahre zugelegt hatte, waren lediglich dazu angetan, sie noch fraulicher als früher aussehen zu lassen.
Hiltrud hatte sich nach der Trennung von Boris nie mehr mit einem Mann eingelassen. Obwohl es immer wieder den einen oder anderen Interessenten gegeben hatte, der ihr sein Herz zu Füßen legen wollte, hatte sie als gebranntes Kind stets das Feuer gescheut. Außer einem gelegentlichen gemeinsamen Abendessen oder Theaterbesuch war nie mehr aus einer Bekanntschaft geworden. Sie wollte unter allen Umständen vermeiden, noch einmal an einen wie Boris von Hambach zu geraten. Da mochten sich die entsprechenden Herren noch so nett und zuvorkommend geben. Das war Boris schließlich auch einmal gewesen. Lang, lang war’s her!
Hiltrud blickte von ihren Büchern auf, als sie draußen vor dem Hotel einen Wagen vorfahren hörte, dessen knatterndes Motorgeräusch ihr seltsam bekannt vorkam. Sie erhob sich von ihrem Schreibtisch, trat ans Fenster und schob den Vorhang ein wenig zur Seite.
»Aber das ist ja ...« Sie sah stirnrunzelnd auf die Uhr. »So früh?«
Hiltrud ließ den Vorhang los und eilte mit strahlender Miene dem unerwarteten Gast entgegen. In der Empfangshalle traf sie mit ihm zusammen, und als er die Arme ausbreitete, warf sie sich jubelnd wie ein junges Mädchen hinein und ließ sich mehrmals von ihm im Kreis herumwirbeln.
»Aufhören!«, befahl sie gespielt streng, als sie sich bewusst wurde, wie wenig damenhaft sie sich vor den Augen ihrer Angestellten und Gäste benahm. »Stell mich sofort auf den Boden zurück, du Lümmel!«
Der »Lümmel« tat, wie ihm befohlen wurde, ließ seine Mutter aber nicht los und küsste sie erst einmal herzlich, bevor er sich endgültig von ihr trennte.
Nun drängelten auch noch ein paar Angestellte herbei, um den Juniorchef zu begrüßen und zu seinem Erfolg zu beglückwünschen. Dann endlich hatten Mutter und Sohn Zeit für sich und begaben sich hinauf zu ihren Privatgemächern.
»Ich hatte so früh noch gar nicht mit dir gerechnet«, bemerkte Hiltrud. »Du musst geflogen sein, Alex.«
»Fast«, erwiderte der junge Mann grinsend. »Die Sehnsucht nach dir und Sankt Annen hat mich aus meiner alten Karre das Letzte herausholen lassen. Schorschi hat sich selbst übertroffen.«
»Du wirst dir dennoch bald mal einen anderen Wagen zulegen müssen«, versetzte Hiltrud. »Schorschi hat es verdient, in den Ruhestand geschickt zu werden.«
»Ach was«, winkte Alexander ab. »Der tut es schon noch eine Weile. Außerdem kann ich mir momentan noch kein neues Auto leisten.« Er rieb den Daumen am Zeigefinger. »Es sei denn, ich bekomme die Stellung, die mir vorschwebt.«
»Hast du denn etwas in Aussicht?«
»Vielleicht, Mama. Allerdings ...« Er unterbrach sich und schaute die Mutter unsicher an.
»Ja?«
»Die Sache hat einen Haken«, räumte Alexander ein. »Einen sehr großen sogar. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Vorhaben deine Billigung finden wird.«
»Du bist seit vielen Jahren volljährig, Alex, und du musst selbst wissen, was richtig ist für dich. Ich kann dir nur einen Rat geben. Entscheiden musst du.«
»Und was würdest du mir raten, wenn ich dir erzähle, dass ich mich bei meinem Vater um den Posten eines Gutsverwalters bewerben möchte?«, fragte Alexander leise.
Für einem Moment blieb es still im Zimmer. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
»Das soll doch nur ein schlechter Scherz sein – oder?«, brach es schließlich aus Hiltrud heraus, und ihre Stimme klang überaus erregt. »So etwas kannst du doch nicht im Ernst erwägen!«
»Doch, Mama.« Alexander hob die Schultern. »Ich habe erfahren, dass Fürst Boris von Hambach dringend einen Verwalter sucht. Die Stellung soll sehr gut dotiert sein.«
»Ja, weil er sonst keinen kriegt, der für ihn arbeiten möchte«, fauchte Hiltrud. »Das war schon zu meiner Zeit so. Beim Personal herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Kaum einer hielt es lange unter seiner Fuchtel aus. Das wird sich nicht geändert haben. Also lockt er mit Geld. Nein, Alex, lass die Finger davon! Du würdest sie dir nur verbrennen. Und überhaupt: Hast du denn gar kein Ehrgefühl im Leib? Warum willst du diesem Menschen zu Kreuze kriechen?«
»Das habe ich nicht vor«, stellte Alexander klar. »Zumal er nie erfahren wird, dass es sein eigener Sohn ist, der sich um den vakanten Posten bewirbt.«
»Wie willst du denn das bewerkstelligen?«
»Indem ich mich unter einem anderen Namen und mit falschen Papieren bewerbe«, erklärte Alexander. »Diese herzustellen, ist mit Hilfe der modernen Kopiergeräte kein Problem; denn seine Originale gibt man ja nur noch selten aus der Hand.«
Hiltrud schüttelte ein ums andere Mal den Kopf. »Ich frage mich, wer dir diese hirnrissige Idee eingegeben hat und was du damit bezweckst?«
»Ganz einfach«, antwortete Alexander. »Ich möchte endlich mal meinen Vater kennenlernen.«
»Und was versprichst du dir davon?«
»Keine Ahnung«, gab Alexander unumwunden zu. »Vielleicht suche ich nur die Bestätigung, dass er tatsächlich dieses Ekel ist, als das du ihn mir mein Leben lang beschrieben hast.«
»Glaubst du, ich hätte dich belogen?«
»Nein, Mama, bestimmt nicht«, beruhigte sie Alexander. »Aber sieh mal: Ich kenne meinen Vater praktisch nur aus deiner Sicht. Ich kann ihn ja nicht einmal wie du richtig verachten, weil ich gar nicht bewusst miterlebt habe, was er uns angetan hat. Dazu war ich damals einfach noch zu klein.«
»Das darf doch alles nicht wahr sein!«, klagte Hiltrud. »Warum setzt du deine teuer erworbenen Kenntnisse nicht sinnvoller ein? Dein Vorhaben ist doch verschwendete Zeit!«
»Das sehe ich etwas anders, Mama«, betonte Alexander. »Die Vorstellung, meinen Vater kennenzulernen, reizt mich wirklich sehr. Aber der Hauptgrund, mich um den Posten zu bewerben, ist ein anderer: Ich möchte feststellen, ob ich der Aufgabe, einem Gut wie Hambach vorzustehen, gewachsen bin.«
»Das könntest du sicher auch woanders herausfinden«, meinte Hiltrud, »ohne dich in die Höhle eines despotischen Fürsten zu begeben. Er wird dich freihändig in der Luft zerreißen, wenn er dahinter kommen sollte, welch falsches Spiel du mit ihm getrieben hast. Es könnte sogar deiner Karriere schaden. Genügend Einfluss hat er, dein alter Herr. Er mag zwar kaum Freunde haben, aber genügend andere, die von ihm und seinem Wohlwollen abhängig sind. Geld regiert nun mal die Welt. Er macht schonungslos davon Gebrauch und geht über Leichen. Wenn es sein müsste, vermutlich sogar über die seines eigenen Sohnes.«
»Ich werde mich zu gegebener Zeit zu wehren wissen«, versprach Alexander. »Schließlich bin ich sein Sohn.«
»Überschätz dich nicht, Alex!«, warnte die Mutter. »Ja, du bist sein Sohn, aber du hast meine Erziehung genossen. Deshalb bist du anders als er.«
»Warten wir es doch erst einmal ab«, versetzte Alexander. »Noch hat er mich nicht eingestellt.«
»Ich bete darum, dass dies nie der Fall sein wird«, seufzte Hiltrud.