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Zweites Kapitel: Gefangen und verschleppt

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Die Uiguren nahmen nichts mit, was sich nicht auf dem Rücken eines Pferdes hieven ließ. Die erbeuteten Pferde wurden zusammengetrieben und zu einem Gutteil mit Waren und Silbervorräten der Fellhändler beladen. Sämtliche Sättel, die man auftreiben konnte, wurden anderen Gäulen auf den Rücken geschnallt.

„Vater, was wird jetzt?“, fragte Li, während sich all das vor ihr abspielte.

„Was nun geschieht, haben wir nicht in der Hand“, sagte der Papiermacher mit einer äußeren Gelassenheit, die Li nicht in derselben Weise aufzubringen vermochte. Furcht vor der Ungewissheit schnürte ihr die Kehle zu. Als Konkubine irgendeines der ungezählten Klein-Khane an der Seidenstraße verkauft zu werden, war nun wirklich nicht das, was sie sich für ihr Leben vorgestellt hatte. Aber zur Arbeit in einen fernen, unzivilisierten Ort fortgeschafft zu werden, war ebenfalls keine rosige Aussicht. Li hörte nicht zum ersten Mal davon, dass begehrte Handwerker von Räuberbanden verschleppt wurden, um an weit entfernten Orten, an denen an ihrer besonderen Kunst ein Mangel bestand, zu dienen. Begabte Waffenschmiede gehörten ebenso dazu wie Baumeister oder Rechenkünstler. Normalerweise gelang es keinem von ihnen jemals in seine Heimat zurückzukehren und darüber, wie es ihnen in der Fremde erging, konnte man nur Vermutungen anstellen.

Li wurde auf ein Pferd gesetzt. Da ihr Kleid zum Reiten eigentlich nicht geeignet war, schlitzte der Uigurenkrieger, der ihr in den Sattel half, es kurzerhand mit seinem Schwert ein Stück auf.

Innerhalb von weniger als einer Stunde hatten die Uiguren alles auf den Rücken von Pferden gebracht, was sie mitzunehmen gedachten – Menschen und Waren. Ohnmächtig vor Wut stand so mancher Händler da, der hilflos mitansehen musste, wie seine Waren fortgeschafft wurden. Allerdings nur der Teil, der sich problemlos mitnehmen ließ. Krüge und andere zerbrechliche Gegenstände zerschlugen die fremden Reiter manchmal aus purem Mutwillen.

Allerdings wagte es niemand, sich zu wehren. Die Händler - die meisten von ihnen Perser – konnten froh sein, wenn man sie nicht für reich hielt, sodass es vielleicht lohnte, sie zu verschleppen und ein Lösegeld zu fordern.

Dieses Schicksal ereilte hingegen mehrere Dutzend Angehörige der angesehensten Familien. Die Uiguren nahmen immer nur ein Familienmitglied gefangen und gingen bei der Einschätzung des Reichtums der jeweiligen Familie schlicht nach der Ausstattung des jeweiligen Hauses oder der Art der Kleidung.

Li klammerte sich am Sattelknauf fest. Es war nicht das erste Mal, dass sie auf dem Rücken eines Pferdes saß, denn hin und wieder war sie mit ihrem Vater oder dessen Gesellen die Nachbarorte abgeritten, um Lumpen aufzukaufen. Lumpen, die man zerstampfen und aus denen man schließlich den kostbaren Stoff fertigen konnten, der Gedanke und Gesetze trug und dessen ganz besondere Magie es sogar ermöglichte, dass er sich fliegend in die Lüfte erhob – vorausgesetzt man wusste ihn richtig zu falten und die Windgeister waren einem gnädig.

Auch die anderen Gefangenen wurden auf Pferde gesetzt. Sie zu fesseln schien man nicht für nötig zu halten. Schließlich war keiner von ihnen bewaffnet.

Darüber hinaus wurde jedes dieser gefangenen Pferde noch mit Gepäck behängt, darunter waren gepökeltes Fleisch, Felle, Decken und was den Uiguren sonst noch wertvoll erschien. Nur Waffen, Schmuck und Silbermünzen hielten Toruk und seine Männer von den Gefangenen fern. Gürtel und farbige Gewänder, die den Reitern gefielen und den ein oder anderen Zierdolch nahmen die berittenen Krieger sofort an sich. Dann preschte die Horde davon. Zurück blieben zahllose Tote. Wen die Uiguren von der tangutischen Stadtwache noch lebend aufgefunden hatten, war umgebracht worden. Schließlich wollte man verhindern, dass sie in Kürze verfolgt werden.

Die Zurückbleibenden waren waffenlose Händler und verzweifelte Angehörige der Verschleppten, die nun zusehen mussten, ein Lösegeld aufzutreiben. Und das, nachdem man gerade vollkommen ausgeplündert worden war! Wer keine reichen Verwandten andernorts hatte, für den sahen die Aussichten für eine Rückkehr schlecht aus.

Der Ritt war so scharf, dass Li Mühe hatte, sich im Sattel zu halten. Sie war völlig verkrampft und klammerte sich mit alle Kraft am Knauf fest. Die Uiguren nahmen die Pferde mit den Gefangenen in ihre Mitte. Es war keineswegs ausgeschlossen, dass diese dreisten Diebe, sich soeben genau die Pferde zurückholten, die sie zuvor auf dem Pferdemarkt feilgeboten hatten.

Li war sich nicht sicher, aber sie glaubte zumindest einen der Reiter wiederzuerkennen. Er ritt ganz in ihrer Nähe, hatte eine ledrige Haut, die von einem Faltenrelief durchzogen wurde. Das Haar war grau durchwirkt und sein Mantel wurde von einer messingfarbenen Spange zusammengehalten, die die Form eines gleichschenkligen Dreiecks besaß.

Das Zeichen der Manichäer!, erkannte Li. Dieser Glaube war selbst in die Kernlande des Reichs der Mitte vorgedrungen, wo seine Missionare behaupteten, der Prophet Mani sei nicht nur der Vollender der Lehre Jesu Christi gewesen, sondern auch eine Wiedergeburt des Weisen Lao-she. Li hatte sich von dem Eiferertum, das man unter den Anhängern Manis so häufig finden konnte, immer abgestoßen gefühlt. Aber all die strengen Regeln und die rigide Moral, der sich die Mani-Gläubigen unterwarfen, hielten sie offenbar nicht davon ab, sich als Räuber und Mörder zu betätigen. Raub und Handel waren für diese Nomaden ohnehin nur zwei Seiten ein und derselben Medaille.

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Den ganzen Tag über ritten sie ununterbrochen – abgesehen von einer kurzen Rast, die an einem Wasserloch eingelegt wurde.

Sie passierten stetig steiler werdende Anhöhen und erreichten schließlich ein gebirgiges Land, in dem der Boden immer steiniger und karger wurde.

Das Tempo, mit dem bisher die Pferde vorwärts getrieben worden waren, wurde etwas gemäßigter. Man stellte sich offenbar auf eine weite Reise ein und wollte die Tiere nicht zu Schanden hetzen. Li hielt sich in der Nähe ihres Vaters, und versuchte, sich nicht zu weit von ihm zu entfernen, soweit das möglich war, ohne bei den Uiguren Aufsehen zu erregen.

„Der Mann mit der Narbe – Toruk! Er scheint der Anführer zu sein“, sagte Li, als sie zwischenzeitlich etwas langsamer ritten, um die Pferde zu schonen. Die uigurischen Reiter hatten ein sehr feines Gespür dafür, wie viel sie ihren Reittieren zumuten konnten.

Wang nickte. „Ja, er könnte der Mann sein, den man anderswo auch den narbigen Schlächter nennt“, meinte er. „Der dicke Perser aus Samarkand hat mir davon berichtet, als ich ihm das Papier für seine Lieferlisten verkauft habe!“ Wang war weitaus besser an das Reiten gewöhnt, als seine Tochter. Er hatte Li davon erzählt, wie er schon als Junge von seinem Vater, der ebenfalls Papiermacher gewesen war, auf längere Botschaftsritte geschickt worden war. In Bian, mitten im Herzland der Mittleren Reiche war das zu jener Zeit ohne Gefahr möglich gewesen, denn niemand außer den Soldaten des Kaisers, hatte Waffen tragen dürfen. Der Sohn des Himmels garantierte die Sicherheit für alle und seine Gesetze hatte in jener Zeit noch unumschränkte Gültigkeit gehabt. So hatte niemand hatte befürchten müssen, unterwegs von Räuberbanden überfallen zu werden.

In Xi Xia waren die Verhältnisse in dieser Hinsicht allerdings immer schon weitaus unsicherer gewesen. Es war niemandem zu empfehlen, allein durch die Steppe zu reiten. Einer Frau schon gar nicht. Und selbst von schwer bewaffneten Eskorten begleitete Karawanen waren vor der Gier der Nomadenstämme nicht sicher. Manchmal konnte man sie mit Wegzoll zufrieden stellen. Dass sie so dreist waren, einen Ort mit Befestigungsanlagen anzugreifen, kam dagegen nicht so häufig vor. Li war sich inzwischen sicher, dass ihr der Manichäer mit der Dreiecksspange tatsächlich auf dem Markt begegnet war. Vermutlich erinnerte er sich gar nicht daran. Nein, er war auf ganz andere Dinge konzentriert gewesen, erkannte Li. Auch wenn der Manichäer damals so getan hatte, als wäre er einer der unzähligen Händler der Umgebung, so hatte er in Wahrheit wohl die Verhältnisse in der Stadt ausgekundschaftet.

„Was weiß man über den narbigen Schlächter?“, fragte Li, der inzwischen jeder Muskel ihres Körpers schmerzte und die nur noch zu den Göttern betete, dass dieser furchtbare Ritt bald ein Ende haben möge.

„Er ist der Sohn eines Uiguren-Khans in den westlichen Bergen.“

„Und der Herr von Xi Xia lässt ihn gewähren?“, fragte Li verständnislos.

„Du weißt, wie schwach der Kaiser von Xi Xia ist.“

Der Geselle Gao meldete sich nun zu Wort. „Solange niemand seine ferne Residenz angreift, wird er kaum etwas zu unternehmen versuchen“, war er überzeugt. „Dort schaut man gebannt nach Osten, wie der neue Sohn des Himmels sich behauptet und ob man ihm vielleicht in Zukunft wieder Tribut zahlen muss!“

Gao war ein gelehriger junger Mann, der das Handwerk des Papiermachers gut erlernt hatte, wie Meister Wang nicht müde wurde zu betonen – schon deswegen, damit Gao nicht auf die Idee kam, seine Kunst anderswo für gutes Silber zu verkaufen. Ihm hätte es schließlich frei gestanden, ins Reich der Mitte zurückzukehren, denn seine Sippe war nicht in Ungnade gefallen. Vielmehr entstammte er einer Familie von Schreibern, die es hier her verschlagen hatte, als die Macht der Kaiser aus dem Reich der Mitte noch bis nach Xi Xia reichte und im Namen der Himmelssöhne Steuern erhoben, eingetrieben und verzeichnet werden mussten. Aber diese Zeiten waren lange vorbei. Das Reich der Mitte glich an seinen Rändern einem zwar kunstvollen, aber altersschwachen, ausgefransten und mottenzerfressenen persischen Wandteppich, dessen Maschen sich unaufhaltsam weiter auflösten. Jeder Versuch, diesen Vorgang anzuhalten, machte es nur schlimmer.

In jener Zeit, als das Reich Xi Xia die Herrschaft der Himmelssöhne von Bian abgeschüttelt hatte wie eine lästiges Joch, hatte auch Gaos Familie nach und nach ihren bescheidenen Wohlstand verloren. Die Zahl der Schreiber hatte sich ebenso verringert wie der Soldaten und Beamten. Und Steuern wurden häufig nicht nach Listen erhoben, sondern nach reiner Willkür festgesetzt.

Unter anderen Umständen hätte Wang sicher gefunden, dass Gao ein passender Schwiegersohn für seine Tochter gewesen wäre. Eigentlich brachte er alles dafür mit. Er war handwerklich geschickt und hatte die Kunst des Papiermachens auf eine Weise gelernt, wie es sonst nur wenige von sich behaupten konnten. Somit hatte er in jedem Fall eine sichere Grundlage, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Davon abgesehen besaß er Erwerbssinn und ein sanftmütiges, ausgeglichenes Wesen, wie Wang es sich für einen Ehemann seiner Tochter gewünscht hätte. Aber der Papiermacher hatte sich immer vorgestellt, dass durch die Heirat seiner Tochter auch der Besitz vermehrt würde. Und solange sie jung und hübsch war, so hatte er immer gemeint, brauchte er diese Hoffnung noch nicht aufzugeben.

Li hatte diese Pläne ihres Vater immer mit gemischten Gefühlen betrachtet. Sorge zu tragen, dass sich der Besitz der nachfolgenden Generationen mehrte, war gewiss die Pflicht eines Vaters. Aber hatte nicht Wangs eigenes Leben gezeigt, dass Besitz nicht alles war? Auf jeden Fall keine Gewähr für wirklich tief empfundenes Glück. Li hatte in diesem Zusammenhang immer an die selbst gewählte Armut der tibetischen Mönche denken müssen, die die Lehren Buddhas verbreiteten, und dabei einzig auf die Weisheit ihrer Worte und die Kraft ihres persönlichen Beispiels als Mittel der Bekehrung setzten. Aber eigenartigerweise schien auch für die Mönche der Nestorianer die Aufgabe des Besitzes eine Voraussetzung für die Erlösung zu sein – und wenn zwei so unterschiedliche Lehren wie die von Buddha und Christus in diesem Punkt übereinstimmten, dann war vielleicht ein wahrer Kern darin.

Der Überfall der Uiguren hatte natürlich alles über den Haufen geworfen, was Wang je an Zukunftsplänen für seine Tochter geschmiedet hatte. Nicht einmal die Götter mochten jetzt wissen, was vor ihnen lag.

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In der ersten Nacht lagerten die Uiguren für wenige Stunden zwischen Mitternacht und Morgengrauen an einer Wasserstelle. Sie lag geschützt zwischen den kargen, felsigen Bergen und man musste sie wohl kennen, um sie zu finden.

Der Uigure mit dem Dreiecks-Amulett der Manichäer, den Li inzwischen für einen der Unterführer hielt, gab einigen seiner Leute die Anweisung, die Gefangenen zu fesseln. Daraufhin wurden lange Hanfseile aus den Satteltaschen geholt. Eigentlich waren sie wohl dazu da, Pferde anzubinden.

Doch der narbige Toruk schritt ein.

„Wohin sollen sie denn schon gehen – bei Nacht allein in dieser Einöde?“, fragte der Anführer des räuberischen Trupps. „Davon abgesehen werden die meisten von ihnen es nicht gewohnt sein, an einem Tag mehr Meilen im Sattel hinter sich zu bringen, als sie es vermutlich je zuvor in ihrem Leben getan haben.“

Toruk wandte sich dann persönlich an die Gefangenen. Im Schein des Lagerfeuers, das die Uiguren entzündet hatten, sah sie, wie ein Muskel nur wenig oberhalb der Narbe, die seine Züge entstellte, unruhig zuckte. „Wer es wagen sollte, zu fliehen, hat keine Gnade zu erwarten!“, rief er. „Wir werden jeden, der das versucht, sofort töten, gleichgültig, ob seine vornehme Herkunft ein gutes Lösegeld verspricht oder wir ihn nur als Arbeitssklaven verkaufen könnten!“ Dann wiederholte Toruk seine Worte noch einmal in einem barbarischen, akzentbeladenen Dialekt der Sprache des Han-Volkes, wie es einige seiner Abkömmlinge in die am westlichsten gelegenen Provinzen des Reichs der Mitte gebracht hatten. Li hatte nur deswegen keine Mühe, ihn zu verstehen, weil sie zuvor schon auf Uigurisch verstanden hatte, was er wollte. Schließlich ließ Toruk annähernd dieselben Worte auch noch einmal auf Persisch folgen. Eine so große Gelehrsamkeit in der Kunst, fremde Sprachen zu erlernen, hatte Li ihm gar nicht zugetraut. Aber andererseits kamen diese Nomaden entlang der Seidenstraße weit herum und konnten kaum erwarten, dass man in den großen Städten, die sich sowohl im Osten als auch im Westen wie an einer Perlenkette aufreihten, irgendjemand die Zunge eines unbedeutenden Nomadenstammes beherrschte.

Li zitterte. In der Nacht wurde es empfindlich kalt und abgesehen von dem, was sie am Leib trug, hatte sie nichts bei sich. Toruk sah dies und ein schiefes Lächeln spielte um seine Lippen. „Der Dung der Pferde mag euch Abkömmlinge von streunenden Hunden wärmen", knurrte er. „Aber vielleicht ist es besser, euch beim Feuer zusammenzutreiben - dann kann man euch besser sehen und niemand unter euch empfindlichen Bewohnern fester Häuser wird mir in den nächsten Nächten am Husten sterben..."

„Wir sollen mit diesem Gewürm aus dem Han-Volk an einem Feuer sitzen?", ereiferte sich jetzt Mahmut. „Bei Allah, Mani und den Windgeistern der Steppe - du verlangst viel von mir, Toruk."

Toruk lachte. „Du verlangst aber auch viel von dem neuen Gott Allah, den du im Westen kennen gelernt hast. Ich glaube nicht, dass seine Imame es gut heißen, wenn du alles in einem Atemzug anrufst. Oder machen die Anhänger Mohammeds neuerdings auch jeden Berggeist zu einem ihrer Heiligen? Das wäre mir neu."

„Du meinst, so wie es die Manichäer tun!", knurrte Mahmut und in seinen Augen funkelte es auf eine Weise, die erkennen ließ, dass für ihn Toruks Spott nur schwer erträglich war. Eine Hand Mahmuts schloss sich um den Griff des leicht gebogenen Schwertes, das er am Gürtel trug und das ganz offenkundig nach Art der Perser und Araber geschmiedet war.

Das erkannte sogar Li, die ansonsten weder etwas von den Kriegskünsten noch von Waffen verstand. Damaszener Stahl hatte einen geradezu legendären Ruf, der auch auf den Märkten von Xi Xia Bestand hatte. Aber noch berühmter war der so genannte schwarze Stahl, der aus den Bergen Chorasans kam. Persische Schmiede gossen ihn zu dunklen Barren. Li hatte schon gesehen, wie sie auf den Märkten hin und wieder gehandelt und in reinem Silber aufgewogen wurden, denn aus diesen Barren ließen sich Schwerter von besonderer Festigkeit schmieden. Zumindest wenn sie in die Hände von vollendeten Schmiedemeistern kamen, wie sie im Dienst des Himmelssohnes im fernen Bian standen.

Diese Nomaden allerdings hatten solche Schwerter nicht selbst geschmiedet, sondern vermutlich beim Überfall auf Karawanen erbeutet oder weit im Westen gegen das Raubgut eingetauscht, das sie anderswo erbeutet hatten.

„Lasst die Gefangenen etwas trinken!“, rief Toruk seinen Männern zu. „Führt sie in Gruppen zu zehnt an die Wasserstelle und lasst sie trinken, wenn die Pferde genug gesoffen haben! Und erschlagt nicht zu viele, wenn sie Widerstand leisten. Sonst hat sich der Raubzug nicht gelohnt!“

Die Uiguren brüllten vor Lachen, aber Li lief es kalt über den Rücken.

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„Mir knurrt der Magen“, meinte Wang später leise an seine Tochter gewandt. Er rieb sich die Hände. Offensichtlich fror auch er. Sie kauerten am Feuer und mussten zusehen, wie die Uiguren ihre Vorräte auspackten.

„Sie werden uns nicht verhungern lassen, sonst können sie uns nicht weiterverkaufen“, meinte Li. „Oder für die hochwohlgeborenen Mitglieder unserer Leidensgemeinschaft noch ein Lösegeld erwarten...“

„Was auch geschieht, wir werden es ertragen müssen, Li. Es gibt nichts, was wir tun könnten. Nichts, was unsere Lage verbessern könnte.“

Li sah ihren Vater an und auf ihrer glatten Stirn erschien ausnahmsweise eine Falte – gut sichtbar im Licht des immer stärker prasselnden und aufflammenden Feuers. „Heißt das, wir müssen jede Hoffnung aufgeben?“, fragte sie flüsternd.

„Oh nein, davon kann keine Rede sein!“, erwiderte Wang. „Aber so, wie sich die Bäume und das Gras der Steppe dem Wind beugen, werden wir uns auch beugen müssen. Wir sind nicht der Wind, Li – sondern das Gras.“

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Li schlief unruhig und unbequem auf dem nackten Boden. So weit wie möglich hatte sie sich zusammengerollt. Das Wiehern eines Pferdes und die rauen Rufe von Toruks Leuten weckten sie schließlich.

Li taten die Beine und das Gesäß weh. Jeder Muskel und jede Sehne bis hinauf zum Rücken schmerzten, als sie versuchte, sich zu erheben.

Wang bemerkte, wie es seiner Tochter ging. „Wir sind das Reiten nicht gewöhnt“, sagte er. „Nicht auf diese Weise zumindest...“

„Ich kann mich kaum bewegen“, meinte Li.

„Doch, du kannst“, sagte Wang. „Du kannst mehr aushalten, als du im Moment für möglich halten magst. Was immer geschieht – nimm es als Prüfung, so wie es der Weise Lao-she von uns fordert.“

Li widersprach nicht – denn auch, wenn ihr Vater im Moment einen wenig würdevollen Eindruck machte, so änderte dies nichts an dem tiefen Respekt, den sie vor ihm empfand.

Die Worte Lao-shes und anderer Weiser kannte sie sehr wohl. Aber im Augenblick glaubte sie nicht daran, stark genug zu sein, um diese Prüfungen zu bestehen.

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Noch ehe die Sonne aufging, wurde die Reise fortgesetzt. Von Norden her blies ein eisiger Wind, während sich im Osten bereits die ersten Strahlen der blutroten Morgensonne über den Horizont stahlen. Die Berge bildeten gezackte Schattenlinien, die sich dunkel und drohend dagegen abhoben.

Bevor der Zug aufbrach, verrichteten die Muslime unter den Uiguren ihr Morgengebet. Etwa zwei von zehn Männern bekannten sich zum Glauben an die Lehre Mohammeds. Die anderen waren offenbar bei den unter den Uiguren traditionell stark verbreiteten Manichäertum geblieben zu sein. Mit skeptischen Gesichtern betrachteten sie ihre betenden Gefährten.

„Als wir Uiguren noch ein großes Reich hatten, wäre es undenkbar gewesen, dass jemand etwas anderem als der Lehre des Mani folgte!“, hörte Li einen der Männer sagen. „Kein Vater sollte zulassen, dass seine Söhne auf Karawanen nach Westen ziehen, denn was sie von dort mitbringen sind ansteckende Krankheiten und diesen neuen Glauben, der sich verbreitet wie eine Pestilenz!“

Nach allem, was Li über die Lehren von Mohammed, Mani und Jesus wusste, war ihnen allen gemein, dass sie ihren Gläubigen auftrugen, alle Nichtgläubigen zu missionieren und dafür zu sorgen, ihren Glauben bis in die hinterste Ecke der Welt zu tragen.

Nur an einen einzigen Gott zu glauben, erschien ihr sehr eintönig und vor allem schien der Respekt vor den Ahnen nicht der Wert zuzukommen, den sie für angemessen gehalten hätte. Und so konnte Li es gut verstehen, dass es unter den Uiguren nicht wenige gab, die sich sowohl an den Gebeten zu Mani als auch an Allah beteiligten. Sie hatten wohl ihre ganz persönliche Mischung beider Glaubenswelten für sich gefunden oder wollten einfach auf Nummer sicher gehen, was wohl hieß, möglichst keinen Gott oder Propheten durch Nichtbeachtung zu beleidigen und sich so viel übernatürliche Hilfe wie möglich zu sichern.

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An das, was in den nächsten zwei Tagen geschah erinnerte sich Li später nicht mehr in allen Einzelheiten. Sie krallte sich am Sattelknauf ihres Reittieres fest und versuchte, nicht aus dem Sattel zu rutschen. Die Pausen waren selten, zu Essen gab es die ganze Zeit über nichts und nur dann, wenn die Pferde getränkt wurden, konnten auch die Gefangenen etwas von dem eiskalten Wasser der kleine Wasserläufe oder Quellen zu sich nehmen, die Toruks Leute offenbar hervorragend kannten.

Als dann in der Ferne ein Lager mit einigen hundert Jurten auftauchte, glaubte Li zunächst ihren Augen nicht zu trauen. Schließlich hatten sich die Reiter in den letzten Tagen bewusst abseits der Handelswege bewegt und waren außerdem allen Siedlungen ausgewichen, die es weit verstreut in diesem immer karger werdenden Land gab.

Eine Stadt aus Zelten lag vor ihnen und manche von ihnen waren größer als so manches Haus.

Toruks Männer trieben die Pferde auf dem letzten Teil des Weges noch einmal voran. Im Lager war man inzwischen auch auf die Ankömmlinge aufmerksam geworden und innerhalb kurzer Zeit hatten sich hunderte von Männern, Frauen und Kindern versammelt. Einige wolfsähnliche, halbwilde Hunde kläfften den Rückkehrern heiser entgegen. Die Benommenheit, die Li so lang betäubt hatte, war nun wie weggeblasen.

Toruk und seiner Männer ließen sich für ihren reichen Beutezug feiern, während die im Lager Gebliebenen sich um die Pferde kümmerten. Li wurde förmlich aus dem Sattel gerissen. Dutzende von Kindern fassten sie an.

„Sie sieht wie eine aus dem Han-Volk aus!“, hörte sie eine Frau sagen. „Wie die Soldaten, die euren Vater und eure älteren Brüder umgebracht haben!“

Daraufhin sahen Li die Kinder wie einen bösen Geist an. Sie wichen zunächst unwillkürlich zurück, während ihre Mutter ihnen sagte, dass die meisten Gefangenen dem Han-Volk aus dem Reich der Mitte entstammten. Ein Junge spuckte darauf hin aus. Wenig später wurde ein Klumpen aus trockenem, recht festem, aber nichts desto trotz entsetzlich stinkenden Kameldung geworfen. Li versuchte sich mit den Armen zu schützen.

Es folgten Steine und Erdklumpen, die durch die Luft regneten, während einer der Gefangenen rief, er sei doch ein Tangute und stamme keineswegs vom Han-Volk ab. Aber Tanguten schienen in diesem Zeltlager keineswegs beliebter zu ein, als Menschen aus dem Reich der Mitte. Und so bekam der Tangute – ein vornehmer Händler, dessen ebenso vornehme Kleidung durch den Gewaltritt der letzten Tage ohnehin schon arg gelitten hatte, noch ein paar zusätzliche Dreckklumpen ab.

Aber eine durchdringende Stimme ließ alle anderen verstummen. Es war Toruk höchstpersönlich, der diesen Mob zum Schweigen brachte. „Kümmert euch um die Pferde! Und gebt dann den Gefangenen Wasser, Decken und etwas zu essen!“

„Sind wir die Gastgeber dieser hochnäsigen Stadtleute?“, rief die Frau, deren Mann offenbar irgendwann im Kampf gegen die Soldaten des Reichs der Mitte umgekommen war. Wahrscheinlich bei einem der Überfälle, die die Nomaden inzwischen wohl schon bis ins Kernland führten. Oder sie hatten sich als Söldner eines aufständischen Kriegsherrn anwerben lassen. Die Frau verzog verächtlich das Gesicht.

„Diese Gefangenen sind wertvoller Besitz – und den wirst auch du pflegen wie einen guten Sattel!“, herrschte Toruk sie an, woraufhin sie verstummte.


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