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Drittes Kapitel: Arnulf von Ellingen

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Byzanz!

Konstantinopel.

Nova Roma...

Wie viele Namen hatte diese mächtigste aller Städte der Christenheit schon getragen – Namen, die einen geradezu legendären Klang hatten. Arnulf von Ellingen zügelte sein Pferd und blickte die gewaltigen, ehrfurchtgebietenden Mauern empor, die weder die Goten noch Hunnen, Bulgaren oder Araber hatten überwinden können.

Die Kaiserpfalz in Magdeburg kam Arnulf dagegen wie ein befestigtes Gehöft vor – und das, obwohl man dort seit der Regentschaft von Kaiser Otto Magnus und seiner ersten Gemahlin Editha versucht hatte, ein Rom an der Elbe zu schaffen. Aber dessen imposanter Palast mochte zwar das Oktadon des großen Karl in Aachen übertreffen, aber gegenüber dem, was man in Konstantinopel finden konnte, wirkte es doch letztlich nur ärmlich.

Der Ritter aus dem Geschlecht derer von Ellingen setzte den Helm ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Das dunkelblonde Haar war fast schulterlang. Der dichter werdende Bart war wohl erst während der Reise entstanden, die dieser Mann hinter sich hatte. Er trug ein ledernes Wams und darüber einen Umhang, der auch dafür sorgte, dass sein Schwert nicht so deutlich hervortrat. Die wachen, grünen Augen konnten kaum den Blick von den gewaltigen Mauern wenden, deren einzelne Steine einst mit einer Präzision aufeinander geschichtet worden waren, die Arnulf nur bewundern konnte – hatte er doch selbst schon zeitweilig den Bau von Burgen in der Billunger Mark überwacht. Daher war ihm bewusst, welcher Leistung es bedurfte, um einen solchen Schutz zu errichten.

Eine Mauer für die Ewigkeit, dachte Arnulf.

Schon aus der Ferne hatte die Stadt, die von den normannischen Händlern einfach nur Miklagard – die große Stadt – genannt wurde, einen überwältigenden Eindruck auf Arnulf gemacht. Golden schimmernde Kuppeln, Kirchen von einer Größe, in der ganze Burgen verschwunden wären und dahinter das blaue Band jener Meerenge, die die pontische See mit dem Mittelmeer verband.

„Worauf wartet Ihr?“, drangen die Worte einer heiseren, sehr dunklen Stimme zu ihm. „Die Mauern dieser Stadt könnt Ihr auch von der anderen Seite bestaunen und glaubt mir, sie sind keineswegs die größten Wunder, die es in Konstantinopel zu bewundern gibt!“

Die Stimme gehörte einem Mann in einer Mönchskutte, der auf einem mageren Schecken ritt, dessen Stockmaß wesentlich niedriger war als bei Arnulfs edlem Ross. Der Mönch drückte seinem Tier die Fersen in die Flanke und zog an dem Ritter vorbei. Nach ein paar Pferdelängen hielt sein Pferd plötzlich an und der Mönche drehte sich im Sattel herum. „Ihr wollt doch nicht so lange warten, bis alle Tore geschlossen sind! Oder man uns für bulgarische Spione hält, weil wir uns die Mauern zu genau ansehen.“

Arnulf löste sich nun von dem Anblick. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen und er strich sich über das markante Kinn, das nach all den Wochen, die sie ununterbrochen unterwegs gewesen waren, von einem immer dichter werdenden Bart bedeckt wurde. „Wir sind vor niemandem auf der Flucht, Fra Branaguorno!“, wandte er sich dann an den Mönch, der Arnulf als Begleitung auf seiner Reise zugeteilt worden war. Fra Branaguorno stammte angeblich aus Elbara, einem Dorf bei Mailand. Andere wiederum behaupten, seine Mutter sei eine entlaufene Mauren-Sklavin aus Sizilien gewesen, die ihr Kind vor einem Kloster ausgesetzt hatte, in der Hoffnung, dass es auf diese Weise eine gute Erziehung und eine Zukunft auf ein Leben in Gläubigkeit haben würde. Aber auch wenn so manches Geheimnis die Vergangenheit von Fra Branaguorno zu umgeben schien, so leuchtete sein Ruhm in der Gegenwart um so klarer. Die besonderen Geistesgaben des Jungen mussten sich schon früh offenbart haben.

Jedenfalls war Fra Branaguorno inzwischen für seine Sprachkundigkeit und Gelehrsamkeit berühmt. Während einer Zusammenkunft der Großen des Reiches, die Kaiser Otto III. in Verona einberufen hatte, waren die Dienste von Fra Branaguorno bei Verhandlungen mit Griechisch sprechenden Gesandten aus Konstantinopel benötigt worden. Dass er außer Griechisch auch einige der Sprachen des Ostens zumindest in den Grundzügen kannte, da er sie auf einer Pilgerreise ins Heilige Land sprechen gelernt hatte, schien er der geeignete Mann zu sein, Arnulf von Ellingen bei der heiklen Mission zu begleiten, mit der er von Kaiser Otto betraut worden war. Davon abgesehen genoss Fra Branaguorno das persönliche Vertrauen des Kaisers. Beide teilten dieselbe Vision: Die Vorstellung von einem Reich des Glaubens und einer Erneuerung des römischen Kaisertums im Zeichen der Christenheit. Was Carolus Magnus und Otto der Große begonnen hatten, wollte der jetzige Kaiser fortführen und Fra Branaguorno hatte ihn darin in langen Gesprächen bestärkt.

Mochte der dürre, blassgesichtige Mann, der trotz seiner grazilen Gestalt auf dem viel zu kleinen Schecken geradezu plump wirkte, auch als einfacher Bettelmönch auftreten, so hatten weder der Kaiser noch Arnulf von Ellingen je einen Mann von höherer Bildung und größerem Wissen kennen gelernt. Arnulf war in Magdeburg selbst Zeuge einiger Unterhaltungen gewesen, die der Mönchsbruder mit dem beinahe noch jungenhaft wirkenden Kaiser geführt hatte. Und Otto, der selbst als hochgebildet und trotz seines jugendliche Alters bereits sehr kenntnisreich und belesen galt, war deutlich anzumerken gewesen, wie sehr er diesen mindestens ebenbürtigen Gesprächspartner schätzte.

Otto vertraute Fra Branaguorno wie ansonsten nur wenigen in seiner Umgebung und Arnulf von Ellingen gab sich keinerlei Illusionen darüber hin, dass ihm der Mönch auch deshalb zur Seite gestellt worden war, um ihn zu bewachen. Zu viel hing davon ab, dass die Mission von Erfolg gekrönt war, zu der man den Ritter von Ellingen auf die Reise in die östlichen Länder geschickt hatte.

Länder, von deren Größe und Lage man in der Kaiserpfalz zu Magdeburg und selbst unter den Gelehrten der Abtei von Corvey nur eine sehr vage Vorstellung hatte.

Außer Fra Branaguorno reiste noch jemand mit dem Ritter. Es handelte sich um einen siebzehnjährigen Jungen, der Arnulf als Knappe diente. Sein Name war Gero und er war ein weitläufiger Verwandter jenes berühmten Gero, dem der Großvater des jetzigen Kaisers einst die slawischen Marken zwischen Elbe und Oder gegeben hatte. Manche nannten die Billunger Mark seitdem immer noch die Mark des Gero.

Gero hatte aschblondes Haar und blassblaue Augen. Im Schwertkampf und beim Bogenschießen war Gero immer ein gelehriger Schüler gewesen, aber das Schreiben und Lesen hatte er früh aufgegeben. Die Beschäftigung mit langen Reihen von Zeichen, die auf Pergament gemalt worden waren, grauste ihn und vor allem fehlte ihm die Geduld dazu, lange genug zu üben. Nur durch ständige Übung entstand wahre Meisterschaft, wusste Arnulf. Darin unterschied sich der Schwertkampf nicht von der Kunst des Schreibens und Lesens oder dem Lautenspiel, das Gero im Übrigen weitaus besser beherrschte.

Am besten verstand Gero sich auf den Umgang mit Pferden und so traf es sich gut, dass die Versorgung von Arnulfs Pferd zu den Hauptpflichten seines Knappen gehörte.

Arnulf drehte sich zu Gero herum, deutete auf die Mauern und meinte: „Schau dir das ja nur gut an, Gero. So etwas wirst du vielleicht nie wieder zu Gesicht bekommen, es sei denn, unserem Herrn gelingt es, ein paar der Baumeister abzuwerben, die sich in dieser Stadt verdingen!“

Dann trieb Arnulf sein Pferd wieder vorwärts und Gero folgte seinem Beispiel.

Die drei Männer ritten entlang der mächtigen Mauern, die ein unüberwindliches Bollwerk zwischen der Stadt und ihrem leicht zu erobernden Umland darstellte.

Die Sonne war bereits milchig geworden und sehr tief gesunken. Händler, denen sie unterwegs begegnet waren und die zweifellos aus Konstantinopel gekommen waren, hatten ihnen berichtet, dass die Tore der Stadt früh bei Einsetzen der Dämmerung geschlossen wurden. Der Zeitpunkt änderte sich jeden Tag etwas und lag anscheinend in der Verantwortung der einzelnen Offiziere, die an dem entsprechenden Abschnitt der Stadtmauer die Verantwortung trugen. Wie die Kaufleute, denen Arnulf und seine Begleiter begegnet waren, ihnen berichtet hatten, wurden für diese Posten zurzeit nur noch Waräger genommen – Angehörige der aus Nordmännern bestehenden Leibgarde des Kaisers. Niemandem sonst schien man noch zu trauen. Auch wenn zurzeit ein brüchiger Frieden herrschte, so fürchtete man sich hinter den mächtigen Mauern des zweiten Roms doch ständig vor den Angriffen der Bulgaren – und davor, dass Wächter bestochen wurden und feindliche Kämpfer ins Innere der Stadt drangen und vielleicht einen Brand legten. Obwohl die Stadt so gut wie ausschließlich aus Steinhäusern errichtet war, gehörte ein Feuer zu den wenigen Dingen, die ihren Bewohnern wirklich gefährlich werden konnten.

Der andere Feind, gegen den die Mauern nichts ausrichten vermochten, waren die Seuchen, die die Stadt des Konstantin immer wieder heimsuchten. Diese Seuchen kamen mit den Schiffen und da es wohl an keinem Ort der Welt mehr Schiffe gab als hier, war es nicht weiter verwunderlich, dass sich an diesem Ort nicht nur die Waren und Güter, sondern auch die Krankheiten der ganze Welt sammelten.

Daher hatte sich Fra Branaguorno eingehend bei den Händlern, die sie unterwegs getroffen hatten erkundigt, ob derzeit eine Epidemie in der Stadt ausgebrochen sei.

Für diesen Fall hätte der Mönch vorgeschlagen, in einer der kleineren Ortschaften des thracischen Umlandes abzuwarten, wie sich die Dinge entwickelten.

„Von diesen Schrecknissen habe ich nie etwas gehört!“, hatte Arnulf gestanden.

Und in Fra Branaguornos Gesicht war daraufhin ein verhaltenes, weises Lächeln erschienen. „Alle möglichen Nachrichten und Erzählungen machen sich von einem Ort wie diesem in alle Himmelsrichtungen auf den Weg. Erzählungen von goldenen Kuppeln und Schiffen, die griechisches Feuer speien. Geschichten von den Ratten in den engen Gasse und dem Gestank des Todes, der sich ausbreitet, wenn die Seuchen kommen... Aber offenbar haben es letztere nicht bis nach Magdeburg geschafft!“

„Wann wart Ihr das letzte Mal in der großen Stadt?“, fragte Arnulf.

„Oh, das ist schon einige Jahre her. Eigentlich hätte ich Bischof Bernward von Würzburg begleiten sollen, als er zur Brautwerbung von Kaiser Otto aufbrach... Aber man brauchte, wie so oft, meine Dienste dringend anderweitig...“

„Wie üblich!“ meinte Arnulf.

––––––––



Wenig später erreichten sie das Xylokerkos-Tor.

Die Wächter waren Normannen. Sie sprachen ein Griechisch, das in den Ohren von Männern wie Branaguorno barbarisch klingen musste.

„Wer seid Ihr und was wollt Ihr in der Stadt?“, fragte der Offizier – ein baumlanger Waräger mit blauen Augen und blonden, zu Zöpfen geflochtenen Haaren, die unter seinem Helm hervorquollen.

„Wir besitzen ein Empfehlungsschreiben, um bei Johannes Philagathos vorgelassen zu werden, der zurzeit am Hof von Kaiser Basileios weilt...“

„Die halbe Stadt heißt Johannes“, meinte der Waräger. „Von dem Euren habe ich nichts gehört. Zeigt mir einfach Euer Dokument, dann sehen wir weiter.“

Fra Branaguorno holte den Brief hervor und reichte ihn dem Offizier. Der blonde Hüne faltete ihn auseinander und blickte mit gerunzelter Stirn auf die Reihen von Buchstaben. „Das ist Latein, kein Griechisch“, stellte er fest.

„Bei allen Heiligen, dies muss wahrhaftig eine Stadt der Wunder sein, wenn hier sogar die Nordmänner lesen können!“, entfuhr es Gero erstaunt.

Der Waräger hatte das gehört. „Saxland?“ fragte er.

„Ja, daher kommen wir“, bestätigte Arnulf, obwohl Branaguorno ihm zuvor eigentlich eingeschärft hatte, sämtliche Verhandlungen am Tor seinem Griechisch sprechenden Begleiter zu überlassen. Schon deshalb, weil Branaguorno nicht zum ersten Mal in der Stadt des Konstantin weilte und sich auskannte, wie man mit den Wachoffizieren umgehen musste. Im Notfall hätte er sogar gewusst, wen man bestechen musste, um zu bekommen, was man wollte.

Allerdings hatten sich die Verhältnisse offenbar seit seinem letzten Aufenthalt doch in einigen Punkten geändert. Schon das, was die Händler, denen sie auf ihrem Weg durch Thracien begegnet waren, ihnen erzählt hatten, war für Fra Branaguornos Ohren sehr erstaunlich gewesen. Die Waräger-Garde des Kaisers hatte es zwar auch vor Jahren schon gegeben - aber die Krieger aus dem rauen Norden hatten Wichtigeres zu tun gehabt, als Tore zu bewachen. Dass der Kaiser schon die Elite der Soldaten mit so profanen Aufgaben betrauen musste, war ein Zeichen dafür, wie unsicher man sich trotz der gewaltigen Mauern fühlte, die sich vom Marmara-Meer bis zu einer Bucht mit dem Namen „Goldenes Horn“ zogen und damit die auf einer dazwischenliegenden Halbinsel liegende Stadt vollkommen abschloss.

Der Waräger-Offizier musterte noch einmal Branaguorno von oben bis unten, dann wandte er sich zunächst Arnulf und dann Gero zu. „Saxland!“, sagte er noch einmal, diesmal wie eine Feststellung.

Unter den Nordmännern war Saxland ein Sammelbegriff, der nicht nur das Land der Sachsen zwischen Elbe und Ems, sondern alle Herzogtümer des Regnum Teutonicorum. Manchmal bezeichneten die Nordmänner aber auch das gesamte Reich Kaiser Ottos so und schlossen nicht nur die Länder zwischen Alpen und Nordsee, sondern auch Italien und Burgund ein. Warum auch nicht? Da die Sachsen den deutschen König und den römischen Kaiser stellten, waren sie offensichtlich unter allen Völkern des Reiches dasjenige, welches die Vorherrschaft hatte.

„Wir kommen mit einer schriftlichen Botschaft von Kaiser Otto“, sagte Arnulf. Die Sprache der Sachsen war von jener der Nordmänner nicht so verschieden, dass man sich nicht hätte verständigen können, wenn man sich Mühe gab und nicht zu schnell sprach. Manchmal, so hatte Arnulf schon des Öfteren gedacht, war es für einen Sachsen schwieriger, einen Schwaben oder Baiern zu verstehen, als einen Dänen.

„Mir reicht es schon, dass Ihr keine Bulgaren seid“, meinte der Waräger. „Ich bin Thorstein aus Birka und diente früher dem König von Orkney, bevor ich mich von den Kiewer Rus anwerben ließ und schließlich hier, in der goldenen Stadt mein Glück gemacht habe.“

„Es ist mir eine Freude, Euch kennen zu lernen, Thorstein aus Birka!“

„Ganz meinerseits.“ Er lachte. „In Britannien habe ich gegen Euch Sachsen gekämpft und bin immer siegreich gewesen.“

„Nun, hier braucht Ihr Euch nicht davor zu fürchten, dass ich gekommen wäre, um das zu rächen.“

„Da bin ich aber froh!“, meinte Thorstein ironisch und seine Männer konnten ein Lachen nicht verkneifen. Der Offizier wandte sich dann an Gero. „Du bist der Knappe dieses edlen Ritters?“

„So ist es“, nicke Gero, sichtlich verlegen.

„Ich weiß nicht, was man dir über uns aus dem Norden erzählt hat, aber dass du der Ansicht bist, unsereins könnte nicht dazu taugen, Lesen zu lernen, ist schon fast ein Grund, dich herauszufordern!“

Die anderen Waräger lachten – und Fra Branaguorno schien sehr erleichtert darüber zu sein, dass Thorsteins Worte offenbar als Scherz gemeint waren.

Thorstein und seine Männer ließen sie passieren – allerdings erst, nachdem sie sich genauestens hatten zeigen lassen, welche Waffen die drei Männer mit sich führten. In Fra Branaguornos Fall waren das ohnehin nur die Waffen des Geistes – und was Arnulf und Gero betraf, so hatte niemand etwas dagegen, dass sie ihre Schwerter mit sich führten. Wohl aber suchten die Krieger der kaiserlichen Leibgarde nach brennbaren Stoffen, besonderen Ölen oder dergleichen, die vielleicht darauf schließen ließen, dass hier jemand beabsichtigte, einen Brand zu legen und der Stadt zu schaden.

Wer so etwas in die Stadt einführte, brauchte dazu eine besondere Genehmigung.

Schließlich wurde es Arnulf und seinen Begleitern gestattet, das Tor zu durchreiten.

Etwa mehr als zehn Schritte eines großgewachsenen, langbeinigen Mannes breit waren die Mauern, die Konstantinopel schützten. Von der Innenseite aus waren Türen zu sehen, die wohl zu Wachstuben und Unterkünften der Bewacher führten. Die Wehrgänge mit ihren Zinnen, von denen aus die kaiserlichen Soldaten das Umland beobachteten, mussten breiter sein, als im Reich Kaiser Ottos die meisten Straßen.

Gero konnte nicht anders, er drehte sich noch einmal im Sattel herum. Ganze Fuhrwerke hätten auf diesen Gängen die Mauer entlang fahren können und es musste ohne weiteres möglich sein, auch größere Katapulte dort zu bewegen.

Es blieb Gero kaum Zeit, sich umzusehen, denn mehr als ein Dutzend Bettler umringten ihn und seinen Herrn bereits. Den Mönch Branaguorno beachteten sie dabei kaum. Offenbar nahmen sie nicht an, dass bei dem hageren, blassen Mann in der groben Kutte überhaupt etwas zu ergattern war.

Die Bettler – unter ihnen Kinder, Halbwüchsige und Krüppel - redeten unablässig in griechischer Sprache auf Arnulf und Gero ein.

Es war Fra Branaguorno, der diesem Treiben ein Ende setzte, indem er ein paar Kupfermünzen auf den Boden warf, auf die sich die Bettler sogleich stürzten – er, der doch im Gewand des Bettelmönchs ritt, von dem zuallerletzt erwartet worden wäre, dass er sich wie ein hoher Herr gebärdete.

„Und jetzt gebt Eurem Gaul etwas Druck in die Weichen, sonst wird man Euch in einem Jahr noch hier festhalten!“, raunte Branaguorno.

––––––––



Wenig später ritten die Drei eine der breiten Straßen entlang, die sich wie ein Netz durch die Stadt zogen.

„Es sind mehr Menschen in der Stadt, als vor Jahren bei meinem letzten Besuch“, sagte Fra Branaguorno. „Und es gibt weniger Ruinen, in denen Bettler hausen...“

„Das seht Ihr auf einen Blick?“, fragte Arnulf.

„Oh ja! Diese Stadt mag Euch wie ein riesiger Wald aus Häuser und Menschen erscheinen, wenn Ihr sie mit Magdeburg, Köln oder Venedig vergleicht. Aber schaut genau hin... Sie wurde einst für mehr Menschen gebaut, als hier zurzeit leben. Das seht Ihr schon an der Mauer!“

„Ja, das ist mir auch aufgefallen“, stellte Arnulf fest. In seiner Heimat besaßen wenige Städte eine Stadtmauer und dann passte sie dem Ort zumeist so schlecht wie eine zu eng geratenes Kettenhemd, das ein Ritter von seinen Vorfahren ererbt oder bei einem arg schmächtigen Gegner im Turnier gewonnen hatte. Die Mauern Konstantinopels hingegen waren großzügig bemessen. Zu großzügig.

Sie ritten durch die Außenbezirke, vorbei an der Pege-Kirche, wie Fra Branaguorno das Gotteshaus zu ihrer Linken nannte.

Ganz außen, in der Nähe der Mauern lebten vornehmlich arme Leute in engen Gassen. Bettler, die sich in leer stehenden Häusern angesiedelt hatten, ebenso wie Tagelöhner, die darauf hofften, dass sie den Händlern beim Be- und Entladen der Waren helfen konnten, wenn sie zu den Märkten oder den verschiedenen Häfen der Stadt fuhren. Außerdem lebten Söldner der Wachmannschaften hier mit ihren Familien – abgesehen natürlich von den Angehörigen der Waräger-Garde, die einen weitaus höheren Status besaßen und sich – trotz ihrer barbarischen Herkunft – mit einer so bescheidenen Bleibe auch nicht zufrieden gegeben hätten. Die Nordmänner schienen zu wissen, wie wertvoll ihre Kriegskünste für den Kaiser von Konstantinopel und die Sicherheit der Stadt waren. Dementsprechend selbstsicher traten sie auch auf.

Nach den Quartieren der Armen in unmittelbarer Nähe der Mauern folgte ein Gebiet mit weitläufigen Gärten, die zu luxuriösen Villen auf den Hügeln zu beiden Seiten des Flusses Lykos gehörten. Es war offensichtlich, dass sich hier her die besonders Reichen und Edlen zurückzogen. Bewaffnete Wächter schritten an den Palisadenzäunen dieser angesichts der sonstige Enge der Stadt schon obszön weitläufigen Anwesen entlang. Manche Burg in Sachsen oder Franken hatte nicht die Ausmaße dieser Landsitze, die dazu auch noch inmitten einer Stadt lagen. Und dennoch von grünen Hügeln umgeben waren.

Arnulf zügelte sein Pferd und ließ den Blick einige Augenblicke schweifen.

„So sind die geradezu phantastischen Geschichten, die man sich über die Stadt des östlichen Kaisers erzählt also wahr“, murmelte der Knappe.

„Ja – und man stelle sich vor, welcher Abstieg es für eine Frau wie die inzwischen selige unseres Kaisers war, von Konstantinopel nach Magdeburg zu gehen“, meinte Arnulf.

„Oh, übertreibt in dieser Hinsicht nicht“, wandte Fra Branaguorno ein.

„Übertreiben?“, wunderte sich Arnulf. „Wie kann man den Unterschied zu übertrieben schildern, da er doch einfach für jedes menschliche Auge schlichtweg überwältigend ist!“

„Mag sein. Aber für Theophanu war es gewiss die glücklichste aller möglichen Fügungen, nach Magdeburg zu gelangen – auch wenn das Wetter dort sicherlich weitaus unfreundlicher ist, als man dies von der Küste Thraciens sagen kann...“

„Wie meint Ihr das?“

„Nun, das wissen nur wenige, und ich bin mir nicht sicher, ob ich es in aller Offenheit äußern sollte...“

Auf Arnulfs Stirn bildete sich eine Falte. „Nun ziert Euch nicht, Fra Branaguorno! Erst erweckt Ihr mein Interesse und dann belasst Ihr es bei ein paar geheimnisvollen Andeutungen!“

Fra Branaguorno seufzte. „Gut, so will ich Euch sagen, was man sich am Hof zu Magdeburg hinter vorgehaltener Hand erzählte: Theophanu war nicht von so adeligem Geblüt, wie es oft herausgestellt wurde.“

„Fließt nicht das Blut eines östlichen Kaisers in ihr?“

„Sie war die entfernte Nachfahrin eines nicht sehr geschätzten Feldherrn namens Konstantin Skleros, an den sich niemand mehr erinnert...“

„Also keine Purpurgeborene!“

„Nein. Allerdings sind jegliche Hinweise darauf aus den Dokumenten getilgt worden. Es wäre schwierig geworden, sie gut zu verheiraten und da war der Hof im Sachsenland die beste von vielen schlechten Möglichkeiten.“

„Oh, das habe ich in der Tat nicht gewusst“, gestand Arnulf zu. „Und ehrlich gesagt, erschien sie mir immer als eine sehr würdevolle Regentin...“

„Man kann viele Dinge lernen“, lächelte Fra Branaguorno. „Und wie es scheint, gilt das in manchen Fällen sogar für die hohe Geburt!“

––––––––



Sie erreichten jenseits der Arkadius–Säule wieder dichter bebautes Stadtgebiet. Auf den Straßen drängten sich Händler aus aller Herren Länder. Weithin sichtbar war ein über den Fluss Lykos gebautes Forum. Der Fluss mündete hier in die Bucht des Eutherios-Hafen. Arabische Daus wurde hier entladen – Getreideschiffe aus Ägypten, das schon in römischer Zeit die Kornkammer Byzantions gewesen war. Dass die Kaiser von Konstantinopel immer wieder in verlustreiche kriegerische Auseinandersetzungen mit den Arabern verwickelt waren, hatte daran offenbar nichts geändert. Neben den griechischen Schiffen legten hier auch die Langschiffe normannischer Händler an, die hier auf dem Rückweg aus dem Orient oft wochenlang festsaßen, weil sie auf günstige Strömung und Wind warten mussten, um den Bosporus in Richtung Schwarzes Meer passieren zu können. An einem der vor Anker liegenden Schiffe entdeckte Arnulf das Banner des Dogen von Venedig – allerdings war es in aller Bescheidenheit unterhalb des kaiserlichen Banners von Konstantinopel am Mast aufgezogen worden – denn formal gesehen war Venedig ein Teil des Machtbereichs von Kaiser Basileios. Allerdings ging man in der Lagunenstadt längst eigene Wege.

Arnulf kannte sich in dieser Hinsicht aus, den er war des Öfteren im Auftrag von Kaiser Otto dort gewesen, um die Möglichkeiten einer Annäherung zu erkunden.

Aber die Venezianer wollten offenbar von keinem der beiden Kaiser beherrscht werden und lavierten diplomatisch zwischen beiden hin und her, um eine größtmögliche Unabhängigkeit zu erhalten.

„Ich sehe nirgends die berühmten Kriegsschiffe, die das griechische Feuer senden können!“, sagte Arnulf an Fra Branaguorno gerichtet. Von den Siegen, die diese Schiffe gegen Araber und Normannen errungen hatten, erzählte man sich sogar in Venedig und Reisende hatten jene Geschichten sogar bis ins ferne Land der Sachsen getragen. Feuer, das dem Feind entgegen geschossen wurde und selbst durch Wasser nicht gelöscht werden konnte, hatte die Stadt ebenso wirksam zum Meer hin geschützt, wie es die titanischen Mauern gegenüber dem thracischen Hinterland taten und mancherorts hielt man die Geschichten darüber gar für Propaganda, die Kaiser Basileios nur mächtiger erscheinen lassen sollte, als er in Wahrheit war.

„Das ist nur ein kleiner Getreidehafen“, sagte Fra Branaguorno. „Auch wenn Ihr hier mehr Schiffe als in Venedig und Genua zusammen findet und ganz Bremen hier Platz hätte!“

Fliegende Händler sprachen die drei Reiter sofort an. Fra Branaguorno jagte sie mit ein paar barschen Worten davon.

Arnulf von Ellingen konnte da nur den Kopf schütteln. „Was Euren Umgang mit diesen Bettlern angeht, so kann ich mich doch nur wundern, Fra Branaguorno! Schließlich seid Ihre doch selbst zur Armut verpflichtet.“

„Es tut mir in der Seele weh, nicht jedem Bedürftigen etwas geben zu können“, behauptete Branaguorno, aber es klang nicht sonderlich überzeugend.

Arnulf wandte sich im Sattel herum und meinte an Gero gerichtet. „Heute lernst du einiges fürs Leben, zum Beispiel wie sehr selbst ein dem Weg unseres Herrn Christus verpflichteter Mann Gottes auch noch gegen die zehn Gebote verstößt, in dem er die Unwahrheit spricht!“

„Nun, ich...“ Gero wollte sich nicht dazu äußern. Zu sehr waren sowohl Arnulf als auch der gelehrte Mönch für ihn Respektspersonen. Aber hin und wieder neigte Arnulf dazu, über Fra Branaguorno zu spotten.

Die Wahrheit – so wie Arnulf sie sich zusammenreimte - war wohl die, dass Fra Branaguorno keineswegs aus innerer Berufung heraus Mönch geworden war. Zumindest war es kaum eine Berufung zur Armut, sondern wohl am ehesten ein unstillbarer Drang zur Gelehrsamkeit, die ihn dazu veranlasst hatte, die drei Gelübde abzulegen.

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Südlich des großen Hippodroms, in dem zigtausend Menschen den Pferderennen zusahen und der Kaiser sich dem Volk zeigte, gab es einige Viertel mit eng beieinander stehenden Häusern. Meist waren es Lagerhäuser, die Händlern gehörten, denen für ihre Geschäfte wohl die räumliche Nähe eines weiteren Hafens und des Hippodroms sehr dienlich war.

„Achtet auf Taschendiebe!", riet Fra Branaguorno, als sie sich durch die geschäftigen und für Arnulfs Empfinden völlig überfüllten Gassen zwängten, die vom Hippodrom geradewegs in Richtung des Kaiserpalastes führte.

„Wenn Euch die Straßen dieser Gegend überfüllt vorkommen, so lasst Euch gesagt sein, dass sie im Moment beinahe noch menschenleer sind...“, meinte Fra Branaguorno lachend.

„Was sagt Ihr da?“, entfuhr es Arnulf.

„... verglichen mit den Tagen, an denen der Kaiser sich im Hippodrom zeigt“, vollendete der Mönch seinen Satz. „Dann ist hier wirklich der Teufel los!“ Branaguorno bekreuzigte sich. „Man mag mir diese Ausdrucksweise verzeihen und gewiss will ich damit trotz aller Gegensätze im Glauben nicht gesagt haben, dass die Stadt Konstantins je etwas mit dem Teufel zu tun hätte...“

„Nun, wenn das wahr ist, was Ihr sagt, dann können wir wohl nur hoffen, die Stadt bereits verlassen zu haben, wenn das nächste Mal im Hippodrom ein Spektakel stattfindet!“, sagte Arnulf.

„Eure Hoffnung ist aussichtslos, Arnulf. Ein paar Tage länger werden wir hier in Konstantinopel schon zubringen müssen...“ Mehr sagte er nicht, denn jedes weitere Wort wäre zu viel gewesen. Die Stadt hatte hunderttausende von Ohren und man konnte nie wissen, ob nicht zufällig jemand mithörte, der die Sprache der Fremden verstand und vielleicht auch aus bruchstückhaften Äußerungen die richtigen Schlüsse zu ziehen vermochte.

Und der Auftrag, mit dem Arnulf von Ellingen vom westlichen Kaiser in den Osten geschickt worden war, musste unter allen Umständen geheim bleiben.

––––––––



Sie erreichten eine Nebenstraße, in der weit weniger Menschen waren. Ein paar verkrüppelte Kriegsveteranen saßen am Straßenrand auf einer Treppenstufe. Männer mit blonden oder rötlichen Haaren, die von weit her kamen und in den Söldnertruppen des östlichen Kaisers gedient hatten. Einem fehlte ein Arm und ein Bein, einem anderen der rechte Arm und ein Ohr, so als hätte ein Schwerthieb ihm beides abgetrennt. Gero starrte die Männer ein paar Augenblicke zu lang an. Auch wenn es im Reich des Sachsen-Kaisers sicherlich nicht weniger Krieg und Gewalt gab als als hier, so hatten weder Gero noch Arnulf Kriegskrüppel dieser Art und in größerer Zahl gesehen. Aber man erzählte sich über die Medizin des Ostens wahre Wunderdinge und so mochte es gut sein, dass hier so mancher Krieger Verletzungen überlebte, die andernorts den sicheren Tod bedeutet hätten.

Vor einem Gebäude, das zwischen den mehrstöckigen Lagerhäusern in seiner Umgebung sehr klein wirkte, zügelte Fra Branaguorno sein Pferd und stieg aus dem Sattel. Seiner schlaksigen Gestalt wegen wirkte er sehr unbeholfen dabei. Die Kapuze seiner Kutte hatte er stets über dem Kopf und er achtete auch sehr darauf, dass dies immer so blieb.

Branaguorno machte das Pferd an einer Querstange vor dem Gebäude fest und ging zur Tür. Dort klopfte er.

Ein Mönch mit rundem Gesicht und roten Wange öffnete. Arnulf schätzte ihn auf nicht älter als Mitte zwanzig.

„Fra Branaguorno!“, entfuhr es dem rundliche Mönch. „Wir haben Euch bereits lange erwartet!“

„Die Reisewege sind unsicher geworden, Bruder Markus“, gab Branaguorno zurück. Er deutete auf Arnulf und Gero. „Ich darf Euch Arnulf von Ellingen und seinen Knappen Gero vorstellen. Wir brauchen Unterkunft und Verpflegung. Und außerdem habe ich ein versiegeltes Dokument für Euren Oberen.“

„Kommt herein!“, sagte Bruder Markus, bei dem Arnulf sich fragte, woher er wohl stammte. Der dickliche Mönch hatte Latein gesprochen, das Arnulf gut verstand, auch wenn er zugeben musste, dass ihm die Sprache der Italiener eigentlich etwas näher war. Letztere hatte er während der kaiserlichen Feldzüge in Italien, an denen teilzunehmen seine Pflicht gewesen war, fast fließend erlernt, um sich verständigen zu können. Bei reinem Latein kam es manchmal vor, dass ihm die Wörter deutlich schwerfälliger über die Lippen kamen.

Aber die Art und Weise, in der Bruder Markus das Lateinische aussprach, kam Arnulf bekannt vor.

„Ihr stammt aus der Mark der Elbslawen!“, stellte er fest. „Leugnet es nicht, Eure Sprache verrät Euch!“

Bruder Markus lächelte mild. „In der Gemeinschaft der Gläubigen spielt es keine Rolle, wo die Wiege gestanden hat“, erklärte er. „Aber Ihr habt recht! Ich stamme aus der Billunger Mark.“

„Ich kenne das Gebiet ganz gut“, sagte Arnulf. „Leider, muss man wohl sagen, denn alljährlich hält es der Kaiser für notwendig, dort mit großem Heeresaufgebot hinzuziehen und den Billungern den christlichen Glauben mit dem Schwert beizubringen.“

„Es war die Kraft des Glaubens und die Güte der Gläubigen, die mich bekehrte“, erwiderte Bruder Markus. „Und ich wüsste niemanden, der die Erleuchtung durch das Schwert gewonnen hätte.“

„Mit diesen Dingen kenne ich mich nicht aus, Bruder. Ich weiß nur, wem ich einen Lehenseid geschworen habe und deswegen bis ans Ende der Welt folgen muss!“

Bruder Markus lächelte versöhnlich. „Nun, wenn Ihr dem Kaiser schon in die Billunger Mark gefolgt seid, so wart Ihr ja vom Ende der Welt nicht weit entfernt!“

––––––––



Die Unterkunft bei den Mönchen war sehr einfach. Die Gäste bekamen eine Platz in einem großen Schlafsaal, aber Arnulf hatte nicht das Geringste dagegen einzuwenden. Bequemer als die Erde, auf der sie die letzte Nacht verbracht hatten, war dieses Lager allemal.

Ansonsten nächtigten hier vor allem Pilger, die auf der Reise ins Heilige Land waren – aber auch einige Ritter, die offenbar zur Begleitung des Johannes Philagathos gehörten und am Hof von Kaiser Basileios dafür sorgen sollten, dass sich vielleicht trotz aller Widrigkeiten noch eine geeignete Hochzeitskandidatin für den Magdeburger Hof fand.

„Für wie lange habt Ihr unseren Aufenthalt hier in Konstantinopel geplant, Fra Branaguorno?“, fragte Arnulf den Mönch, als er glaubte, dass er mit Fra Branaguorno und Gero allein war.

Der blasse Mann legte einen Finger auf den Mund.

„Traut niemandem, werter Arnulf.“

„Aber – wir sind hier unter Männern Gottes!“, entfuhr es Gero, dem es eigentlich nicht zustand, sich auf diese Weise in das Gespräch einzumischen.

Fra Branaguorno wandte ihm den Kopf zu. „Das ist ein Grund, besondere Vorsicht walten zu lassen, Gero.“

„Das verstehe ich nicht! Haben all diese Männer sich nicht dem Dienst am Herrn verschrieben?“

„Aber Ohren haben sie trotzdem“, erwiderte Fra Branaguorno lächelnd. „Und Zungen ebenfalls, mit denen sie das, was sie hören weitertragen.“

„Ich hoffe trotzdem, dass wir unsere Reise bald fortsetzen können, Fra Branaguorno. Vielleicht könnt Ihr Eure Kontakte aus früherer Zeit dazu nutzen, dies möglich zu machen!“

„Ihr wisst, dass ich alles versuchen werde“, sagte der Mönch mit dem ihm eigenen Ernst.

Während Arnulf sein Gepäck ordnete, dachte er daran, das sie zwar schon eine ziemlich weite Reise von Magdeburg bis hier her, an den Hof des östlichen Kaisers hinter sich hatten, aber der schwierige Teil ihres Weges noch vor ihnen lag. Ein Weg, der in ein geheimes Land führte, aus dem die Nordmänner den Stahl ihrer berühmten bruchfesten Ulfberht-Schwerter bezogen. Noch gut hatte Arnulf den Moment in Erinnerung, als Kaiser Otto ihn in einem abgelegenen Nebenraum der Kaiserpfalz zu Magdeburg empfangen hatte – ein junger Mann, eigentlich noch ein Junge, der trotzdem alle durch seinen Geist und seine Bildung verblüffte. Das Wissen der Welt nannte man ihn daher und Arnulf musste zugeben, dass er diesem Jungen, in dieser Hinsicht so vollkommen unterlegen war, dass er sich manchmal in seiner Gegenwart wie ein Bauerntölpel vorkam. Ein ungewöhnlich wacher Geist, gepaart mit der besten Ausbildung, die man als seinesgleichen erhalten konnte – und das Ergebnis war ein früh vollendeter, früh gereifter Jüngling, der es immerhin geschafft hatte, seiner Großmutter Adelheid die Herrschaft zu entreißen, die diese nach dem Tod seiner Mutter Theophanu während seiner letzten Kinderjahre stellvertretend für ihn ausgeübt hatte. Und auch bei den Großen des Reiches hatte sich Otto inzwischen - trotz seines Mangels an Jahren - Respekt verschafft. Diesen wachen Verstand durfte niemand unterschätzen und wer da geglaubt hatte, mit einer jungenhaften Marionette auf dem Thron leichtes Spiel zu haben, sah sich schon bald grausam getäuscht.

„Worüber ich jetzt mit Euch spreche, ist hoch geheim, sodass Ihr selbst Eurem Knappen erst den wahren Grund Eurer Reise verraten werdet, wenn Ihr das Reich des östlichen Kaisers hinter Euch gelassen habt“ - das waren die Worte Ottos gewesen. „Eingeweiht ist außer Euch und mir nur noch Fra Branaguorno, der bei den Mönchen von Corvey in Westfalen als Bruder Branagorn bekannt ist, weil sie die Mundart der Welschen nicht über die Lippen bringen...“ Ein stilles Lächeln war dabei über seine glatten Wangen gehuscht. Er war gewiss den meisten Menschen in seiner Umgebung überlegen – aber mitunter neigte er ein wenig zum Spott über diejenigen, die er – oft zurecht! - für geistig schwerfällig hielt. Eine Eigenschaft, die einem Herrscher das Genick brechen konnte, wenn er sie nicht im Zaum hielt. Aber er war sehr lernfähig und so traute Arnulf ihm durchaus zu, auch noch die Kunst zu vervollkommnen, als kluger Geist mit einem Hofstaat von Tölpeln Umgang zu pflegen, ohne alle zu beleidigen.

„Es geht um die Schwerter, die nicht brechen“, erklärte er. Arnulf hatte natürlich sofort gewusst, was der Herrscher meinte. Die Schwerter eines geheimnisvollen Nordmannes, der seine Waffen mit seinem Name zeichnete – Ulfberht.

Es war zweifelhaft, dass Ulfberht überhaupt noch lebte – wenn er nicht überhaupt eine Gestalt der Sagen war, die man sich unter Nordmännern erzählte. Wahrscheinlich schmiedeten seine Erben unter diesem Namen weiter und machten gute Geschäfte damit. Über den Hafen Haithabu gelangten diese Waffen auch ins Reich Kaiser Ottos – nur musste man sie den Nordmännern sehr teuer bezahlen.

„Es ist nicht nur die Schmiedekunst, die diese Waffen auszeichnet“, sagte Otto. „Es ist der Stahl selbst. Wir wissen seit langem, dass die Nordmänner diesen Stahl in schwarzen Barren über das Schwarze Meer und die östlichen Flüsse bis in ihre Länder an der Ostsee bringen. Aber jetzt verdichten sich die Hinweise auf das Land, aus dem dieser Stahl kommt.“

„So wollt Ihr den Handel damit in Zukunft ohne kostspieligen Umweg über die Dänen und Schweden vollziehen!“, erkannte Arnulf in jenem Moment sofort. Dass der Kaiser Händler, Reisende und Gefangene systematisch befragen ließ, von denen man vermuten konnte, dass sie irgendetwas über dieses geheimnisvolle Land des unzerbrechlichen Stahls wussten, war bekannt.

„Ja – und vor allem darf mein kaiserlicher Bruder im Osten nichts davon erfahren“, hatte Arnulf Ottos weitere Worte noch im Ohr. „Ihr wisst ja um die Gegensätze, die es zwischen unseren Höfen nach wie vor gibt...“

„Gewiss, mein Kaiser.“

„Das Land heißt Chorasan und es soll von einem Herrschergeschlecht regiert werden, das als die Samaniden bezeichnet wird. Und es liegt jenseits von Persien. Ich gebe gerne zu, dass das nicht allzu viel an gesichertem Wissen ist, aber es ist in meinen Augen Grund genug, jemanden dorthin zu schicken, der mit dem Hof dieser Stahlbarrenhändler aus den fernen Bergen Chorasans verhandeln soll!“

„Und da dachtet Ihr an mich?“

„Ihr seid zwar kein Schmied, aber Ihr versteht doch genug von dieser Kunst und von der Qualität unserer Waffen, dass Ihr wissen werdet, wann Ihr wirklich am Ursprung des Weges seid, von wo aus die Barren in die Länder der Nordmänner auf die Reise geschickt werden.“

„Ich hoffe, dass Ihr mich und meine Fähigkeiten nicht überschätzt!“, sagte Arnulf.

Dass Lächeln, das Otto in diesem Moment gezeigt hatte, war Arnulf als prägendster Teil dieser Unterhaltung in Erinnerung geblieben. Nein, Otto überschätzte so schnell niemanden. Das Gegenteil war eher der Fall. Er neigte dazu, seine Untergebenen sich gegenseitig kontrollieren zu lassen und die Tatsache, dass Fra Branaguorno ihn begleitete, war gewiss so zu verstehen. „Ich mute Euch nichts zu, wozu Ihr nicht in der Lage seid, Arnulf von Ellingen.“

Der Hochmut war in diesen Worten nicht zu überhören gewesen.

„Für alles, was Ihr nicht vermögt, ist Fra Branaguorno zuständig. Insbesondere wird er Euch in den Ländern des Ostens weiterhelfen, auch wenn Ihr zweifellos irgendwann in ein Gebiet kommen werdet, in dem Euch selbst sein umfangreiches Wissen kaum noch von Nutzen zu sein vermag. Aber ich vertraue Eurer Fähigkeit, Euch auch in ungewohnten Situationen zu bewähren, wie Ihr ja schon auf verschiedenen Schlachtfeldern und Kriegszügen in meinen Diensten eindrucksvoll unter Beweis gestellt habt.“

Arnulf von Ellingen hatte sich vorgenommen, alles daran zu setzen, um sich den Ansprüchen, die an die Erfüllung dieser besonderen Mission gestellt wurden, würdig zu erweisen. Und in der Tat reizte ihn der Gedanke, bis in Länder vorzudringen, die bisher bestenfalls dem Namen nach bekannt waren, aber über die es außer wunderlichen Geschichte kaum etwas gab, was berichtet werden konnte.

Arnulf warf einen Blick zu Gero und fragte sich, wann wohl der richtige Moment war, um den Jungen in den eigentlichen Sinn dieser Reise einzuweihen, damit er die entsprechende Vorsicht walten lassen konnte und die Mission nicht unwissentlich in Gefahr brachte.

Spätestens, wenn wir das Reich des östlichen Kaisers hinter uns gelassen haben, muss er wissen, worum es wirklich geht!, ging es dem Ritter durch den Kopf.


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