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Achtes Kapitel: Ein Ritter aus Saxland

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In der Nähe des Statthalter-Palastes von Samarkand lagen die Quartiere und Werkstätten von Schreibern und Papiermachern. Dort bekamen auch Meister Wang, Gao und Li eine Werkstatt zugewiesen, in der ansonsten noch ein halbes Dutzend weiterer Papiermacher beschäftigt war. Sie lebten und arbeiteten zusammen mit ihren Familien in der Werkstatt. Morgens nach Sonnenaufgang wurden die Schlafmatten fortgeräumt und die Arbeit begann. Die anderen Papiermacher sahen äußerlich wie Bewohner des Reiches der Mitte aus – aber kaum einer von ihnen sprach noch mehr als ein paar Worte in der Sprache des Han-Volkes. Ihre Vorfahren waren einst als Kriegsgefangene hier her gelangt und inzwischen hatten ihre Kinder und Kindeskinder nicht nur den Glauben an die Lehre Mohammeds angenommen, sondern trugen auch Namen, wie sie unter der Muslime üblich waren. Angeblich hatte man ihnen nur gestattet, gläubige Frauen aus Mawarannahr zu nehmen, die dann eine Gewähr dafür boten, dass ihre Kinder im Sinne der Lehre Mohammeds erzogen wurden.

Der Leiter der Werkstatt, der auch Meister Wang, Li und Gao zugeteilt waren, trug den Namen Mohammed, wie der Prophet selbst.

„Ihr müsst euch einfügen, dann wird euch alles gelingen. Die Zeiten an den Pressen sind genau eingeteilt und die Lumpen zerstampfen wir gemeinsam. Aber wer welche und wie viele Blätter gefertigt hat, wird genau registriert und es wird sich keiner von euch darauf herausreden können, dass ein anderer nicht gut genug gearbeitet hat, wenn das Papier nicht die nötige Qualität aufweist.“

„Man wird mit der Qualität zufrieden sein, die wir liefern“, erklärte Meister Wang, wobei er sich zwar leicht verbeugte, aber dennoch keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass er diese Worte genauso gemeint hatte, wie sie von ihm gesagt worden waren.

„Ich werde euch zuteilen, welche Blätter ihr zu fertigen habt“, erklärte Mohammed. „Bei mir gehen die Aufträge ein, die dann umgehend zu erledigen sind. Wir stellen Papiere her, aus den Bücher gemacht werden und solche, die für die Dokumente des Statthalters taugen müssen oder für andere Urkunden, bei denen es darauf ankommt, dass sie lange haltbar sind und man sie nicht fälschen kann...“

„So wendet Ihr die Kunst des Wasserzeichens an?“, erkundigte sich Meister Wang.

Meister Mohammed sah ihn stirnrunzelnd an. „Ich habe davon gehört und vor langer Zeit habe ich auf dem Basar mal ein Bogenpapier erworben, das ein Wasserzeichen trug. Ich kaufte den Bogen, weil er mit Zeichen bemalt war, in denen im fernen Reich der Mitte geschrieben wird...“

„Ein Stück Erinnerung an das Reich der Vorfahren...“

„Abgesehen von unserer Kunst des Papiermachens ist nicht viel von dieser Erinnerung geblieben“, sagte Mohammed. „Und selbst davon hat sich nicht alles erhalten... Ihr kennt das Geheimnis der Wasserzeichen?“

„Gewiss. Man braucht ein dünnes Eisen oder Kupfer, das sich biegen lässt, ohne gleich zu brechen. Das legt man beim Schöpfen auf das Sieb. Die jeweilige Form bildet dann ein Zeichen, das sichtbar wird, wenn man Licht durch das Papier hindurchscheinen lässt, denn dort, wo das Metall war, ist die Dicke des Papiers geringer.“

„Und ein Dokument, das nicht das Wasserzeichen des Statthalters trägt, ist schon deshalb als Fälschung von einem Original unterscheidbar!“, nickte Meister Mohammed. „Vorausgesetzt natürlich, das Wasserzeichen selbst wird gut aufbewahrt, ebenso wie die Papiere, in die dieses Zeichen hineingelegt wurde!“

„Meine Tochter ist sehr geschickt darin, solche Zeichen zu formen“, erklärte Meister Wang. „Meinen eigenen Fingern mangelt es da manchmal an der nötigen Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit. Und so habe ich diesen Arbeitsschritt zumeist ihr überlassen.“

Mohammed wandte sich an Li und musterte sie von oben bis unten. In den gepflegten Gewändern, die sie erhalten hatte, kam sie sich jedenfalls nicht mehr wie eine in Lumpen gehüllte Vogelscheuche vor. So, wie ihr die Frau mit den freundlichen Augen im Badehaus geraten hatte, bedeckte sie auch ihr samtschwarzes Haar mit dem Kopftuch.

„Du bist nicht die erste Frau, von der ich weiß, dass sie Geschick beim Schöpfen bewiesen hat“, erklärte er. In den Werkstätten mussten sogar die Kinder oft mithelfen, denn anders war die viele Arbeit gar nicht zu bewältigen.

„Ich habe keinen Sohn und meine Kunst sollte nicht eines Tages mit mir sterben“, erklärte Meister Wang. „So habe ich mich bemüht, sie außer meinem Lehrling auch an meine Tochter weiterzugeben“, erklärte Meister Wang. „Und ich kann sagen, dass sie in diesem Handwerk mir inzwischen ebenbürtig ist. Es gibt nichts, was sie nicht darüber wüsste.“

Mohammed nickte und wandte sich nun direkt an Li. „Der erste Schreiber des Statthalters wird sehr bald unsere Werkstatt besuchen und sich dafür interessieren, wie die Qualität eurer Arbeit ist... Es wäre gut, wenn du bist dahin ein paar Blätter mit Wasserzeichen gefertigt hättest, die wir ihm präsentieren könnten.“

„Wenn ich alles bekomme, was ich dafür brauche, ist das keine Schwierigkeit“, erwiderte Li. „Die größte Schwierigkeit wird sein, einen Schmied zu finden, der in der Lage ist, Metall so dünn zu ziehen, wie ich es brauche.“

Mohammed lachte. „Du bist hier im Heimatland der Schmiede! Weißt du nicht, dass dies das Land ist, aus dem der unzerbrechliche Stahl kommt? Es gibt hier die geschicktesten Schmiede der Welt und in den südlichen Bergen die ergiebigsten Erzvorkommen, die man sich nur denken kann.“

„Ich habe die feinen Kettenhemden der Wächter bemerkt“, mischte sich Gao ein. „Wenn die hier gefertigt wurden...“

„Das wurden sie!“, unterbrach ihn Mohammed.

„...dann finden wir in jedem Fall auch Metall, das sich eignet, um ihm die Form eines Wasserzeichens zu geben!“

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Li stellte schnell fest, dass es unzählige Schmiede in Samarkand gab, die sich auf eine so feine Arbeitsweise verstanden. Schmiede, die mit Silber, Gold und Kupfer umzugehen wussten, aber auch Eisen oder Zinn in einer Weise zu verarbeiten wussten, die Li höchsten Respekt abverlangten. Auch wenn ihr Vater immer davon sprach, dass es im fernen Bian Werkstätten gäbe, die durchaus in der Lage seien, auf dem selben Stand der Kunstfertigkeit zu arbeiten. Aber für Li war die Hauptstadt des Himmelssohns nur der Schauplatz märchenhafter Erzählungen und mittlerweile hatte sie den Eindruck, dass Meister Wang die Wunder und die Harmonie jenes Ortes vielleicht etwas zu idealisiert in Erinnerung hatte. In Xi Xia hatte es jedenfalls weit und breit keinen einzigen Schmied gegeben, der auch nur annähernd so feine Arbeiten hätte abliefern können, wie es den Schmieden von Samarkand möglich war.

Als Li schließlich Stäbe aus biegsamen Metall für ihre Arbeit zur Verfügung hatte, begann sie daraus, den Umriss einer Rose zu Formen. Manchmal nahm sie dafür einen kleinen Hammer zu Hilfe, wie ihn sonst ein Kupferschmied für seine Arbeit benutzte.

Die Arbeit in der Werkstatt stand eine Weile still. Keiner der Papiermacher wollte einen so wichtigen Arbeitsschritt bei de Anfertigung des Wasserzeichens verpassen. Meister Wang hatte erst Li gegenüber gemeint, dass es besser war, dieses Geheimnis zunächst vielleicht doch zumindest teilweise für sich zu behalten. Aber Li hatte in dieser Hinsicht weniger Bedenken.

„Wer gibt, dem wird auch gegeben werden“, meinte sie in der Sprache der Han und war sich dabei inzwischen vollkommen gewiss, dass niemand mehr unter den anwesenden Papiermachern noch die Sprache ihrer Vorfahren zu verstehen vermochte.

Die Blätter, die Li dann in aller Sorgfalt aus dem Schöpfbecken hob, wurden zunächst zum Trocknen aufgehängt und anschließend in eine Presse gelegt, um den Rest der Feuchtigkeit aus ihnen herauszuholen. Stofflappen aus Filz, die die Nässe aufsogen, trennten die einzelnen Bögen voneinander.

Durch die Blätter, die dann schließlich aus der Presse genommen wurden, schien das gut erkennbare Abbild einer Rose hindurch. Li hielt die Bögen gegen das Licht. Die Rose trat in aller Deutlichkeit hervor.

Meister Mohammed sah sich das Ergebnis ihrer Arbeit eingehend an, hielt es einmal gegen das Licht einer Öllaterne im Inneren der Werkstatt und danach gegen das Tageslicht innerhalb des engen Innenhofes, in dem die Lumpen gelagert waren, die anschließend in großen Bottichen zerstampft und zerschlagen wurden.

Als Dritter begutachtete Meister Wang die Arbeit seiner Tochter. Für einen Außenstehenden war seinen Zügen nichts anzumerken, aber Li kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, dass er vollkommen mit ihr zufrieden war.

Meister Mohammed hatte seine Gesichtszüge weit weniger in seiner Gewalt. Sein freudiges Erstaunen hatte Li schon im ersten Moment bemerkt.

„Eine wahrhaft gute Arbeit“, stellte er fest. „Das wird der Hofschreiber ganz gewiss auch so beurteilen...“

„So hoffe ich, dass wir seine Gunst gewinnen können“, meinte Meister Wang. „Er scheint mir ein wichtiger Mann hier in Samarkand zu sein – und einen großen Einfluss zu haben.“

Mohammed nickte. „Einen zu großen“, glaubte er. Und dann fügte Meister Mohammed in einem gedämpften, fast verschwörerischen Tonfall hinzu: „Vor diesem Mann kann ich euch nur warnen. Hofschreiber Kentikian ist ein gebürtiger Armenier, der auf Grund irgendwelcher verworrener Umstände, die ich nicht näher kenne, zum rechten Glauben an die Lehre des Propheten konvertiert ist. Und wie alle Konvertierten gibt er sich daher in Glaubensdingen besonders streng. Er neigt etwas zum Eiferertum... Und wenn es nach ihm ginge, dann würde die Hälfte der Bücher in unseren Bibliotheken auf dem Scheiterhaufen landen!“

„Dann sollten wir uns glücklich schätzen, dass wir nur unbeschriebene Bücher erschaffen, deren Seiten erst noch beschrieben werden müssen“, sagte Li. „So dürften wir kaum das Ziel seines Eifers werden.“

„Hast du eine Ahnung! Natürlich sieht er uns Papiermacher als mitschuldig daran an, dass es so viele verderbte Schriften gibt!“

„Verderbte Schriften? Ich dachte, all diese Schriften wären dazu da, die Lehre des Propheten zu erhellen“, wunderte sich Li.

„Worin der eine die Erhellung erkennt, ist für den anderen die tiefste Finsternis“, erwiderte Mohammed. „Wir können uns alle glücklich schätzen, dass Prinz Ismail die Ansichten seines Hofschreibers nicht teilt. Denn dann würde man uns alle über kurz oder lang zum Shaitan jagen und wir könnten sehen, wo wir bleiben!“ Mohammed atmete tief durch. „Ich rate zur Vorsicht mit jedem Wort, dass ihr gegenüber Kentikian äußert... Eines Tages mag man es euch sonst wie eine Würgeschlange um den Hals legen!“

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Ein paar Tage später besuchte Hofschreiber Kentikian tatsächlich die Werkstatt und begutachtete die Arbeiten der neuen Papiermacher – darunter auch die Blätter mit dem Wasserzeichen, die Li angefertigt hatte. Wortreich erläuterte Meister Mohammed dem Beamten gegenüber die Vorteile, die dieses Verfahren hatte, um bei Dokumenten die Gefahr einer Fälschung von vorn herein zu verringern. Der geckenhafte Mann mit dem auffälligen Burnus und der breiten Zierschärpe gab durch nichts zu erkennen, was er von dieser Sache hielt und es war ihm auch kein Hinweis darüber zu entlocken, ob er gegenüber dem Statthalter darüber überhaupt ein Wort verlieren würde. Er nahm alles, was ihm gesagt und gezeigt wurde, lediglich stumm zur Kenntnis und ließ einen seiner Begleiter einen der Bögen mit dem Wasserzeichen der Rose mitnehmen.

„Der Statthalter hegt den Wunsch, dass in nächster Zeit einige Buchabschriften für seinen persönlichen Gebrauch mit besonderer Ausstattung angefertigt werden“, erklärte Kentikian dann gedehnt und auf eine Weise, die ganz unverhohlen deutlich machte, dass er selbst dieses Vorhaben für nicht guthieß, sich aber dem Willen seines Herrn beugte. „Dafür werde einige Papiere von besonderer Qualität gebraucht... Möglicherweise werde wir sie in dieser Werkstatt beziehen.“ Er sah zunächst Meister Wang und anschließend Li mit einem nachdenklichen Blick an, während ein zufriedenes Lächeln seine Lippen umspielte. „Anscheinend hat Thorkild Eisenbringer nicht übertrieben, als er dem Statthalter eure Dienste anpries...“

Als der Hofschreiber gegangen war, wandte sich Li an Mohammed. „Ich habe Kentikian mit dem Waräger, der uns geraubt und hier her verkauft hat Griechisch reden hören“, sagte sie.

„Das überrascht mich nicht“, sagte Mohammed. „Und was diesen Thorkild angeht, so ist das der Mann, für dessen Wohlergehen wir alle beten sollten, obwohl er ein Ungläubiger ist.“

„Weshalb?“

„Weil ein steter Strom von Eisenbarren in den hohen Norden geht und dafür fließt Silber zurück, wovon das meiste in den Taschen von Männern wie Prinz Ismail verschwindet. Was glaubst du, wie es kommt, dass man es sich hier leisten kann, so viele Schreiber, Buchbinder und Papiermacher mit etwas zu beschäftigen, dass niemanden satt macht! Mit Büchern nämlich!“

„Dieser Thorkild hat unsere Künste in den höchsten Tönen angepriesen, ohne dass ich glaube, dass er sie auch nur im entferntesten zu beurteilen vermochte“, fuhr Li fort. „Was wäre geschehen, wenn wir unwürdige Aufschneider gewesen wären?“

Mohammed lächelte breit. „Dich, deinen Vater und seinen Geselle hätte es den Kopf gekostet, so viel ist sicher.“

„Und Thorkild?“

„Gar nichts. Erstens ist er wahrscheinlich einer der wenigen, der sich so etwas gegenüber dem Statthalter erlauben könnte und zweitens sagt man den Nordmännern ja auch im Krieg eine besondere Todesverachtung nach.“

„Aber dies ist kein Krieg, sondern ein Handel gewesen.“

„Das ist für Männer wie Thorkild dasselbe“, sagte Mohammed.

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Die Tage vergingen und sammelten sich zu Wochen. Fünfmal an jedem Tag ruhte die Arbeit in der Werkstatt, denn diese Zeiten waren dem Gebet vorbehalten. Und genauso ruhte die Arbeit an jedem Freitag, wenn die Gläubigen zum Gebet in die Moschee gerufen wurden. Die Feiertage brachten und die Gebete gaben dem Leben der Stadt einen Rhythmus, von dem Li nie zuvor angenommen hätte, dass sie ihn als höchst angenehm empfinden würde. Der Gedanke, dass es Zeiten oder sogar ganze Tage gab, die allein Gott gewidmet werden durften und jeden gläubigen Menschen aus seinen Geschäften und Verpflichtungen herausriss, teilten Christen, Juden, Muslime und Manichäer, wie Li wusste. Für die Nestorianer in Xi Xia war nicht der Freitag, sondern der Sonntag heilig, aber der Grundsatz, dass sechs Tage der Arbeit einer dem höchsten Wesen gehörten, war offenbar bei allen Glaubenslehren des Westens verbreitet. Nur die Zeiten, die man den einzelnen Glaubenslehren zu folge für das Gebet zu reservieren hatte, war unterschiedlich.

Li konnte sich noch gut daran erinnern, wie ihr Vater sich darüber lustig gemacht hatte, welche Narren all jene doch waren, die einen ganzen Arbeitstag ausfallen ließen, nur um sich der Anrufung eines höchsten Wesens zu widmen.

Aber wenn in Samarkand das Leben fünfmal am Tag und einen Tag in der Woche nahezu zum erliegen kam, dann gab es für niemanden die Möglichkeit, sich von diesem Innehalten in der Geschäftigkeit auszuschließen. Wahrscheinlich bedurfte es schon des Befehls einer Gottheit, um jene andere große Macht in die Schranken zu weisen, die die Menschen ansonsten in ihrem Bann hielt: Das Streben nach Erwerb und Gewinn.

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Eines Tages kamen Wächter des Palastes, um Li mitzunehmen. Sie hatte gerade das Badehaus besucht, denn es war der Vorabend eines Feiertags. Die Wächter sagten ihr nicht den Grund, weshalb sie ihnen folgen sollte. Li fragte sich, ob man vielleicht mit ihrer Arbeit nicht zufrieden war oder Meister Mohammeds Aussage stimmte, wonach es Eiferer gab, die den Inhalt eines Buches womöglich auch denen anlasteten, die sich an seiner Herstellung beteiligt hatten – und mochte es auch nur darum gehen, dass sie das Papier geliefert hatten, auf dem die schändlichen Zeilen schließlich geschrieben worden waren.

Viele Gedanken gingen Li durch den Kopf, als sie durch die Gänge des Palastes geführt wurde.

Seit Thorkild Eisenbringer sie und ihre Begleiter an den Statthalter von Samarkand verkauft hatte, war sie nicht mehr im Inneren des Palastes gewesen. Und das war nun schon viele Wochen her.

Der Statthalter empfing sie diesmal in einem Raum, an dessen Wänden kostbare Wandteppiche hingen, deren symmetrische Muster an jene Prinzipien der Harmonie und des Gleichmaßes erinnerten, wie sie auch die Lehre das Dao vermittelte. Alles hatte seine Entsprechung, jede helle Farbe ihr dunkles Gegenteil und die Gleichmäßigkeit der Formen erinnerte an einen labyrinthischen Garten aus einem Blickwinkel, wie ihn vielleicht ein über die Hecken fliegender Vogel haben mochte.

Man konnte in diesen Ornamenten seinen Blick ewig wandern lassen und im immer gleichen doch stets etwas Neues finden. Li war war zutiefst beeindruckt. Wer immer diese Muster auf den Teppichen erschaffen hatte, war in ihren Augen ein ebenso großer Künstler wie jene inspirierten Geister, die für die Gestaltung der Mosaiken verantwortlich waren. Sinnbilder vollkommener Ordnung waren das in Lis Augen – und damit auch ein Gleichnis für die Welt in ihrer wahren Gestalt.

Prinz Ismail lächelte nachsichtig, denn ihm entging Lis Bewunderung für die Gestaltung des Raumes nicht, auch wenn er vielleicht nicht im Einzelnen hätte sagen können, worauf sie sich genau bezog.

„Du scheinst einen Sinn für Schönheit zu haben, wie er nicht oft vorkommt“, sagte er in seinem sehr klaren und auch für Li außerordentlich gut verständlichen Persisch.

„Eure Worte sind zu gütig, Herr“, erwiderte sie und neigte den Kopf.

Prinz Ismail saß auf einem Diwan. Vor ihm stand ein kunstvoll gefertigter Tisch, auf dem Dokumente lagen, die er zu unterzeichnen hatte. Kentikian stand neben ihm und legte ihm neue Dokumente vor, sobald die vorherigen den Namenszug des Statthalters trugen. Auf dem Diwan lag auch ein Buch. Inzwischen hatte Li die Bedeutung von einigen der arabischen Schriftzeichen erlernt, mit denen das Persische geschrieben wurde. Es war eine verhältnismäßig einfache Art der Schrift, die darauf abzielte, den Klang des gesprochenen Wortes wiederzugeben – und nicht die Bedeutung, wie es bei den Zehntausenden von Zeichen der Fall war, mit denen die Schreiber im Reich der Mitte vertraut sein mussten. Alle Schriften des Westens kamen mit einer vergleichsweise geringen Zahl von verschiedenen Zeichen aus. Das war ihr schon aufgefallen, als sie sich von Bruder Anastasius Griechisch und Latein hatte beibringen lassen. In der Regel schienen es bei keiner dieser Sprachen, vom Lateinischen bis zum Persischen mehr als zwei Dutzend Zeichen zu sein. Manchmal kamen sie in verschiedenen Variationen vor, aber selbst wenn man die als eigenständige Zeichen ansah, blieb ihre Anzahl lächerlich gering. Für einen Menschen mit einem durchschnittlich begabten Gedächtnis konnte es eigentlich keine Schwierigkeit sein, sie allesamt zu lernen, wie Li meinte.

Immerhin konnte sie inzwischen gut genug Persisch lesen, um zu erkennen, dass das Buch, das neben dem Statthalter auf dem Diwan lag, offenbar in arabischer Sprache verfasst war.

„Lass uns allein!“, wandte sich der Statthalter an Kentikian. Dieser verneigte sich.

„Wie Ihr wünscht, Herr.“

Der Hofschreiber zog sich zurück und nahm dabei auch einige Dokumente mit, die Prinz Ismail wohl noch zu unterzeichnen hatte.

„Komm näher“, sagte Prinz Ismail.

Zögernd folgte Li dieser Aufforderung. Der Statthalter nahm das mit einem kostbaren Ledereinband versehene Buch und gab es ihr. „Du wirst es nicht lesen können. Es ist in der Sprache des Propheten. Aber die Wasserzeichen in den Seiten wirst du erkennen, wenn du sie gegen das Licht hältst.“

Li schlug das Buch auf. Und als sie eine einzelne Seite gegen das durch ein hohes Fenster hereinscheinende Licht hielt, erkannte sie sofort ihr Wasserzeichen – jene Rose, die sie aus dem biegsamen Metall geformt hatte.

Zusammen mit der Schrift ergab sich ein Bild von überraschend vollkommen wirkender Harmonie.

„Das Buch ist eine edle Arbeit“, sagte sie. „Womit ich nicht das Papier loben will, sondern die Arbeit des Schreibers, der mit sicherem Strich geschrieben hat – und die des Buchbinders, dessen Knoten so winzig sind, dass sie sich fast überhaupt nicht in das Papier hinein drücken.“

„Du solltest dein Werk nicht geringschätzen, Papiermacherin“, erwiderte Prinz Ismail. „Das Papier mit seinem Wasserzeichen gibt allem das harmonische Äußere, das die Gedanken verdienen, die in diesem Buch geschrieben stehen.“

„Ist es eine Abschrift des Koran?“, fragte Li.

Prinz Ismail schüttelte den Kopf. „Es ist eine Schrift, die den Titel Ma'akhidh al Shara'i trägt und von unserem großen Gelehrten Abu Mansir al-Mutaridi stammt, der vor einem Menschenalter die Grundlagen der muslimischen Rechtslehre aufgeschrieben hat – ein Buch, in das jemand wie ich jeden Tag hineinsehen sollte, um den Maßstab für all die Entscheidungen zu behalten, die tagtäglich zu treffen sind. Vor allem, was die Entscheidungen darüber angeht, was Recht und Unrecht angeht...“

„Ich glaube nicht, dass es viele Herrscher gibt, die sich darüber so viele Gedanken machen, dass sie zuvor in ein Buch sehen“, erwiderte Li.

„Das sollten sie aber. Doch ich habe dich nicht hier her bringen lassen, um mit dir darüber zu sprechen. Es geht zum etwas anderes. Dein Wasserzeichen hat mir ausnehmend gut gefallen. Von dieser Kunst hatte ich nur gerüchteweise gehört und nicht geglaubt, jemals jemanden zu treffen, der sie in dieser Vollkommenheit beherrscht, wie das bei dir der Fall ist. Anscheinend ist dein Talent beim Schöpfen von Papier verschwendet...“

„Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt, Herr“, sagte Li und gab dem Statthalter das Buch des Rechtsgelehrten Abu Mansur al Mutaridi zurück. Der Name seines Verfassers auf dem Einband – eingestickt mit Goldfaden - vermochte Li immerhin zu entziffern.

„Ich möchte, dass du mir ein Wasserzeichen erschaffst, das für mich persönlich steht und mein Zeichen sein soll. Ein jeder, der einen Brief bekommt, der auf diesem Papier geschrieben wurde, soll erkennen, dass er wirklich einen Bogen aus meiner Hand erhalten hat...“

„Ein Zeichen für den Statthalter von Samarkand also“, schloss Li. Aber anscheinend hatte sie Prinz Ismail doch noch nicht richtig verstanden.

„Vergiss den Statthalter. Dieses Zeichen soll das Papier für Briefe zieren – und diese schickt nicht der Statthalter, sondern der Mann Ismail. Es soll geheim bleiben und niemandem bekannt sein, außer denen, die darin eingeweiht sein werden.“

Li neigte das Haupt noch etwas tiefer. „Ich glaube, ich habe verstanden, welche Art von Briefen Ihr meint.“

„So wirst du sicherlich auch ein passendes Zeichen dafür ersinnen. Du sollst so viel biegsames Metall dafür bekommen, wie du brauchst und auch alles andere, was du benötigst. Ein Diener wird es dir bringen oder dich begleiten, wenn du dir alles nötige auf dem Basar oder bei den Schmieden kaufst. Aber du musst mir eins schwören!“

„Ihr wollt meine Verschwiegenheit, nehme ich an.“

„Es darf niemand wissen, für wen das Zeichen geschaffen wird, an dem du arbeitest.“

„Ich werde niemandem etwas darüber sagen. Aber gewiss wird man mich fragen, denn die Werkstatt, in der ich arbeiten muss, ist sehr beengt.“

„Du wirst hier im Palast einen Raum zugewiesen bekommen, in dem du daran arbeitest und in dem dich niemand beobachten wird.“

„Es soll geschehen, wie Ihr sagt“, erklärte Li.

––––––––



Ein paar Tage später ging Li in Begleitung eines Palastwächters zu einem Schmied, der seine Werkstatt in der Nähe des südlichen Stadttors hatte. Dort kamen die meisten Reisenden und Karawanen vorbei – und wann immer es bei deren Tieren ein Hufeisen zu erneuern gab, war dies die erste Anlaufstelle.

Der Schmied hieß Kebir und war ein Riese. Ein Mann mit dunklem Bart und sehr dichten Augenbrauen. Dass er mit seinen Bärenkräften den Schmiedehammer mit einer Hand schwingen konnte, glaubte man ihm sofort. Aber von ihm stammte der mit Abstand feinste Draht, den man Samarkand bekommen konnte, was eigentlich nicht verwunderlich war – denn das Drahtziehen verlangte mindestens ebenso große körperliche Kräfte, wie der Umgang mit Hammer und Amboss. Ein sehr dünn geschmiedetes Stück Metall wurde durch ein sich verjüngendes Loch in einem Ziehstein oder einem Zieheisen gezogen, wobei immer wieder ein Stück der äußeren Schicht abgeschält wurde. Allerdings begann die Kunst des Drahtziehens schon bei der Zusammensetzung der Anteile in der verwendeten Legierung, denn sonst brach der Draht schon, wenn er auf die Winde gewickelt wurde.

Aus den dickeren Drähten wurden die ineinandergreifenden Ringe von Kettenhemden gebogen. Aber das Metall, das Li für ihre Wasserzeichen brauchte, musste noch sehr viel feiner sein. Je dünner und leichter biegsam desto besser.

Als sie zusammen mit dem Palastwächter dort eintraf, war Kebir gerade damit beschäftigt ein Pferd zu beschlagen, das offenbar ein Eisen verloren und gelahmt hatte. Der riesenhafte Mann nahm den Huf des Pferdes auf seinen Schenkel und schlug den letzten Nagel ein, dann war er fertig.

Das Pferd gehörte einem Mann mit halblangen Haaren, einem während der Reise gewachsenen Bart und grünen Augen, die Li an die Steppe im Frühling erinnerten. Um das Lederwams trug er einen breiten Gürtel, an dem ein Schwert und ein Dolch hingen. Den wollenen Umhang hatte er zurückgeworfen und sein Helm war von einer Machart, wie Li ihn noch bei keinem Krieger begegnet war, den sie je gesehen hatte.

Zwei Begleiter reisten mit ihm – ein Jüngling und ein Mann in einer Kutte, wie Li sie bei Bruder Anastasius und anderen christlichen Mönchen gesehen hatte.

Der fremde Reiter wechselte mit dem Mönch ein paar Worte in einer Sprache, von der Li kein einziges Wort verstand. Sie klang dem Dialekt der Nordmänner ähnlich, den Thorkild und sein Gefolge untereinander benutzt hatten. Und doch hatte Li das Gefühl, dass es eine andere, vielleicht verwandte Sprache sein musste.

Ein einziges Wort verstand sie.

„Arnulf!“

So redete der Mönch den Mann mit den grünen Augen an. Der Klang dieses Wortes hallte dutzendfach in Lis Gedanken wieder. Arnulf! Dies musste jener Ritter sein, vor dessen Erscheinen der Hofschreiber Kentikian Thorkild Eisenbringer gewarnt hatte.

Jetzt meldete sich Kebir zu Wort. „Das Pferd wird Euch jetzt weitere tausend Meilen den Weg der Seide entlangtragen“, meinte er. „Es ist alles in Ordnung damit...“

Der Mönch schien Persisch zu verstehen. Er übersetzte die Worte des Schmieds in die fremde Sprache und – und wieder redete er den Ritter dabei mit dem Namen Arnulf an. Li war sich sich jetzt vollkommen sicher – vor allem auch deshalb, weil die Art und Weise, wie der Mönch diesen Namen aussprach einfach zu sehr jener von Thorkild Eisenbringer glich. Und wenn es tatsächlich so war, dass in der Heimat des Eisenbringers und in diesem geheimnisvollen Saxland, aus dem Arnulf kam, verwandte Dialekte gesprochen wurden, dann wusste Thorkild auch genau, wie man diesen Namen richtig über die Lippen brachte.

Arnulf bemerkte offenbar den allzu intensiven Blick, den Li ihm zugeworfen hatte und erwiderte ihn mit einer Offenheit, die nach Lis Empfinden schon beinahe die Grenze zur Schamlosigkeit überschritt – zumindest wenn man dafür jene Maßstäbe anlegte, wie sie im Reich der Mitte üblich waren. In diesem Sinn war auch Li erzogen worden. Aber sie hatte inzwischen natürlich längst erfahren, dass in dieser Hinsicht unter den Menschen des Westens nicht dieselben Auffassungen galten. Schon bei den durchreisenden Händlern von Xi Xia waren diese Unterschiede spürbar gewesen.

Der Mönch war ein sehr blassgesichtiger, hagerer Mann, dessen Äußeres Li ein bisschen an einen Leichnam erinnerte, der mit den entsprechenden Essenzen einbalsamiert worden war, um ihn vor der Verwesung zu bewahren. In Xi Xia waren solche Bräuche nicht unbekannt gewesen und Li erinnerte sich noch gut an den Schrecken, den sie empfunden hatte, als sie zum ersten Mal eine solche Mumie gesehen hatte, als ein tangutischer Befehlshaber, den ein paar Tage zuvor der Schlag getroffen hatte, auf diese Weise aufbereitet und durch die Stadt getragen worden war. Das hagere, blasse Gesicht dieses Mönchs erinnerte sie sehr stark an jenen Anblick. Ihm schien die menschliche Wärme, die beispielsweise im Antlitz Bruder Anastasius erkennbar gewesen war, vollkommen zu fehlen. Der Blick der grauen, falkenhaften Augen wirkte kalt und durchdringend.

Nun äußerte sich auch der Junge und Arnulf antwortete ihm in seiner Sprache. Li verstand kein Wort, aber die Stimme des Mannes hatte einen Klang, der ihr gefiel - samtweich und angenehm tief.

Arnulf wandte sich an Kebir den Schmied und gab ihm ein paar Münzen für seine Dienste.

„Ich danke Euch, das ist sehr großzügig“, sagte Kebir auf Persisch.

Der Mönch übersetzte die Worte für Arnulf und anschließend auch dessen Antwort: „Ihr habt gute Arbeit geleistet! Glaubt mir, ich habe schon hunderte von Schmieden beim Beschlagen von Pferden zugesehen – und das war nicht immer eine Freude!“

„Woher kommt Ihr?“, fragte Kebir. „Aus dem Land der Nordmänner? Eure Sprache klingt der ihren ziemlich ähnlich.“

„Gibt es denn Nordmänner in dieser Gegend, dass Ihr deren Sprache so gut erkennt?“, fragte Arnulf und der Mönch übersetzte seine Worte abermals in ein gut verständliches Persisch.

„Es gibt Nordmänner hier“, sagte der Schmied. „Sie handeln mit Eisen, das sie in Barren bis hinauf zum kaspischen Meer bringen, wo sie ihre Schiffe liegen haben. Lange Schiffe mit Drachenköpfen sollen das sein, mit denen sie genauso über das Meer segeln, wie sie Flüsse hinaufrudern oder sie sogar über das Land ziehen, wenn es sein muss!“

„Wo holen sie das Eisen her?“, fragte Arnulf.

„Aus den Bergen im Südwesten. Das Gebiet nennt sich Tukharistan.“

„Es soll da einen Nordmann namens Thorkild Larsson Eisenbringer geben, der den Handel nach Norden in seinen Händen hält“, sagte Arnulf. Li hörte seinen Worten zu und empfand ihren Klang fast wie eine fremdartige Art von Musik. Es waren Laute, die angenehm klangen, und es schien dabei vollkommen unwichtig zu sein, was sie bedeuteten. Der Mönch übersetzte sie allerdings beinahe schon in dem Moment, in dem sie ausgesprochen wurden.

Die Erwähnung von Thorkild Eisenbringer ließ Li natürlich sofort aufhorchen.

„Ab und zu kommt Thorkild nach Samarkand“, berichtete der Schmied. „Es ist vielleicht einen Monat her, da habe ich eines seiner Pferde beschlagen.“

„Wisst Ihr, wo man ihn jetzt finden kann?“

Kebir zuckte mit den ungeheuer breiten Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das weiß niemand. Vielleicht überquert er gerade auf einem Drachenschiff das kaspische Meer – oder er zieht mit seinen Männern in den Bergen von Tukharistan oder Gusghan umher.“ Kebir grinste breit. „Ich stamme übrigens selbst aus diesen Bergen und kann es keinem Fremden empfehlen, dorthin zu reiten, es sei denn er hat einen wirklich guten Grund dafür und außerdem noch eine Schar von Wächtern zu seiner Begleitung.“

„Mein Herr ist nicht ängstlich“, sagte der Mönch nun in aller Entschiedenheit.

Die Fremden schwangen sich in die Sattel ihrer Pferde und zogen davon. Aus irgendeinem Grund, der Li verborgen blieb, drehte sich Arnulf noch einmal im Sattel herum, nachdem sein Pferd schon mehr als zwei Dutzend Schritt hinter sich gebracht hatte. Ihre Blicke begegneten sich noch einmal und Li musste unwillkürlich schlucken.

In diesem Augenblick spürte sie den starken Drang, den Ritter einfach anzusprechen und ihn vor dem Schicksal zu warnen, das für ihn vorherbestimmt worden war. Irgendetwas in ihr lehnte sich dagegen auf, diesen Mann einfach in sein Verderben reiten zu lassen. Griechisch oder Latein – eine dieser Sprachen musste er doch eigentlich verstehen und falls er tatsächlich nur seinen eigentümlichen Dialekt aus dem sagenhaften Saxland verstand, dann konnte ihm ja schließlich der blassgesichtige hagere Mönch alles übersetzen. Wer weiß, vielleicht hat Kentikian doch einen gedungenen Mörder damit beauftragt, diesen Ritter zu töten!, ging es Li durch den Kopf. Es war gut möglich, dass dieser Mörder nun irgendwo in den Gassen der Stadt darauf wartete, sein Werk tun zu können.

Und ansonsten eilte Arnulf wahrscheinlich bereits ein Bote voraus, der Thorkild Bescheid darüber gab, dass der Ritter aus Saxland eingetroffen war.

Irgendwo auf dem Weg nach Tukharistan warteten dann vermutlich seine Männer, um sich des Mannes und seiner Begleiter zu entledigen, die nichts anderes als eine unliebsame Konkurrenz waren.

Aber die Anwesenheit des Palastwächters hielt Li davon ab, etwas zu sagen – denn das wäre unweigerlich sofort im Palast weitergegeben worden und hätte daher auch Kentikian erreicht.

„Kennst du diesen Fremden?“, fragte Kebir und es dauerte einen Augenblick, bis Li begriff, dass der Schmied sie angesprochen hatte.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein“, murmelte sie.

„Ich dachte, du wärst ihm vielleicht einmal begegnet. Er sah dich gerade so an, als wäre das der Fall.“

„Daran hätte ich mich erinnert.“

Der Schmied zuckte mit den Schultern. „All das geht mich auch nichts an – und nur Allah bestimmt, wann sich die Wege der Menschen trennen oder wieder zusammenfinden.“

„Hast du den Draht fertig, den ich bei dir in Auftrag gegeben habe?“, unterbrach ihn Li, die keinerlei Neigung hatte, sich mit dem Schmied weiter über Dinge zu unterhalten, die sie mit ihm einfach nicht teilen wollte. Dinge, die in ihrem Herzen verschlossen waren und die dort auch noch eine ganze Weile verborgen bleiben sollten.

„Es ist alles fertig“, erklärte der Schmied. „Ich habe gehört, dass du mit dem dünnen Eisen die Erscheinung eines Dschinns in einen Bogen Papier hineinzuzaubern vermagst!“

„Wer erzählt dir so einen Unfug?“, fragte Li. „Glaubst du an Dschinne?“

„Jeder, der schonmal einen längeren Weg durch die Wüste in flimmernder Luft hinter sich gebracht hat, weiß dass sie existieren“, meinte Kebir.

„Dann bin ich entweder nicht durch die richtigen Wüsten gewandert oder ich habe nicht auf sie geachtet, weil ich aufpassen musste, dass die Trampeltiere mir nicht auf die Zehen treten!“

„Du verspottest mich, Papiermacherin!“

„Den einzigen Schmied weit und breit, der einen so dünnen Draht zu ziehen vermag? Haltet mich für eine Ungläubige oder Blinde, was Dschinne angeht, aber nicht für eine Närrin!“

„So kannst du mir das Geheimnis doch verraten!“, meinte Kebir.

„Ich brauche einen Draht, um Bilder zu schaffen, die im Papier selbst aufscheinen. Aber das ist keine Magie, sondern eine Handwerkskunst – deren Einzelheiten aber nicht für fremde Ohren bestimmt sind.“

Der Schmied zuckte mit den Schultern. „Manchmal ist beides – Magie und Handwerkskunst - kaum zu unterscheiden“, meinte er.

„Ich habe dir deine Frage beantwortet, aber ich habe auch eine an dich.“

Der Schmied hob überrascht die Augenbrauen. „Nur zu!“, sagte er dann.

„Die Fremden, die soeben deine Dienste in Anspruch genommen haben – hast du gehört, wo sie sich einquartieren und wie lange sie in Samarkand bleiben?“

„Die Wege Allahs sind unergründlich. Und woher soll ich wissen, wohin sie sich wenden?“

„Weil ich annehme, dass du ihnen einen Wirt empfohlen hast. Also wenn ich ein Schmied wäre, der seine Werkstatt gleich beim Stadttor betreibt, würde ich den Wirt empfehlen, der mir dafür mit guter Münze bezahlt – und ich kann mir nicht vorstellen, dass du das nicht tust!“

„Vor dir muss man sich anscheinend in Acht nehmen, so scharf wie deine Gedanken sind. Ich habe ihnen tatsächlich einen Wirt empfohlen. Es ist Nedjan und er ist mein Vetter. Sein Haus steht am Ende der Straße, in der die Teppichweber wohnen. Warum willst du das wissen?“

„Ich wollte nur wissen, ob meine Annahmen den Tatsachen entsprechen...“

Li wandte den Kopf. Der Wächter, der sie begleitet hatte, war schon eine ganze Weile ziemlich abgelenkt. Er unterhielt sich mit dem im Vergleich zu Kebir fast schon schmächtig wirkenden Gehilfen des Schmieds und begutachtete ein paar frisch geschmiedete Schwerter. Andernfalls hätte Li es wohl kaum gewagt, Kebir so eingehend zu befragen.


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