Читать книгу Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021 - Alfred Bekker - Страница 25

Neuntes Kapitel: Eine Warnung

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„Ich kann das Gesicht dieses Fremden nicht vergessen“, sagte Li. Es war schon spät. Der Muezzin hatte längst zum letzten Mal an diesem Tag zum Gebet gerufen und die Arbeit in der Werkstatt war längst getan. Li sprach in der Zunge des Han-Volkes und außerdem sehr leise – und Meister Wang hörte ihr aufmerksam zu. Gao war nicht in der Nähe – und so vertraut ihr der Geselle auch seit langer Zeit war, ihre geheimsten Gedanken wollte Li keineswegs mit ihm teilen, auch wenn das Schicksal ihre Wege im Moment sehr eng verwoben hatte und sie sehr froh darüber war, neben ihrem Vater noch einen anderen Menschen in der Nähe zu wissen, dem sie vertrauen konnte.

Li hatte ihrem Vater von der in mehrfacher Hinsicht verwirrenden Begegnung mit dem fremden Ritter erzählt - so wie sie ihm früher als kleines Mädchen auch alles Mögliche von dem berichtet hatte, was ihr widerfahren oder zu Gesicht gekommen war. Sie kam sich jetzt allerdings ein wenig lächerlich dabei davor – und doch hatte sie einfach den schier unstillbaren Drang verspürt, jemanden davon zu erzählen. Vielleicht auch deshalb, um selbst mehr Klarheit darüber zu bekommen, was diese eigentlich doch nur sehr flüchtige Begegnung in ihr ausgelöst hatte. Denn dass sie sehr aufgewühlt war, stand außer Frage. Nur der Grund dafür war ihr nicht vollkommen klar – oder sie wollte ihn vielleicht auch gar nicht in jener Klarheit erkennen, wie es einem Außenstehenden vielleicht möglich war. Schließlich hatte selbst der nicht gerade für seine feinfühlige Art bekannte Schmied Kebir gleich eine Art von Vertrautheit zwischen ihr und Arnulf vermutet – eine Vertrautheit, für die es im übrigen gar keine Begründung gab.

„Manchmal haben wir eine flüchtige Begegnung, sehen in ein paar Augen, oder erhalten ein Lächeln, das einen überraschenden Taumel von Gefühlen auslöst. Das ist nichts Außergewöhnliches. Es ist eine Frage der inneren Kraft, die Vernunft dennoch die Herrschaft behalten zu lassen. Und genau das solltest du auch tun...“

„Der Gedanke, dass er ahnungslos in sein Verderben reitet, kann ich nicht ertragen“, antwortete Li. „Es lässt mir einfach keine Ruhe und obwohl ich von der Arbeit des Tages zu Tode erschöpft bin, fände ich jetzt keinen Schlaf.“

„In demselben Augenblick, in dem dieser Krieger in den Tod reitet, reiten an anderen Orten abertausende anderer Krieger auch in ihr Verderben, ohne, dass wir es ahnen – und deren Schicksal raubt dir auch nicht den Schlaf. So ist nunmal der Lauf der Dinge.“

„Und damit muss man sich abfinden?“

„Wer in sein Verderben geht und wer nicht, ist vorherbestimmt, Li. Die Muslime haben ein Wort dafür, das wohl aus der Sprache des Koran kommt, aber das sie alle verwenden, wenn man sie in den Straßen reden hört: Maktub. Das heißt: Es steht geschrieben.“

––––––––



In dieser Nacht fand Li kaum Schlaf. Sie dachte immer wieder an den fremden Ritter, an den Klang seiner angenehmen Stimme und den Blick seiner grünen Augen. Aber sie dachte auch an die Worte ihres Vaters.

Maktub...

Stand ihr Leben wirklich schon geschrieben? War es wie bei einem der Geschichtenerzähler, die man in Samarkand an jeder Ecke erleben konnte, die gar nicht mehr die Freiheit hatten, ihrer Erzählung einen vollkommen anderen Verlauf zu geben, wenn zuvor Hunderte von Schreibern sie bereits in den Abschriften eines Buches festgehalten hatten? Stand das Ende ihrer eigenen Geschichte schon fest, noch bevor der Erzähler richtig begonnen hatte, und war es nur ihre Ahnungslosigkeit, die sie denken ließ, dass noch alles geschehen konnte, obwohl doch in Wahrheit schon alles geschrieben stand?

Dieser Gedanke gefiel Li nicht.

Welchen Sinn hatte es dann, eigene Gedanken zu haben?

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Am nächsten Morgen ging Li schon früh in den Palast.

In einem Nebenraum saß sie vollkommen allein, um an dem Wasserzeichen des Prinzen Ismail zu arbeiten. Sie hatte genug Draht bekommen und außerdem Werkzeuge, mit denen Kupfer- und Goldschmiede feinste Arbeiten zu fertigen pflegten. Das meiste davon würde sie wohl kaum benötigen, denn sie war die Arbeit mit wenig Hilfsmitteln gewöhnt. Die Herstellung eines Wasserzeichens war in Xi Xia immer nur eine selten vorkommende Nebensache gewesen. Ein zusätzlicher Luxus, der nicht oft verlangt wurde. Manchmal hatte Meister Wang auch in andere Gebrauchspapiere ein Wasserzeichen in Form eines Schriftzeichens verwendet, dass eine vereinfachte Form seines Namens war. Dieses Zeichen war dann zu einer Art Qualitätssiegel von Meister Wangs Werkstatt geworden.

Li hatte auch einige – wasserzeichenlose – Blätter aus der Produktion der Werkstatt von Meister Mohammed vor sich liegen, dazu ein paar Kohlestücke. Ein Wasserzeichen sollte zwar eine möglichst einfache Form haben, da allzu komplizierte Linienführungen am Ende gar nicht mehr in ihrer eigentlichen Form vom Betrachter erkannt werden konnten, aber gerade das machte die Schwierigkeit aus und so war es unumgänglich vorher einen gezeichneten Entwurf anzufertigen, nach dem das Metall dann gebogen und bearbeitet werden konnte.

Maktub – es steht geschrieben.

Diese Wendung ging Li ebenso wenig aus dem Kopf wie das Gesicht des Ritters aus dem unbekannten Saxland.

Dieses Wort in den arabischen Buchstaben zu schreiben, fiel Li inzwischen nicht mehr schwer. Sie dachte an die Verzierungen innerhalb des Palastes, an den Moscheen und den Gebäuden, die oft dem Bild der Schrift nachempfunden waren. Sie dachte auch an die kunstvoll bearbeiteten Teller aus Kupfer, in die häufig das Glaubensbekenntnis der Muslime oder eine Sure des Koran so in das Metall eingraviert waren. Dabei bildeten die Buchstaben ein einziges Bild, das einem abstrakten Muster genauso ähnlich war wie einer Schrift. Die Buchstaben waren auf eine so kunstvolle Weise ineinander verschlungen, dass sie wie ein einziges Zeichen aussahen. Manchmal war ihre Form dem Feuer nachempfunden, wenn in der Sure vom Feuer des Glaubens die Rede war – oder sie erinnerten in ihrer Gestaltung an wucherndes Pflanzenwachstum, wenn die Wunder der Welt in einem Gebet gepriesen werden sollten.

Wenn den Kupferschmieden von Samarkand so etwas mit den endlosen Buchstabenschlangen einer ganzen Koransure gelang, dann sollte etwas Ähnliches doch auch mit den wenigen Buchstaben von des Wortes Maktub möglich sein.

Mehrfach malte Li die miteinander verbundenen Buchstaben dieses Wortes auf das Papier. Für ein Wasserzeichen war diese Form noch zu lang. Aber es musste möglich sein, sie so miteinander zu verschlingen. Sie entschied, die gezackte, blitzartige Form des kaf größer hervortreten zu lassen und das wannenartig geformte ba am Ende des Wortes konnte man als Ausgangspunkt für eine Verzierung benutzen, die wie ein umrahmender Kreis dem ganzen Zeichen einen Zusammenhalt gab. Lange grübelte sie darüber nach, wie der eigentlich unverzichtbare Punkt unter dem ba und der Doppelpunkt über dem ta dargestellt werden konnte. Dann entschied sie sich dafür, diese Punkte einfach wegzulassen. Eigentlich musste das Wort trotzdem zu lesen sein, dachte sie.

Sie machte mehrere Entwürfe, bei denen das kaf mit seiner gezackten, abwärts geführten Linie mal etwas stärker das Gesamtbild dominierte und mal etwas zurückhaltender eingesetzt wurde. Dann hatte sie schließlich eine Zeichnung, mit der sie zufrieden war und auf der ihr die Größenverhältnisse harmonisch genug zu sein schienen.

So machte sie sich dann an die Arbeit mit dem Draht, den der Schmied Kebir eigens für diesen Zweck gezogen hatte. Es war genug davon vorhanden, dass sie sich ein paar Fehlversuche leisten konnte, bei dem das Material vielleicht so verbogen wurde, dass es sich nicht mehr richtig formen ließ – oder schlicht brach.

Der Prinz schien ein Liebhaber schöner Bücher, schönen Papiers und anderer schöner Dinge zu sein, wogegen im Prinzip nichts einzuwenden war. Li konnte Ismails Sehnsucht nach Harmonie in den kleine Dingen vollkommen nachvollziehen. Sie fragte sich allerdings, ob dieses Streben nicht vielleicht seinen Verpflichtungen als Statthalter zuwider lief. Schon manches mal hatte Li auf den Basaren und in den Gassen die Menschen von den Kriegern des Kara Khan reden hören, die wohl immer wieder Vorstöße in den Süden unternahmen. Dass es diesen Kriegern einmal gelungen war, das nicht allzu weit entfernte Buchara zu erobern, saß offenbar allen, die seinerzeit in Samarkand gewesen waren, noch in den Knochen. Die Angst, dass eine neue Angriffswelle des Kara Khan das Reich der Emire aus dem Geschlecht der Samaniden einfach fortwehte, wie es der Steppenwind mit einem morsch gewordenen Baum tat, war allgegenwärtig und hin und wieder hörte man schon einzelne Stimmen, die hinter vorgehaltener Hand äußerten, dass alles doch gar nicht so schlimm kommen werde. Schließlich seien die Männer des Kara Khan ja auch inzwischen Muslime und man habe nie etwas darüber gehört, dass sie die Gesetze des Glaubens verletzten.

Es war ganz offensichtlich, dass vor allem die Händler, die von außen tagtäglich die Stadt erreichten, sich eigentlich nicht mehr die Frage stellten, ob der Kara Khan irgendwann ganz Mawarannahr unter ihre Herrschaft bekamen, sondern nur noch, wann das der Fall war. Das Vertrauen in die Kräfte des Emirs und seiner Statthalter schien einfach nicht mehr besonders ausgeprägt zu sein.

––––––––



Es war bereits Nachmittag, als Li ihr Werk vollendet hatte. Nachdem sie das geheime Wasserzeichen sorgfältig in Papier eingeschlagen hatte, um seine Form zu verbergen, rief sie einen der Hofdiener, auf dass er dem Herrscher Bescheid sagen sollte, dass sie ihr Werk vollendet hätte.

So hatte Prinz Ismail es ihr gesagt.

Dass der Herrscher sich schon wenig später zu ihr begab, überraschte sie. Sie hätte nicht damit gerechnet, vor Ablauf einiger Tage etwas von ihm in dieser Angelegenheit zu hören und eigentlich hatte sie zu diesem Zweck die Form des Wasserzeichens einem besonders vertrauten Diener des Statthalters übergeben sollen. Aber offenbar konnte es Prinz Ismail nicht erwarten, das Ergebnis ihrer Arbeit zu Gesicht zu bekommen.

„So zeig mir, was du angefertigt hast“, forderte er sie auf.

Sie enthüllte das Wasserzeichen. Er sah es an, drehte es von allen Seiten und lächelte dann. „Maktub - es steht geschrieben. Was für ein Wasserzeichen für Ismail, den Sohn eines ruhmreichen Geschlechts von gottgefälligen und gerechten Emiren...“

„Wem auch immer Ihr mit solchem Papier eine briefliche Botschaft überbringen werdet – wenn die betreffende Person das Zeichen sieht, wird ihr aufgehen, dass die Begegnung mit Euch nur schicksalshaft sein kann und ein Teil des Plans ist, den eine höhere Macht mit jedem von uns hat.“

„Eine gute Arbeit, Papiermacherin“, lobte Prinz Ismail. „Die Form muss hier im Palast bleiben – und ebenso wirst du jeden Bogen, der damit geschöpft und mit diesem Wasserzeichen versehen wird, hier, innerhalb dieser Mauern schöpfen. Alles, was du dazu brauchst, wird man dir herbeischaffen.“

„Herr, und was soll ich antworten, wenn man mir Fragen stellt?“, fragte Li.

„So wirst du sagen, dass dies eine Angelegenheit ist, über die dir der Statthalter nicht erlaubt hat zu sprechen.“ Prinz Ismail sah sie sehr ernst an. „Halte dich an meine Anweisungen, was die Verschwiegenheit betrifft. Andernfalls ist dein Leben in Gefahr.“

„Ja, Herr“, nickte Li, die keinerlei Zweifel daran hatte, dass man sie sofort und ohne große Umschweife töten würde, sobald der Verdacht aufkam, sie könnte vielleicht Geheimnisse weitergegeben haben.

––––––––



Als sie schließlich am frühen Abend zurück zu Meister Wang und Gao in die Werkstatt kehrte und gerade durch die Tür treten wollte, hatte sie so viel Schwung, dass sie die große dunkle Gestalt nicht gesehen hatte, die da vor ihr aufragte. Sie prallte gegen ein Lederwams und spürte schmerzhaft den Griff eines Schwertes an der Seite. Zwei kräftige Hände fassten sie kurz bei den Schultern. Dann sah sie in ein Paar grüner, ruhiger Augen, deren Blick sich für einen Moment mit dem ihren traf.

Ein paar Worte in der unbekannten saxländischen Sprache folgten und der sonore, samtweiche Klang dieser Stimme löste bei ihr dieselbe Gebanntheit aus, wie es schon bei der ersten Begegnung der Fall gewesen war – auch wenn sie natürlich abermals nicht ein einziges Wort verstand.

„Arnulf!“, entfuhr es ihr.

Ein Lächeln umspielte jetzt seine Lippen und in seinem Antlitz war deutlich die Überraschung darüber zu lesen, dass sie sich offensichtlich seinen Namen gemerkt hatte.

Er sagte ein paar Worte in seiner Sprache. Li wich aus Gründen der Schicklichkeit einen Schritt zurück.

„Es war nicht meine Absicht, Euch zu verletzen“, sagte sie nacheinander auf Latein und auf Griechisch. Zumindest war das die Bedeutung, die ihre Worte eigentlich haben sollten und da ihr das Herz bis zum Hals schlug, hoffte sie nur, dass sie auch tatsächlich einigermaßen passende Worte gefunden hatte, im dies auch auszudrücken. Griechisch oder Latein – wenn diese Sprachen im Westen tatsächlich so verbreitet waren, wie Bruder Anastasius ihr erzählt hatte, dann bestand ja vielleicht auch die Möglichkeit, dass Arnulf sie verstanden hatte. War Saxland nicht das Zentrum eines Reiches, das sich selbst als ebenso römisch bezeichnete, wie es das Reich des Kaisers von Konstantinopel tat? Dann konnte man doch eigentlich auch erwarten, dass die Sprache der Römer dort noch bekannt war.

Zumindest galt dies für die gelehrten Männer Gottes – und Li hatte längst bemerkt, dass auch der bleiche Mönch und der schmächtige Jüngling anwesend waren. Was die drei Reisenden allerdings in einer Papierwerkstatt wollten, darüber konnte Li nur rätseln.

„Du sprichst Latein?“, fragte Arnulf nach einem quälend langen Augenblick, in dem sich zunächst eine tiefe Furche auf seiner Stirn gebildet und ihr der bleiche Mönch mit den grauen Augen einen sehr misstrauisch wirkenden Blick zugeworfen hatte.

„Ein Mönch aus Konstantinopel hat mich diese Sprache gelehrt“, sagte Li.

„Und ich dachte, sie hätte sich inzwischen wegen ihrer Klarheit und Logik bereits bis zum Reich der Mitte ausgebreitet, ohne dass in Rom oder Konstantinopel davon auch nur irgend jemand etwas geahnt hätte“, erwiderte Arnulf lächelnd.

Li musste sich große Mühe geben, alles zu verstehen, was er sagte, denn seine Aussprache des Lateinischen unterschied sich ganz erheblich von jener, die Bruder Anastasius ihr auf dem endlos langen Weg durch Steppen, Gebirge und Halbwüsten beigebracht hatte. Manchmal musste sie schlicht erraten, was er wohl gemeint haben könnte und versuchen, aus dem Zusammenhang auf den Sinn des Gesagten zu schließen. Aber das fiel ihr in diesem Fall überraschend leicht.

Meister Wang stellte sich neben Li, während sich Gao und Meister Mohammed etwas abseits hielten. Mindestens ein Dutzend weiterer Augenpaare waren auf die Fremden gerichtet, die aus einem Land kamen, von dem hier noch nie jemand gehört hatte.

Der Mönch ergriff jetzt in geschliffenem Persisch das Wort.

„Wir hatten von ein paar Papiermachern gehört, die von einem Nordmann, den man den Eisenbringer nennt, hier her verkauft wurden. Darum sind wir hier.“

„Sie haben uns nach unserem Weg gefragt und ob wir durch die Berge von Tukharistan gekommen seien, von wo das unzerbrechliche Eisen käme“, murmelte Meister Wang in der Sprache der Han, sodass außer Li und Gao ihn niemand verstehen konnte. „Ich habe ihnen gesagt, dass wir dieses Land nicht kennen, von dem er gesprochen hat... und denke an das, was ich dir gesagt habe. Wir sollten uns aus allem heraushalten, was uns irgendwie in Schwierigkeiten bringen könnte.“

„Ich nehme an, dass du uns auch nicht mehr über das Eisenland sagen kannst“, sagte nun Arnulf auf Latein.

„Nein“, bestätigte Li einsilbig und errötete dabei leicht.

„Ich habe ein paar Proben deiner besonderen Handwerkskunst gesehen und bin sehr beeindruckt. Aber jetzt weiß ich, weshalb die wenigen Bücher, die es in meiner Heimat gibt, dagegen wie die Werke von Anfängern aussehen.“

„Wir tun unser Bestes, um genug Papier zu schöpfen, damit kein Buch nur deshalb ungeschrieben bleibt, weil es nichts gibt, worauf sie geschrieben werden könnten.“

Arnulf nickte leicht. „Wir danken für eure Auskünfte“, sagte er.

Der Mönch sagte etwas in der Sprache Saxlands, was Li natürlich nicht verstand. Arnulf lächelte daraufhin und sagte: „Fra Branaguorno, mein gestrenger Begleiter, ermahnt mich, dass wir uns bald auf den Weg machen“, erklärte er.

„So passt auf Euch auf“, erwiderte Li.

Arnulf wandte sich zum gehen. Der Mönch, den er Fra Branaguorno genannt hatte, rief in barschem Ton den Jungen, der sich stirnrunzelnd einige Blätter anschaute, die noch zur letzten Trocknung an einer Leine aufgehängt waren. Sie trugen das Wasserzeichen mit der Rose, das Li gefertigt hatte und das Licht fiel so, dass man es kaum übersehen konnte.

„Gero!“, rief Fra Branaguorno streng.

Und dann gingen sie alle drei hinaus.

Li stand wie versteinert da. Am liebsten hätte sie ihnen noch all das zugerufen, was sie wusste! Dass sie sich vor dem Hofschreiber in Acht nehmen sollten und Thorkild vermutlich schon längst darüber informiert worden war, dass der Ritter aus Saxland sich in Samarkand überall nach der Lage der Eisenberge erkundigte.

Aber ihre Zunge war wie gelähmt und für ein paar Augenblicke hatte sie den Eindruck, jedes lateinische Wort, das Bruder Anastasius ihr beigebracht hatte, von einem Augenblick zum anderen vergessen zu haben. Ihr Kopf schien vollkommen leer zu sein und sie war nicht in der Lage, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.

Die Worte ihres Vaters klangen ihr im Ohr, wonach sie am besten daran taten, sich aus allem herauszuhalten.

––––––––



In dieser Nacht fand Li keinen Schlaf. Sie lag wach auf ihrer Schlafmatte und hüllte sich in ihre Decke. Ein stetiger Wind wehte schon seit Tagen durch die Straßen von Samarkand. Manchmal trug er sogar roten Sand herein, der bis in die Häuser drang. Sand, der aus der Wüste Kysylkum stammte, deren Oasenstädte bereits fester Bestandteil jenes Reiches waren, das der Schwarze Herrscher geschaffen hatte und das sich schier unaufhaltsam in alle Richtungen auszubreiten schien.

Niemand war noch wach, als Li ins Freie trat und die kühle Nachtluft einatmete. Die Tür der Werkstatt knarrte etwas und sie hoffte niemanden geweckt zu haben. Für einen Moment verharrte sie regungslos – ein Schatten in der Dunkelheit. Mehr war von ihr nicht zu sehen. Dann setzte sie ihren Weg fort und verschloss sogar sorgfältig die Tür hinter sich.

Der Schmied Kebir hatte den Reitern aus Saxland eine Herberge empfohlen, die seinem Vetter namens Nedjan gehörte und es gab eigentlich keinen Grund, weshalb sich Arnulf und seine beiden Begleiter nicht danach hätten richten sollen.

Li war das Gasthaus von Nedjan durchaus bekannt. Der Besitzer war ein sehr frommer Mann und hatte Bögen aus sehr festen, aufwändig mit Harz lackiertem Papier gekauft, auf das er sich von einem Kalligraphen Zitate aus dem Koran schreiben ließ, um sie in seinen Gästeschlafräumen aufzuhängen.

Die Gassen von Samarkand waren für Li schon längst kein unübersichtliches Labyrinth mehr. Oft genug war sie schließlich in der Stadt unterwegs gewesen, um auf den Basaren geeignete Lumpen auszusuchen.

Mit schnellem, fast lautlosem Schritt ging sie durch die dunklen Gassen. Mitten in der Nacht brannten kaum noch Lichter in der Stadt. Aber der Himmel war klar und der Mond stand als großes Oval am Himmel und tauchte die Stadt in sein fahles Licht.

Tagelöhner ohne Obdach kampierten in der Nähe einer Moschee, deren eigentlich in einem kräftigen Blau gehaltene Kuppel jetzt im Mondlicht grau erschien.

Schließlich bog sie dann in eine Gasse ein, die fast vollständig im Mondschatten lag und in der man daher so gut wie gar nicht sehen konnte. Die zwei bis dreistöckigen Häuser ragten zu beiden Seiten wie dunkle Schatten empor und Li fühlte sich fast wie eine Blinde, während sie durch die namenlose Finsternis vorwärts eilte. Aber dieser Weg war kürzer und da sie ihn bei Tag auch schon gegangen war, konnte sie sich ungefähr orientieren.

Schließlich erreichte sie Nedjans Gasthof, zu dem auch umfangreiche Stallungen und ein Lagerhaus gehörten, in dem durchreisende Händler ihre Waren sicher aufbewahren und sogar verkaufen konnten.

Ein Geräusch ließ Li erstarren. Sie hörte einen unterdrückten Schrei, der wie ein Röcheln klang. Dann klappte im Obergeschoss ein Fensterladen geräuschvoll zur Seite. Ein Mann stürzte rücklings durch das Fenster und riss dabei den Vorhang mit sich.

Nur einen Herzschlag später schlug der Mann schwer wie ein nasser Mehlsack kaum fünf Schritte von Li entfernt auf die Straße und blieb regungslos liegen. Das Mondlicht fiel auf Gesicht und Oberkörper. Die Augen waren starr, der Mund wie zum Schrei geöffnet und in seiner Brust steckte ein Dolch, der ihm bis zum Heft in den Körper gestoßen worden war. Der Mann selbst hielt ein schmales, leicht gebogenes Schwert in der Hand. Die Finger seiner Rechten krampften sich noch im Tode um den Griff.

Li stand wie gelähmt da. Sie wagte es kaum zu atmen.

Das Fenster, durch das der Mann gestoßen worden war, lag im vollkommenen Schatten. Man konnte nicht ins Innere sehen, aber es war in der Dunkelheit irgendeine Bewegung erkennbar.

Und Stimmen.

Sie sprachen in der Zunge Saxland.

Li zog sich in eine benachbarte Hausnische zurück und wartete. Nur wenige Augenblicke später waren Schritte zu hören. Die Tür von Nedjans Gasthof wurde aufgestoßen und eine Gestalt trat ins Freie. Es war niemand anderes als Arnulf. Er trug enganliegende Hosen und ein leinenes Unterziehgewand. In der Hand hielt er sein Schwert. Um Stiefel anzuziehen oder den Waffengürtel anzulegen, war offensichtlich keine Zeit gewesen.

Arnulf trat auf den Toten zu, beugte sich nieder und zog ihm den Dolch aus der Brust. Das Blut wischte er an der Kleidung des Toten ab.

Als er sich wieder aufrichtete, glitt sein Blick genau in jene Richtung, aus der Li ihn beobachtete. Er starrte sie an und es konnte keinerlei Zweifel daran geben, dass er sie tatsächlich sehen konnte. Eigentlich hatte Li geglaubt, dass das nicht möglich war, weil der Schatten sie verbarg. Aber offenbar hatte sie sich in diesem Punkt getäuscht. Sie schluckte. Arnulf machte einen Schritt in ihre Richtung.

„Bist du es – die Frau, die meinen Namen kannte?“, fragte er.

Li trat jetzt auf ihn zu. „Ja“, sagte sie. Sie deutete auf den Toten. „Dieser Mann wollte Euch im Schlaf umbringen?“

„Das scheint dich nicht zu überraschen!“

Das Mondlicht spiegelte sich in seinen Augen. Und dann sprudelte es nur so aus ihr heraus. Sie nahm keine Rücksicht auf richtige Anreden oder sprachliche Feinheiten. Mochte ihr Latein ruhig so barbarisch klingen, wie es wahrscheinlich auch war! Hauptsache, er verstand die eindringliche Warnung, die sie ihm geben wollte und von der sie sich jetzt wünschte, sie hätte sie ihm schon vorher zukommen lassen. „Thorkild Eisenbringer will Euch töten. Vielleicht durch einen Mann, der für Geld tötet – oder er tut dies selbst, wenn er später auf Euch lauert!“

Arnulf trat näher. Sein Gesichtsausdruck verriet Misstrauen.

„Woher weißt du das?“

„Ich habe gehört, wie Thorkild mit Kentikian darüber gesprochen hat.“

„Wer ist Kentikian?“

„Der oberste Hofschreiber des Statthalters. Sie dachten, ich verstehe sie nicht, weil sie in der Sprache der Griechen redeten... Da habe ich Euren Namen zum ersten Mal gehört – Arnulf von Ellingen“

„Du kannst auch Griechisch?“

„Bitte glaubt mir – sonst reitet Ihr in den Tod.“

„Ich bin nicht sehr ängstlich“, erwiderte Arnulf.

„Ihr wollt im Auftrag Eures Herrschers ins Land der Eisenberge gelangen – aber das will Thorkild um jeden Preis verhindern.“

Inzwischen waren im Haus weitere Geräusche zu hören. Wenig später trat der Mönch ins Freie, gefolgt von dem Jungen. Der Mönch öffnete beide Flügel. Wie üblich befanden sich im Erdgeschoss Stallungen und Lagerflächen. Ein Pferd wieherte. Offenbar machte sich jemand an den Tieren zu schaffen. Li hoffte, dass der Junge bereits damit beschäftigt war, die Pferde zu satteln – denn es lag auf der Hand, dass die Fremden Samarkand jetzt so schnell wie möglich verlassen mussten.

„Geht noch in dieser Nacht!“, riet Li. „Die Wachen am Tor werden Euch passieren lassen, wenn Ihr ihnen ein paar Silberstücke gebt.“

„Bist du sicher?“

„Die sind nur misstrauisch, wenn jemand hinein will – aber wenn jemand die Stadt verlassen möchte, sind sie bestechlich.“

Der Mönch sprach jetzt mit Arnulf und sah sich kurz den Toten an. „Fra Branaguorno hat den gleichen Gedanken wie du – nämlich, dass wir uns schleunigst davonmachen sollten!“

„Dann hört auf ihn.“

„Er wundert sich aber darüber, weshalb du uns warnst!“

Ihre Blicke begegneten sich erneut. „Weil ich der Stimme des Herzens folge“, sagte Li. „Und nun geht und haltet Euch vom Land der Eisenberge fern!“

Li drehte sich um, denn inzwischen waren offenbar bereits mehrere andere derzeitige Bewohner des Gasthauses wach geworden. Sie hörte schon die Stimme von Nedjans Frau, die sehr durchdringend war, ihren Mann aufscheuchen. Es fehlte gerade noch, dass der Wirt sie hier sah! „Viel Glück – Arnulf!“, sagte sie und drehte sich dabei bereits halb zum Gehen.

„Warte!“ Er folgte ihr noch zwei Schritt. „Du kennst meine Namen – aber ich den deinen noch nicht!“

Sie drehte sich noch einmal um.

„Li“, sagte sie. „Ich heiße Li. Aber das ist ohne Bedeutung, denn wir werden uns nie wieder begegnen.“

Fra Branaguorno fasste Arnulf bei der Schulter, sprach ein paar Worte im Dialekt von Saxland zu ihm und wandte sich dann in Lis Richtung. In seinem geschliffenen Persisch sagte er. „Halt uns nicht länger auf und vergiss am besten, dass du uns je begegnet bist!“

––––––––



Li eilte die Straße hinunter und wartete dann an der nächsten Ecke, wo es in eine der dunklen Nebengasse hinein ging. Eigentlich wäre es das Beste gewesen, jetzt so schnell wie möglich zur Werkstatt zurückzukehren und darauf zu hoffen, dass sie außer von Arnulf und Fra Branaguorno von niemandem bemerkt worden war. Aber irgendetwas hielt sie dort. Für einen Moment kam ihr ein Gedanke, der ihr völlig absurd erschien. Was wäre, wenn ich einfach zu diesem Fremden auf das Pferd steigen und mit ihm davon reiten würde – mochte dies auch ein Ritt in völlige Ungewissheit sein.

Sie beobachtete, wie die Pferde aus dem Stall geholt wurden und die drei Fremden alles für die Reise vorbereiteten. Der Junge hatte offenbar bereits Arnulfs Sachen mitgebracht, sodass er draußen auf der Straße Lederwams, Stiefel, Umhang und Helm anlegte.

Wenig später stand Nedjan auf der Straße und zeterte laut herum. Fra Branaguorno warf ihm ein paar Münzen zu, die der Wirt aus der Luft fing, woraufhin er sehr viel ruhiger wurde. Selbst der Anblick des Toten schien ihn jetzt nicht mehr sonderlich zu beunruhigen. Er rief zwei Stallburschen herbei und wies sie an, ihn in eine der dunklen Gassen zu tragen, wo man ihn am Morgen finden und wohl für das Opfer eines Raubüberfalls halten würde.

Die drei Reiter preschten davon. Am Ende der Straße zügelte Arnulf noch einmal sein Pferd. Er drehte sich kurz im Sattel um. Er ließ suchend den Blick schweifen, dann verschwanden alle drei Reiter im Dunkel einer Nebenstraße.


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