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Zwölftes Kapitel: Nach Bagdad

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Die Tage vergingen immer einer wie der andere. Sie zogen durch die südliche Karakum. Eine leichte Schneedecke überzog die Wüste, deren Name schwarzer Sand bedeutete. Schwarz waren die gewellten Sanddünen allerdings wohl auch dann nicht, wenn kein Schnee sie bedeckte.

In einer der Nächte wagte sich ein hungriger Wüstenluchs so nahe ans Lagerfeuer, dass Li ihn sehen konnte. Die Kamele und Pferde waren schon zuvor sehr unruhig gewesen. Ahmad, ein etwa zwölfjähriger Junge, der Firuz' und Fadias Sohn war, nahm einen Stein und warf ihn nach dem Fuchs, woraufhin er davonstob.

„Du Narr!“, rief Firuz. „Du hättest den Bogen nehmen sollen! Das Fell ließe sich gut verkaufen!“

„Ich frage mich, ob es etwas gibt, das er nicht verkaufen würde“, raunte Meister Wang an Li gewandt. „Wir sollten uns nicht erhoffen, dass es uns bei ihm gut ergeht!“

„Was schlägst du vor, Vater?“

„Abwarten. Wir können nichts tun, denn allein wären wir verloren. Aber wir sollten die Augen offen halten.“

„Die Frauen haben davon gesprochen, dass die ganze Karawane sehr lange unterwegs war und tief in ein Land gelangte, in dem es leuchtende Steine geben soll.“

„Was für ein Land soll das gewesen sein?“

„Indien... diese Steine sollen magische Wirkung haben und ein großes Vermögen wert sein. Damit will Firuz nach Jerusalem ziehen, weil dort ein Großonkel mit guten Geschäftsbeziehungen lebt.“

„Es gibt so viele Gerüchte über Wunder und Magie.“

„Hast du nie von diesen Steinen gehört?“

„Ich habe davon gehört, dass dieses Indien ein Land voller Wunder sein soll und die Heimat des großen Buddha ist. Es soll dort Männer geben, die Schlangen beschwören können, aber vielleicht sollte man auch nicht alles glauben, was darüber erzählt wird!“

„Aber Firuz ist jemand, für den nur das zählt, woraus er Silber machen kann! Also warum sollte das mit den Steinen nicht stimmen? Das würde auch erklären, wieso er seine Kamele nicht bis zur Grenze ihrer Belastbarkeit mit Waren belädt und und uns reiten lässt, anstatt dass wir zu Fuß gehen müssen! Vater, selbst in Xi Xia fanden die meisten Nomaden nichts dabei, ihre Kinder tagelang neben den Kamelen herlaufen zu lassen, denn dann kann man vielleicht noch einen Stoffballen zusätzlich aufladen. Aber die wichtigste Ware, die Firuz mit sich führt, tragen nicht seine Kamele, sondern er selbst! Ich nehme an, dass er die Steine am Körper trägt und sie nie aus den Augen lässt... Auf jeden Fall ist es für ihn wichtiger, dass er vielleicht zwei oder drei Wochen früher in Jerusalem ankommt!“

Jetzt wurde Firuz auf Li und ihren Vater aufmerksam.

„Heh, redet nicht in euren Tierstimmen, sodass man nicht verstehen kann, was ihr sagt!“, wies er sie barsch an.

„Warum hast du die gelben Leute überhaupt mitgenommen und dafür auch noch eine ganze Menge Silber bezahlt?“, meinte einer der anderen Männer. Er hieß Jamal und war wohl Firuz jüngerer Bruder. Inzwischen durchschaute Li schon etwas besser, wer in der Gruppe mit wem verwandt oder verheiratet war. Jamals Frau war Alya, deren Kind auf der Reise nach Indien geboren worden war. Unter den Männern war Jamal der einzige, der es hin und wieder mal wagte, Firuz zu widersprechen, wenn gleich er dabei nie die Autorität seines älteren Bruders in Frage stellte. Als Firuz nicht gleich auf Jamals Worte einging, fuhr dieser fort: „Es ist doch wahr! Wir müssen sie durchfüttern und wer weiß, ob nicht mein kleiner unschuldiger Sohn von dem Husten befallen wird, den einer von ihnen zu uns gebracht hat!“

„Ich weiß, was ich tue!“, verteidigte sich Firuz. „Bedenkt, dass ihr alle von meiner geschäftlichen Klugheit lebt! Habe ich nicht immer gewusst, was sich an wen gut verkaufen lässt?“

„Nun, den Namen einer großen Stadt im Lande Fars will ich jetzt besser wohl nicht erwähnen“, meinte Jamal mit einem Spott, den wohl nur er sich erlauben konnte.

„Dass wir aus Schiras fortziehen mussten, hat uns allen nur Gutes gebracht“, erklärte Firuz. „Ganz besonders dir, mein undankbarer Bruder, denn in Jerusalem warst du gezwungen, die Sprache des Propheten zu lernen, um dich auf der Straße verständigen zu können – und dass hat dich ganz gewiss zu einem besseren Muslim gemacht!“

Jamals Gesicht verzog sich. „Allah sieht, dass du über ihn spottest und seinen Namen missbrauchst!“, zischte er wütend hervor.

Aber Firuz ließ sich davon nicht beeindrucken. „Ich habe euch nach Indien geführt und wir werden reich nach Jerusalem zurückkehren! Aber wir können noch reicher werden.“ Er deutete auf Li und Meister Wang. Gao saß am weitesten vom Feuer entfernt, obwohl er gewiss seine Wärme am nötigsten gehabt hätte. Aber es hatte niemand in der Nähe eines Mannes sitzen wollen, der so schwer hustete. „Diese gelben Leute aus dem Reich der Mitte können Papier in einer Weise schöpfen, wie es selbst in Bagdad oder dem fernen Konstantinopel niemand vermag! Zeichen aus Licht sind in ihren Papieren enthalten! Und wir haben das Glück, in Jerusalem zu leben, der Stadt, in der der Prophet Jesus lebte und der Prophet Mohammed zum Himmel auffuhr! Eine Stadt, von der Muslime, Christen und Juden glauben, dass sie heilig sei und in der deswegen wahrscheinlich ein größerer Bedarf an heiligen Schriften vorhanden ist, als an irgendeinem Ort sonst in der Welt! Die Christen pilgern aus ihren Ländern dorthin und manche von ihnen können inzwischen sogar lesen! Und die Muslime gehen zum Felsendom, die Juden dorthin, wo früher angeblich der Tempel Salomos stand – und die Anhänger aller drei Buch-Religionen gehen an jene Stelle, wo Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte! Aber sie alle brauchen Papier! Papier, das die drei dort für uns schöpfen werden!“

„Wie viele Blätter können drei Papiermacher schon schaffen?“, meinte Jamal zweifelnd. „Sie werden selbst kaum von ihrer Arbeit ernährt werden, wenn man alle Kosten abzieht. Und vielleicht wirst du sogar noch Silber dazulegen müssen, wenn du sie nicht auf der Straße schlafen lassen willst!“

„Sie werden ihre Kunst anderen zeigen und schon bald werden wir ganz Jerusalem mit Papier versorgen!“, widersprach Firuz. „Unser Großonkel hat gute Verbindungen im ganzen Land und kann uns alle Türen öffnen!“

Firuz schien von seinem Plan vollkommen in Beschlag genommen zu sein. „Die Abschriften des Korans werden überall zu erwerben sein. Wir werden die Schreiber aus fünf Städten dafür anstellen und...“

„Er sollte diese Bücher drucken, wie es in Bian seit zwei Jahrhunderten geschieht!“, raunte Meister Wang Li in der Han-Sprache zu. Aufgrund der Hitzigkeit des Wortgefechts zwischen Firuz und seinem Bruder bekam davon allerdings keiner der beiden etwas mit.

––––––––



Sie setzten den Weg am nächsten Morgen fort. Li saß auf ihrem Kamel und hing ihren Gedanken nach. Was mochte wohl aus Arnulf geworden sein? Hatte er das Land der Eisenberge erreicht und dort gefunden wonach er suchte, oder hatten ihn Thorkilds Männer erschlagen? Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass letzteres nicht geschehen war. Zwischen ihren Seelen gab es zweifellos eine innere Verbindung, wie sie manchmal einfach da war, ohne dass man genau hätte ergründen können, aus welchem Grund. Aber hätte sie es dann nicht auch spüren müssen, wenn diese Seele aus dem Leben fortgerissen worden wäre?

Sie seufzte und schalt sich selbst eine Närrin, über diese Dinge nachzugrübeln. Dabei gefror ihr Atem zu einer grauen Wolke. Du wirst ihn nie wiedersehen!, ging es ihr durch den Kopf. Sie waren wie zwei Sandkörner in der Karakum, die der Wind fortgerissen und dann abwechselnd in verschiedene Richtungen geweht hatte. Solche Sandkörner konnten tausende von Meilen weit getragen werden - und dass sie und dieser Ritter aus Saxland sich wiedertrafen war ebenso unwahrscheinlich, wie das erneute Zusammentreffen zweier Sandkörner im Wüstenwind.

Und wenn es irgendwo ein Felsmassiv gab, zu dem alle Winde ihre Last früher oder später hintrugen und sich all das irgendwann wieder einfand, was zunächst scheinbar sinnlos verstreut worden war? Dieser Gedanke beschäftigte Li und sie glitt erneut in ihre Gedankenwelt ab, die ihr trotz aller Aussichtslosigkeit doch um so vieles tröstlicher zu sein schien, als der tägliche Trott dieser Karawane.

Dann hörte sie hinter sich das Schnaufen eines Trampeltiers, dessen Schritte mithilfe von ein paar schrillen Befehlen einer Frauenstimme stark beschleunigt worden waren. Das Tier holte auf und lief dann genau neben jenem Kamel, zwischen dessen Höckern Li ihren Platz hatte.

Es war Jarmila.

Sie sollte ich versuchen zu meiner heimlichen Verbündeten zu machen!, überlegte Li. Denn ohne eine Verbündete erwartete sie ein hartes Schicksal, wie sie inzwischen begriffen hatte.

„Willst du lernen, wie man einem Kamel befiehlt?“, fragte sie. „Oder reicht es dir, faul zwischen seinen Höckern zu sitzen, wie ein Säugling an der Brust seiner Mutter?“

„Zeig es mir“, verlangte Li. „Man kann nie genug lernen.“

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Innerhalb der nächsten Tage und Wochen lernte Li, wie man bei einem Kamel selbst die Zügel hielt und es dazu brachte, einem zu gehorchen. Und sie gab dieses Wissen an ihren Vater und Gao weiter. Letzterem ging es inzwischen wieder etwas besser, aber der Husten hielt sich hartnäckig.

Sie übernachteten nun zumeist in befestigten Karawansereien, die von Schutzmauern umgeben wurden und in denen man außerdem Verpflegung bekommen konnte. Manchmal hatte sich um diese befestigten Karawansereien ein kleiner Ort gebildet. Li behielt kaum einen der Namen dieser Orte. Kamen sie in eine der größeren Handelsstädte, die auf ihrem Weg lagen, dann blieben sie ein oder zwei Tage, verkauften etwas von ihren Waren und erwarben dafür andere Güter. Zwischen Merw und Nischapur begleiteten sie eine Gruppe von Pilgern, die sich auf den weiten Weg nach Mekka begaben und zumindest diesen Teil ihres Weges mit ihnen gemeinsam hatten. Firuz war zwar nicht sonderlich begeistert davon, da die Pilger die Karawane seiner Ansicht nur unnötig aufhielten, aber Li hörte, wie Fadia ihren Ehemann eindringlich ermahnte, sich ihnen gegenüber großzügig zu verhalten, da dies die Pflicht jedes Muslims sei.

Von Nischapur aus nahm Firuz die nördliche Route durch das Gebirge von Parthien, um die Salzwüste Kavir zu meiden.

Auf diesem Stück des Weges nahm die Zahl der befestigten Karawansereien wieder ab. Manchmal gab es gastfreundliche Dörfer, in denen Firuz Stoffe und Decken verkaufen oder gegen Ziegenkäse und Hammelfleisch eintauschen konnte. Aber es kam in den Bergen wieder öfter vor, dass sie die Zelte aufschlagen und im Freien kampieren mussten. Häufig stiegen sie ab, um die Tiere über schmale gerade und steile Pässe zu führen. Aber Firuz schien den Weg gut zu kennen.

Immer wieder suchte er Lis Nähe, was ihr äußerst unangenehm war. Auf den Streckenabschnitten, auf denen man die Kamele reiten konnte und es möglich war, die Führung einem der anderen Männer zu überlassen, preschte er auf seinem gescheckten Pferd herbei und hielt sich neben ihr.

Er erzählte von den Plänen, die er hatte, von der Fertigungsstätte für Papier, die ihm vorschwebte und davon, dass gerade die Papiere mit den Wasserzeichen ihnen eigentlich förmlich aus der Hand gerissen werden müssten. „Du wirst sehen, auch ihr werdet dadurch zu Wohlstand kommen. Vielleicht wirst du es dir sogar leisten können, eines Tages den Weg der Seide in östliche Richtung zu gehen und zurück in deine Heimat zu gelangen...“

„Wir werden sehen“, sagte Li ausweichend.

„Wenn es nicht dein eigener Wunsch sein sollte, dann gewiss der deines Vaters“

„Woher willst du das wissen?“

„Weil es der Wunsch aller alten Leute ist, dorthin zurückzukehren, woher sie kamen und wo Geister ihrer Erinnerungen wie Dschinne herumstreichen... Vielleicht wird es dir eines Tages ja genauso gehen.“

„Ich habe aufgehört, mich an eine solche Hoffnung zu klammern“, sagte sie. „Es geschieht, was geschieht...“

„Du kannst dein Geschick mehr beeinflussen, als du vielleicht glaubst“, sagte Firuz. „Denn du hast nicht nur das Talent, Papier zu schöpfen und es mit Bildern aus Licht zu versehen... Du bist auch eine sehr schöne Frau...“

„Du solltest so nicht mit mir sprechen“, sagte Li.

„Ich spreche mit wem immer ich will auf die Art, die ich für richtig halte“, erwiderte Firuz. „Und Allah allein ist mein Richter – sonst niemand.“

„Du hast bereits zwei Frauen – und denen ist nicht entgangen, wie du mich ansiehst!“

Firuz ging darauf nicht weiter ein. „Ich werde dich Basma nennen. Das ist ein häufiger Name in den Ländern der Gläubigen. Er bedeutet in der Sprache des Propheten 'die Lächelnde' – und da dein Lächeln so unergründlich scheint, finde ich, dass dieser Name passt!“

„Ich würde es bevorzugen, wenn ich bei dem Namen gerufen würde, den ich von meinem Vater erhielt“, erwiderte Li kühl. Innerlich kochte es in ihr. Was bildete sich Firuz eigentlich ein? Li brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Jarmila und Fadia genau beobachteten, was weiter geschah. Sie konnte nur von Glück sagen, dass es während der Reise so gut wie überhaupt keine Gelegenheiten gab, bei denen sie allein mit ihm war.

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Schließlich erreichten sie Bagdad. Gaos Zustand hatte sich noch nicht nachhaltig gebessert, obwohl das Klima im Zweistromland viel milder war. Die Stadt des Kalifen erschien Li gewaltig, während sie durch die verwinkelten Straßen zogen, in denen überall Händler darauf warteten, ihre Waren an den Mann bringen zu können.

„Der Kalif hat keine Macht mehr“, erzählte Jarmila an Li gewandt. „Er ist das Oberhaupt der Gläubigen, aber überall regieren mächtige Familien ihre eigenen Reiche und seitdem sagt man, dass die Stadt im Niedergang begriffen ist. Alles scheint zu zerfallen.“

„Aus dem, was zerfällt werden die Steine eines neuen Hauses“, sagte Li.

„Im Koran steht das aber nicht.

„Es ist eine Weisheit von Lao-she.“

Jarmila zuckte mit den Schultern. „Sobald Firuz seine Geschäfte erledigt hat, ziehen wir weiter... Was kümmert es mich also, ob Bagdad irgendwann einmal wieder erblüht!“

„Liebst du ihn eigentlich? Ich meine Firuz?“

„Unsere Familien habe diese Ehe arrangiert. Und er ist ein guter Händler, der dafür sorgt, dass man in seinem Haus immer gut versorgt ist.“

„Ahmad ist Fadias Sohn. Hast du auch Kinder?“

„Nicht mehr“, sagte sie. „Zweimal habe ich von Firuz ein Kind empfangen und es kurz nach der Geburt verloren. Seitdem rührt er mich nicht mehr an, weil er denkt, dass ein Fluch auf mir lastet.“

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In Bagdad nächtigte sie in einer jener Herbergen, die für durchfahrende Händler gedacht waren und gleichzeitig als Unterkunft, Stallung für die Tiere, Lagerhaus und Verkaufsraum für die mitgeführten Waren dienten.

Li fühlte sich stark an Nedjans Herberge in Samarkand erinnert, nur war diese um ein Vielfaches größer und bildete eine kleine Stadt innerhalb der Stadt mit eigenem Flusshafen. Schiffe konnten hier anlegen und die eingeführten Waren flussabwärts nach Basra bringen, wo sie auf seetüchtige Daus umgeladen wurden.

Firuz wies seinen Bruder Jamal an, mit Gao einen Arzt aufzusuchen. „Was dieser Arzt mich kostet, werde ich auf eure Schuld draufschlagen“, kündigte er an. „Aber wenn meine Pläne in die Tat umgesetzt werden sollen, sollte sie nicht daran scheitern, dass ein Meister keinen Gesellen hat, der ihm helfen könnte!“

„Das ist sehr gütig“, sagte Meister Wang und neigte das Haupt.

„Begleite deinen Gesellen... Jamal wird versuchen, einen Arzt zu finden, der der persischen Sprache mächtig ist, aber selbst wenn das gelingt, könnte es einige Verständigungsschwierigkeiten geben... und ich habe den Eindruck, dass der Meister sich besser auszudrücken weiß als der Geselle!“

In Bagdad sprachen die Menschen Arabisch – allerdings konnte man davon ausgehen, dass ein Arzt, der sein Geld wert war, seine Kunst in Isfahan oder Buchara gelernt und dabei Persisch gelernt hatte.

„Ich begleite ihn auch gerne“, bot Li an.

Aber genau das schien Firuz nicht zu wollen. „Nein, du bleibst hier!“, bestimmte er. „Du kannst damit beginnen, eine Liste all der Dinge zusammenzustellen, die für eine Papierschöpfung in größerem Umfang unerlässlich sind. Bagdad mag keinen mächtigen Kalifen mehr haben, aber es hat die größten Basare der Welt und vielleicht können wir das eine oder andere hier günstig erwerben...“

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Li saß in dem Zimmer im Obergeschoss, wo die Frauen übernachteten. Allerdings war keine von ihnen im Moment zugegen. Sie waren zum Fluss gegangen, um ihre Kleider zu waschen, wozu schon seit Wochen keine Gelegenheit mehr gewesen war.

Li hatte ein paar wenige Blätter aus der Werkstatt von Meister Mohammed in Samarkand mitnehmen können. Es handelte sich allesamt um Blätter mit dem Wasserzeichen der Rose. Zum Schreiben hatte Firuz ihr einen Silberstift gegeben, mit dem er seine Listen zu führen pflegte. Manchmal hatte sie beobachtet, wie er im Schein des Lagerfeuers gerechnet hatte. So wenig sie Firuz ansonsten leiden konnte, so sehr hatte es sie doch immer fasziniert, wenn sie ihn beim Rechnen erlebt hatte. Auf den Märkten, die sie auf dem langen Weg besucht hatten, hatte Firuz des Öfteren komplizierte Rechnungen mit großen Zahlen sehr schnell ausführen können, wenn er sie auf ein Stück Papier schrieb, um ganz schnell Preise vergleichen zu können oder zu beurteilen, ob ein Angebot wirklich gewinnbringend war. Wie er – und auch viele der Basaris – das fertigbrachten, hatte sie bislang noch nicht herausbekommen. Sie hatte nur die Vermutung, dass es irgendwie mit einem geheimnisvollen Zahlzeichen zu tun hatte, das als kleiner Kreis oder als Punkt dargestellt wurde und das nichts darstellte, wenn es alleine stand, aber einen hohen Wert bezeichnen konnte, wenn es mit anderen Zahlzeichen zusammen in einer Reihe stand.

Li begann gerade zu schreiben, da betrat Firuz den Raum.

„Basma...“, sagte er.

Sie zuckte zusammen und erhob sich von dem Teppich, auf dem sie saß. „Ich möchte nicht so genannt werden!“, erwiderte sie.

„Ach, Basma... Du müsstest doch längst gemerkt haben, dass ich dich begehre!“

„Ich aber dich nicht!“

Er näherte sich. „Was lässt dich zögern, Basma? Ich sehe dich an und kann an nichts anderes mehr denken!“

„Dann solltest du beten, damit dein Gott dir hilft – oder deine Aufmerksamkeit denen schenken, denen du es versprochen hast! Deinen Frauen nämlich!“

Er war bei ihr und fasste sie an ihrem Gewand. Dann zog er sie an sich. Sein Atem roch süßlich – nach Haschisch, dem berauschenden Gras, das in Bagdad an jeder Straßenecke angeboten wurde. In Samarkand hatten die Ärzte daraus Medizin gemacht – aber es wurde keineswegs nur gegen körperliche Krankheiten und Schmerzen genommen. Eine Aufhellung des Gemüts schien ebenso häufig der Grund für die Einnahme zu sein – und im Gegensatz zu gegorenen Getränken schien diese Art der Berauschung nicht gegen die Lehre des Propheten zu verstoßen.

Sie versuchte ihn wegzuschieben, aber er hielt sie fest.

„Basma... Du willst doch dasselbe!“

„Das Haschisch hat dir die Sinne benebelt!“

„Es vernebelt die Sinne nicht! Es bringt nur hervor, was schon da ist! Und manche glauben sogar, dass es einen in Verbindung zu Gott bringt! Sie nehmen es und tanzen sich in eine mystische Raserei...“

Er fasste nach ihren Brüsten. Sie fühlte seinen Griff durch das Gewand hindurch, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Mit einem kräftigen Stoß befreite sie sich. Er taumelte einen Schritt zurück.

„Wenn du dich noch einmal näherst, erzähle ich Fadia, was du versucht hast!“, keuchte sie. „Also bleib, wo du bist!“

„Das würde ich dir nicht empfehlen. Du weißt noch nicht, wie wütend sie werden kann!“

„Aber vielleicht wird sie sich überlegen, gegen wen sich ihre Wut richten sollte!“

Firuz' Gesicht verwandelte sich in eine finstere Grimasse. Dann ging er zur Tür. Dort blieb er noch einmal stehen und sagte: „Du bist eine Närrin, Basma! Wir könnten zusammen so viel erreichen! Du weist einen Mann von dir, der dir ein Leben ohne Sorgen bieten könnte!“ Er nahm den Beutel von seinem Gürtel. Dann öffnete er seine Hand und ließ den Inhalt des Beutels sich dorthin ergießen. Es waren durchsichtige Steine von kristallreiner Klarheit. Firuz hielt sie ins Licht und im nächsten Moment leuchteten sie.

„Das sind die Steine des Lichts – Diamanten! Die Griechen nennen sie die Unbesiegbaren, weil man sie nicht zerstören kann. Sie sind sehr selten und das einzige Land, in dem man sie findet, ist Indien. Sie sind ein Vermögen wert – dies ist der Reichtum, mit dem man etwas Großes aufbauen kann! Eine Papierfertigung zum Beispiel... Aus einem bescheidenen Reichtum sollte man einen großen machen!“ Er tat die Steine zurück in den Beutel. „Du bist eine kluge Frau, Basma... Und ich bin überzeugt davon, dass du noch erkennen wirst, welcher Weg für dich offen stünde!“

Dann ging er hinaus. Sie atmete schwer, während sie seine Schritte sich entfernen hörte.

Am Boden lag der Silberstift und das Blatt, auf dem sie geschrieben hatte. Der Stift war zerbrochen. Firuz musste mit seinem Stiefel darauf getreten sein, ohne es zu bemerken.

––––––––



Am Abend kehrten Meister Wang und Gao zurück. Gao war müde und legte sich gleich auf sein Lager.

„Der Arzt hat ihm einen Extrakt der Mohnpflanze gegeben“, berichtete Meister Wang seiner Tochter. „Die lindert seinen Husten und lässt ihn die schweren Gedanken vergessen. Denn mehr als eine Linderung wird es für ihn nicht geben.“

„Was?“ Li schüttelte den Kopf. „Du meinst, er kann nicht geheilt werden?“

„Nicht mit den Mitteln der Medizin, wie sie im Westen praktiziert wird. Es kommt Blut aus seinem Mund und ich glaube fast, dass man ihm nicht einmal mehr dann helfen könnte, wenn er in Bian von den Ärzten des Himmelssohnes behandelt würde.“ Meister Wang seufzte. „Es ist die Atmung... Sie fällt ihm immer schwerer. Er bekommt keine Luft und irgendwann wird es ihm ergehen wie einem Fisch, den man an Land aussetzt...“

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Am nächsten Morgen wurde Li sehr unsanft geweckt. Eine Reihe furchtbarer Schläge traf sie. Schemenhaft sah sie eine Gestalt, die mit einem der Hölzer auf sie eindrosch, mit dem die Frauen sonst die Wäsche schlugen.

„Ich habe dich gewarnt!“, schrillte Fadias Stimme durch den Raum. „Jetzt sollst du sehen, was du davon hast, du Hure mit geschlitzten Augen!“

Li konnte sich gegen die Schläge kaum schützen. Sie krümmte sich zusammen, versuchte das Wäscheholz vergeblich mit den Händen abzuwehren.

Einer der gemeinen Schläge traf sie am Kopf. Sie sank benommen in sich zusammen. Alles drehte sich vor ihren Augen. Es folgten noch ein paar weitere Schläge, die sie kaum noch spürte. Dann merkte sie, wie sie gepackt und von ihrem Lager gezerrt wurde. Sie versuchte sich zu wehren, aber ihr Kopf dröhnte und für ein paar Augenblicke wusste sie nicht, was oben und was unten war.

„Du glaubst vielleicht, ich sei dumm. Aber das bin ich nicht!“, fauchte Fadia. „Das bin ich wirklich nicht! Und vor alle habe ich Augen im Kopf! Ich habe gesehen, wie Firuz aus diesem Zimmer kam – in dem nur nur noch du gewesen sein konntest...“

Fadia packte den Kopf der wehrlosen Li bei den Haaren und steckte ihn in einen Bottich, den sie bereitgestellt hatte. Ein gewisser unangenehmer Geruch war Li zuvor schon aufgefallen. Jetzt wurde dieser Eindruck übermächtig. Fadia packte das Genick der Papiermacherin und drückte ihren Kopf in eine weiche Masse mit einem scharfen, kaum erträglichen Geruch.

Kamel-Dung, der offenbar etwas mit Wasser verdünnt und sämig gemacht worden war, denn normalerweise waren die Ausscheidungen von Kamelen so staubtrocken wie der Wüstensand, als wollten ihre Körper nicht einen einzigen Wassertropfen zu viel abgeben.

Li glaubte ersticken zu müssen. Sie ruderte mit den Armen, versuchte Fadias Griff zu lösen, aber Firuz erste Frau war ihr an Kräften überlegen.

„Nicht einmal die scharfe Seife, die Firuz auf den Basaren verkauft, kann diesen Geruch so schnell von dir abwaschen!“, zischte Fadia. „Kein Mann wird dich eine Weile anrühren, dessen kannst du sicher sein! Und schon gar nicht der meine, dessen empfindliche Seifenhändler-Nase sich vor Ekel kräuseln wird!“

Jetzt endlich gelang es Li, sich aus dem Griff ihrer Gegnerin zu befreien. Sie hatte schon geglaubt, ersticken zu müssen. Mit einer schnellen, kräftigen Bewegung schlug sie Fadias Arm zur Seite und gab ihr einen Stoß. Sie taumelte zu Boden, war aber sofort wieder auf den Beinen.

Ein kaltes, triumphierendes Lächeln stand in Fadias Gesicht.

Sie stemmte einen Arm in die Hüfte und ging mit erhobenen Kinn aus dem Raum.

Li blickte sich um. Keine der anderen Frauen hatte eingegriffen. Alya schaute zur Seite, denn ihre erste Sorge galt ohnehin dem Kind auf ihrem Arm. Jarmila wich Lis Blick aus. Vielleicht war es Scham, die sie bewegte – aber da war auch ein ganz leichter Zug an den Mundwinkeln, der ihre wahren Gedanken verriet. Sie denkt, dass ich es verdient habe!, ging es Li durch den Kopf.


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